Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 09.11.2005, Az.: 16 VA 9/05
Erforderlichkeit der Erbringung eines Vollbeweises zur Widerlegung der Eigentumsvermutung aus § 1006 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) im Hinterlegungsverfahren; Aufforderung zur Klageerhebung gemäß § 16 Abs. 1 Hinterlegungsordnung (HinterlO) durch die Hinterlegungsstelle beim Amtsgericht gegen den bisherigen Besitzer
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 09.11.2005
- Aktenzeichen
- 16 VA 9/05
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 24853
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2005:1109.16VA9.05.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Verden - AZ: 11 HL 18/02
Rechtsgrundlagen
- § 1006 Abs. 1 BGB
- § 16 Abs. 1 HinterlO
- § 28 Abs. 3 EGGVG
Fundstelle
- OLGReport Gerichtsort 2006, 70-71
Amtlicher Leitsatz
Im Hinterlegungsverfahren muss zur Widerlegung der Eigentumsvermutung aus § 1006 Abs. 1 BGB kein Vollbeweis erbracht werden. Vielmehr kann die Aufforderung zur Klageerhebung gemäß § 16 Abs. 1 HinterlO durch die Hinterlegungsstelle beim Amtsgericht gegen den bisherigen Besitzer erfolgen, wenn nach der im praktischen Leben möglichen Wahrscheinlichkeit mehr für die materielle Berechtigung des anderen Prätendenten zu sprechen scheint.
Der 16. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle hat
durch
den Vorsitzenden Richter ... und
die Richter ... und ...
am 9. November 2005
beschlossen:
Tenor:
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird zurückgewiesen.
Der Geschäftswert beträgt 3.000 EUR.
Gründe
I.
Es geht um "Zwei weibliche Akte" von Otto M sowie "Interieur" von Erich H.
Beide Gemälde wurden von der Staatsanwaltschaft Verden im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens gegen einen Herrn H. D. bei diesem aufgefunden und zunächst beschlagnahmt, später dann wieder freigegeben und beim Amtsgericht Verden hinterlegt.
Der Antragsteller hat den Anspruch des D. auf Herausgabe der Bilder gepfändet und Herausgabe an sich verlangt. Demgegenüber hat die Beteiligte zu 1. eidesstattlich versichert, sie und nicht D. sei Eigentümerin der Bilder gewesen und habe diese zwischenzeitlich ihrem Rechtsanwalt geschenkt (Bl. 13 ff., 35 f. d. A.). D. wiederum hat eidesstattlich versichert, die Gemälde seien ihm zwecks Begutachtung von der Beteiligten zu 1. nur vorübergehend ausgehändigt worden (Bl. 17 ff. d. A.).
Nachdem der zunächst vom Antragsteller gegenüber dem Amtsgericht gestellte Herausgabeanspruch abgelehnt worden war (Bl. 20 f., 38 ff. d. A.), hat schließlich die Beteiligte zu 1. unter dem 21. März 2005 einen Herausgabeantrag gestellt (Bl. 93 f. d. BA). Daraufhin hat die Rechtspflegerin der Hinterlegungsstelle des Amtsgerichts Verden mit Verfügung vom 23. Mai 2005 dem Antragsteller eine Frist von einem Monat zur Klageerhebung gesetzt, andernfalls die Herausgabe der Bilder gemäß § 16 Abs. 5 Satz 2 HinterlO als bewilligt gelte (Bl. 101 f. d. A.). Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Antragstellers hat der Präsident des Landgerichts Verden mit Beschluss vom 22. August 2005 zurückgewiesen (Bl. 118 ff. d. A.). Der Antragsteller begehrt mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung die Aufhebung des vorgenannten Beschlusses vom 22. August 2005 sowie die Zurückweisung des Herausgabeantrages der Beteiligten zu 1. vom 21. März 2005.
II.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist teilweise unzulässig, im Rahmen seiner Zulässigkeit unbegründet.
1.
Der Antrag ist zunächst unzulässig, soweit die Zurückweisung des Herausgabeantrags der Beteiligten zu 1. vom 21. März 2005 begehrt wird. Denn insoweit fehlt es an einer Vorentscheidung des Landgerichtspräsidenten, die angefochten werden könnte. Die Zurückweisung des Herausgabeantrags war weder Gegenstand der mit der Beschwerde vom 10. Juni 2005 (Bl. 104 ff. d. A.) angefochtenen Verfügung der Hinterlegungsstelle beim Amtsgericht (Bl. 101 f. d. A.) noch der auf diese Beschwerde hin ergangenen Entscheidung des Präsidenten des Landgerichts (Bl. 118 ff. d. A.). Beide befassen sich nur mit der durch die Rechtspflegerin nach § 16 HinterlO angeordneten Fristsetzung zur Klageerhebung. Folglich kann mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach §§ 23 ff. EGGVG auch nicht mehr begehrt werden als in Abänderung des Beschwerdebeschlusses des Landgerichtspräsidenten die Anordnung der Fristsetzung zur Klageerhebung aufzuheben (vgl. OLG Brandenburg, OLGNL 2003, 118).
2.
Im Übrigen, also wegen der begehrten Beseitigung der von der Hinterlegungsstelle verfügten Fristsetzung zur Klageerhebung gemäß § 16 HinterlO, ist der Antrag zulässig (vgl. OLG Brandenburg, a. a. O.). Er bleibt insoweit jedoch aus den auch dem Antragsvorbringen gegenüber zutreffenden Erwägungen des Landgerichtspräsidenten in der Sache ohne Erfolg.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Vollbeweis der Eigentümerstellung der Beteiligten zu 1. hinsichtlich der Gemälde im vorliegenden Verfahren nicht geführt werden muss, mithin auch nichts dagegen einzuwenden ist, die Überzeugungsbildung auf die schriftlichen Erklärungen der Beteiligten zu 1. und des D. zu stützen. Zwar ist es im Grundsatz richtig, dass die Eigentumsvermutung aus § 1006 Abs. 1 BGB nicht nur erschüttert, sondern in vollem Umfang widerlegt werden muss. Indes gilt dies nur im streitigen Prozessverfahren, in dem allein entsprechende Erkenntnismöglichkeiten, hier etwa durch Vernehmung des D. als Zeugen sowie ggf. der Beteiligten zu 1. als Partei, zur Verfügung stehen. Demgegenüber ist eine vergleichbare Aufklärung des Sachverhalts im Hinterlegungsverfahren weder die Aufgabe der Hinterlegungsstelle des Amtsgerichts bzw. des Präsidenten des Landgerichts als Beschwerdeinstanz noch des Senats im Rahmen der Entscheidung nach §§ 23 ff. EGGVG (vgl. OLGR Hamm 1996, 22 = Rpfleger 1996, 121; OLGR Köln 2002, 346 u. 414).
Die Entscheidung der Hinterlegungsstelle über die Fristsetzung zur Klageerhebung nach § 16 HinterlO ist vielmehr in deren pflichtgemäßes Ermessen gestellt. Sie ist sowohl vom Präsidenten des Landgerichts auf die Beschwerde als auch vom Senat auf den Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 28 Abs. 3 EGGVG nur dahin zu überprüfen, ob die Hinterlegungsstelle die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Dies ist im Falle des § 16 HinterlO dann nicht der Fall, wenn der Antragsteller des Herausgabeanspruchs einen gewissen aber noch nicht voll ausreichenden Nachweis seiner Empfangsberechtigung erbracht hat, wozu, insbesondere dann, wenn nur zwei Prätendenten miteinander um die Herausgabe streiten, ein hoher Grad von Wahrscheinlichkeit nicht unbedingt erforderlich ist. Ausreichend ist vielmehr, dass mit der im praktischen Leben möglichen Wahrscheinlichkeit mehr für die materielle Berechtigung des einen als die des anderen Prätendenten zu sprechen scheint und es deshalb der Billigkeit entspricht, demjenigen, der dem Herausgabeverlangen nicht zustimmt, die Last aufzuerlegen, wegen seiner angeblichen Berechtigung Klage zu erheben (vgl. OLG Hamm u. Köln, jew. a. a. O.).
Im vorliegenden Fall ist die Anordnung der Fristsetzung zur Klageerhebung nach Maßgabe der genannten Kriterien ohne Ermessensfehler und damit in rechtmäßiger Weise getroffen worden. Zwar könnte die Eigentumsvermutung aus § 1006 Abs. 1 BGB für den Antragsteller streiten. Auch kann dieser als Pfandgläubiger die gesetzliche Vermutung grundsätzlich für sich in Anspruch nehmen. Jedoch ist es hier der vermeintliche Eigentümer selbst, der seinen Eigenbesitz und sein Eigentum an den streitgegenständlichen Kunstwerken bestreitet, sodass sich die Eigentumsvermutung letztlich gegen ihn kehren würde, wenn er etwa von der Beteiligten zu 1. (oder deren Rechtsanwalt als Rechtsnachfolger hinsichtlich der Bilder) auf Rückgabe in Anspruch genommen würde, zu dieser aber nicht mehr in der Lage wäre, weil die Bilder auf der Grundlage von § 1006 Abs. 1 BGB dem Pfandgläubiger zugesprochen worden wären. Ob die Eigentumsvermutung auch in einem solchen Fall für den Pfandgläubiger streiten kann, erscheint zweifelhaft. Letztlich kann diese Frage aber offen bleiben. Denn jedenfalls ist es nicht zu beanstanden, dass die Rechtpflegerin bei der Hinterlegungsstelle des Amtsgerichts nach der Aktenlage der übereinstimmenden und plausibel klingenden Darstellung den Vorzug gegeben hat, die Beteiligte zu 1. habe die Bilder seinerzeit vom Maler H.O. G. als Geschenk erhalten und sie dann dem D. vorübergehend zwecks Veranlassung einer Begutachtung überlassen.
Schließlich steht der Anordnung nach § 16 HinterlO nicht entgegen, dass das Verfahren durch sie letztlich nicht gefördert würde. Insoweit wird zunächst auf die zutreffenden Ausführungen auf Seite 5 der Beschwerdeentscheidung des Landgerichtspräsidenten Bezug genommen. Was dagegen mit dem Antrag auf gerichtlicher Entscheidung vorgebracht wird, passt nicht auf die vorliegende Fallkonstellation. Denn für den Fall, dass die gesetzte Frist fruchtlos verstreicht, gilt die Herausgabe durch den Antragsteller als bewilligt, kann also nach § 13 HinterlO erfolgen. Im Falle der rechtzeitigen Klageerhebung wird das Hinterlegungsverfahren bis zur Entscheidung des Prozessgerichts ausgesetzt. Würde der Antragsteller mit seiner Klage gegen die Beteiligte zu 1., etwa gerichtet auf Einwilligung in die Herausgabe an ihn, Erfolg haben, wäre die Herausgabe nach § 13 HinterlO an ihn vorzunehmen und das Hinterlegungsverfahren ebenfalls beendet. Beim Misserfolg der Klage würde dagegen wie nach fruchtlosem Fristverlauf verfahren werden können. Durch die Anordnung der Hinterlegungsstelle vom 23. Mai 2005 ist daher im Ergebnis lediglich der letzte Versuch einer Verfahrenserledigung ohne Rechtsstreit (Antragsteller lässt Klagefrist fruchtlos verstreichen) unternommen worden, hinsichtlich des ansonsten unentbehrlichen Rechtsstreits um die Bewilligung der Herausgabe der Gemälde sind lediglich die Rollen der Parteien im Prozess vertauscht worden, weil nach der Überzeugung der Rechtspflegerin mehr für die materielle Berechtigung der Beteiligten zu 1. spricht.
III.
[...].
Einer Kostenentscheidung des Senats bedarf es nicht im Hinblick auf die gesetzliche Regelung der Kostenfolge in § 30 EGGVG. Die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin sind von dieser selbst zu tragen.
Streitwertbeschluss:
Der Geschäftswert beträgt 3.000 EUR.
Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf § 30 Abs. 3 EGGVG i. V. m. § 30 Abs. 2 Satz 1 KostO.