Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 07.11.2012, Az.: 2 K 135/12

Steuerliche Einordnung während der sechsmonatigen Probezeit entstandener Fahrtkosten als Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte oder als Werbungskosten

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
07.11.2012
Aktenzeichen
2 K 135/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2012, 38858
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2012:1107.2K135.12.0A

Fundstellen

  • AuA 2014, 296
  • DStR 2014, 6
  • DStRE 2014, 525-526
  • LGP 2013, 145
  • NWB direkt 2013, 908-909
  • StBW 2013, 966
  • StX 2013, 631-632

Amtlicher Leitsatz

Während der sog. Probezeit sind Fahrtkosten zu einer Arbeitsstätte des Arbeitgebers, der der Arbeitnehmer grundsätzlich dauerhaft zugeordnet ist, nur nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG abzugsfähig.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob Fahrtkosten während einer sechsmonatigen Probezeit als Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte einzuordnen sind oder nach Dienstreisegrundsätzen als Werbungskosten zu berücksichtigen sind.

2

Der Kläger erzielte im Streitjahr Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit. Zum 15. Juli 2010 wechselte der Kläger seinen Arbeitgeber. Im Anstellungsvertrag (GA Bl. 25ff) mit der A ist unter "1. Beginn des Arbeitsverhältnisses" geregelt, dass die ersten 6 Monate als Probezeit gelten, während der das Arbeitsverhältnis gem. § 622 Abs. 3 BGB beiderseits mit einer Frist von zwei Wochen gekündigt werden kann. Unter 8. Beendigung des Arbeitsverhältnisses" ist weiterhin geregelt, dass das Arbeitsverhältnis automatisch mit Eintritt des Rentenalters endet, im Übrigen wird hinsichtlich der Kündigungsfristen auf die gesetzlichen Regelungen verwiesen. Gemäß Nr. 2 des Anstellungsvertrages wird der Kläger als Commis de Cuisine im A-Hotel eingesetzt (weitere Einzelheiten Anstellungsvertrag vom 10. Juni 2010, Bl. 25ff GA). Bei dem A-Hotel handelt es sich um ein von der A geführtes Hotel.

3

Seine (ursprüngliche) Arbeitsstätte in X suchte der Kläger ausweislich der Angaben in der Einkommensteuererklärung im Streitjahr an 110 Tagen, die neue Arbeitsstätte in Y an 100 Tagen auf. Die Fahrten machte der Kläger jeweils als solche zwischen Wohnung und Arbeitsstätte geltend. Dementsprechend ergaben sich Fahrtkosten von insgesamt 2.109 €.

4

Gegen den entsprechend ergangenen Einkommensteuerbescheid wandte sich der Kläger im Einspruchsverfahren, mit dem er die Berücksichtigung der Fahrten nach Buxtehude mit den tatsächlichen Kosten, und zwar 0,30 € je gefahrenen Kilometer, begehrte. Zur Begründung trug der Kläger vor, es habe sich um Fahrten während der Probezeit gehandelt, in dieser Zeit liege noch keine regelmäßige Arbeitsstätte vor, da der Arbeitnehmer dem Beschäftigungsbetrieb noch nicht dauerhaft zugeordnet sei. Indes sei eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses innerhalb kürzester Zeit möglich gewesen. Die dauerhafte Zuordnung zu einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers sei aber ein wesentliches Merkmal einer regelmäßigen Arbeitsstätte. Fahrtkosten seien daher insgesamt mit 3.459 € anzusetzen (110 Tage x 23 km x 0,30 € zzgl. 100 Tage x 45 km x 0,60 €).

5

Der Beklagte wies den Einspruch als unbegründet zurück, da auch in der Probezeit eine regelmäßige Arbeitsstätte bei dem neuen Arbeitgeber vorgelegen habe. Trotz dieser Probezeit habe sich der Kläger von Beginn der Tätigkeit an auf die Tätigkeit im Betrieb des Arbeitgebers einrichten können und müssen, die beiderseitige Möglichkeit der kurzfristigen Beendigung des Anstellungsverhältnisses sei nicht beachtlich.

6

Mit seiner Klage hält der Kläger an seiner im Einspruchsverfahren vertretenen Rechtsauffassung fest. Neben der bereits vorgetragenen fehlenden dauerhaften Zuordnung zur betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers sei erheblich, dass es dem Kläger im Hinblick auf die kurze Kündigungsmöglichkeit während der Probezeit nicht zumutbar war, seinen Wohnsitz an den Tätigkeitsort hinzuverlegen.

7

Der Kläger beantragt (GA Bl. 23),

8

den Einkommensteuerbescheid 2010 vom 1. September 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 4. Juni 2012 aufzuheben und das beklagte Finanzamt zu verpflichten, die Einkommensteuer unter Berücksichtigung weiterer Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit in Höhe von 1.350 € neu festzusetzen.

9

Der Beklagte beantragt,

10

die Klage abzuweisen

11

und hält an seiner im Einspruchsverfahren vertretenen Rechtsauffassung fest.

12

Die Beteiligten haben übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet.

Entscheidungsgründe

I.

13

Die Klage ist nicht begründet. Der angefochtene Einkommensteuerbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 100 Abs. 1 FGO.

14

Auch während der sog. Probezeit sind Fahrtkosten zu einer Arbeitsstätte des Arbeitgebers, der der Arbeitnehmer grundsätzlich dauerhaft zugeordnet ist, gem. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG abzugsfähig.

I.

15

Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes sind Werbungskosten Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen. Sie sind bei der Einkunftsart abzuziehen, bei der sie erwachsen sind (§ 9 Abs. 1 Satz 2 EStG).

16

1. Werbungskosten sind nach § 9 Abs. 1 Satz 3 "auch" die Aufwendungen des Arbeitnehmers für die Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte. Zur Abgeltung dieser Aufwendungen ist für jeden Arbeitstag, an dem der Arbeitnehmer die regelmäßige Arbeitsstätte aufsucht, eine Entfernungspauschale für jeden vollen Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte von 0,30 € anzusetzen, höchstens jedoch 4.500 € im Kalenderjahr; ein höherer Betrag als 4.500 € ist anzusetzen, soweit der Arbeitnehmer einen eigenen oder ihm zur Nutzung überlassenen Kraftwagen benutzt.

17

2. Regelmäßige Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG ist der ortsgebundene Mittelpunkt der dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit des Arbeitnehmers und damit der Ort, an dem der Arbeitnehmer seine aufgrund des Dienstverhältnisses geschuldete Leistung zu erbringen hat. Dies ist im Regelfall der Betrieb oder eine Betriebsstätte des Arbeitgebers, der der Arbeitnehmer zugeordnet ist und die er nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit, also fortdauernd und immer wieder aufsucht (Urteil des BFH vom 22. September 2010, VI R 54/09, BStBl. II 2011, 354; Urteil vom 19. Januar 2012, VI R 32/11, BFH/NV 2012, 936).

18

Die Voraussetzungen beruhen auf der Überlegung, dass die Begrenzung des objektiven Nettoprinzips nur dann sachlich gerechtfertigt sei, wenn sich der Arbeitnehmer in unterschiedlicher Weise auf die immer gleichen Wege einstellen und so auf eine Minderung der Wegekosten hinwirken kann (z.B. durch Bildung von Fahrgemeinschaften, Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel und ggf. durch entsprechende Wohnsitznahme). Liege demgegenüber keine auf Dauer und Nachhaltigkeit angelegte (regelmäßige) Arbeitsstätte vor, auf die sich der Arbeitnehmer typischerweise in der aufgezeigten Weise einstellen kann, sei eine Durchbrechung der Abziehbarkeit beruflich veranlasster Mobilitätskosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG sachlich nicht gerechtfertigt (z.B. BFH-Urteile vom 10. April 2008, VI R 66/05, BStBl. II 2008, 825, und vom 18. Dezember 2008, VI R 39/07, BStBl. II 2009, 475).

19

3. Bei der im Streitjahr aufgenommenen Tätigkeit des Klägers handelt es sich zur Überzeugung des Senats von Beginn an um eine diesen Grundsätzen entsprechende dauerhaft angelegte berufliche Tätigkeit des Arbeitnehmers in einer Betriebsstätte des Arbeitgebers.

20

a) Die Tätigkeit des Klägers war nach der Ausgestaltung des Arbeitsvertrages von Beginn an auf Dauer angelegt. Dem steht die Vereinbarung einer Probezeit gem. § 622 Abs. 3 BGB nicht entgegen. Bei der Vereinbarung einer Probezeit wie im vorliegenden Fall handelt es sich lediglich um eine Modifizierung der gesetzlichen Kündigungsfristen dahingehend, dass innerhalb eines Zeitraums von bis zu 6 Monaten die Kündigungsfrist für beide Seiten auf zwei Wochen reduziert wird. Die Vereinbarung einer Probezeit entspricht dem in der Arbeitswelt Üblichen und gibt keinen Hinweis darauf, dass die Vertragsparteien sich nicht von vornherein dauerhaft binden wollten. Anwendungsbereich des § 622 BGB sind indes gerade auf unbestimmte Zeit eingegangene Arbeitsverhältnisse. Zudem hat es der Arbeitnehmer regelmäßig selbst in der Hand, durch Erfüllung seiner Vertragspflichten die Tätigkeit über die Probezeit hinaus fortzusetzen. Die verkürzte Kündigungsfrist während einer vereinbarten Probezeit weicht auch lediglich geringfügig von den für jedes Arbeitsverhältnis in der Anfangszeit geltenden gesetzlichen Kündigungsfristen ab. Gem. § 622 Abs. 2 BGB kann der Arbeitgeber innerhalb der ersten beiden Jahre des Arbeitsverhältnisses mit einer Frist von einem Monat zum Ende eines Kalendermonats ordentlich kündigen, also ggf. ebenfalls mit einer Frist von unter 5 Wochen. Dieser Unterschied rechtfertigt nach Auffassung des Senats keine Auslegung dahingehend, dass ein unbefristetes Arbeitsverhältnis während einer vereinbarten Probezeit (noch) nicht auf Dauer angelegt sei (a.A. ohne Begründung Loschelder in Schmidt EStG 31. Auflage 2012 § 9 Rz. 116).

21

b) Die Möglichkeit der Einstellung auf die Wege zur Arbeitsstätte ist allein durch die Vereinbarung einer Probezeit nicht entscheidend berührt. Der Frage, ob ein Arbeitnehmer während der Probezeit durch einen Wohnsitzwechsel an den Tätigkeitsort auf eine Minderung der Wegekosten hinwirken kann, kommt nach Auffassung des Senats keine allein entscheidende Bedeutung zu. Der Rechtsprechung des BFH ist auch nicht zu entnehmen, dass diese Frage von vorrangiger oder zwingender Bedeutung sei. Indes hängt die Entscheidung, ob und wann ein Arbeitnehmer ggf. seinen Wohnsitz an den Ort der Arbeitsstätte verlegt von vielfältigen Faktoren ab, die Vereinbarung einer Probezeit ist dabei nicht ein besonders herausragendes Kriterium.

22

Dem Senat ist bewusst, dass ein Arbeitnehmer, der aus den weiteren Umständen heraus generell einen Umzug zum Ort der Arbeitsstätte erwägt, den Ablauf der Probezeit abwarten könnte, sofern ein solcher Umzug im Einzelfall mit besonderem finanziellen Aufwand verbunden ist. Eine Überprüfung, ob und auf welchem Wege ein Arbeitnehmer im Einzelfall tatsächlich seine Wegekosten mindern kann und/oder tatsächlich mindert, findet - da es sich um eine typisierende Betrachtungsweise handelt - indes nicht statt.

II.

23

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.