Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 25.06.1997, Az.: 2 U 108/97

Leistungspflicht aus einer Unfall-Zusatzversicherung ; Leistungen aus einer Unfallversicherung im Falle des Eintritts eines Erstickungstods durch Sauerstoffmangel im Zuge einer autoerotischen Handlung; Definition eines Unfalls; Folgen eines tatsächlich nicht Voraussehen des Schadenserfolges durch den Geschädigten; Regeln über die Auslegung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen; Auslegung des Wortes " Eingriff "

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
25.06.1997
Aktenzeichen
2 U 108/97
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1997, 21781
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1997:0625.2U108.97.0A

Fundstellen

  • NJW-RR 1997, 1248-1250 (Volltext mit amtl. LS)
  • VersR 1997, 1128-1129 (Volltext mit red. LS)
  • zfs 1997, 467-468 (Volltext mit red. LS)

Amtlicher Leitsatz

Unfallversicherung: Erstickungstod durch Sauerstoffmangel im Zug einer autoerotischen Handlung. Kein Ausschluss wegen Eingriffs des Versicherten an seinem Körper im Sinn von § 3 Nr. 3 AUB 61.

Gründe

1

Die Parteien streiten um die Leistungspflicht der Beklagten aus einer Unfall-Zusatzversicherung.

2

.....

3

Der Versicherungsnehmer verstarb infolge einer zentralen Lähmung durch Ersticken bei Sauerstoffmangel. Wie einer von ihm selbst arrangierten Videoaufzeichnung zu entnehmen war, hatte er einen Gefrierbeutel mittels einer handelsüblichen Gasflasche mit einem Gasgemisch gefüllt, das zu 40 % aus Propan und zu 60 % aus Butan bestand. Dieses Gemisch hatte er 29 Sekunden lang ein- und ausgeatmet. Dann hatte er den Beutel beiseite- gelegt und in Hockstellung auf seinem Bett verharrt. Er hatte noch mehrere Male tief durchgeatmet, bevor er ca. 3 Minuten später nach vorne kippte, röchelte und verstarb.

4

.....

5

Die Berufung ist nicht begründet. Die Beklagte ist zur Leistung ver- pflichtet, weil der Versicherungsnehmer bei einem Unfall i.S.v. § 2 Ziff. 1 BB-UZ zu Tode gekommen ist, ohne dass die Voraussetzungen einer Ausschlussklausel des § 3 BB-UZ erfüllt sind.

6

Ein Unfall liegt nach der hier zugrunde zulegenden, mit § 2 Ziff. 1 AUB 61 wortgleichen Definition des § 2 Ziff. 1 BB-UZ vor, wenn der Ver- sicherte durch ein plötzlich von außen auf seinen Körper wirkendes Ereignis unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet.

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Das Merkmal ein von außen auf den Körper wirkendes Ereignis will externe Schädigungsursachen von rein inneren Körpervorgängen (z.B. Spontanbruch) abgrenzen, die nicht als Unfall versichert sind (vgl. Prölss/Martin/ Knappmann, VVG, 25. Aufl., AUB 88, § 1 Anm. 3 a m.w.N.; OLG München, VersR 1983, 127, 128).

8

Der Versicherungsnehmer ist nach dem Ergebnis der Obduktion durch Ersticken infolge Sauerstoffmangels verstorben, der durch das von außen auf den Organismus einwirkende Gasgemisch hervorgerufen worden war.

9

Hierbei handelte es sich um ein plötzliches Ereignis.

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Das Merkmal der Plötzlichkeit umfasst zwei Komponenten.

11

In zeitlicher Hinsicht erfordert es objektiv eine Einwirkung innerhalb eines kurz bemessenen Zeitraums, wobei z.B. 15-20 Minuten noch als hinreichend kurze Zeitspanne angesehen werden (vgl. Prölss/Martin/ Knappmann, aa0, AUB 88, § 1 Anm. 3 b; Grimm, Unfallversicherung, 2. Aufl., § 1 Rdnr. 21 m.w.N.; OLG München, aa0). Die Einwirkung des Gases auf den Versicherungsnehmer dauerte keinesfalls länger als 4 Minuten an, so dass ohne weiteres von einem - zeitlich - plötzlichen Ereignis gesprochen werden kann.

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Darüber hinaus schließt der Begriff des Plötzlichen als wesentliches, ja hervorstechendes Merkmal das des Unerwarteten, nicht Vorausgesehenen und deshalb dann nicht mehr Entrinnbaren dergestalt in sich, dass die Schadenswirkung für den Geschädigten überraschend, unerwartet und unvorhergesehen eingetreten sein muss. Hierfür genügt es, dass der Geschädigte den Schadenserfolg tatsächlich nicht vorausgesehen hat. Unerheblich ist es dagegen, ob der Schadenseintritt bei Anwendung der notwendigen Sorgfalt hätte vorausgesehen werden können. Auch für den, der sich das schädigende Ereignis als möglich vorstellt, aber darauf vertraut, es werde nicht soweit kommen, ist das dann doch eintretende Ereignis unentrinnbar. Auf ein Verschulden kommt es insoweit nicht an (vgl. BGH, VersR 1954, 113, 114; BGH VersR 1985, 177; OLG München, aa0; OLG Zweibrücken, VersR 1988, 287[OLG Zweibrücken 27.11.1987 - 1 U 26/87]; LG Hamburg, NJW-RR 1986, 910 [LG Hamburg 02.05.1986 - 2 T 312/85]; Prölss/Martin/Knappmann, aa0, AUB 88, § 1 Anm. 3 b m.w.N.).

13

Für den Versicherungsnehmer war der Todeseintritt hier in dem vorgenannten Sinn unentrinnbar. Es ist nichts Substanzielles dafür vorgetragen, dass er das Gasgemisch z.B. in Suizidabsicht inhaliert oder auch nur billigend in Kauf genommen hätte, sich gesundheitlichen Schaden zuzufügen. Die Umstände sprechen vielmehr dafür, dass die gesamte Prozedur autoerotischen Zwecken dienen sollte und die Wirkung auf den Organismus unvorhergesehen, überraschend eintrat und unerwünscht war.

14

Soweit die Landgerichte Köln (VersR 1988, 1265) und Heidelberg (VersR 1997, 99) in gleich gelagerten Fällen einen gegenteiligen Standpunkt eingenommen haben, überzeugen die Entscheidungen nicht. Das Landgericht Köln stellt mit unklarer Terminologie darauf ab, "ob die Einwirkung auf den Körper positiv vorgesehen war". Das Landgericht Heidelberg hält es für entscheidungserheblich, dass autoerotische Handlungen, in hohem Maß risikoimmanent und sozialinadäquat" seien und deshalb nicht "Sinn und Zweck der Unfallversicherung" entsprächen. Diese Sichtweise verkennt jedoch, dass es nicht Aufgabe der Rechtsanwendung ist, Unwerturteile dadurch auszusprechen, dass missbilligten Verhaltensweisen der Versicherungsschutz entzogen wird. Es obliegt den Versicherern, ihre AVB bestimmten Handlungsweisen ggfls. anzupassen oder auch nicht. Es ist jedenfalls nicht zulässig, in AVB eine Sozialadäquanzklausel hineinzuinterpretieren, die die Versicherer selbst nicht (ausdrücklich) vorgesehen haben (richtig LG Hamburg, aa0).

15

Die zum Tode führende Gesundheitsschädigung war für den Versicherungsnehmer ferner unfreiwillig.

16

Das Merkmal der Unfreiwilligkeit bezieht sich nach dem eindeutigen Wortlaut der Klausel nicht auf die Einwirkung, das Unfallereignis, sondern auf die dadurch bewirkten Folgen des Ereignisses, die Gesundheitsschädigung pp. Der Begriff "Unfreiwilligkeit" deckt sich mit "nicht vorsätzlich". Die Unfreiwilligkeit scheitert deshalb nicht daran, dass das Unfallereignis durch eigenes, auch vorsätzliches Tun herbeigeführt wurde. Für die Annahme von Freiwilligkeit reicht bedingter Vorsatz aus. Bedingt vorsätzlich handelt insoweit, wer die als möglich erkannte Gesundheitsschädigung billigend in Kauf nimmt. Wer einen Vorgang lediglich nicht beherrscht und Risiken bzw. Gefahren falsch einschätzt, wird dagegen zum Objekt eines für ihn unfreiwilligen Geschehens (vgl. BGH, VersR 1985, 177, 178; OLG Zweibrücken, aa0; Prölss/Martin/Knappmann, aa0, AUB 88, § 1 Anm. 3 c; Grimm, aa0, § 2 Rdnrn. 39, 40 m.w.N.).

17

So liegt der Fall hier. Die Beklagte hat nicht substantiiert dargelegt, dass der Versicherungsnehmer die Möglichkeit einer Gesundheitsschädigung auch nur erkannt geschweige denn gebilligt hat. Für die Klägerin streitet überdies die gesetzliche Vermutung der Unfreiwilligkeit, § 180 a Abs. 1 VVG.

18

Auch die weiteren Tatbestandsmerkmale des Unfallbegriffs, Gesundheitsschädigung (Tod) und Kausalität zwischen Unfallereignis und Gesundheitsschädigung sind unzweifelhaft gegeben.

19

.....

20

Auf die Ausschlussklauseln gemäß § 3 Ziff.1 c), d) BB-UZ kann sich die Beklagte nicht mit Erfolg berufen.

21

Der Wortlaut des mit § 3 Ziff. 3 AUB 61 wortgleichen § 3 Ziff. 1 c) BB-UZ ist nicht eindeutig. Vielmehr bedarf die Formulierung "Eingriffe, die der Versicherte an seinem Körper vornimmt" der Auslegung.

22

Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie sie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer bei verständiger Würdigung verstehen muss. Das bedeutet, dass die Auslegung grundsätzlich an dem Sprachgebrauch des täglichen Lebens zu orientieren ist. Dieser Grundsatz erfährt eine Ausnahme, wenn die Rechtssprache mit dem verwendeten Ausdruck einen fest umrissenen Begriff verbindet. Trifft dies zu, so ist im Zweifel anzunehmen, dass auch die Allgemeinen Versicherungsbedingungen darunter nichts anderes verstehen wollen. Gleichwohl kann der in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen verwendete Begriff dann in einem von der Rechtssprache abweichenden Sinn zu verstehen sein, wenn der Sinnzusammenhang der Versicherungsbedingungen etwas anderes ergibt (vgl. BGH, NJW-RR 1988, 469; BGH NJW-RR 1992, 793; OLG Saarbrücken, VersR 1996, 578[OLG Saarbrücken 19.10.1994 - 5 U 390/94 31]; Prölss/Martin, aa0, Vorbem. III A 4 m.w.N.). Führt die Auslegung zu einem objektiv mehrdeutigen Ergebnis, sind also mindestens zwei Auslegungsergebnisse rechtlich vertretbar, gehen die Zweifel gemäß § 5 AGBG zu Lasten des Versicherers (vgl. BGH, r+s 1995, 332, 333; BGH r+s 1996, 169, 170; Prölss/Martin, aa0, Vorbem. III A 9 m.w.N.).

23

So liegt der Fall hier. Der Sprachgebrauch des täglichen Lebens schreibt dem Terminus "Eingriff" keinen fest umrissenen Anwendungsbereich zu. Beispielsweise wird der Begriff als Synonym für eine Operation am Körper verwendet. Nach diesem Verständnis ist ein Eingriff medizinisch indiziert und - final - auf Besserung eines bestehenden pathologischen Zustandes ausgerichtet. Der unbefangene Leser der BB-UZ könnte durchaus den Eindruck gewinnen, dass auch der Versicherer diese Interpretation des Begriffs gemeint hat. Hierfür sprechen Wortlaut und Sinnzusammenhang des § 3 Ziff. 1 c), der die Begriffe "Eingriff" und "Heilmaßnahmen" nebeneinander- und - zumindest scheinbar - sogar gleichstellt. Dem allgemeinen Sprachgebrauch entspricht es aber auch noch, unter "Eingriff" allgemein jede Einwirkung auf die Körpersphäre zu verstehen. Keinesfalls jedoch ist die zuletzt genannte Interpretation die - im Sinn der Beklagten - einzig mögliche.

24

Kein eindeutiges Ergebnis ergibt sich auch, wenn man die allgemeine Rechtssprache auf das Merkmal "Eingriff" abfragt. Parallelen zum Bereicherungsrecht ("Eingriffskondiktion") und öffentlichrechtlichen Entschädigungsrecht ("enteignungsgleicher Eingriff") führen nicht weiter. Auch soweit das materielle Strafrecht z.B. in den §§ 218 a Abs. 1 Nr. 1, 315, 315 b, 354 Abs. 4 StGB das Tatbestandsmerkmals "Eingriff" verwendet, lässt sich hieraus ein allgemein gültiges Begriffsverständnis nicht ableiten.

25

Das Merkmal "Eingriff" hat demnach weder im allgemeinen Sprachverständnis noch in der Rechtssprache gesicherte Konturen. So verwundert es nicht, dass die Frage, ob sog. autoerotische oder vergleichbare Handlungen als Eingriffe i.S.d. BBUZ und AUB aufzufassen sind, in Rechtsprechung und Lehre ganz unterschiedlich beantwortet werden. So hat beispielsweise das LG Magdeburg Versicherungsschutz mit der Begründung verneint, ein Eingriff sei jede "äußere physische Einwirkung auf die Integrität des Körpers" (ZfS 1997, 183; ähnlich LG München, r+s 1991, 36; LG Heidelberg, VersR 1997, 99, 100[LG Heidelberg 14.12.1995 - 1 O 187/95]; Wussow/Pürckhauer, AUB, 6. Aufl., § 2 II (2) Rdnr. 78). Anderen geht diese Definition zu weit. Nach Auffassung von Bruck/Möller/Wagner (VVG, 8. Aufl., Unfallversicherung, Anm. G 155) beschreibt der Ausdruck "Eingriff" nur solche Maßnahmen, die unmittelbar auf die körperliche Integrität einwirken und dies final auch bezwecken. Prölss/Martin/Knappmann (aa0, AUB 88, § 2 Anm. 7 b) vertreten den Standpunkt, der Gesamtzusammenhang der Klausel lege es nahe, den Terminus "Eingriff""auf medizinische und kosmetische Behandlungen zu beschränken". Autoerotische Handlungen fielen nicht hierunter (i.E. ebenso LG Hamburg, aa0).

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Aus alldem folgt, dass die Klausel des § 3 Ziff. 1 c) BB-UZ den durchschnittlichen Versicherungsnehmer über die genauen Voraussetzungen des Risikoausschlusses objektiv im Unklaren lässt und auch die juristische Fachsprache den Begriff unterschiedlich auffasst. In dieser Situation ist es Sache des Versicherers, insoweit für eindeutige Formulierungen zu sorgen. Weil dies nicht geschehen ist, muss der Entscheidung die für den Versicherungsnehmer günstigere Auslegungsmöglichkeit gewählt werden. Danach handelt es sich bei autoerotischen und diesen gleichkommenden Verhaltensweisen nicht um Eingriffe i.S.v. § 3 Ziff. 1 c) BB-UZ.