Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 25.06.1997, Az.: 2 U 109/97
Erforderlichkeit der hinreichenden Konkretisierung von versicherungsvertragsrechtlichen Obliegenheiten; Ausreichen der Normierung allgemeiner Sorgfaltspflichten; Grob fahrlässige Herbeiführung eines Versicherungsfalles
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 25.06.1997
- Aktenzeichen
- 2 U 109/97
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1997, 21725
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:1997:0625.2U109.97.0A
Rechtsgrundlagen
- § 1 VVG
- § 1 AFB 87
- § 2 AFB 87
- § 61 VVG
- § 286 ZPO
Fundstellen
- NJW-RR 1998, 31 (Volltext mit amtl. LS)
- OLGReport Gerichtsort 1998, 264-265
- VersR 1998, 490 (Volltext mit amtl. LS)
- zfs 1998, 65-66 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
Feuerversicherung: Heuselbstentzündung und unterlassener Einsatz einer Heumesssonde zur Temperaturmessung.
Gründe
Die Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger gemäß §§ 1 VVG, 1, 2 AFB 87 Entschädigung für die durch den Brand entstandenen Gebäude- und Erntegutschäden zu leisten. Sie ist nicht wegen Verletzung einer vor Eintritt des Versicherungsfalls zu erfüllenden Obliegenheit nach § 6 Abs. 1 VVG in Verbindung mit § 7 Nr. 1 a Nr. 2 AFB 87 und Nr. 7 der vereinbarten ,Sicherheitsvorschriften für die Landwirtschaft" oder aus anderen Gründen leistungsfrei.
Bei den bezeichneten Sicherheitsvorschriften handelt es sich nicht um behördliche oder berufsgenossenschaftliche Feuer- oder Unfallverhütungsvorschriften, sondern um vereinbarte Versicherungsbedingungen, durch die die dem Versicherungsnehmer nach § 7 AFB 87 obliegenden Verpflichtungen näher konkretisiert werden sollen.
Nach Nr. 7 dieser Sicherheitsvorschriften ist u.a. darauf zu achten, "dass getrocknetes Erntegut ordnungsgemäß eingelagert und ständig auf Selbstentzündung überprüft wird", wobei "bei einer Temperatur von über 60 Grad Celsius im Lagergut ... unverzüglich die Feuerwehr zu benachrichtigen" ist. Daraus hat das Landgericht ohne weiteres den Schluss gezogen, der Kläger sei vertraglich angehalten gewesen, ,regelmäßige Temperaturmessungen bei dem in der Scheune eingelagerten Heu durchzuführen". Das greift zu kurz.
Entgegen der Auffassung des Landgerichts kann aus Nr. 7 der Sicherheitsvorschriften nicht abgeleitet werden, dass der Versicherungsnehmer regelmäßige Temperaturmessungen an dem eingelagerten Erntegut durchzuführen hat. Eine derartige Obliegenheit muss inhaltlich konkret bestimmt sein. Dem Versicherungsnehmer müssen bestimmte Verhaltensweisen zur Erhaltung seines Versicherungsanspruchs vorgeschrieben, ihm also Handlungs- und Unterlassungspflichten vorgegeben werden. Nicht ausreichend ist die Normierung allgemeiner Sorgfaltspflichten, aus denen für den Versicherungsnehmer nicht mit der erforderlichen Klarheit hervorgeht, was er in einer gegebenen Lage zu tun oder zu unterlassen hat (BGH VersR 1972, 85, 86).
Nach diesen Maßstäben ist die Beklagte nicht leistungsfrei. Nach der hier in Rede stehenden Bestimmung hatte der Kläger nur eine Überprüfung auf Heuselbstentzündung vorzunehmen, ihm war nicht vorgegeben, wie und in welchem Umfang das eingelagerte Erntegut zu überprüfen war; insbesondere war in keiner Weise die Verpflichtung normiert, eingelagertes Heu mit einer Messsonde zu kontrollieren.
Die Beklagte ist auch nicht nach wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls durch den Kläger leistungsfrei. Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt gröblich, in hohem Maße außer Acht lässt. Dies ist dann der Fall, wenn schon einfache, ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt werden und dasjenige nicht beachtet wird, was unter den gegebenen Umständen jedem einleuchten müsste (RGZ 141, 131; BGHZ 10, 16[BGH 11.05.1953 - IV ZR 170/52]). Es muss sich um ein auch subjektiv unentschuldbares Fehlverhalten handeln, welches das gewöhnliche Maß erheblich übersteigt (BGH VersR 1976, 649, 650; VersR 1977, 465). Der Tatrichter kann dabei im Rahmen seiner freien Beweiswürdigung nach § 286 ZPO vom äußeren Geschehensablauf oder vom Ausmaß des objektiven Pflichtverstoßes auf innere Vorgänge und deren gesteigerte Vorwerfbarkeit schließen (BGH r + s 1989, 209 m.w.N.).
Vorliegend rechtfertigen die feststehenden und die von der Beklagten unter Beweis gestellten Tatsachen jedenfalls in subjektiver Hinsicht nicht die Feststellung eines äußerst schwerwiegenden Verstoßes gegen die im konkreten Fall gebotene Sorgfalt. Einmal fällt zu Gunsten des Klägers ins Gewicht, dass die vorgenommene Art der Lagerung der Ernte in Form hochdruckgepresster Heuballen im nordwestdeutschen Raum durchaus üblich ist. Das wird auch von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen. Zudem hat der Kläger - in Übereinstimmung mit seinem Prozessvortrag - bereits zur Verhandlungsniederschrift gegenüber dem Schadenermittler der Beklagten am 18.06.1996 ausgeführt, das Heu sei während einer trockenen Periode geschnitten worden; er habe es bei dem Landwirt X ungepresst besichtigt und es dann von ihm gekauft, X habe es am 04.06.1996 aufgepresst, am selben oder am nächsten Tage habe er es abgeholt und in die später vom Brand betroffenen Scheune eingelagert, wobei er keine Notwendigkeit gesehen habe, Heutemperaturmessungen durchzuführen, da er das Heu vor Einlagerung geprüft und festgestellt habe, dass es gut trocken gewesen sei.
Dieses Verhalten ist unter Berücksichtigung der Tatsache, dass dem Kläger bei Vertragsschluss das Merkblatt ,Heu bringt Gefahr" ausgehändigt worden war, sicher als fahrlässig zu bewerten; der Senat sieht sich aber nicht zu der Feststellung im Stande, dass dem Kläger eine schlechthin unentschuldbare Sorgfaltspflichtverletzung vorzuwerfen ist. Seine Behauptung, dass das Heu im trockenen Zustand geschnitten, gepresst und eingelagert worden ist, ist nicht widerlegt und nicht einmal bestritten. Wenn er unter diesen Umständen - unwiderlegt und unbestritten - glaubte, sich mit ständigen Geruchsproben begnügen zu können, war das zwar nachlässig, begründet aber nicht ohne weiteres den Vorwurf eines auch subjektiv unentschuldbaren Fehlverhaltens.
Die Behauptung der Beklagten, in Y würden, wegen der Aufklärung der Beklagten und der sonstigen Versicherer" durch die bei jedem landwirtschaftlichen Feuer-Versicherungsvertrag überreichte Schrift ,Heu bringt Gefahr" von den ,beteiligten Verkehrskreisen ... regelmäßige Temperaturmessungen" durchgeführt, ist vor dem zuvor erörterten - auf den Vortrag der darlegungspflichtigen Beklagten bezogen - sachlich vergleichsweise wenig gegen den Kläger sprechenden Hintergrund nicht hinreichend substantiiert. Es ist insbesondere nicht dargetan, dass die angebliche Übung der beteiligten Verkehrskreise auch unter wie hier zu Grunde zulegenden außergewöhnlich günstigen Umständen besteht.