Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 14.11.2005, Az.: 7 W 117/05
Zustellung des Streitverkündungsschriftsatz durch das Gericht; Erfordernis einer Prüfung der Zulässigkeit der Streitverkündung; Streitverkündung gegenüber dem im Rechtsstreit tätigen Sachverständigen in der Absicht einer rechtsmissbräuchlichen Einflussnahme auf die Gutachtertätigkeit; Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde gegen einen Beschluss, mit dem der Antrag des Sachverständigen, die Zustellung der Streitverkündungsschrift für unzulässig zu erklären, zurückgewiesen wird
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 14.11.2005
- Aktenzeichen
- 7 W 117/05
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 24878
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2005:1114.7W117.05.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hildesheim - 20.09.2005 - AZ: 11 O 106/01
Rechtsgrundlagen
- § 72 ZPO
- § 73 S. 2 ZPO
- § 567 Abs. 1 ZPO
- § 839a BGB
Fundstellen
- BauR 2006, 722-724 (Volltext mit amtl. LS)
- BauR 2006, 157 (red. Leitsatz)
- DS 2006, 113-114
- GuG 2006, 119-120 (Volltext mit amtl. LS)
- GuG aktuell 2006, 7
- IBR 2006, 61
- NZBau 2006, 379-380 (Volltext mit amtl. LS)
- OLGReport Gerichtsort 2006, 103-105
Amtlicher Leitsatz
Das Gericht hat den Streitverkündungsschriftsatz dem Betroffenen grundsätzlich ohne Prüfung der Zulässigkeit der Streitverkündung zuzustellen.
Dies gilt nicht, wenn die Streitverkündung gegenüber dem im Rechtsstreit tätigen Sachverständigen in der Absicht einer rechtsmissbräuchlichen Einflussnahme auf die Gutachtertätigkeit erfolgt.
Gegen einen Beschluss, mit dem der Antrag des Sachverständigen, die Zustellung der Streitverkündungsschrift für unzulässig zu erklären, zurückgewiesen wird, steht ihm das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde zu.
Der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichtes Celle hat
unter Mitwirkung
des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht K.,
der Richterin am Oberlandesgericht K. sowie
des Richters am Oberlandesgericht K.
am 14. November 2005
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde des Sachverständigen H. gegen den Beschluss der 2. Kammer für Handelssachen des Landgerichtes Hildesheim vom 20. September 2005 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Beschwerdewert: 1.200 EUR.
Gründe
I.
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Minderung bzw. Schadensersatz aus einem Bauvertrag der Parteien vom 6./27. Juni 1995 mit der Behauptung, die von der Beklagten durchgeführten Fliesenarbeiten seien in erheblichem Umfang mangelhaft.
Die Beklagte hat bestritten, fehlerhaft gearbeitet zu haben.
Daraufhin hat das Landgericht durch Beschluss vom 12. Juli 2002 (Bl. 506 ff. Bd. III d. A.) die Beweiserhebung zu den Behauptungen der Klägerin angeordnet,
- a)
die in dem Bauvorhaben K. M. e. G. R. an dem keramischen Bodenbelag aufgetretenen Schäden beruhten auf folgenden von der Beklagten zu vertretenden Mängeln:
- aa)
Wegen fehlerhaften Fußbodenaufbaues komme es zu inneren Spannungen, durch die es immer wieder zu Beschädigungen der Oberfläche und zu Undichtigkeiten komme,
- bb)
es fehle eine durchgängige Dehnungsfuge,
- cc)
durch das gewählte Rüttelverfahren habe der Verlegemörtel nicht gegen Milchsäure geschützt werden können.
- b)
Die Mängel seien insbesondere nicht auf eine zu frühe Belastung des Bodens, auf den Einsatz heißer Reinigungsmittel, auf eine dynamische Stoß und Schlagbeanspruchung im Rahmen des Produktionsbetriebes oder auf den unterbliebenen Einbau von Sechseckplatten und von EdelstahlEntwässerungsschienen zurückzuführen. Zum Sachverständigen wurde der Beschwerdeführer bestimmt, der mit seinem Gutachten vom 30. Juni 2004 zu den Beweisfragen Stellung nahm.
Hiergegen hat die Klägerin mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 6. Dezember 2004 (Bl. 657 ff. Bd. IV d. A.) auf insgesamt 60 Seiten Einwendungen erhoben, u. a., der Sachverständige habe Unterlagen verwendet, deren Herkunft unklar sei und dementsprechend seinen gutachterlichen Äußerungen Annahmen zugrunde gelegt, die den tatsächlichen Verhältnissen nicht entsprächen.
Mit Schriftsatz vom 27. Juli 2005 hat die Klägerin dem Sachverständigen den Streit verkündet. Das von ihm erstattete Gutachten sei in grob fahrlässiger Weise fehlerhaft. Sie müsse damit rechnen, als unmittelbare Folge dieser Fehler den Prozess zu verlieren. Die Haftung des Sachverständigen ergebe sich aus § 839 a BGB.
Aufgrund der Verfügung des Kammervorsitzenden vom 28. Juli 2005 (Bl. 761 Bd. IV d. A.) ist dem Sachverständigen der Streitverkündungsschriftsatz zugestellt worden. Hiergegen hat sich der Sachverständige mit Schreiben vom 14. September 2005 (Bl. 764 f. Bd. IV d. A.) gewandt und erklärt, das eventuell insoweit in Betracht kommende Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde zur Zeit nicht einlegen zu wollen. Er hat jedoch beantragt, die Zustellung der Streitverkündung an ihn für unwirksam zu erklären.
Dies hat das Landgericht durch Beschluss vom 20. September 2005 (Bl. 766 Bd. IV d. A.) abgelehnt.
Gegen diesen dem Sachverständigen am 23. September 2005 zugestellten Beschluss richtet sich seine sofortige Beschwerde. Er hält die Streitverkündung für unzulässig, insbesondere rechtsmissbräuchlich. Ein Sachverständiger sei im Übrigen auch nicht Dritter im Sinne der Streitverkündungsvorschriften. Zudem habe das Gericht gegenüber einem Sachverständigen Schutzpflichten, zu denen es u. a. gehöre, ihm nicht eine unzulässige Streitverkündungsschrift zuzustellen.
Die Klägerin hält die Streitverkündung für zulässig, ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Landgerichtes hingegen für unzulässig.
II.
Die zulässige sofortige Beschwerde hat keinen Erfolg.
1.
Die sofortige Beschwerde des Sachverständigen ist zulässig gemäß § 567 Abs. 1 Ziff. 2 ZPO, denn sie richtet sich nicht gegen die Zustellung der Streitverkündungsschrift selbst, sondern gegen den Beschluss des Landgerichtes vom 20. September 2005, mit dem ohne mündliche Verhandlung ein das Verfahren betreffendes Gesuch zurückgewiesen worden ist (BGH Beschluss vom 10. Februar 2005, Az. VII 22/04).
Das Rechtsmittel ist auch fristgerecht eingelegt worden.
2.
Der Sachverständige beanstandet jedoch zu Unrecht die Zulässigkeit der Zustellung der Streitverkündungsschrift an ihn.
a)
Von dem Beschwerdeführer wird u. a. darauf verwiesen, die ihm gegenüber erfolgte Streitverkündung sei schon deshalb unzulässig, weil er in dem Verfahren als gerichtlich beauftragter Sachverständiger tätig und deshalb kein Dritter im Sinne des § 72 ZPO sei (BGH a. a. O.; so auch Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl. 2005, § 72 Rdnr. 1; Rickert/ König NJW 2005, 1829 ff.). Es kann dahin stehen, ob dieser Einwand zutreffend ist.
Aus der möglichen Unzulässigkeit einer Streitverkündung folgt nämlich nicht, dass das Gericht die Zustellung des Schriftsatzes hätte ablehnen müssen. Vielmehr gilt, dass das Gericht den Streitverkündungsschriftsatz dem Betroffenen zuzustellen hat, ohne die Zulässigkeit der Streitverkündung zu prüfen. Enthält ein Schriftsatz eine Streitverkündungserklärung und entspricht er den Anforderungen eines bestimmenden Schriftsatzes, muss dieser ohne weitergehende Prüfung gemäß § 73 Satz 2 ZPO dem Streitverkündeten zugestellt werden (vgl. OLG München, NJW 1993, 2756 [OLG München 28.05.1993 - 28 W 1601/93]; OLG Celle, OLGR 1994, 44; OLG Frankfurt, BauR 2001, 677). Denn das Gericht hat nur Zustellungshilfe für die Partei zu leisten, die den Schriftsatz eingereicht hat (vgl. Stein-Jonas, ZPO, 22. Auflage, zu § 73 Rdnr. 2 a. E.).
Dem steht auch nicht entgegen, dass die Streitverkündung im Falle ihrer Zulässigkeit prozessual und materiellrechtliche Wirkungen auslöst. Denn die bloße Zustellung des Schriftsatzes als solche hat keine Auswirkung in Bezug auf die Beurteilung der Zulässigkeit der Streitverkündung, die regelmäßig erst in einem Folgeprozess geprüft wird. Die ZPO bürdet die Ungewissheit über die Wirksamkeit der Streitverkündung im Übrigen dem Dritten als Streitverkündungsempfänger auf (vergl. auch Beschluss des Senates vom 24. August 2005 - Az. 7 W 86/05).
b)
In seiner Beschwerdeschrift hat der Streitverkündete weiter eingewandt, die Streitverkündung an einen Gerichtsgutachter stelle eine nicht hinnehmbare, letztlich rechtsmissbräuchliche Einflussnahme auf das Gerichtsverfahren dar und untergrabe die für die Gerichtsgutachtertätigkeit unverzichtbare Unparteilichkeit des Sachverständigen (so auch Rickert/ König a. a. O.; Kamphausen IBR 2005, 270; Böckermann MDR 2002, 1348 [OLG Hamburg 06.09.2000 - 14 W 34/00]).
Es ist allgemein anerkannt, dass bei rechtsmissbräuchlichen Anträgen kein Anspruch des Antragstellers auf Bearbeitung und Entscheidung besteht (Zöller, a. a. O., Einl. Rdnr. 48 a). Für den Missbrauch prozessualer Befugnisse müssen aber klare und eindeutige Anhaltspunkte vorliegen (Stein-Jonas, a. a. O., vor § 3 Rdnr. 232). Diese lassen sich hier nicht feststellen, auch wenn sich die Klägerin durch ihr Vorgehen mit der Streitverkündung einem negativen Eindruck aussetzt.
Zwar erweckt die von der Klägerin vorgenommene Streitverkündung objektiv den Eindruck, dass sie hierdurch Einfluss auf den Sachverständigen und damit auf das Verfahren nehmen will. Hieraus lässt sich aber nicht zwingend herleiten, dass sie von der Möglichkeit der Streitverkündung in rechtsmissbräuchlicher Weise Gebrauch machen wollte, was für eine Ablehnung der Zustellung des Streitverkündungsschriftsatzes Voraussetzung gewesen wäre. Der Umstand, dass eine Streitverkündung gegenüber dem gerichtlich bestellten Sachverständigen, der zur Unparteilichkeit verpflichtet ist, für diesen eine Belastung ist, reicht allein nicht aus, um die beantragte Zustellung als rechtsmissbräuchliches Vorgehen zu werten. Ein besonnener Sachverständiger, der von einem Beitritt absehen wird, wird die Zustellung des Streitverkündungsschriftsatzes ebenso wie ein unbegründetes Ablehnungsgesuch ohnehin nur als untauglichen Versuch werten, ihn an der Ausführung des gerichtlich erteilten Auftrags zu behindern. Deshalb ist auch der weitere Hinweis des Sachverständigen, das Gericht habe ihm gegenüber als seinem Gehilfen eine Schutzpflicht, ohne Belang.
Die Klägerin hat die Streitverkündung gegenüber dem Sachverständigen damit begründet, dass sie in Bezug auf das vorliegenden Gutachten möglicherweise Schadensersatzansprüche im Rahmen des § 839 a BGB absichern wolle. Hierfür hätte es der Streitverkündung (bei unterstellter Zulässigkeit) nicht bedurft.
Eine zulässige Streitverkündung hat zur Folge, dass dem Streitverkündeten das Ergebnis der Beweisaufnahme entsprechend § 68 ZPO in einem nachfolgenden Prozess entgegengehalten werden kann (BGH, BauR 1997, 347). Vorliegend ergibt sich das Ergebnis der Beweisaufnahme ausschließlich nach dem derzeitigen Stand des Verfahrens aus den Gutachten des Streitverkündeten selbst, an dem er sich unabhängig von einer etwaigen Streitverkündung festhalten lassen muss. Dass der Antragsgegnerin dies bewusst war und sie den Verweis auf § 839 a BGB nur vorgeschoben hat, um die Zustellung des Streitverkündungsschriftsatzes an den Sachverständigen in der Hoffnung zu erreichen, dass dieser die vorgelegten Fragen unter dem Druck der Streitverkündung nicht mehr unparteiisch beantworten wird, kann indes ohne dahingehende greifbare Anhaltspunkte nicht angenommen werden, zumal eine Streitverkündung allein für eine Stattgabe eines etwaigen Befangenheitsantrags nicht ausreichend ist, weil die bloße Zustellung des Streitverkündungsschriftsatzes nach allgemeiner Auffassung Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen nicht rechtfertigen kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren ist auf 1.200 EUR festzusetzen. Der Wert bemisst sich gemäß § 47 GKG nach dem eigenen Interesse des Streitverkündeten an der Beseitigung der Zustellung der Streitverkündung. Er entspricht damit nicht dem Gegenstandswert des Hauptsacheverfahrens. In entsprechender Anwendung der Regelung des § 48 Abs. 2 GKG schätzt der Senat das Interesse des Sachverständigen an der Rückgängigmachung der Streitverkündung, die für ihn zwar belastend, aber nicht von gravierender Bedeutung ist, auf 1.200 EUR.
Streitwertbeschluss:
Beschwerdewert: 1.200 EUR. Der Wert bemisst sich gemäß § 47 GKG nach dem eigenen Interesse des Streitverkündeten an der Beseitigung der Zustellung der Streitverkündung.