Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 22.11.2012, Az.: 14 K 237/12
Absetzbarkeit der Kosten einer Vollstreckungsabwehrklage bei den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit und aus Vermietung und Verpachtung einer Eigentumswohnung
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 22.11.2012
- Aktenzeichen
- 14 K 237/12
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2012, 38230
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2012:1122.14K237.12.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - 18.02.2016 - AZ: VI R 17/13
Rechtsgrundlagen
- § 9 Abs. 1 S. 1 EStG
- § 33 Abs. 1 EStG
Fundstelle
- DB 2013, 18-19
Amtlicher Leitsatz
Zivilprozesskosten sind als außergewöhnliche Belastungen abziehbar, wenn sich der Steuerpflichtige nicht mutwillig oder leichtfertig auf den Prozess eingelassen hat (Anschluss an BFH-Urteil vom 12. Mai 2011 VI R 42/10, BFHE 234, 30, BStBl II 2011, 1015 [BFH 12.05.2011 - VI R 42/10]).
Tatbestand
Der Kläger wurde für das Streitjahr (2010) einzeln zur Einkommensteuer veranlagt. Er erzielte Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und aus Vermietung und Verpachtung der Eigentumswohnung Z in A.
Die X-Bank beabsichtigte, gegenüber dem Kläger die Zwangsvollstreckung aus der vollstreckbaren Ausfertigung der Grundschuldbestellungsurkunde vom 12. Oktober 1993 durchzuführen.
Der Kläger, der nicht rechtschutzversichert war, erhob daraufhin Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 der Zivilprozessordnung (ZPO), die beim Landgericht (LG) Osnabrück unter dem Aktenzeichen 7 O 864/09 anhängig war. Er beantragte, die Zwangsvollstreckung aus der vollstreckbaren Ausfertigung der vorgenannten Grundschuldbestellungsurkunde für unzulässig zu erklären, soweit die Zwangsvollstreckung das persönliche Vermögen des Klägers betraf.
Dem Rechtsstreit lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Im Jahr 1993 wurde der Vater des Klägers von einem Arbeitskollegen (S) auf den Erwerb einer fremdfinanzierten Eigentumswohnung angesprochen. Der Vater des Klägers teilte S mit, dass eventuell der Kläger interessiert sei. Daraufhin lud S den Kläger und seinen Vater zu einer Informationsveranstaltung eines Immobilienkaufmanns (K) in einer Gaststätte ein, die am 26. Mai 1993 stattfand. Auf dieser Informationsveranstaltung stellte K unter anderem auch den Erwerb von Eigentumswohnungen in einem Objekt in A vor, der ohne Eigenkapital finanziert werden sollte. Am 13. September 1993 suchte K den Kläger nach vorheriger telefonischer Absprache in dessen Wohnung auf. Hier schlug er konkret den Erwerb einer Wohnung in A vor, der durch ein Darlehen bei der X-Bank ohne Eigenkapital voll finanziert werden sollte. K überreichte dem Kläger zu diesem Zweck unter anderem ein persönliches Berechnungsbeispiel, nach dem der monatliche Aufwand nach Tilgung 436,87 DM betragen sollte. Der Kaufpreis für die Wohnung sollte 198.750 DM betragen, der Kaufpreis für einen Stellplatz weitere 5.000 DM. Zudem sollten 16.300 DM als Grundsteuer, Notar- und Gerichtskosten sowie Abwicklungsgebühr in den Kaufpreis einbezogen werden. Dem Kläger sagte dieses Angebot zu und er suchte am 12. Oktober 1993 den Notar (N) auf, wo der Abschluss des Kaufvertrags über die Eigentumswohnung Z in A notariell beurkundet wurde. Als Kaufpreis ist in dem Kaufvertrag ein Betrag von 220.050 DM ausgewiesen. Nach Ziffer VIII des Kaufvertrags sollten sämtliche Kosten des Vertrags und seines Vollzugs sowie die anfallende Grunderwerbsteuer einschließlich der Kosten der Lastenfreistellung vom Verkäufer getragen werden. Nach Ziffer III des Kaufvertrags unterwarf sich der Kläger gegenüber dem Verkäufer wegen der übernommenen Zahlungsverpflichtungen der sofortigen Zwangsvollstreckung aus der Urkunde in sein gesamtes Vermögen. Am 12. Oktober 1993 wurde auch der auf den 11. Oktober 1993 ausgestellte Darlehensvertrag, den K zu dem Notarterminen mitgebracht hatte, vom Kläger und seinem Vater unterzeichnet.
Nachdem der Kläger die Zahlungen auf das Darlehen eingestellt hatte, kündigte die X-Bank das Darlehn.
In dem Rechtsstreit vor dem LG trug der Kläger vor, K habe ihm in dem Gespräch am 13. September 1993 zugesagt, er werde durch den Erwerb der Eigentumswohnung eine ewige Rente erzielen. Diese diene der Altersvorsorge und sei geeignet, Steuern zu sparen. Der Kaufpreis sei bankgeprüft und die Miete von 15,95 DM/qm pro Monat sei nachhaltig erzielbar. Das Geschäft sei völlig risikolos und beim Renteneintritt könne das Darlehn vollständig zurückgezahlt werden. K sei durch einen Maklervertrag mit der X-Bank verbunden gewesen und habe eine Provision von 0,5 % bis 1 % erzielt. Die X-Bank habe ihm auch die für den Abschluss des Darlehensvertrags erforderlichen Formulare überlassen. Die X-Bank habe sämtliche zwölf Wohnungen in dem Gebäude in A finanziert. Der Kaufpreis für die Wohnung sei sittenwidrig überhöht. Der Wert der Wohnung habe 89.040 DM bzw. 121.000 DM betragen. Der X-Bank sei die sittenwidrige Überteuerung der Eigentumswohnung bekannt gewesen.
Die X-Bank trug in dem Rechtsstreit vor dem LG vor, mit K keine konkreten Vertriebsabsprachen getroffen zu haben. Der vom Kläger bezahlte Kaufpreis sei auch angemessen gewesen. Die von ihr durchgeführte Wertermittlung habe einen Beleihungswert der Wohnung von 178.875 DM ergeben.
Das LG wies die Klage des Klägers nach Beweisaufnahme ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, dem Kläger stehe kein Anspruch auf Rückzahlung erbrachter Leistungen nach § 3 Abs. 1 HWiG zu, den er einer Zwangsvollstreckung aus der notariellen Urkunde entgegensetzen könne. Es könne nicht festgestellt werden, dass die vom Kläger behauptete Haustürsituation ursächlich für den Abschluss des Darlehnsvertrags mit der X-Bank gewesen sei. Der Kläger könne der Inanspruchnahme aus der notariellen Urkunde auch keinen Schadensersatzanspruch aus Verschulden bei Vertragsschluss entgegenhalten. Es fehle an einer evidenten Unrichtigkeit der Angaben des Verkäufers. Der Kläger habe auch die Sittenwidrigkeit des Kaufpreises nicht hinreichend dargelegt. Nach dem vom Kläger vorgelegten Privatgutachten eines Sachverständigen betrage der Vergleichswert der Wohnung 145.000 DM. Daher könne eine Sittenwidrigkeit im Sinne von § 138 BGB nicht angenommen werden. Auch die Angabe zur Miethöhe, die in dem persönlichen Berechnungsbeispiel festgehalten sei, sei nicht evident unrichtig. Der Kläger habe eine monatliche Miete von 14,63 DM/qm erzielt. Dieser Betrag liege nur unerheblich unter dem in dem persönlichen Berechnungsbeispiel angegebenen Betrag von 15,95 DM/qm. Die durchgeführte Beweisaufnahme habe keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die X-Bank von einer möglicherweise gegebenen arglistigen Täuschung des Klägers Kenntnis haben musste. Der Zeuge L habe sich an die Inhalte des Gesprächs im Jahr 1993 kaum noch erinnern können. Der Zeuge S habe nur ein geringfügig besseres Erinnerungsvermögen gezeigt. Auch der Zeuge K habe kaum noch der Erinnerung an das im Jahr 1993 mit dem Kläger geführte Gespräch gehabt.
Der Kläger legte gegen das Urteil des LG fristwahrend Berufung beim Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg ein, die unter dem Aktenzeichen 8 U 106/10 anhängig war. Die Berufung nahm der Kläger am 19. August 2010 zurück.
Das LG setzte mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 9. September 2010 die vom Kläger aufgrund des landgerichtlichen Urteils zu erstattenden Kosten auf 4.281,03 € zuzüglich Zinsen fest. Der Kläger zahlte die festgesetzten Kosten einschließlich Zinsen in Höhe von insgesamt 4.360,90 € am 23. September 2010. Die vom Kläger beauftragten Rechtsanwälte stellten dem Kläger unter dem 8. März 2010 und unter dem 27. April 2010 für die Wahrnehmung der Termine zur mündlichen Verhandlung vor dem LG am 25. Januar 2010 und am 19. April 2010 97,81 € sowie 260,28 € in Rechnung, die der Kläger am 15. März 2010 und am 3. Mai 2010 zahlte. Für ein vom Kläger in den Rechtsstreit vor dem LG eingeführtes Privatgutachten der Sachverständigengesellschaft td zahlte der Kläger am 26. April 2010 1.011,50 €.
Die Gerichtskosten für die Berufungsinstanz stellte das LG dem Kläger mit Kostenrechnung vom 3. September 2010 in Rechnung. Der Kläger zahlte die Gerichtskosten in Höhe von 956 € am 13. September 2010.
Der Kläger machte die vorgenannten Aufwendungen in seiner Einkommensteuererklärung für 2010 als außergewöhnliche Belastungen geltend.
Der Beklagte (das Finanzamt --FA--) erkannte die Aufwendungen nicht als außergewöhnliche Belastungen an.
Der Kläger legte gegen den Einkommensteuerbescheid Einspruch ein und begehrte unter Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 12. Mai 2011 VI R 42/10 (BFHE 234, 30, BStBl II 2011, 1015 [BFH 12.05.2011 - VI R 42/10]) die Anerkennung der Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastungen.
Das FA wies den Einspruch als unbegründet zurück. Das BFH-Urteil in BFHE 234, 30, [BFH 12.05.2011 - VI R 42/10] BStBl II 2011, 1015 [BFH 12.05.2011 - VI R 42/10] sei laut Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 20. Dezember 2011 über den entschiedenen Einzelfall hinaus nicht anzuwenden. Nach der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung des BFH habe in Übereinstimmung mit der Verwaltungsauffassung gegolten, dass Kosten von Zivilprozessen regelmäßig nicht zwangsläufig erwachsen und daher keine außergewöhnlichen Belastungen seien. Eine Berücksichtigung als außergewöhnliche Belastung sei nur ausnahmsweise in Betracht gekommen, wenn der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr gelaufen sei, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können. Mit dem BFH-Urteil in BFHE 234, 30, [BFH 12.05.2011 - VI R 42/10] BStBl II 2011, 1015 [BFH 12.05.2011 - VI R 42/10] habe der BFH den Abzug von Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastungen nunmehr schon dann zugelassen, wenn die Prozessführung eine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete und nicht mutwillig erscheine. Für eine eindeutige, zuverlässige und rechtssichere Einschätzung der Erfolgsaussichten eines Zivilprozesses stünden der Finanzverwaltung indes keine Instrumente zur Verfügung.
Der Kläger hat am 30. Juli 2012 Klage erhoben.
Er trägt vor, er habe 1993 eine sog. Schrottimmobilie erworben. Im Zusammenhang damit seien ihm Prozesskosten in Höhe von 6.688 € entstanden. Die Prozesskosten seien nach der geänderten Rechtsprechung des BFH als außergewöhnliche Belastungen anzuerkennen. Die Rechtsverfolgung sei nicht mutwillig gewesen. Der Kläger habe seinen Vortrag vor dem LG lediglich nicht beweisen können. Die Immobilie habe ihn finanziell fast in den Ruin getrieben. Die Berufung sei zunächst zur Fristwahrung eingelegt worden. Auf Grund des Kostenrisikos, welches wegen der fehlenden Rechtschutzversicherung bestanden habe, habe sich der Kläger dann jedoch entschlossen, die Berufung zurückzunehmen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Einkommensteuerbescheid für 2010 vom 7. November 2011 in der Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 26. Juni 2012 dahin zu ändern, dass Aufwendungen in Höhe von 6.688 € als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt werden.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es nimmt Bezug auf seine Ausführungen in der Einspruchsentscheidung.
Das Gericht hat die Akten LG Osnabrück 7 O 864/09 und OLG Oldenburg 8 U 106/10 beigezogen.
Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) und ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Berichterstatters anstelle des Senats erklärt (§ 79a Abs. 3, Abs. 4 FGO).
Entscheidungsgründe
Die Klage ist überwiegend begründet. Der angefochtene Einkommensteuerbescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, soweit die Einkommensteuer über den nach der Urteilsformel zu berechnenden Betrag hinaus festgesetzt wurde (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Das FA hat die Zivilprozesskosten des Klägers zu Unrecht vollständig vom Abzug als außergewöhnliche Belastungen ausgeschlossen.
1. Die Beteiligten gehen allerdings zu Recht übereinstimmend davon aus, dass der Kläger die streitigen Aufwendungen nicht bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung der Wohnung Z in A als Werbungskosten abziehen kann.
Werbungskosten i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG i.d.F. des Streitjahres sind nach § 9 Abs. 1 Satz 2 EStG bei der Einkunftsart Vermietung und Verpachtung abzuziehen, wenn sie bei ihr erwachsen, und das heißt, durch sie veranlasst sind (ständige Rechtsprechung, aus neuerer Zeit z.B. BFH-Urteil vom 28. September 2010 IX R 42/09, BFHE 230, 567, BStBl II 2011, 271 [BFH 28.09.2010 - IX R 42/09]). Daran fehlt es im Streitfall. Denn die Aufwendungen, um deren Abzugsfähigkeit die Beteiligten in dem vorliegenden Verfahren streiten, sind dadurch entstanden, dass sich der Kläger gegen die von der X-Bank beabsichtigte Zwangsvollstreckung aus der vollstreckbaren Ausfertigung der Grundschuldbestellungsurkunde in sein persönliches Vermögen wandte. Zwar resultierte die Darlehnsschuld, zu deren Sicherung die Grundschuld bestellt wurde, aus einem Darlehn, dass der Kläger zur Anschaffung der Eigentumswohnung in A aufgenommen hatte. Die streitigen Aufwendungen standen aber nicht in objektivem Zusammenhang mit der Vermietung der Wohnung in A und wurden vom Kläger auch subjektiv nicht zur Förderung der Vermietung der Eigentumswohnung getätigt. Vielmehr hatte der Kläger die Zahlungen auf das Darlehn eingestellt, weil er aus den in dem Klageverfahren 7 O 864/09 im Einzelnen dargelegten Gründen der Auffassung war, nicht zur Zahlung verpflichtet zu sein. Da die X-Bank den Darlehnsvertrag für wirksam hielt, beabsichtigte sie, die Zwangsvollstreckung in das persönliche Vermögen des Klägers durchzuführen. Zur Abwehr dieser beabsichtigten Zwangsvollstreckungsmaßnahmen wandte der Kläger die streitigen Ausgaben auf.
2. Der Kläger kann die streitigen Aufwendungen jedoch teilweise als außergewöhnliche Belastungen steuermindernd geltend machen.
Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes (außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die Einkommensteuer in bestimmtem Umfang ermäßigt (§ 33 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes --EStG--).
a) Bei den Kosten eines Zivilprozesses, die vorliegend --wie oben dargelegt wurde-- von den Beteiligten zutreffend nicht als Werbungskosten beurteilt worden sind, sprach nach früherer Rechtsprechung des BFH eine Vermutung gegen die Zwangsläufigkeit (BFH-Urteile vom 9. Mai 1996 III R 224/94, BFHE 181, 12, BStBl II 1996, 596, [BFH 09.05.1996 - III R 224/94] m.w.N.; vom 4. Dezember 2001 III R 31/00, BFHE 198, 94, BStBl II 2002, 382 [BFH 04.12.2001 - III R 31/00]; vom 18. März 2004 III R 24/03, BFHE 206, 16, BStBl II 2004, 726, [BFH 18.03.2004 - III R 24/03] und vom 27. August 2008 III R 50/06, BFH/NV 2009, 553). Derartige Kosten wurden nur als zwangsläufig erachtet, wenn auch das die Zahlungsverpflichtung oder den Zahlungsanspruch adäquat verursachende Ereignis zwangsläufig erwachsen ist. Daran fehlte es nach der Rechtsprechung des BFH im Allgemeinen bei einem Zivilprozess. Es sei in der Regel der freien Entscheidung der (Vertrags)Parteien überlassen, ob sie sich zur Durchsetzung oder Abwehr eines zivilrechtlichen Anspruchs einem Prozess(kosten)risiko aussetzten. Lasse sich der Steuerpflichtige trotz ungewissen Ausgangs auf einen Prozess ein, liege die Ursache für die Prozesskosten in seiner Entscheidung, das Prozesskostenrisiko in der Hoffnung auf ein für ihn günstiges Ergebnis in Kauf zu nehmen; es entspräche nicht Sinn und Zweck des § 33 EStG, ihm die Kostenlast zu erleichtern, wenn sich das im eigenen Interesse bewusst in Kauf genommene Risiko realisiert habe. Als zwangsläufige Aufwendungen erkannte die frühere Rechtsprechung Zivilprozesskosten nur an, wenn der Prozess existentiell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührte. Liefe der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können, könne er trotz unsicherer Erfolgsaussichten gezwungen sein, einen Zivilprozess zu führen.
b) An dieser Rechtsprechung hat der BFH allerdings nicht mehr festgehalten (grundlegend BFH-Urteil in BFHE 234, 30, [BFH 12.05.2011 - VI R 42/10] BStBl II 2011, 1015 [BFH 12.05.2011 - VI R 42/10]). Denn die Auffassung, der Steuerpflichtige übernehme das Prozesskostenrisiko "freiwillig", verkenne, dass streitige Ansprüche wegen des staatlichen Gewaltmonopols, das der Verwirklichung des inneren Friedens diene, regelmäßig nur gerichtlich durchzusetzen oder abzuwehren seien. Es sei ein zentraler Aspekt der Rechtsstaatlichkeit, die eigenmächtig-gewaltsame Durchsetzung von Rechtsansprüchen grundsätzlich zu verwehren. Die Parteien würden zur gewaltfreien Lösung von Rechtsstreitigkeiten und Interessenkonflikten der Staatsbürger vielmehr auf den Weg vor die Gerichte verwiesen. Zivilprozesskosten erwüchsen Kläger wie Beklagtem deshalb unabhängig vom Gegenstand des Zivilrechtsstreits aus rechtlichen Gründen zwangsläufig.
Als außergewöhnliche Belastungen sind Zivilprozesskosten jedoch auch nach der geänderten Rechtsprechung des BFH nur zu berücksichtigen, wenn sich der Steuerpflichtige nicht mutwillig oder leichtfertig auf den Prozess eingelassen hat. Er muss diesen vielmehr unter verständiger Würdigung des Für und Wider --auch des Kostenrisikos-- eingegangen sein. Demgemäß sind Zivilprozesskosten des Klägers wie des Beklagten nicht unausweichlich, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung aus Sicht eines verständigen Dritten keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bot (BFH-Urteil in BFHE 234, 30, [BFH 12.05.2011 - VI R 42/10] BStBl II 2011, 1015 [BFH 12.05.2011 - VI R 42/10]).
c) Das erkennende Gericht schließt sich der in dem BFH-Urteil in BFHE 234, 30, [BFH 12.05.2011 - VI R 42/10] BStBl II 2011, 1015 [BFH 12.05.2011 - VI R 42/10] vertretenen Auffassung an. Es erachtet die gegen die geänderte Rechtsprechung des BFH vorgebrachten Bedenken (z.B. Finanzgericht Hamburg, Urteil vom 24. September 2012 1 K 195/11, [...], m.w.N.; BMFSchreiben vom 20. Dezember 2011 BStBl I 2011, 1286) im Ergebnis nicht für durchgreifend.
Nach dem Wortlaut des § 33 Abs. 1 Satz 1 EStG müssen die größeren "Aufwendungen" dem Steuerpflichtigen "zwangsläufig" erwachsen. Das Gesetz fordert dagegen nicht, dass auch das Ereignis, dass die Aufwendungen ausgelöst hat, zwangsläufig war (Kanzler, FR 2011, 822, 823). Ist letzteres der Fall, werden zwar auch die Aufwendungen, die dem Steuerpflichtigen aufgrund des Eintritts des betreffenden Ereignisses entstehen, in aller Regel zwangsläufig erwachsen. Deshalb wird in Rechtsprechung, Schrifttum und Praxis der Finanzverwaltung bei der Anwendung von § 33 EStG für zahlreiche Fallgruppen die Zwangsläufigkeit der Aufwendungen aus der Zwangsläufigkeit des Ereignisses abgeleitet (dazu auch Steinhauff, jurisPR-SteuerR 33/2011 Anm. 5). Diese Handhabung, die für viele Fallgruppen ihre Berechtigung haben mag, kann aber nicht dazu führen, entgegen dem Wortlaut des Gesetzes Aufwendungen, die dem Steuerpflichtigen zwangsläufig erwachsen, weil er sich ihnen nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG aus rechtlichen Gründen nicht entziehen kann, vom Abzug als außergewöhnliche Belastungen auszuschließen, nur weil der Eintritt des die Aufwendungen (mit) auslösenden Ereignisses nicht ebenfalls zwangsläufig erfolgte. Zivilprozesskosten kann sich ein Steuerpflichtiger aus rechtlichen Gründen nicht entziehen, weil er streitige Ansprüche im Verfassungsstaat des Grundgesetzes wegen des staatlichen Gewaltmonopols in der Regel nur gerichtlich durchsetzen oder abwehren kann.
Die Auffassung des BFH in dem BFH-Urteil in BFHE 234, 30, [BFH 12.05.2011 - VI R 42/10] BStBl II 2011, 1015 [BFH 12.05.2011 - VI R 42/10] ist auch im Hinblick auf die Verwirklichung des subjektiven Nettoprinzips konsequent. Denn die Kosten eines Zivilprozesses zählen nicht zum Grundbedarf und werden vom Grundfreibetrag nicht abgedeckt (Geserich, HFR 2011, 985).
Die insbesondere von der Finanzverwaltung und auch vom FA in dem vorliegenden Rechtsstreit angeführten praktischen Schwierigkeiten bei der Einschätzung der Erfolgsaussichten eines Zivilprozesses sind nach Auffassung des Gerichts nicht so gravierend und auch im steuerlichen Massenfallrecht bei sachgerechter Rechtsanwendung beherrschbar. Der Steuerpflichtige ist im Verwaltungsverfahren zur Mitwirkung bei der Sachverhaltsermittlung verpflichtet (§ 90 Abs. 1 der Abgabenordnung). Er ist auch im finanzgerichtlichen Verfahren bei der Sachverhaltsermittlung heranzuziehen (§ 76 Abs. 1 Satz 2 FGO). Letztlich trägt der Steuerpflichtige zudem die objektive Feststellungslast für das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen für den Abzug von Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen.
3. Nach diesen Maßstäben sind im Streitfall folgende Kosten als außergewöhnliche Belastungen anzuerkennen.
a) Die gemäß dem Kostenfestsetzungsbeschluss des LG Osnabrück vom Kläger gezahlten Zivilprozesskosten in Höhe von 4.281,03 € sind als außergewöhnliche Belastungen abziehbar. Der Prozess, den der Kläger angestrengt hat, bot eine hinreichende Aussicht auf Erfolg und wurde auch nicht mutwillig geführt. Der Vortrag des Klägers in dem Zivilprozess war schlüssig. Dies wird nicht zuletzt dadurch bestätigt, dass das LG die Klage erst nach Durchführung einer Beweisaufnahme abgewiesen hat. Der Kläger konnte aus der maßgeblichen Sicht ex ante auch nicht davon ausgehen, dass er bei Durchführung der Beweisaufnahme seinen Vortrag letztlich nicht würde beweisen können. Zwar lagen die entscheidungserheblichen Umstände, über die Beweis erhoben wurde, sehr lange zurück, so dass es nicht fernliegend war, dass die Zeugen keine hinreichenden Angaben mehr machen konnten, wie die Beweisaufnahme letztlich auch ergeben hat. Konkrete und nachvollziehbare Anhaltspunkte dafür, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Klägers ausgehen würde, lagen andererseits aber nicht vor. Der Erfolg der Klage war hiernach bei summarischer Prüfung mindestens ebenso wahrscheinlich wie ein Misserfolg.
b) Die in dem Kostenfestsetzungsbeschluss festgesetzten und vom Kläger gezahlten Zinsen sind demgegenüber nur teilweise als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen, da sie dem Kläger nicht in voller Höhe zwangsläufig erwachsen sind. Die Prozessbevollmächtigten der X-Bank beantragten Kostenfestsetzung mit einem beim LG am 14. Mai 2010 eingegangenen Schreiben. Mit der Antragstellung war die Forderung zu verzinsen. Der Kostenfestsetzungsbeschluss erging auf Antrag der Prozessbevollmächtigten des Klägers jedoch erst nach Abschluss des Berufungsverfahrens. Die Zahlung der mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 9. September 2010 festgesetzten Kosten durch den Kläger erfolgte erst am 23. September 2010. Zwangsläufig sind die Zinsen nur insoweit entstanden, als sie auch ohne Zurückstellung des Kostenfestsetzungsbeschlusses bis zum Abschluss des Berufungsverfahrens und bei unverzüglicher Zahlung entstanden wären. Diese Zinsen schätzt das Gericht (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO, § 162 AO) unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Zinsberechnung in der Steuerakte und der gewöhnlichen Bearbeitungszeit für den Kostenfestsetzungsbeschluss, dessen Zustellung und einer unverzüglichen Zahlung auf 18 € (30 Tage x 0,6 € Zinsen / Tag).
c) Die Kosten, die dem Kläger von den von ihm beauftragten Rechtsanwälten für die Wahrnehmung der Termine zur mündlichen Verhandlung vor dem LG am 25. Januar 2010 und am 19. April 2010 in Höhe von 97,81 € sowie in Höhe von 260,28 € in Rechnung gestellt wurden, sind als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen. Es handelt sich um notwendige Kosten der Rechtsverfolgung. Der Kläger musste sich vor dem LG anwaltlich vertreten lassen.
d) Die Kosten für das Privatgutachten der Sachverständigengesellschaft td in Höhe von 1.011,50 € sind ebenfalls als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen. Zu den notwendigen Kosten der Rechtsverfolgung in einem Zivilprozess können auch Aufwendungen für ein Privatgutachten gehören (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 71. Aufl., § 91 Rz 102 ff, m.w.N.). Sie sind im Zivilprozess grundsätzlich insoweit erstattungsfähig und damit notwendige Kosten der Rechtsverfolgung (§ 91 ZPO), als die Partei persönlich ihre Behauptungen nur mithilfe eines solchen Privatgutachtens ausreichend darlegen und unter Beweis stellen kann. So verhielt es sich auch im Streitfall. Die Bewertung der Wohnung des Klägers zum Stichtag 12. Oktober 1993 stellte eine schwierige wirtschaftliche Frage dar, die in dem Rechtsstreit vor dem LG entscheidungserheblich war und zu der der Kläger ohne Privatgutachten letztlich keine substantiierten Ausführungen hätte machen können. Das Privatgutachten wurde in den Zivilprozess eingeführt und vom LG in seinem Urteil bei der Entscheidungsfindung auch eingehend gewürdigt.
e) Die Kosten des Berufungsverfahrens kann der Kläger hingegen nicht mit Erfolg als außergewöhnliche Belastungen geltend machen. Denn die Berufung bot aus Sicht eines verständigen Dritten --auch unter Berücksichtigung des Kostenrisikos-- keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Zu dieser Auffassung sind die Prozessbevollmächtigten des Klägers in dem Zivilprozess und der Kläger selbst ebenfalls gelangt, wie die Rücknahme der Berufung zeigt. Zur Prüfung der Frage, ob die Berufung hinreichende Aussicht auf Erfolg hatte, musste die Berufung jedoch nicht zwangsläufig fristwahrend eingelegt werden. Diese Prüfung hätte auch innerhalb der Berufungseinlegungsfrist durchgeführt werden können. Dass dies im Streitfall nicht möglich gewesen wäre, hat der Kläger nicht dargelegt und ist auch sonst nicht feststellbar.
f) Nach alledem sind insgesamt 5.668,62 € als außergewöhnliche Belastungen anzuerkennen. Die Einkommensteuer ist entsprechend unter Berücksichtigung der zumutbaren Belastung (§ 33 Abs. 3 EStG) herabzusetzen.
4. Die Berechnung der Einkommensteuer wird dem FA gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO übertragen.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs. 3, Abs. 1 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.