Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 03.04.2003, Az.: 2 A 241/01

Rücknahme eines die Mehrwertsteuer für den Verkauf einer Milchquote über die Verkaufsstelle festgesetzenden Verwaltungsaktes

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
03.04.2003
Aktenzeichen
2 A 241/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 34339
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGLUENE:2003:0403.2A241.01.0A

Verfahrensgegenstand

Bescheinigung nach § 11 Abs. 1 ZAV

In der Verwaltungsrechtssache
...
hat das Verwaltungsgericht Lüneburg - 2. Kammer -
auf die mündliche Verhandlung vom 3. April 2003
durch
den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Dr. Beyer,
die Richter am Verwaltungsgericht Müller und Dr. Schulz sowie
die ehrenamtliche Richterin Kamphausen und
den ehrenamtlichen Richter von Hohnhorst
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Bescheide der Beklagten vom 02. Januar 2001 und ihr Widerspruchsbescheid vom 18. Mai 2001 werden aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Die Berufung wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Aufhebung eines Bescheides, soweit darin Mehrwertsteuer für den Verkauf einer Milchquote über die Verkaufsstelle festgesetzt worden ist.

2

Im September 2000 machte der Kläger ein Angebot zum Verkauf einer Anlieferungsreferenzmenge von 90.000 kg mit einem Referenzfettgehalt von 4,33% zum Übertragungstermin am 30. Oktober 2000. Als Preis (ohne Umsatzsteuer) gab der Kläger 1,50 DM pro kg an und gab an, dass er als pauschalierender Landwirt der Verkaufsstelle 9% Umsatzsteuer in Rechnung stelle. Mit Bescheid vom 31. Oktober 2000 teilte die Beklagte mit, dass der Kläger am Übertragungstermin 30. Oktober 2000 zum Zuge gekommen sei. Der von der Verkaufsstelle zu zahlende Betrag wurde mit 134.542,51 DM zuzüglich 9% Umsatzsteuer in Höhe von 12.108.83 DM festgesetzt.

3

Mit Bescheid vom 02. Januar 2001 teilte die Beklagte mit, eine durch die zuständigen Bundesministerien durchgeführte rechtliche Prüfung habe ergeben, dass die Verkaufstellen für Milchquoten das Abgabe- und Übernahmeverfahren für Milchquoten als hoheitliche Aufgabe durchführe. Da hoheitliche Tätigkeiten von der Umsatzsteuer befreit seien und diese Regelung auch für den Übertragungstermin 30. Oktober 2000 anzuwenden sei, werde die Mitteilung der Verkaufsstelle an erfolgreiche Anbieter vom 31. Oktober 2000 zurückgenommen und durch die beigefügte Mitteilung ersetzt. In der beigefügten Mitteilung vom 02. Januar 2001 wird der an den Kläger zu zahlende Betrag auf 134.542,51 DM (unter Wegfall der Umsatzsteuer) festgesetzt. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 03. Juli 2001 mit der Begründung zurück, mit Inkrafttreten der ZAV und mit Beginn des Quotenhandels sei die rechtliche Prüfung zur Erhebung der Umsatzsteuer noch nicht abgeschlossen gewesen. Im Laufe des Jahres 2000 seien die Bundesländer in Zusammenarbeit mit dem Bundeslandwirtschaftsministerium und dem Bundesfinanzministerium zu der Auffassung gelangt, dass der Quotenhandel eine hoheitliche Tätigkeit darstelle, die von der Umsatzsteuer befreit sei. Aufgrund der rechtlichen Vorgaben der ZAV könnten Referenzmengen nur durch Bescheid durch Verkauf angeboten und wieder zugeteilt werden. Nach dieser Entscheidung auf Bundesebene habe sich herausgestellt, dass die Anbieter von Anlieferungsreferenzmengen einen rechtswidrigen begünstigten Bescheid erhalten hätten, nämlich die Zusage zur Gewährung einer Geldleistung zuzüglich Umsatzsteuer. Ein fehlerhafter Bescheid könne gemäß § 48 Abs. 2 VwVfG zurückgenommen werden. Dieser Korrekturbescheid sei dem Kläger rechtzeitig vor Auszahlung zugegangen, so dass die auszuzahlende Summe rechtmäßig gekürzt worden sei. Da der Verkaufserlös noch nicht ausgezahlt gewesen sei, könnten auch noch keine vermögenswirksamen Dispositionen getroffen worden sein, die einen besonderen Vertrauensschutz rechtfertigten. Im Zuge der Gleichbehandlung mit anderen Anbietern von Referenzmengen werde der irrtümlich ausgewiesene Umsatzsteuerbetrag nunmehr einbehalten.

4

Zur Begründung seiner am 21. Juni 2001 erhobenen Klage trägt der Kläger im Wesentlichen vor, die Umsatzsteuer sei zutreffend für den Quotenhandel erhoben worden und der aufgehobene Bescheid damit rechtmäßig. Selbst wenn aber der Bescheid rechtswidrig gewesen sei, scheitere eine Rücknahme nach § 48 VwVfG daran, dass er in schutzwürdiger Weise darauf vertraut habe, dass ihm die Umsatzsteuer gezahlt werde und bei ihm verbleibe, da er steuerrechtlich nicht verpflichtet sei, die Umsatzsteuer seinerseits abzuführen. Der Umsatzsteuerbetrag sei für ihn Teil des Reingewinns. Wie sich aus dem Angebotsformular ergebe, habe er sein Angebot zu einem Mindestpreis (ohne Umsatzsteuer) von 1,50 DM abgegeben. Durch die nachfolgende Angabe zur Umsatzsteuer sei der Eindruck vermittelt worden, dass es auch einen Bruttopreis geben müsse. Dementsprechend habe er darauf vertraut, seine Quote zum Mindestpreis von 1,50 DM zuzüglich 9% Umsatzsteuer zu verkaufen. Er habe sich auf den Erhalt der Umsatzsteuer eingerichtet und seinen Verkaufspreis entsprechend niedriger kalkuliert. Hinzu komme, dass die Beklagte an sein Angebot gebunden sei und dies nicht einseitig von einem Bruttopreis in einen Nettopreis umwandeln dürfe.

5

Der Kläger beantragt,

die Bescheide der Beklagten vom 02. Januar 2001 und ihren Widerspruchsbescheid vom 18. Mai 2001 aufzuheben.

6

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

7

Sie verweist zur Begründung auf den Widerspruchsbescheid und trägt ergänzend vor, der Änderungsbescheid sei zu erlassen gewesen, da für die hoheitliche Tätigkeit der Verkaufsstelle Umsatzsteuer nicht zu erheben sei. Der begünstigende rechtswidrige Bescheid vom 30. Oktober 2000 sei daher gemäß § 48 Abs. 2 VwVfG zurückgenommen worden. Der Änderungsbescheid sei dem Kläger vor Auszahlung des Verkaufserlöses zugegangen. Der Kläger habe also noch nicht über den Erlös verfügen können, deshalb schließe ein möglicher Vertrauensschutz des Klägers die Rücknahme nicht aus. Die Regelung des Vertrauensschutzes diene in erster Linie dem Schutz des betätigten Vertrauens. Die Voraussetzung des betätigten Vertrauens liege in der Regel dann vor, wenn der Begünstigte bereits Dispositionen hinsichtlich der Leistung getroffen habe, z.B. den Betrag bereits verbraucht habe. Dies sei nicht möglich, da das Geld zum Zeitpunkt der Rücknahme noch nicht ausgezahlt worden sei.

8

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang verwiesen.

Entscheidungsgründe

9

Die Klage hat Erfolg. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).

10

Die Kammer kann offen lassen, ob die Veräußerung von Milchreferenzmengen über die Verkaufsstelle umsatzsteuerpflichtig ist oder nicht. Denn jedenfalls steht der Rücknahme des Bescheides vom 31. Oktober 2000 § 48 Abs. 2 VwVfG entgegen. Nach dieser Vorschrift darf ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmaliger oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Zutreffend geht die Beklagte allerdings davon aus, dass die in § 48 Abs. 2 Satz 2 genannten Regelbeispiele für die Schutzwürdigkeit (Leistungsverbrauch oder Vermögensdisposition) nicht vorliegen. Allerdings schließt Satz 2 einen Vertrauensschutz in anderen als den in ihm genannten Fällen nicht aus. Er setzt nur einen Maßstab, an dem andere Fälle gemessen werden müssen. Insbesondere sind ähnlich wie die in Satz 2 genannten Vermögensdispositionen die Dispositionen zu werten, die gleich einschneidend die Lebensführung des Betroffenen berühren (Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 6. Auflage, § 48 Rdnr. 150). Eine solche Konstellation, die einen entsprechenden Vertrauensschutz des Klägers rechtfertigt, liegt vor. Der Kläger hat unwidersprochen vorgetragen, dass er die 9%ige Umsatzsteuer, die bei ihm als pauschalierenden Landwirt verbleibt und nicht weiter abgeführt werden muss, bei der Kalkulation des von ihm im Verkaufsangebot genannten Mindestverkaufspreises berücksichtigt hat. In Kenntnis der fehlenden Umsatzsteuerpflicht dieser Veräußerung hätte der Kläger von Anfang an einen höheren Verkaufspreis genannt und - wie die weitere Entwicklung der Preise zeigt - wohl auch erzielt. Die Vermögensdisposition des Klägers wurde hier bereits vor Erlass des Verwaltungsaktes getroffen, indem er ein bindendes Angebot gegenüber der Verkaufsstelle abgegeben hat. Wird nachfolgend festgestellt, dass die Voraussetzungen der Umsatzsteuerpflicht dieses Geschäftes, von der alle Beteiligten zum Zeitpunkt des Abschlusses ausgegangen sind, nicht vorliegen, rechtfertigt dies nicht, lediglich die Umsatzsteuer zugunsten des Erwerbers und zu Lasten des Veräußerers rückabzuwickeln. Es hätte dann lediglich die Möglichkeit bestanden, das Geschäft in vollem Umfang rückabzuwickeln.

11

Unabhängig von der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides wegen Verletzung des Vertrauensschutz nach § 48 Abs. 2 VwVfG, ist der angefochtene Bescheid vom 02. Januar 2001 und der Widerspruchsbescheid vom 03. Juli 2001 weiterhin auch ermessensfehlerhaft, da die Beklagte den oben genannten Gesichtspunkt im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung, ob der Verwaltungsakt zurückgenommen werden soll, nicht berücksichtigt hat. Insoweit liegt ein Ermessensausfall vor, den die Beklagte auch bis zur mündlichen Verhandlung nicht behoben hat.

12

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO. Gründe für die Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht liegen nicht vor (§ 124 a Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO).

13

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 1.521,29 EUR (= 2.975,39 DM) festgesetzt.

Dr. Beyer
Dr. Schulz
Müller