Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 26.05.2004, Az.: 11 ME 70/04

Asylberechtigter; Aufenthaltserlaubnis, Verlängerung; Ehe, geschieden; Elterliches Sorgerecht; Familiäre Lebensgemeinschaft; Kinder, minderjährig; Lebensunterhalt, gesichert; Sozialhilfebedürftigkeit; Umgangsrecht

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
26.05.2004
Aktenzeichen
11 ME 70/04
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2004, 50600
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 04.02.2004 - AZ: 1 B 131/04

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Zum Aufenthaltsrecht von minderjährigen und im Bundesgebiet geborenen Kindern eines Asylberechtigten, dessen Ehe mit der allein sorgeberechtigten Mutter der Kinder geschieden ist.

Gründe

1

Die Beschwerde der Antragsteller hat in dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

2

Die Antragstellerin zu 1), die türkische Staatsangehörige ist, reiste am 28. Juni 1996 in das Bundesgebiet ein. Sie heiratete am 16. November 1996 den türkischen Staatsangehörigen E. B., der als anerkannter Asylberechtigter seit dem 7. März 1996 über eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis verfügt. Daraufhin wurden der Antragstellerin zu 1) fortlaufend befristete Aufenthaltserlaubnisse erteilt. Nachdem die Antragstellerin zu 1) und ihr Ehemann seit Juli 2000 getrennt gelebt hatten, wurde die Ehe am 28. Dezember 2002 rechtskräftig geschieden. Aus der Ehe sind die am 29. Januar 1997 geborene Antragstellerin zu 3) und der am 7. Juni 2000 geborene Antragsteller zu 2) hervorgegangen. Seit der Scheidung hat die Antragstellerin zu 1) mit Zustimmung ihres früheren Ehemanns das alleinige Sorgerecht für die Antragsteller zu 2) und 3). Die Antragstellerin zu 3) ist im Besitz einer bis zum 28. Januar 2013 befristeten Aufenthaltserlaubnis. Die Antragsgegnerin erteilte dem Antragsteller zu 2) ebenfalls eine befristete Aufenthaltserlaubnis, die sie zuletzt bis zum 28. Juli 2003 verlängerte. Am 29. Juli 2002 erteilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin zu 1) gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 AuslG eine bis zum 28. Juli 2003 befristete Aufenthaltserlaubnis.

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Mit Bescheid vom 19. Dezember 2003 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag der Antragstellerin zu 1) und des Antragstellers zu 2) vom 15. Juli 2003 auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnisse ab. Zugleich beschränkte sie die Aufenthaltserlaubnis der Antragstellerin zu 3) zeitlich bis zur Zustellung des Bescheides und ordnete die sofortige Vollziehung an. Außerdem forderte sie alle drei Antragsteller zur Ausreise auf und drohte ihnen unter Fristsetzung die Abschiebung in die Türkei an. Zur Begründung führte sie u.a. aus: Eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis der Antragstellerin zu 1) scheide nach § 19 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 19 Abs. 1 Nr. 1 AuslG aus, weil sie den Regelversagungsgrund des § 7 Abs. 2 Nr. 2 AuslG und den Ausweisungstatbestand des § 46 Nr. 6 AuslG wegen des Bezugs von Sozialhilfeleistungen im Rahmen einer BSHG-Stelle erfülle. Da die Antragstellerin zu 1) nicht mehr im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis sei, scheide auch ein Anspruch des Antragstellers zu 2) auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 21 Abs. 1 Satz 2 AuslG aus. Aus diesem Grund sei auch eine für die Erteilung der befristeten Aufenthaltserlaubnis an die Antragstellerin zu 3) wesentliche Voraussetzung entfallen, so dass sie nach § 12 Abs.2 Satz 2 AuslG nachträglich zeitlich zu beschränken sei. Andere Rechtsgrundlagen zugunsten der Antragsteller zu 2) und 3) seien ebenfalls nicht ersichtlich. Eine familiäre Lebensgemeinschaft mit ihrem Vater bestehe nicht, zumal die Antragstellerin zu 1) das alleinige Sorgerecht für die Kinder habe. Gegen diesen Bescheid haben die Antragsteller Widerspruch eingelegt, über den noch nicht entschieden ist.

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Sie haben am 8. Januar 2004 um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Das Verwaltungsgericht lehnte diesen Antrag mit Beschluss vom 4. Februar 2004 ab. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Antragsteller hat teilweise Erfolg.

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Nach derzeitigem Erkenntnisstand lässt sich nicht hinreichend sicher beurteilen, ob dem Antragsteller zu 2) ein von der Antragsgegnerin und vom Verwaltungsgericht verneinter Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis zusteht oder nicht. Das gleiche gilt für die Frage, ob die Voraussetzungen des § 12 Abs. 2 Satz 2 AuslG zulasten der Antragstellerin zu 3) erfüllt sind. Dagegen spricht Überwiegendes dafür, dass die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 19 Abs. 2 Satz 2 AuslG an die Antragstellerin zu 1) nicht in Betracht kommt. Unter den hier gegebenen Umständen räumt der Senat aber gleichwohl dem privaten Interesse aller drei Antragsteller an einem vorläufigen weiteren Verbleib in der Bundesrepublik Deutschland den Vorrang gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer möglichst raschen Beendigung ihres Aufenthalts jedenfalls bis zum Ergehen einer Entscheidung im Widerspruchsverfahren ein. Wegen dieser Befristung kann das weitergehende Rechtsmittel der Antragsteller keinen Erfolg haben.

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Das Verwaltungsgericht hat zutreffend entschieden, dass die Antragstellerin zu 1) die Verlängerung der ihr am 29. Juli 2002 gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 erteilten und bis zum 28. Juli 2003 befristeten Aufenthaltserlaubnis nicht nach § 19 Abs. 2 Satz 2 AuslG erreichen kann. Nach Ablauf der Einjahresfrist des § 19 Abs. 2 Satz 1 AuslG steht die weitere Verlängerung im Ermessen der Ausländerbehörde und unterliegt den Regelversagungsgründen des § 7 Abs. 2 AuslG (vgl. Renner, AuslR, Kommentar, 7. Aufl., § 19  AuslG RdNr. 15). Ist also der – geschiedene - Ehegatte nicht in der Lage, seinen Lebensunterhalt selbständig zu finanzieren und nimmt er Sozialhilfe in Anspruch, so ist eine weitere Verlängerung gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 46 Nr. 6 bzw. § 7 Abs. 2 Nr. 2 AuslG regelmäßig ausgeschlossen (vgl. Hailbronner, AuslR, Kommentar, § 19 AuslG RdNr. 28). Das Verwaltungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die Antragstellerin zu 1) mit einer geringfügigen Beschäftigung bei der Firma F.. und einer Maßnahme nach § 19 BSHG bei dem Verein für Interkulturelle Erziehung, Bildung, Kultur und Sport –G. e.V. – derzeit und mangels eines erlernten Berufes auch auf Dauer voraussichtlich nicht in der Lage sei, ihren Lebensunterhalt aus eigener Erwerbstätigkeit zu bestreiten. An dieser rechtlichen Beurteilung hat sich zugunsten der Antragstellerin zu 1) nichts dadurch geändert, dass sie anstelle der Beschäftigung bei G. e.V. seit dem 1. Mai 2004 als Küchenhilfe bei H. Imbiss mit einem Bruttogehalt von 1.250,-- Euro eingestellt ist. Zwar handelt es sich dabei nicht mehr um eine Maßnahme nach § 19 BSHG, doch wurde eine Probezeit bis zum 31. Juli 2004 vereinbart, so dass derzeit nicht verlässlich beurteilt werden kann, ob die neue Erwerbstätigkeit zur Sicherung des Lebensunterhalts ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfe geeignet ist. Allerdings kann ein Ausnahmefall vom gesetzlichen Regelversagungsgrund des § 7 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 1 i.V.m. § 46 Nr. 6 AuslG vorliegen, wenn der Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis höherrangiges Rechts entgegensteht, insbesondere die Versagung mit verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen nicht vereinbar ist; dazu gehört insbesondere der Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 Abs. 1 und 2 GG (vgl. BVerwG, Beschl. v. 26.3.1999, InfAuslR 1999, 332 [BVerwG 26.03.1999 - BVerwG 1 B 18.99; 1 PKH 4.99]). Dem trägt auch die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Ausländergesetz (AuslG-VwV) vom 7. Juni 2000 (BAnz-Beil. v. 6.10.2000) in Ziffer 19.2.3 Rechnung. Danach kann bei der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 19 Abs. 2 Satz 2 AuslG z.B. die notwendige Betreuung von Kleinkindern oder pflegebedürftiger Kinder eine Abweichung von dem Regelversagungsgrund rechtfertigen. Zwar sind die beiden Kinder der Antragstellerin zu 1) – die Antragstellerin zu 3) und der Antragsteller zu 2) – erst sieben bzw. fast vier Jahre alt, doch hat sie sich dadurch nicht an einer Arbeitsaufnahme (bei G. e.V. vom 1.11.2003 bis 30.4.2002 mit durchschnittlich 38,5 Std. in der Woche und ab 1.5.2004 bei H. Imbiss mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Std.) gehindert gesehen, zumal der Antragsteller zu 2) die Kindertagesstätte I. in J. besucht und die Antragstellerin zu 3) im Anschluss an den Besuch des Unterrichts in der ersten Klasse der Grundschule ebenfalls im Hort dieser Einrichtung betreut wird. Außerdem haben die Antragstellerin zu 1) und ihr geschiedener Ehemann als Vater der Antragsteller zu 2) und 3) am 6. April 2004 vereinbart, dass er beide Kinder an jedem Freitagmittag aus dem Hort abholt, sie für das Wochenende zu sich nimmt und am Sonntagnachmittag zur Antragstellerin zu 1) zurückbringt. Die Betreuung der Antragsteller zu 2) und 3) scheint damit trotz Vollzeitbeschäftigung der Antragstellerin zu 1) gesichert, so dass eine Ausnahme vom Regelversagungsgrund des § 7 Abs. 2 AuslG nicht in Betracht kommen dürfte.

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Demgegenüber erscheint es fraglich, ob die Antragsgegnerin und ihr folgend das Verwaltungsgericht einen Anspruch des Antragstellers zu 2) auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis nach § 20 Abs. 1 und 6 AuslG zu Recht abgelehnt haben. Ebenso begegnet die nachträgliche zeitliche Beschränkung der bis zum 28. Januar 2013 befristeten Aufenthaltserlaubnis der Antragstellerin zu 3) nach § 12 Abs. 2 Satz 2 AuslG Bedenken. Da es sich bei dem Antragsteller zu 2) und der Antragstellerin zu 3) um minderjährige ledige Kinder eines Asylberechtigten handelt, ist ihnen gemäß § 20 Abs. 1 AuslG nach Maßgabe des § 17 AuslG eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen bzw. gemäß § 20 Abs. 6 AuslG zu verlängern. § 17 Abs. 1 AuslG setzt die Herstellung bzw. Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft des minderjährigen ledigen Kindes mit dem Asylberechtigten im Bundesgebiet voraus. An dem Vorliegen einer derartigen familiären Lebensgemeinschaft zwischen den Antragstellern zu 2) und 3) und ihrem Vater haben die Antragsgegnerin und das Verwaltungsgericht erhebliche Zweifel geäußert. Sie sind der Auffassung, dass hier lediglich eine nicht dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG unterfallende Begegnungsgemeinschaft bestehe. Dieser Einschätzung vermag sich der Senat jedenfalls nach der Aktenlage im jetzigen Zeitpunkt nicht anzuschließen. Dies ergibt sich aus folgendem:

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Auch wenn einem Vater – wie hier – das elterliche (Mit-)Sorgerecht fehlt, kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass auch der persönliche Kontakt mit dem Kind in Ausübung eines Umgangsrechts unabhängig vom Sorgerecht Ausdruck und Folge des natürlichen Elternrechts und der damit verbundenen Elternverantwortung ist und daher unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG steht. Die zuständigen Behörden und Gerichte haben bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, angemessen zu berücksichtigen. Dies gilt auch dann, wenn eine häusliche Gemeinschaft zwischen ihnen nicht besteht. Ausländerrechtliche Schutzwirkungen entfaltet Art. 6 GG freilich nicht schon aufgrund formal-rechtlicher familiärer Bindungen. Entscheidend ist vielmehr die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern, wobei grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalls geboten ist. Für die Beurteilung der Frage, ob eine aufenthaltsrechtlich grundsätzlich schutzwürdige Lebens- und Erziehungsgemeinschaft bzw. Beistandsgemeinschaft oder eine bloße Begegnungsgemeinschaft ohne aufenthaltsrechtliche Schutzwirkungen vorliegt, kommt es auch im Falle eines Umgangsrechts ganz wesentlich darauf an, ob die Verantwortung als Elternteil auch tatsächlich durch wesentliche Betreuungsleistungen im Alltag wahrgenommen wird. So können Indizien für die Annahme einer derartigen Beistandsgemeinschaft und damit einer familiären Lebensgemeinschaft im Sinne des § 17 Abs. 1 AuslG etwa intensive Kontakte zwischen Vater und Kind, gemeinsam verbrachte Ferien, die Übernahme eines nicht unerheblichen Anteils an der Betreuung und Erziehung des Kindes sein. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass die Entwicklung eines Kindes nicht nur durch quantifizierbare Betreuungsbeiträge der Eltern, sondern auch durch die geistige und emotionale Auseinandersetzung geprägt wird. Dabei kommt dem spezifischen Erziehungsbeitrag des Vaters eine eigenständige Bedeutung zu (vgl. zum Vorstehenden BVerfG, Beschl. v. 22.12.2003, NJW 2004, 606 und Beschl. v. 30.1.2002, DVBl 2002, 693 = NVwZ 2002, 849; BVerwG, Urt. v. 16.7.2002, BVerwGE 116, 378 = DVBl 2003, 76; Senatsbeschl. v. 20.12.2002 – 11 ME 391/02 -, v. 18.9.2000, InfAuslR 2001, 75 und v. 19.4.2000, InfAuslR 2000, 392).

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Hiervon ausgehend spricht nach dem derzeitigen Erkenntnisstand einiges dafür, dass zwischen den Antragstellern zu 2) und 3) und ihrem Vater trotz getrennter Wohnungen in J. eine familiäre Lebensgemeinschaft besteht. Insbesondere kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich der persönliche Kontakt in gelegentlichen Besuchen ohne darüber hinausgehende Beistandsleistungen erschöpft. So hat die Antragstellerin zu 1) im Hinblick auf die jetzt sieben Jahre alte Antragstellerin zu 3) durchgängig vorgetragen, dass diese bei ihrem Vater jede Woche von Freitagmittag bis Sonntagnachmittag bleibe und sehr an ihm hänge. Auch die Leiterin der Kindertagesstätte I., in der die Antragstellerin zu 3) nach Ende des Unterrichts in der ersten Klasse der Grundschule betreut wird, hat mit Schreiben vom 26. März 2004 bestätigt, dass die Antragstellerin zu 3) ein gutes Verhältnis zu ihrem Vater habe, der sie zeitweise von der Schule in den Hort gebracht und von dort auch wieder abgeholt habe. Was den am 7. Juni 2004 vier Jahre alt werdenden Antragsteller zu 2) angeht, hat die Antragstellerin zu 1) im erstinstanzlichen Verfahren angegeben, dass dieser seinen Vater regelmäßig einmal in der Woche für einen Tag besuche. Im Beschwerdeverfahren hat die Antragstellerin zu 1) nunmehr eine vor dem Fachbereich Jugend und Familie – Kommunaler Sozialdienst – der Antragsgegnerin geschlossene Umgangsvereinbarung vom 6. April 2004 vorgelegt, wonach ihr geschiedener Ehemann auch den Antragsteller zu 2) an jedem Freitag aus dem Hort abholt, ihn für das Wochenende zu sich nimmt und am Sonntagnachmittag zu der Antragstellerin zurückbringt. Sollte das Umgangsrecht tatsächlich auch in dieser Form regelmäßig praktiziert werden, dürfte feststehen, dass der Vater der Antragsteller zu 2) und 3) einen nicht unerheblichen Anteil an der Betreuung und Erziehung seiner Kinder übernimmt. Sollte die Antragsgegnerin daran weiterhin Zweifel haben, bleibt es ihr unbenommen, die künftige Entwicklung des Verhältnisses des Vaters der Antragsteller zu 2) und 3) zu seinen Kindern sorgfältig zu beobachten. Auch aus diesem Grund hält es der Senat für sachgerecht, den Antragstellern vorläufigen Rechtsschutz gemäß § 80 Abs. 5 Satz 5 VwGO lediglich bis zur Entscheidung im Widerspruchsverfahren zu gewähren.

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Da § 20 Abs. 1 AuslG auch im Übrigen auf die Voraussetzungen des § 17 AuslG verweist, stellt sich die Frage, ob insbesondere an dem Erfordernis des gesicherten Lebensunterhalts uneingeschränkt festzuhalten ist. Dies ist umstritten. So vertreten etwa Hailbronner (aaO, § 20 RdNr. 6) und Huber (Handbuch des Ausländer- und Asylrechts, II RdNr. 306) die Auffassung, dass ein Familiennachzug zu Asylberechtigten im allgemeinen nicht von dem Nachweis eines geregelten Einkommens abhängig gemacht werden kann. Sie führen zur Begründung an, dass die auf den Normalfall eines Ausländers bezogenen Einschränkungen des Nachzugs von Familienangehörigen sich nicht undifferenziert auf die besondere Situation des Asylberechtigten und dessen Familie übertragen ließen. Der politisch Verfolgte könne weder den Zeitpunkt seiner Ausreise selbst bestimmen noch bestehe für ihn die Möglichkeit, seine Familie im Heimatland zu besuchen. Es entspreche der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass der aufenthaltsrechtliche Schutz für einen Ausländer, der mit einem rechtmäßig im Bundesgebiet ansässigen Asylberechtigten verheiratet sei, im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 GG grundsätzlich ebenso weit reiche wie der eines mit einem Deutschen verheirateten Ausländers (vgl. BVerwG, Beschl. v. 30.10.1989, NVwZ 1990, 376 [BVerwG 30.10.1989 - BVerwG 1 A 93.89]). Dementsprechend dürfe der Nachzug des Ehegatten und auch der minderjährigen Kinder eines Asylberechtigten grundsätzlich nicht schon deswegen versagt werden, weil ihr Lebensunterhalt nicht ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfe bestritten werden könne. Demgegenüber stellen sich Renner (aaO, § 20 AuslG RdNr. 4) und Igstadt (in: GK-AuslR, § 20 AuslG RdNr. 40) auf den wohl vorzugswürdigen Standpunkt, dass angesichts des eindeutigen Wortlauts von § 20 Abs. 1 AuslG im Grundsatz auch die Voraussetzungen des § 17 Abs. 2 AuslG vorliegen müssen, aber davon nach § 17 Abs. 3 AuslG im Ermessenswege abgesehen werden kann. In diese Richtung geht auch Ziffer 20.1.1 und 2 AuslG-VwV. Danach sind der nach dem Grundgesetz gebotene Schutz von Ehe und Familie sowie das Wohl des Kindes als besondere Umstände zu werten, die eine Abweichung von § 17 Abs. 2 Nr. 3 bzw. § 7 Abs. 2 AuslG rechtfertigen können. Im Falle des Antragstellers zu 2) ist zusätzlich § 20 Abs. 6 AuslG zu berücksichtigen. Danach wird die einem Kind erteilte Aufenthaltserlaubnis abweichend von § 17 Abs. 2 Nr. 2 und 3 AuslG verlängert. Allerdings kann die Aufenthaltserlaubnis im Falle der Sozialhilfebedürftigkeit des Kindes nach § 17 Abs. 5 i.V.m. § 46 Nr.6 AuslG versagt werden, wobei aber auch hier der Schutzzweck des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG zu berücksichtigen ist (vgl. Ziff. 20.6.2.3 AuslG-VwV). Auch diese Fragen sind bisher von der Antragsgegnerin nicht hinreichend geprüft worden. Es bedarf ferner der Klärung, ob und ggf. in welchem Umfang der Vater der Antragsteller zu 2) und 3) Unterhalt für seine Kinder leistet. Dazu finden sich in den dem Senat vorliegenden Verwaltungsvorgängen der Antragsgegnerin keine aussagekräftigen Hinweise. Zudem hat die Antragsgegnerin im Rahmen des Widerspruchsverfahrens Gelegenheit, die gegenwärtigen Einkommensverhältnisse der Antragstellerin zu 1) und den Unterhaltsbedarf für sie und die Antragsteller zu 2) und 3) einer genaueren Überprüfung zu unterziehen.

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Vor diesem Hintergrund wäre es im jetzigen Zeitpunkt unverhältnismäßig, die Ausreise der Antragsteller zwangsweise durchzusetzen. Das gilt auch für die Antragstellerin zu 1). Zwar hat diese voraussichtlich keinen Anspruch auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis, doch kann den Antragstellern zu 2) und 3) schon aufgrund ihres Alters nicht zugemutet werden, ohne die Betreuung durch ihre allein personensorgeberechtigte Mutter in Deutschland zu bleiben. Hinzu kommt, dass ohne den durch den Senat angeordneten Suspensiveffekt des Widerspruchs der Antragsteller bis zur Widerspruchsentscheidung den Beziehungen des Vaters der Antragsteller zu 2) und 3) zu seinen Kindern durch ihre Abschiebung in die Türkei erheblicher Schaden zugefügt werden würde, zumal er sie dort nicht besuchen kann (vgl. zu diesem Aspekt BVerfG, Beschl. v. 31.8.1999, InfAuslR 2000, 67 [BVerfG 31.08.1999 - 2 BvR 1523/99]). Demgegenüber sind gewichtige öffentliche Interessen, die eine sofortige Beendigung des Aufenthalts der Antragsteller gebieten könnten, nicht ersichtlich. Derzeit ist nicht zu besorgen, dass sie der öffentlichen Hand zur Last fallen, da die Antragstellerin aus einer Erwerbstätigkeit Einkommen erzielt und daraus (neben dem Kindergeld) den Lebensunterhalt für sich und ihre Kinder bestreitet. Selbst wenn diese finanziellen Mittel nicht vollständig ausreichen sollten und deshalb ergänzend Sozialhilfe erforderlich werden sollte, müsste dieser fiskalische Belang im Interesse des Wohls der Antragsteller zu 2) und 3) vorläufig zurücktreten.

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Abschließend ist auf folgendes hinzuweisen: Der Senat hält es auch deshalb für angebracht, den Antragstellern vorläufigen Rechtsschutz zumindest bis zur Entscheidung über ihren Widerspruch zu gewähren, um der Antragsgegnerin bzw. der Widerspruchsbehörde die Möglichkeit zu geben, weitere Gesichtspunkte, die für den Ausgang des Verfahrens ebenfalls von Bedeutung sein könnten, aber im Beschwerdeverfahren nicht näher problematisiert worden sind, bei ihrer Entscheidung zu bedenken. Diese ergänzenden Hinweise erfolgen aus prozessökonomischen Erwägungen trotz des Umstandes, dass der Senat an sich auf die Prüfung der von den Antragstellern geltend gemachten Beschwerdegründe beschränkt ist (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO).

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Zum einen wird in Rechtsprechung und Schrifttum inzwischen überwiegend mit beachtenswerten Argumenten die Ansicht vertreten, dass an der Verfassungsmäßigkeit der – für die Antragsteller zu 2) und 3) zusätzlich in Betracht kommenden – Anspruchsgrundlage des § 21 Abs. 1 AuslG im Hinblick auf Art. 3 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 2 GG erhebliche Bedenken bestehen (so Hess. VGH, Beschl. v. 24.6.2002, NVwZ – Beilage 2003, 3; Hamburgisches OVG, Beschl. v. 6.5.2002, InfAuslR 2003, 12; VGH Bad.-Würt., Beschl. v. 29.1.2001, InfAuslR 2001, 330; Hailbronner, aaO, § 21 RdNr. 2 a; Huber aaO, II RdNr. 253; Kloesel/Christ/Häußer, Deutsches AuslR, Bd. 1, 4. Aufl., § 21 RdNr. 15). Der beschließende Senat hat dies früher aber anders gesehen (vgl. Beschl. v. 26.2.2001 – 11 MA 624/01 –) und die Anknüpfung nur an den aufenthaltsrechtlichen Status der Mutter nicht beanstandet (so auch Igstadt, in: GK-AuslR, § 21 AuslG RdNr. 21; Renner, aaO, § 21 AuslG RdNr. 3). Jedenfalls bedarf diese Frage, mit der sich das Bundesverwaltungsgericht noch nicht auseinandergesetzt hat, einer abschließenden Klärung in einem Hauptsacheverfahren, was sich bei einer Interessenabwägung bzw. bei den anzustellenden Ermessenserwägungen unter dem Blickwinkel des Art. 6 GG zugunsten der Antragsteller auswirken könnte.

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Zum anderen ist – worauf sich die Antragsteller bereits im erstinstanzlichen Verfahren berufen haben – darauf hinzuweisen, dass nach § 4 Abs. 3 StAG ein in Deutschland geborenes Kind die deutsche Staatsangehörigkeit erwirbt, wenn ein Elternteil seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und eine Aufenthaltsberechtigung oder seit drei Jahren eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis besitzt (vgl. Hailbronner, aaO, § 21 RdNr. 2 b). Da der Vater der Antragsteller zu 2) und 3) seit dem 7. März 1996 über eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis verfügt und auch seit über acht Jahren seinen gewöhnlichen Aufenthalt rechtmäßig im Inland hat, muss auch dieser Gesichtspunkt nunmehr ernsthaft in Erwägung gezogen werden.