Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 12.11.2012, Az.: 3 K 333/12
Abzugsfähigkeit von Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastungen
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 12.11.2012
- Aktenzeichen
- 3 K 333/12
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2012, 38465
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2012:1112.3K333.12.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - 20.01.2016 - AZ: VI R 40/13
Rechtsgrundlage
- § 33 Abs. 1 EStG
Fundstellen
- DB 2013, 19
- DStR 2014, 6
- DStRE 2014, 1367-1368
Amtlicher Leitsatz
Zivilprozesskosten sind als außergewöhnliche Belastungen abziehbar, wenn sich der Steuerpflichtige nicht mutwillig oder leichtfertig auf den Prozess eingelassen hat und die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus Sicht eines verständigen Dritten hinreichende Aussicht auf Erfolg bot (Anwendung des BFH-Urteils vom 12. Mai 2011 - VI R 42/10).
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Abzugsfähigkeit von Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastungen.
Der Kläger ist Eigentümer eines bebauten Grundstücks in A., das unweit des Flusses H. liegt. Der Fluss wird zum Betrieb einer Turbine regelmäßig auf eine Höhe von 75,76 m. ü. NN angestaut, was zur Folge hat, dass Wasser in die Kelleranlagen im Gebäude des Klägers eintritt. Der Betreiber der Turbine beruft sich darauf, zum Anstauen aufgrund eines alten Rechts befugt zu sein.
Im Rahmen eines bei dem Landgericht H. durchgeführten selbständigen Beweisverfahrens wurde ein Sachverständigengutachten mit dem Ergebnis erstellt, dass das Eindringen des Flusswassers mit einer geringeren Anstauhöhe vermieden werden könnte. Ohne den Verzicht des Anstauens sei die Verhinderung des Wassereintritts "nur unter größten Schwierigkeiten möglich und mit Kosten, welche mit Sicherheit außerhalb jeder Wirtschaftlichkeit stünden".
Aufgrund dessen verklagte der insoweit nicht rechtsschutzversicherte Kläger den Betreiber der Turbine vor dem Landgericht H. mit dem Ziel, es zu unterlassen, den Fluss in einer Höhe über 74,71 m. ü. NN aufzustauen. Er bestreitet, dass dem Turbinenbetreiber ein altes Recht zustehe, insbesondere fehle es insoweit an einer Eintragung im Wasserbuch.
Für den - noch nicht abgeschlossenen - Rechtsstreit fielen im Streitjahr Kosten in Höhe von insg. 7.195,42 € an, die der Kläger unter Berufung auf das Urteil des VI. Senats des Bundesfinanzhofs (v. 12.5.2011 - VI R 42/10) im Rahmen seiner Einkommensteuererklärung als außergewöhnliche Belastungen geltend machte. Der Beklagte lehnte die steuerliche Berücksichtigung der Kosten ab und verwies auf das Schreiben des Bundesfinanzministeriums, wonach das Urteil des Bundesfinanzhofs nicht über den Streitfall hinaus angewendet werden solle.
Nach erfolglosem Vorverfahren hat der Kläger Klage erhoben.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
unter Änderung des Bescheides über Einkommensteuer für das Jahr 2010 vom 2. Dezember 2011 in der Fassung des Einspruchsbescheides vom 21. Mai 2012 die Einkommensteuer unter Berücksichtigung von Zivilprozesskosten in Höhe von 7.195,42 € als außergewöhnliche Belastungen herabzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Durch Beschluss des Senats vom 8. November 2012 wurde der Rechtsstreit dem Berichterstatter nach § 6 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen. Die Beteiligten haben einvernehmlich auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
I. Die Klage ist zulässig und begründet. Die von dem Kläger getragenen Prozesskosten in Höhe von 7.195,42 € sind als außergewöhnliche Belastungen nach § 33 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (im Folgenden: EStG) zu berücksichtigen.
1. Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes, so wird die Einkommensteuer nach § 33 Abs. 1 EStG auf Antrag in bestimmtem Umfang ermäßigt. Kosten eines Zivilprozesses erwachsen den Parteien nach der neuen Rechtsprechung des zuständigen VI. Senats des Bundesfinanzhofs (im Folgenden: BFH) unabhängig vom Gegenstand des Zivilrechtsstreits aus rechtlichen Gründen zwangsläufig (vgl. BFH-Urteil vom 12. Mai 2011 - VI R 42/10, BStBl. II 2011, 1015).
Für die Frage der Zwangsläufigkeit von Prozesskosten sei nicht - wie nach der bisherigen Rechtsprechung - auf die Unausweichlichkeit des der streitgegenständlichen Zahlungsverpflichtung oder dem strittigen Zahlungsanspruch zugrunde liegenden Ereignisses abzustellen. Denn der Steuerpflichtige müsse, um sein Recht durchzusetzen, im Verfassungsstaat des Grundgesetzes den Rechtsweg beschreiten. Dieser Unausweichlichkeit stehe nicht entgegen, dass mit den Kosten eines Zivilprozesses in der Regel nur die unterliegende Partei (§ 91 Abs. 1 Satz 1 der Zivilprozessordnung) belastet ist. Denn der Einwand, der Unterliegende hätte bei gehöriger Prüfung seiner Rechte und Pflichten erkennen können, der Prozess werde keinen Erfolg haben, werde der Lebenswirklichkeit nicht gerecht. Denn nur selten finde sich der zu entscheidende Sachverhalt so deutlich im Gesetz wieder, dass der Richter seine Entscheidung mit arithmetischer Gewissheit aus dem Gesetzestext ablesen kann. Nicht zuletzt deshalb bietet die Rechtsordnung ihren Bürgern ein sorgfältig ausgebautes und mehrstufiges Gerichtssystem an.
Als außergewöhnliche Belastungen sind Zivilprozesskosten nach der neuen Rechtsprechung des VI. Senats jedoch nur zu berücksichtigen, wenn sich der Steuerpflichtige nicht mutwillig oder leichtfertig auf den Prozess eingelassen hat. Er muss diesen vielmehr unter verständiger Würdigung des Für und Wider - auch des Kostenrisikos - eingegangen sein. Demgemäß sind Zivilprozesskosten des Klägers wie des Beklagten nicht unausweichlich, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung aus Sicht eines verständigen Dritten keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bot.
2. Die genannten Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt.
Die beabsichtigte Rechtsverfolgung durch den Kläger bot aus Sicht eines verständigen Dritten eine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger sich mutwillig oder leichtfertig auf den Prozess eingelassen hätte. Vielmehr geht es um eine schwierige wasserrechtliche Rechtsfrage, die für den Kläger eine erhebliche wirtschaftliche Bedeutung hat. Die Argumentation ist in rechtlicher Hinsicht nachvollziehbar und in tatsächlicher Hinsicht durch ein umfangreiches Sachverständigengutachten fundiert. Bei den Kosten handelt es sich um die Verfahrensgebühr, die Gutachtenkosten und die Rechtsanwaltsgebühren. Diese im Streitjahr bereits angefallenen und abgeflossenen Prozesskosten können zunächst nach § 11 Abs. 2 EStG als außergewöhnliche Belastung geltend gemacht werden (vgl. Loschelder in Schmidt, EStG. Kommentar, 31. Auflage 2012, § 33 EStG Rz. 5). Allerdings sind nur solche Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen abziehbar, die den Steuerpflichtigen endgültig belasten (BFH-Urteil vom 30. Juni 1999 - III R 8/95, BStBl II 1999, 766 [BFH 30.06.1999 - III R 8/95]). Sollte der von dem Kläger geführte Rechtsstreit deshalb in einem späteren Veranlagungszeitraum mit der Folge zu einem erfolgreichen Abschluss kommen, dass der Beklagte die Kosten zu tragen hat, ist dies nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung als rückwirkendes Ereignis zu berücksichtigen und der steuerliche Abzug für das Streitjahr wieder rückgängig zu machen (vgl. Loschelder in Schmidt, EStG. Kommentar, 31. Auflage 2012, § 33 EStG Rz. 13).
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (im Folgenden: FGO).
III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).