Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 19.12.2016, Az.: L 11 AL 89/14

Anspruch auf Förderleistungen nach dem Altersteilzeitgesetz; Erforderlichkeit der Vereinbarung der einzelvertraglichen Übernahme von tarifvertraglichen Regelungen im Altersteilzeitvertrag

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
19.12.2016
Aktenzeichen
L 11 AL 89/14
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2016, 38213
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hannover - 04.09.2014 - AZ: S 26 AL 22/12

Amtlicher Leitsatz

Die einzelvertragliche Übernahme von tarifvertraglichen Regelungen gemäß § 2 Abs. 2 S. 2 Altersteilzeitgesetz muss dem Altersteilzeitvertrag selbst zu entnehmen sein. Eine pauschale Inbezugnahme tarifvertraglicher Regelungen im Anstellungsvertrag ohne Bezug zur Altersteilzeit genügt daher im Regelfall nicht, um den Willen der Vertragsparteien anzunehmen, eine von der gesetzlichen Regelung abweichende tarifvertragliche Regelung zugrunde legen zu wollen.

Tenor:

Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 4. September 2014 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin macht Förderleistungen gegen die Beklagte nach dem Altersteilzeitgesetz (AltTZG) für die ehemalige Arbeitnehmerin Frau K. L. geltend.

Frau L. war bei der Klägerin seit dem 1. Januar 1991 als kaufmännische Sachbearbeiterin beschäftigt; zugrunde lag der Anstellungsvertrag vom 6. November 1990. In dem Anstellungsvertrag hieß es unter Ziff. 7: "Sonstiges: Für alle übrigen Ansprüche, die in diesem Vertrag nicht geregelt sind (z.B. Urlaub, vermögenswirksame Leistungen etc.) gelten die Bestimmungen des Tarifvertrages der Niedersächsischen Metallindustrie in seiner jeweils gültigen Fassung und ergänzend die gesetzlichen Bestimmungen."

Die Klägerin selbst ist nicht tarifgebunden, legt jedoch nach eigenem Bekunden tarifvertragliche Regelungen für die metallverarbeitende Industrie zugrunde.

Am 10. Oktober 2006 schloss die Klägerin mit Frau L. einen sog. Altersteilzeitvertrag. Geregelt war ausweislich § 1 ein so bezeichnetes Arbeitsteilzeitarbeitsverhältnis im Blockmodell; die Arbeitsphase war dabei für den Zeitraum 1. Oktober 2009 bis 30. September 2011 und die Freistellungsphase für den Zeitraum 1. Oktober 2011 bis 30. September 2013 vereinbart. In § 1 des Vertrages heißt es weiter: "Die Bestimmungen des Arbeitsvertrages vom 6. November 1990 und die dazugehörigen Nachträge bleiben bestehen, soweit sie im Folgenden nicht neu geregelt werden oder im Widerspruch zum Altersteilzeitgesetz stehen." Wegen der weiteren Einzelheiten des Vertrages wird auf Bl. 7 und 8 der Verwaltungsakte - VA - Bezug genommen.

Am 5. Oktober 2011 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Anerkennung der Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach § 4 AltTZG für die Arbeitnehmerin Frau L ... Sie machte die Wiederbesetzung mit einer arbeitslos gemeldeten Arbeitnehmerin, und zwar Frau M. N., geltend (vgl. Anstellungsvertrag der Frau N. vom 9. Februar 2011 - Bl. 9 ff. VA). Die Klägerin kreuzte dabei unter Ziffer 3 des Antragsformulars an, dass die Leistungen der Altersteilzeitarbeit aufgrund einer Betriebsvereinbarung gezahlt werden. Handschriftlich war daneben vermerkt (wohl von einem Mitarbeiter der Beklagten), dass es eine Betriebsvereinbarung laut Herrn O., Mitarbeiter der Klägerin, nicht gebe, dass jedoch auf den Tarifvertrag der Niedersächsischen Metallindustrie Bezug genommen werde (vgl. auch die markierte Ziff. 7 des Anstellungsvertrages der Frau L., Bl. 35 VA).

Mit Bescheid vom 7. November 2011 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Die Voraussetzungen des § 2 AltTZG lägen nicht vor. Die Altersteilzeit sei hier einzelvertraglich vereinbart worden, weshalb im Blockmodell nur eine Laufzeit von bis zu drei Jahren möglich sei.

Mit Widerspruch vom 5. Dezember 2011 machte die Klägerin geltend, dass die tarifvertraglichen Regelungen Gültigkeit haben; sie verwies auf Ziff. 7 des Anstellungsvertrages.

Mit Widerspruchsbescheid vom 13. Dezember 2011 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Altersteilzeit, die hier über einen Zeitraum von vier Jahren vereinbart worden sei, beruhe nicht auf einer tariflichen Grundlage. Es verbleibe bei der gesetzlichen Regelung, wonach nur eine Laufzeit im Blockmodell von bis zu drei Jahren möglich sei.

Hiergegen hat die Klägerin am 11. Januar 2012 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Hannover erhoben. Sie hat auf die Regelung im Anstellungsvertrag mit der Arbeitnehmerin Frau L. verwiesen, wonach die Bestimmungen des Tarifvertrages der Niedersächsischen Metallindustrie in seiner jeweils gültigen Fassung gelten sollen, soweit Ansprüche nicht im Arbeitsvertrag geregelt sind. Der Tarifvertrag für die Altersteilzeit der niedersächsischen Metallindustrie finde daher hier Anwendung, so dass auch ein vierjähriges Blockmodell vereinbart werden konnte.

Mit Urteil vom 4. September 2014 hat das SG Hannover die Klage abgewiesen. Die Voraussetzungen gemäß § 2 Abs 1 und Abs 2 AltTZG lägen nicht vor. Die Kammer schließe sich der Begründung des Widerspruchsbescheides gemäß § 136 Abs 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) an. Ergänzend sei auszuführen, dass der Altersteilzeitvertrag nicht auf einem Tarifvertrag der Metallindustrie beruhe. Denn weder sei in dem Altersteilzeitvertrag der Tarifvertrag der Metallindustrie als Grundlage vereinbart worden noch ergäben sich Anhaltspunkte dafür, dass dieser in Bezug genommen werden sollte. Die Inbezugnahme tarifvertraglicher Regelungen der Metallindustrie zur Altersteilzeit ergebe sich auch nicht aus dem Anstellungsvertrag. Ziff. 7 beziehe sich nach dem Wortlaut - alle übrigen Ansprüche, die in diesem Vertrag nicht geregelt sind - nur auf solche Punkte, die üblicherweise in einem Anstellungsvertrag geregelt werden. Wie eine Altersteilzeitregelung aussehen wird, sei im Anstellungsvertrag gerade nicht geregelt worden. Hierzu werde regelmäßig ein eigenständiger Altersteilzeitvertrag geschlossen; schon deshalb, weil Anstellungs- und Altersteilzeitvertrag zeitlich auseinander fallen würden. Der Tarifvertrag, der eine Laufzeit von bis zu sechs Jahren vorsehe, komme nicht zur Anwendung; die zwischen der Klägerin und der Arbeitnehmerin Frau L. getroffene Altersteilzeitregelung sei daher nicht förderungsfähig.

Gegen das am 10. September 2014 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 7. Oktober 2014 Berufung eingelegt, mit der sie ihr Vorbringen wiederholt und ergänzend vorgetragen hat, dass die Klägerin selbst nicht tarifgebunden sei. Sie hat den Manteltarifvertrag für die Beschäftigten des Metallverarbeitenden Handwerks Niedersachsen vom 24. Juli 2006 sowie den Tarifvertrag zur Altersteilzeit für die Arbeitnehmer in der Metall- und Elektroindustrie des Landes Rheinland-Pfalz vom 23. November 2004 zur Gerichtsakte gereicht. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 49ff. der Gerichtsakte (GA) Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgericht Hannover vom 4. September 2014 abzuändern und den Bescheid der Beklagten vom 7. November 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. Dezember 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Leistungen nach § 4 des Altersteilzeitgesetzes in Sachen der Arbeitnehmerin K. L. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält die Abweisung durch das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben in der nichtöffentlichen Sitzung am 25. Oktober 2016 ihr Einverständnis mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und den Verwaltungsvorgang der Beklagten Bezug genommen, die vorgelegen haben und Grundlage der Entscheidungsfindung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Der Senat konnte durch Urteil ohne mündliche Verhandlung gem. § 124 Abs 2 SGG entscheiden, weil die Beteiligten ihr Einverständnis erklärt haben.

Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil die Voraussetzungen nach § 4 AltTZG nicht vorliegen und die Klägerin keinen Anspruch auf Förderleistungen hat.

Der Bescheid vom 7. November 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Dezember 2011 erweist sich als rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten; vgl. § 54 Abs 2 S 1 SGG.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Förderleistungen nach § 4 AltTZG für die Arbeitnehmerin Frau L ... Frau L. gehört nicht zum begünstigten Personenkreis nach § 2 AltTZG.

Da die Arbeitnehmerin ihre wöchentliche Arbeitszeit nach dem Altersteilzeitvertrag vom 10. Oktober 2006 nicht auf die Hälfte vermindert hat (vgl. zu dieser Voraussetzung: § 2 Abs 1 Nr 2 AltTZG), kann sie nach § 2 Abs 2 Satz 1 Nr 1 AltTZG nur zum begünstigten Personenkreis gehören, wenn die wöchentliche Arbeitszeit im Durchschnitt eines Zeitraumes von bis zu drei Jahren oder bei Regelung in einem Tarifvertrag, auf Grund eines Tarifvertrages in einer Betriebsvereinbarung (oder in einer Regelung der Kirchen und der öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaften) im Durchschnitt eines Zeitraumes bis zu sechs Jahren die Hälfte der bisherigen wöchentlichen Arbeitszeit nicht überschreitet und sie versicherungspflichtig beschäftigt i.S.d. Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) ist.

Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor, denn mit der Arbeitnehmerin ist anstelle der gesetzlich vorgesehenen Dauer von bis zu drei Jahren ein Blockmodell mit einer Dauer von insgesamt vier Jahren vereinbart worden. Es liegen auch keine alternativen Voraussetzungen nach § 2 Abs 2 S 1 AltTZG für einen längeren Zeitraum - Regelung in einem Tarifvertrag oder auf Grund eines Tarifvertrages in einer Betriebsvereinbarung - vor. Es gibt unstreitig keine unmittelbar zur Anwendung kommende tarifvertragliche Regelung (der metallverarbeitenden Industrie), denn die Klägerin ist nicht Mitglied der Tarifparteien.

Es liegen auch nicht - alternativ - die Voraussetzungen nach § 2 Abs 2 S 2 AltTZG vor, wonach die tarifvertragliche Regelung im Betrieb eines nicht tarifgebundenen Arbeitgebers durch Betriebsvereinbarung oder schriftliche Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer übernommen werden können; und zwar auch - von der gesetzlichen Regelung - abweichende Regelungen (§ 2 Abs 2 S 3 AltTZG).

Unstreitig ist - wegen eines zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht existenten Betriebsrates - der Altersteilzeitvertrag zwischen der Klägerin und der Arbeitnehmerin entgegen der Angabe im Antragsformular nicht aufgrund einer Betriebsvereinbarung geschlossen worden.

Zur Überzeugung des Senats sind die tarifvertraglichen Regelungen der Metallindustrie - und zwar unterstellt, dass der Tarifvertrag zur Altersteilzeit für Niedersachsen auch eine Dauer der Altersteilzeit von bis zu 6 Jahren vorsieht; vgl. hierzu den Vertrag zur Altersteilzeit des Landes Rheinland-Pfalz vom 23. November 2004, § 4 Abs 1, Bl. 61 GA - nicht Bestandteil des hier in Rede stehenden Altersteilzeitvertrages zwischen der Klägerin und der Arbeitnehmerin Frau L. geworden. Sie sind nicht - Gegenteiliges trägt die Klägerin auch nicht vor - im Altersteilzeitvertrag selbst als Grundlage vereinbart bzw. "übernommen" - vgl. zum Wortlaut § 2 Abs 2 S 2 AltTZG - worden. Es ist allerdings wegen des insoweit eindeutigen Wortlauts der gesetzlichen Regelung als erforderlich anzusehen, dass der Wille der Vertragsparteien die tarifvertragliche Regelung zu übernehmen, dem Altersteilzeitvertrag selbst zu entnehmen ist (vgl. dazu mit überzeugender Begründung: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16. Oktober 2009 - L 8 AL 3394/07 -, Rn 22 f.). Fehlt - wie hier - in der einzelvertraglichen Regelung zur Altersteilzeit die Übernahme der entsprechenden tarifvertraglichen Regelung, verbleibt es schon deshalb bei der gesetzlichen Regelung.

Unabhängig davon sind die tarifvertraglichen Regelungen zur Altersteilzeit entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht über den Anstellungsvertrag vom 6. November 1990 Grundlage des Altersteilzeitvertrages geworden. Die von der Klägerin in Bezug genommene Klausel Ziff. 7 bezieht sich (lediglich) auf Ansprüche, die nicht im Anstellungsvertrag geregelt sind. Nach dem Zweck der Regelung - vgl. die exemplarisch genannten Bereiche wie Urlaub und vermögenswirksame Leistungen - sind das solche, die sich aus dem laufenden Arbeitsverhältnis ergeben und nicht etwa solche, die dessen Abwicklung - mit dem Erfordernis einer eigenständigen schriftlichen Vereinbarung - regeln. Zudem konnte eine Inbezugnahme tarifvertraglicher Regelungen zur Altersteilzeit schon deswegen nicht beabsichtigt sein, weil das Altersteilzeitgesetz selbst erst nach Abschluss des hier in Rede stehenden Anstellungsvertrages am 1. August 1996 in Kraft getreten ist und es vorher auch keine entsprechenden tarifvertraglichen Regelungen gab. Daran ändert auch nichts die Öffnungsklausel, wonach "die Bestimmungen des Tarifvertrages der niedersächsischen Metallindustrie in seiner jeweils gültigen Fassung" gelten sollen. Nach dem Sinn und Zweck einer solchen Regelung sind damit Änderungen des Manteltarifvertrages erfasst, nicht jedoch weitere tarifvertragliche Regelungen, die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses weder absehbar waren noch eine entsprechende vertragliche Grundlage - die Vereinbarung zur Altersteilzeit zwischen der Klägerin und der Arbeitnehmerin Frau L. - hatten, die als Anknüpfungspunkt dienen konnte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Leistungsempfänger im Sinne des § 183 Satz 1 SGG ist auch der Arbeitgeber, der Leistungen nach dem Altersteilzeitgesetz verlangt, da die streitgegenständlichen Leistungen nach § 4 AltTZG Sozialleistungen im Sinne des § 19b Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) sind. (BSG, Urteil vom 21. März 2007 - B 11a AL 9/06 R -).

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.