Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 29.04.2003, Az.: 4 A 85/01

Geldrente; Schulden; Schuldentilgung; Unterhalt; Unterhaltsleistung; Unterhaltspflicht; Unterhaltsvorschuss; Unterhaltszahlung

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
29.04.2003
Aktenzeichen
4 A 85/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 48536
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
OVG Niedersachsen - 25.02.2004 - AZ: 4 LC 262/03
BVerwG - 24.02.2005 - AZ: BVerwG 5 C 17/04

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Tilgt der Elternteil, bei dem das Kind nicht lebt, familienbedingte gemeinsame Verbindlichkeiten der Eltern, handelt es sich auch dann nicht um Unterhaltszahlungen an das Kind im Sinne von § 2 Abs. 3 Nr. 1 UVG, wenn es sich um Schulden für das ehemalige Familienheim der Eltern und des Kindes handelt und das Kind mit einem Elternteil noch in dem ehemaligen Familienheim lebt.

Tatbestand:

1

Die Kläger, die am 30. September 1989 und am 2. August 1988 geboren sind, begehren weitere Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz für die Zeit vom 1. April 1999 bis zum 31. Juli 1999.

2

Die Eltern der Kläger lebten in dem fraglichen Zeitraum getrennt. Die Kläger bewohnten zusammen mit ihrer Mutter und einer Schwester das ehemalige Familienheim, das im Miteigentum der Eltern der Kläger stand. Von den Hauslasten trug der Vater der Kläger in dem streitigen Zeitraum einen Betrag in Höhe von monatlich 1.701,-- DM, indem er die von den Eltern der Kläger zur Finanzierung des Familienheims gemeinsam aufgenommenen Darlehen tilgte. Eine weitere Schwester der Kläger lebte in seinem Haushalt.

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Auf den Antrag der Kläger bewilligte der Beklagte den Klägern mit Bescheiden vom 24. Juni 1999 Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz in Höhe von jeweils 32,-- DM für die Zeit vom 1. April 1999 bis zum 30. Juni 1999 und in Höhe von 37,-- DM ab dem 1. Juli 1999. Dabei setzte er im Hinblick auf die von dem Vater der Kläger getragenen Hauslasten von dem nach der Regelbetrag - Verordnung vorgesehenen Betrag in Höhe von jeweils 424,-- DM bis zum 30. Juni 1999 und in Höhe von jeweils 431,-- DM ab 1. Juli 1999 - einen Betrag in Höhe von jeweils 267,02 DM bis zum 30. Juni 1999 und danach in Höhe von jeweils 269,83 DM ab.

4

Die Kläger erhoben hiergegen am 16. Juli 1999 Widerspruch und wandten sich gegen die Anrechnung der von dem Vater der Kläger für das Haus erbrachten Leistungen. Nachdem der Beklagte festgestellt hatte, dass der Vater der Kläger seit dem 1. August 1999 keine Zahlungen an die Gläubiger mehr erbrachte, gewährte er den Klägern mit Bescheiden vom 8. Oktober 1999 ab dem 1. August 1999 Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz in Höhe von jeweils 306,-- DM.

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Mit Bescheid vom 7. Mai 2001 half die Bezirksregierung Hannover dem Widerspruch der Kläger insoweit ab, als sie ihnen für die Zeit vom 1. April 1999 bis zum 30. Juni 1999 Leistungen in Höhe von jeweils 128,-- DM und für Juli 1999 in Höhe von jeweils 133,-- DM gewährte. Zur Begründung führte sie aus: Anspruch auf Unterhaltsleistungen nach dem  Unterhaltsvorschussgesetz habe nach § 1 Abs. 1 Nr. 3a UVG wer nicht oder nicht regelmäßig mindestens in der in § 2 Abs. 1 und 2 UVG bezeichneten Höhe Unterhalt vom anderen Elternteil erhalte. Dies bedeute, dass Unterhaltleistungen nur bewilligt würden, wenn der familienferne Elternteil den Kindesunterhalt unregelmäßig oder gar nicht erbringe oder, wenn der gezahlte Unterhalt weniger betrage, als der jeweils geltende Regelbetrag nach der Regelbetrag - Verordnung. Indem der Vater der Kläger die Schulden der Eltern für das gemeinsame Haus getilgt habe, habe er eine unterhaltsrelevante Leistung erbracht, denn er habe es den Klägern und ihrer Mutter ermöglicht, kostenlos in dem Haus zu leben. Der auf die Mutter der Kläger entfallende Tilgungsbetrag in Höhe von 850,50 DM stelle damit eine Zahlung von Unterhalt dar. Dieser Betrag sei anteilig auf die Kläger, ihre Mutter und ihre Schwester entsprechend dem ihnen jeweils zustehenden Unterhalt aufzuteilen. Von den unterhaltsrelevanten Zahlungen des Vaters der Kläger entfalle in der Zeit vom 1. April 1999 bis zum 30. Juni 1999 auf die Kläger ein Betrag in Höhe von jeweils 171,63 DM und im Juli 1999 ein Betrag in Höhe von jeweils 173,43 DM. Um diese Beträge seien die Leistungen nach dem UVG zu mindern, denn nach § 2 Abs. 3 Nr. 1 UVG seien auf die Unterhaltsleistungen nach dem UVG die Einkünfte des Kindes aus Unterhaltszahlungen des Elternteils, bei dem es nicht lebe, anzurechnen.

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Die Kläger haben am 14. Mai 2001 Klage erhoben. Zur Begründung führen sie aus, die Tilgungszahlungen dürften nicht als Unterhaltszahlungen berücksichtigt werden, weil der Vater der Kläger nicht leistungsfähig gewesen sei, und keinen Unterhalt habe leisten müssen. Bei der Berechnung eines Unterhaltsanspruches könnten sie nur Auswirkungen auf die Höhe des Unterhalts haben.

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Die Kläger beantragen,

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die Bescheide des Beklagten vom 24. Juni 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Hannover vom 7. Mai 2001 aufzuheben, und den Beklagten zu verpflichten, ihnen für die Zeit vom 1. April 1999 bis zum 31. Juli 1999 Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz in gesetzlicher Höhe zu erbringen, ohne Unterhaltszahlungen ihres Vaters anzurechnen.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Zur Begründung bezieht er sich auf die Gründe der angegriffenen Bescheide.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die im Gerichtsverfahren gewechselten Schriftsätze und auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig und begründet. Die Kläger können in dem Zeitraum vom 1. April 1999 bis zum 31. Juli 1999 auf der Grundlage des § 1 Abs. 1 Unterhaltsvorschussgesetz  - UVG - in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Januar 1994 (BGBl. I S. 165), zuletzt geändert durch Gesetz vom 6. April 1998 (BGBl. I S. 666) Leistungen in voller gesetzlicher Höhe ohne Anrechnung von Zahlungen ihres Vaters verlangen.

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Nach § 1 Abs. 1 UVG hat Anspruch auf Unterhaltsvorschuss - oder ausfall - Leistung u.a. wer das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 UVG), im Geltungsbereich des Gesetzes bei einem seiner Elternteile lebt, der ledig, verwitwet, geschieden ist oder von seinem Ehegatten getrennt lebt (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG) und nicht oder nicht regelmäßig Unterhalt von dem anderen Elternteil mindestens in der in § 2 Abs. 1 und Abs. 2 bezeichneten Höhe erhält (§ 1 Abs. 1 Nr. 3a UVG), d.h. in der Höhe der Regelbeträge, wie sie nach der Regelbetrag - Verordnung (in der hier anwendbaren Fassung der ersten Verordnung zur Änderung der Regelbetrag - Verordnung vom 28.5.1999 - BGBl. I S. 1100) jeweils gelten, abzüglich eines Betrages in Höhe der Hälfte des für ein erstes Kind zu zahlenden Kindergeldes, wenn der Elternteil, bei dem das Kind lebt, Anspruch auf volles Kindergeld hat. Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 UVG sind dabei auch dann erfüllt, wenn der monatlich laufend gezahlte Unterhalt nicht die aus § 2 Abs. 1 und Abs. 2 UVG ersichtliche Höhe erreicht, etwa, weil der barleistungsverpflichtete Elternteil nur zur Zahlung eines geringeren monatlichen Betrages verpflichtet ist (Scholz, UVG, 4. Aufl. 1999, § 1 Rn. 18). Nach § 2 Abs. 3 Nr. 1 UVG werden auf die sich nach § 2 Abs. 1 und Abs. 2 UVG ergebenden Unterhaltsleistungen in demselben Monat erzielte Einkünfte des Berechtigten aus Unterhaltszahlungen des Elternteils, bei dem der Berechtigte nicht lebt, angerechnet.

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Hieran gemessen stehen den Klägern in dem streitigen Zeitraum Leistungen nach dem UVG in Höhe von monatlich jeweils 299,-- DM (152,88 €) in der Zeit vom 1. April 1999 bis zum 30. Juni 1999 und in Höhe von jeweils 306,-- DM (156,46 €) im Juli 1999 zu. Dabei sind neben einem Betrag in Höhe der Hälfte des für ein erstes Kind zu zahlendes Kindergeldes (125,-- DM) von dem Regelbetrag in Höhe von 424,-- DM, bzw. im Juli 1999 431,-- DM keine weiteren Beträge abzusetzen. Die Zahlungen, die der Vater an Kreditinstitute erbracht hat, um die auf dem ehemaligen Familienheim lastenden Schulden zu tilgen, stellen keine Unterhaltszahlungen im Sinne der §§ 1 Abs. 1 Nr. 3a, 2 Abs. 3 Nr. 1 UVG dar. Sie können auch nicht als an die Kläger gerichtete sog. unterhaltsrelevante Leistungen im Rahmen der §§ 1 Abs. 1 Nr. 3a, 2 Abs. 3 Nr. 1 UVG Berücksichtigung finden (a.A. Scholz, UVG, 4. Aufl. 1999, § 1 Rn. 20, sowie Ziff. 1.5.6. und 2.4. der Richtlinien zum Unterhaltsvorschussgesetz, RdErl. d. MFr. v. 25.2.1997 - 22.13-43 560/2 -, Nds.MBl. S. 396, in d. Fassung des RdErl. d. MFr. v. 10.9.1997 - 22.13-43 560/2 -, Nds.MBl. S. 300 und des RdErl. d. MFAS v. 10.8.1998 - 204-43 560/2 - Nds.MBl. S. 1229). Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 2 Abs. 3 Nr. 1 UVG sind lediglich Einkünfte aus Unterhaltszahlungen des anderen Elternteils zu berücksichtigen. Tilgt der Elternteil, bei dem das Kind nicht lebt, gemeinsame Verbindlichkeiten der Eltern, handelt es sich auch dann nicht um Unterhaltszahlungen an das Kind, wenn es sich um Schulden für das ehemalige Familienheim der Eltern und des Kindes handelt (so auch VG Freiburg, Urt. v. 26.11.2002 - 8 K 1250/01 - zit. nach juris).

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Der Begriff der Unterhaltszahlung im Sinne des § 2 Abs. 3 Nr. 1 UVG ist anhand der zivilrechtlichen Vorschriften der §§ 1601 ff BGB und der hierzu ergangenen Rechtsprechung zu bestimmen. Tilgt der Unterhaltsverpflichtete familienbedingte Schulden, die auf der Errichtung eines Eigenheims beruhen, ist dies unter Umständen bei der Ermittlung seiner Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen (Palandt, BGB, 61. Aufl. § 1603 Rn. 25). Eine Unterhaltsleistung an das Kind stellen solche Zahlungen hingegen nicht dar. Nach § 1612 Abs. 1 BGB ist der Unterhalt durch Entrichtung einer Geldrente zu gewähren. Der Verpflichtete kann verlangen, dass ihm die Gewährung des Unterhalts in anderer Art gestattet wird, wenn besondere Gründe es rechtfertigen. Haben Eltern einem unverheirateten Kind Unterhalt zu gewähren, so können sie bestimmen, in welcher Art und für welche Zeit im voraus der Unterhalt gewährt werden soll, wobei auf die Belange des Kindes die gebotene Rücksicht zu nehmen ist. (§ 1612 Abs. 2 Satz 1 BGB). Ist das Kind minderjährig, so kann ein Elternteil, dem die Sorge für die Person des Kindes nicht zusteht, eine Bestimmung nur für die Zeit treffen, in der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen ist (§ 1612 Abs. 2 Satz 3 BGB). Als Unterhaltsleistungen im Sinne des § 1612 Abs. 2 BGB kommt neben dem Barunterhalt dabei Naturalunterhalt in Frage, d.h. der Unterhaltsbedarf wird (neben tatsächlicher Betreuungsleistung) durch Sachleistungen gedeckt (Palandt, 61. Aufl. § 1612 Rn. 1 ff.). Die an die Sparkasse gerichteten Zahlungen des Vaters der Kläger stellen weder Bar- noch Sachleistungen an die Kläger dar, weil der Vater der Kläger an diese hierdurch unmittelbar keine Leistung erbracht hat. Der Vater der Kläger hat diesen auch nicht dadurch Naturalunterhalt gewährt, dass er ihnen durch seine Tilgungsleistungen die Möglichkeit geboten hat, in dem Eigenheim der Eltern mietfrei zu wohnen. Denn der Unterkunftsbedarf des Kindes ist Teil seines Betreuungsbedarfs (Palandt, BGB, 61. Aufl., vor § 1601 Rn. 2) und wird von dem Elternteil sichergestellt, der im Falle der Trennung die tatsächliche Betreuung des Kindes übernommen hat. Die Möglichkeit einer kostenfreien Unterkunft stellt damit nur für den betreuenden Elternteil - hier die Mutter der Kläger - nicht aber für das Kind einen bedarfsmindernden Vorteil dar. Im Übrigen kann "Unterhaltszahlung" im Sinne des § 2 Abs. 3 Nr. 1 UVG nur eine Leistung sein, die als Unterhaltsbestimmung gemessen an § 1612 Abs. 2 BGB wirksam getroffen werden könnte. Das wäre bei einer Bestimmung des Inhalts, dass der das Kind nicht betreuende Elternteil das in seinem (Mit)Eigentum stehende Haus dem Kind zur Verfügung stellt, den übrigen Unterhaltsbedarf aber ungedeckt lässt, nicht der Fall. Gemessen an § 1612 Abs. 2 BGB ist nämlich nur eine Bestimmung wirksam, die den gesamten Unterhaltsbedarf des Kindes erfasst. Keine wirksame Unterhaltsbestimmung liegt in der teilweisen Erbringung von Naturalleistungen, wenn die Art der Erfüllung der Unterhaltspflicht im Übrigen offen gelassen wird (BGH, Urt. v. 25.11.1992 - XII ZR 164/91 - FamRZ 1993, 417).

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Die Kläger können mithin in dem Zeitraum vom 1. April 1999 bis zum 30. Juni 1999 sowie im Juli 1999 Leistungen nach dem UVG verlangen, ohne dass von den Beträgen, die sich aus § 2 Abs. 1 und Abs. 2 UVG i.V. mit der Regelbetrag - Verordnung ergeben, mit Rücksicht auf die von ihrem Vater zum Zweck der Schuldentilgung geleisteten Zahlungen weitere Beträge abgesetzt werden. Konkret haben sie jeweils Anspruch auf monatlich 299,-- DM abzüglich bereits gewährter 128,-- DM, d.h. in Höhe von weiteren 171,-- DM in der Zeit vom 1. April 1999 bis zum 30. Juni 1999 und in Höhe von 306,-- DM abzüglich bereits gewährter 133,-- DM, d.h. in Höhe von weiteren 173,-- DM für Juli 1999.

18

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

19

Die Berufung wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassen (§§ 124a Abs. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).