Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 05.12.2016, Az.: L 15 AS 257/16 B ER
Verpflichtung des Grundsicherungsträgers zur Erteilung einer Zusicherung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes; Darlehensweise Übernahme der Kosten für Wohnungsbeschaffung und Umzug sowie der Mietkaution durch den Grundsicherungsträger; SGB-II-Leistungen; Kosten für Wohnungsbeschaffung und Umzug; Erteilung einer Zusicherung; Einstweiliger Rechtsschutz; Anspruch auf Arbeitslosengeld II; Leistungen für Unterkunft und Heizung; Anforderungen an die Erteilung einer vorherigen Zusicherung für eine neue Unterkunft im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes im sozialgerichtlichen Verfahren
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 05.12.2016
- Aktenzeichen
- L 15 AS 257/16 B ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2016, 32686
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2016:1205.L15AS257.16B.ER.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Bremen - 29.09.2016 - AZ: S 41 AS 1834/16 ER
Rechtsgrundlagen
- § 86b Abs. 2 S. 1, 2 SGG
- § 22 Abs. 4 SGB II
- § 22 Abs. 4 S. 1 SGB II
- § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II
- § 22c Abs. 2 SGB II
- § 86b Abs. 2 S. 2 SGG
Fundstelle
- NZS 2017, 8-9
Redaktioneller Leitsatz
Eine Verpflichtung des Grundsicherungsträgers zur Erteilung einer Zusicherung nach § 22 Abs. 4 S. 1 SGB II im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes kommt allenfalls dann in Betracht, wenn mit hoher, wenn nicht an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden kann, dass ein materiell-rechtlicher Leistungsanspruch auf die Übernahme der geltend gemachten Unterkunftskosten besteht. In Fällen, in denen die maßgeblichen Obergrenzen nach einer Verwaltungsanweisung auf der Grundlage einer Mietwerterhebung überschritten sind, kommt der auf Erteilung einer Zusicherung nach § 22 Abs. 4 S. 1 SGB II gerichtete Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht in Betracht.
Tenor:
Auf die Beschwerde des Antragsgegners hin wird der Beschluss des Sozialgerichts Bremen vom 29. September 2016 aufgehoben. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die gemäß §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Bremen vom 29. September 2016 ist begründet. Zu Unrecht hat das SG den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Kosten für Wohnungsbeschaffung und Umzug sowie die Mietkaution für die Wohnung der Antragsteller in der J. in K. darlehensweise zu übernehmen. Soweit das SG den Ehemann und die minderjährigen Kinder der Antragstellerin zu 1), die Antragsteller zu 2) bis 4), in das Rubrum seiner Entscheidung mitaufgenommen und in seine dem Eilantrag stattgebende Entscheidung miteinbezogen hat, war dies bereits unzulässig. Die Prozessbevollmächtigte der Antragsteller hat in ihrem am 8. September 2016 bei dem SG gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Rubrum ausdrücklich nur die Antragstellerin zu 1) als Verfahrensbeteiligte aufgeführt und die Antragsteller zu 2) bis 4) auch in späteren Schriftsätzen nie als Verfahrensbeteiligte benannt, die in dem vorliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahren als Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft der Antragstellerin zu 1) eigene Leistungsansprüche nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) gegen den Antragsgegner geltend machen. Auch der mit einem weiteren anwaltlichen Schriftsatz vom 8. September 2016 an das SG gestellte Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wurde lediglich namens und in Vollmacht der Antragstellerin zu 1) gestellt. Hinsichtlich der Antragstellerin zu 1) haben die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86 b Abs. 2 S. 2 SGG nicht vorgelegen. Nach § 86 b Abs. 2 S. 1 SGG kann das Gericht - soweit ein Fall nach Absatz 1 nicht vorliegt - auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach Satz 2 der Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt in diesem Zusammenhang einen Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu der der Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet werden soll, sowie einen Anordnungsgrund, nämlich einen Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet, voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen. Die Antragstellerin zu 1) hat mit ihrer Antragsschrift vom 8. September 2016 zunächst lediglich die Verpflichtung des Antragsgegners zur Bewilligung der Kostenübernahme für die Wohnung in der J. begehrt, die der Antragsgegner mit Bescheid vom 5. September 2016 zunächst abgelehnt hat und auf den Widerspruch der Antragstellerin zu 1) hin mit Bescheid vom 5. Oktober 2016 gewährt hat. Insofern war, worauf das SG zutreffend hingewiesen hat, ein Rechtsschutzinteresse bereits deswegen zu verneinen, da es der Antragstellerin zu 1) unbenommen blieb, die Wohnung auch ohne vorherige Zusicherung i.S. von § 22 Abs. 4 SGB II anzumieten. Spätestens nach dem am 16. September 2016 erfolgten Abschluss eines Mietvertrages - von dem die Antragsteller im Übrigen weder dem Antragsgegner noch dem SG eine Mitteilung gemacht haben - war das Interesse der Antragstellerin zu 1) an der Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz entfallen. Ohne dass es somit noch darauf ankommt - der Antragsgegner hat die tatsächlichen Unterkunftskosten überdies mittlerweile aufgrund einer neuen Würdigung des Sachverhalts mit Bescheid vom 17. Oktober 2016 in voller Höhe übernommen -, wird darauf hingewiesen, dass eine Verpflichtung des Grundsicherungsträgers zur Erteilung einer Zusicherung nach § 22 Abs. 4 S. 1 SGB II im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes nach der Rechtsprechung des Senats allenfalls dann in Betracht gekommen wäre, wenn mit hoher, wenn nicht an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hätte festgestellt werden können, dass ein materiell-rechtlicher Leistungsanspruch auf die Übernahme der geltend gemachten Unterkunftskosten besteht (Beschlüsse vom 11. April 2013 - L 15 AS 164/13 B ER - und vom 11. Dezember 2015 - L 15 AS 234/15 B ER -). Hiervon könnte im vorliegenden Fall nur dann ausgegangen werden, wenn die Bruttokaltmiete für die den Antragstellern angebotene 75 m3 große Wohnung L. die Obergrenze für einen Vier-Personen-Haushalt nach der in Anwendung der zu § 22 SGB II ergangenen, auf einer Mietwerterhebung (Institut "Analyse & Konzepte"; Indexfortschreibung Oktober 2013) beruhenden Verwaltungsanweisung der Senatorin für Soziales, Kinder, Jugend und Frauen der M. (620 EUR zuzüglich 20% sog. Stadtteilzuschlag; insgesamt mithin 744 EUR für die Miete inklusive Nebenkosten ohne Heizkosten) nicht überschritten hätte. Denn für den Fall einer Überschreitung ließe sich ein höchst wahrscheinliches Obsiegen der Antragsteller im Hauptsacheverfahren gerade nicht feststellen, da keineswegs ausgeschlossen ist, dass sich in einem Hauptsacheverfahren die genannte Mietwerterhebung (in Form der Indexfortschreibung mit Stand Oktober 2013) als schlüssiges Konzept i. S. der Rechtsprechung des BSG erweist und damit auch vom Gericht zugrunde zu legen ist. Vor diesem Hintergrund wird in allen Fällen, in denen die maßgeblichen Obergrenzen nach der Mietwerterhebung überschritten sind, der auf Erteilung einer Zusicherung nach § 22 Abs. 4 S. 1 SGB II gerichtete Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht in Betracht kommen. Im Fall der Antragsteller lag die Bruttokaltmiete mit 760 EUR über der nach dem o.g. Konzept maßgeblichen Mietobergrenze von 744 EUR. Dass es auf dem Wohnungsmarkt in K. nahezu überhaupt kein Angebot gibt, das den Anforderungen genügt, ist von den Antragstellern, die eine erfolglose Wohnungssuche nicht vorgetragen haben, nicht glaubhaft gemacht worden und entspricht auch nicht den bisherigen Erkenntnissen des Senats. Der Senat vermag vielmehr keine belastbaren Anhaltspunkte dafür zu erkennen, dass es in K. nicht genügend angemessenen Wohnraum gibt. Der von dem SG insofern in Bezug genommene "Laufzettel" des ZFW vom 1. September 2016, laut dem nach der dortigen "fachlichen Einschätzung" eine kostengünstigere Unterbringung der Antragsteller seinerzeit nicht möglich gewesen sei, da der N. Wohnungsmarkt keine adäquaten Alternativen biete, lässt nicht erkennen, worauf dieses Einschätzung beruht und kann somit nicht als Beleg für eine Knappheit kostenangemessenen Wohnraums im N. Stadtgebiet herangezogen werden. Der vom SG hinsichtlich einer nicht mehr gegebenen Aktualität der o.g. Mietwerterhebung in Anspruch genommene Rechtsgedanke des § 22c Abs. 2 SGB II, wonach Werte für Unterkunftskosten mindestens alle zwei Jahre einer Überprüfung und Neufestsetzung bedürfen, ist ausschließlich auf Satzungen i.S.v. § 22a SGB II, nicht hingegen auf schlüssige Konzepte für die Ermittlung angemessener Unterkunftskosten anzuwenden. Abgesehen davon, dass die auf einer Ermittlung von Angebotsmieten über einen Erhebungszeitraum vom 1. März bis zum 30. September 2013 und von Bestandmieten für 44.807 Wohnungen (28 % des relevanten Mietwohnbestandes in K. mit Stichtag 1. März 2010) basierende "Indexfortschreibung 2013" des Instituts "Analyse & Konzepte" - auch mangels belastbarer Anhaltspunkte für eine Verteuerung von Wohnungen in dem von den Antragstellern benötigten Wohnungsmarktsegment - noch nicht als überholt anzusehen sein dürfte und nach dem Vortrag des Antragsgegners bereits im Januar 2016 von der Senatorin für Soziales, Jugend und Integration ein neues Fachgutachten zur Ermittlung von angemessenen Unterkunftskosten in Auftrag gegeben wurde, das noch im laufenden Jahr vorliegen soll (laut Antwort der Senatorin für Soziales, Jugend, Frauen, Integration und Sport vom 7. Oktober 2016 an eine Anfrage der Fraktion O.; Vorlage für die Sitzung der städtischen Deputation für Soziales, Jugend und Integration am 27. Oktober 2016, Nr. 125/16, wird der Berichtsentwurf des Gutachtens Ende November 2016 erwartet), bietet sich für eine Heranziehung der Tabelle zu § 12 Wohnungsgeldgesetz -WoGG - (nach der ab dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung des § 12 WoGG hat sich die Mietobergrenze in der für Bremen geltende Mietenstufe IV für einen Vier-Personen-Haushalt deutlich von 600 EUR auf 730 EUR erhöht, so dass die Erforderlichkeit der Hinzufügung eines Sicherheitszuschlags von 10% fraglich erscheint; a.A. hingegen SG Augsburg, Urteil vom 15. Juni 2016 - S 11 AS 92/16 -, ) jedenfalls im Rahmen von vorläufigen Rechtsschutzverfahren kein Raum. Von einem höchst wahrscheinlichen Obsiegen der Antragsteller im Hauptsacheverfahren kann nach alledem nicht ausgegangen werden. Hinsichtlich der von der Antragstellerin zu 1) erst auf die entsprechende Aufforderung des SG hin mit Schriftsatz vom 26. September 2016 bei dem SG beantragten Verpflichtung des Antragsgegners zur Übernahme der Wohnungsbeschaffungs- und Umzugskosten sowie einer Mietkaution fehlt es ebenfalls an einem Anordnungsgrund. Unabhängig davon, ob von einem dahingehenden, für den Erlass einer einstweiligen Anordnung grundsätzlich erforderlichen Antrag der Antragsteller an den Antragsgegner und dessen Ablehnung eines entsprechenden Begehrens vor Beantragung der einstweiligen Anordnung ausgegangen werden kann (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 86b Rn. 26b m.w.N.) - lediglich in einem "Laufzettel" der bremischen Zentralen Fachstelle Wohnen (ZFW) vom 1. September 2016 ist von einer Vorsprache des Antragstellers zu 2) wegen einer Deponatzahlung i.H.v. 1.340 EUR (zwei Monatsgrundmieten) für die Wohnung P. die Rede; erst mit Bescheid vom 9. November 2016 hat der Antragsgegner einen ablehnenden Bescheid erlassen - haben die Antragsteller zu 1) und 2) das zu zahlende Deponat am 30. September 2016 mithilfe eines Privatdarlehens an den Vermieter gezahlt. Der Gewährung eines ebenfalls rückzahlbaren Darlehens durch den Antragsgegner bedurfte es mithin ersichtlich nicht. Hinsichtlich der Verpflichtung des Antragsgegners zur darlehensweise Übernahme der Wohnungsbeschaffungs- und Umzugskosten steht schon nicht fest, ob solche im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen, bereits im September 2016 erfolgten Wohnungswechsel überhaupt angefallen sind. Eine dringliche Notwendigkeit für einen Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Abwendung den Antragstellern gegenwärtig drohender wesentlicher Nachteile ist somit für den Zeitpunkt des Ergehens des mit der vorliegenden Beschwerde angefochtenen Beschlusses des SG am 29. September 2016 nicht ersichtlich. Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG. Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.