Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 22.11.2005, Az.: 14 U 48/03 b
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 22.11.2005
- Aktenzeichen
- 14 U 48/03 b
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 41488
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2005:1122.14U48.03B.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hildesheim - AZ: 4 O 371/02
Fundstelle
- OLGReport Gerichtsort 2006, 548-549
In dem Rechtsstreit
R. J. H., (H. Partner GbR), G., als Nachlasspfleger für die unbekannten Erben nach dem verstorbenen Flugzeugführer L. K.,
Beklagter und Berufungskläger,
gegen
1. A. D., B. P.,
2. P. D., gesetzlich vertreten durch die Klägerin zu 1, B. P.,
3. C. D., gesetzlich vertreten durch die Klägerin zu 1, B. P.,
Kläger und Berufungsbeklagte,
hat der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 7. Oktober 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... und die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Hildesheim vom 6. Februar 2003 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Verpflichtung des Beklagten zur Schadensersatzleistung aus Anlass des Flugunfalls des verstorbenen M. D. vom 24. Juli 1999 nicht über die Zahlung eines Gesamtbetrags von 163.613,40 € (= 320. 000 DM) hinausgeht.
Die Kosten der Rechtsmittelverfahren hat der Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen wird Bezug genommen auf das angefochtene Urteil (Bl. 114 Bd. I d. A.) und darüber hinaus auf das Urteil des Senats vom 13. November 2003 (Bl. 245 II d. A.). Dieses Urteil ist auf die Revision des Beklagten, soweit es zu dessen Nachteil ergangen ist, durch Urteil des Bundesgerichtshofs vom 15. März 2005 (Bl. 52 III d. A., veröffentlicht in NJW-RR 2005, 895 [BGH 15.03.2005 - VI ZR 356/03]), aufgehoben und an den Senat zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - zurückverwiesen worden.
Der Beklagte verfolgt mit seiner Berufung weiterhin die Abweisung der Klage. Der Flugunfall sei auf einen Herzinfarkt des Fluglehrers K. zurückzuführen, der sich - nach Ansicht des Beklagten - jedenfalls nicht fahrlässig verhalten habe; auch eine Haftung aus Deliktsrecht (§§ 823 Abs. 1, 844 BGB) scheide deshalb aus.
Der Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie behaupten, der Fluglehrer K. habe zum Unfallzeitpunkt das Luftfahrzeug allein gelenkt und ein riskantes Flugmanöver geflogen, das dann ursächlich für den Absturz geworden sei.
Der Senat hat zu den Unfallumständen Beweis erhoben aufgrund der Beschlüsse vom 24. Mai (Bl. 67 III d. A.) und 23. Juni 2005 (Bl. 84 III d. A.) durch Vernehmung der Zeugen G., M., O.-P., P., Pr., R. und E.. Der Zeuge Dipl.-Ing. E., der technischer Referent des Deutschen Ultraleichtflugverbandes ist, ist zudem als Sachverständiger gehört worden, ebenso Prof. Dr. T. vom Institut für Rechtsmedizin der Universität H..
Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 7. Oktober 2005 (Bl. 92 - 108 III d. A.).
II.
Die zulässige Berufung des Beklagten ist unbegründet.
Die Kläger haben gegen den Beklagten als Nachlasspfleger für den Nachlass des verstorbenen Fluglehrers K. einen Anspruch auf Schadensersatz und Feststellung der Ersatzpflicht weitergehender Unterhaltsschäden - jedenfalls in dem vom Landgericht ausgeurteilten Umfang - gem. §§ 823 Abs. 1, 844 Abs. 1, 2 i. V. m. §§ 1601, 1960, 1967 BGB.
1. Der verstorbene Fluglehrer K. hat fahrlässig und widerrechtlich den Tod des Ehemanns der Klägerin zu 1 und Vaters der Kläger zu 2 und 3 verursacht.
Der Fluglehrer K. hat am Unfalltag mit Herrn D. einen gemeinsamen Flug in einem Ultraleichtflugzeug vorgenommen (vgl. im Einzelnen dazu LGU 2/3). Bei diesem Flug hat er verbotene Flugmanöver - einen Kunstflug - durchgeführt. Dies führte zum Absturz.
Gemäß § 24 Abs. 1 der Betriebsordnung für Luftfahrtgeräte (LuftBO) darf ein Luftfahrzeug - d. h. auch ein Ultraleichtflugzeug - nur in Übereinstimmung mit den festgelegten Betriebsgrenzen betrieben werden. Gemäß § 8 Abs. 1 Satz 2 der Luftverkehrsordnung (LuftVO) sind Kunstflüge mit Luftsportgeräten verboten. Zudem sind auch gemäß Nr. III. 10. der Ultraleichtflugzeugbetriebsordnung (UBO) Kunstflüge mit Ultraleichtflugzeugen nicht erlaubt. Als Kunstflug gilt nach dieser Bestimmung jede Neigung um die Querachse von mehr als 30 Grad und jede Neigung um die Längsachse von mehr als 60 Grad, jeweils bezogen auf die Horizontebene. Der Fluglehrer K. hat aber im Rahmen des zu seinem und dem Tod des Herrn D. führenden Fluges am 24. Juli 1999 diese Grenzen eindeutig überschritten. Das folgt aus dem Ergebnis der Beweisaufnahme durch den Senat.
Die Zeugen O.-P., P., Pr. und R. haben bekundet, Augenzeugen des Vorfalls gewesen zu sein und den Flug, insbesondere soweit es um die Umstände unmittelbar vor dem Absturz ging, beobachtet zu haben. Nach ihren übereinstimmenden Angaben hat sich das Flugzeug, in dem der Fluglehrer K. mit Herrn D. saß, unmittelbar vor dem Abkippen nach hinten, das dann zu der Rückenlage mit Überkopfstellung der Insassen führte, praktisch in senkrechter Stellung befunden (vgl. Bl. 100, 101, 104 bis 106 III d. A.). Diese Position ist den Zeugenaussagen nach dadurch erreicht worden, dass das Fluggerät etwa drei- bis viermal hintereinander mit der Spitze steil hochgehoben und bis zum Strömungsabriss geflogen worden ist, um danach im Steilflug abzutauchen und erneut zu einem - dann jeweils noch steileren - Aufwärtsflug anzusetzen. Alle Zeugen haben bekundet, diesen Vorgang deutlich wahrgenommen zu haben, ohne irgendwie in der Sicht behindert gewesen zu sein.
Dahinstehen kann dabei, welcher der beiden Flugzeuginsassen letztlich konkret das verhängnisvolle Flugmanöver initiiert hat. Die Zeugen R. und Pr. haben bekundet, Herr D. habe damals gerade eine Ausbildung für Ultraleichtflugzeuge beginnen wollen. Herr K. sei auf den Flugplatz gekommen, um die ersten Schulungsflüge zu starten. In diesem Rahmen sei Herr D. in das Flugzeug gestiegen. Herr D. verfügte demnach in keinem Fall über die erforderliche Befähigung und Erfahrung, das Ultraleichtflugzeug zu fliegen. Wenn er also zu einem Flugmanöver wie hier von sich aus angesetzt hätte, wäre Herr K. verpflichtet gewesen, sofort einzugreifen und gegenzusteuern. Zumindest das hat er nicht getan, obwohl er es - wie der Sachverständige E. ausgeführt hat - ohne weiteres von seiner hinteren Position gekonnt hätte (vgl. Bl. 107 und Bl. 95 d. A.).
Erst recht hätte Herr K. aber das unzulässige und höchst riskante Flugmanöver, das die erwähnten Grenzen zum Kunstflug nach der Ultraleichtflugzeugbetriebsordnung erheblich überschritt, nicht selbst fliegen dürfen. Die Aussagen der Zeugen O.-P., P., R., M. und E. sprechen dafür, dass Herr K. tatsächlich selbst die absolut unzulässige Überschreitung der Betriebsgrenzen gezielt herbeigeführt hat. So haben die Zeugen O.-P. und P. bekundet, Herr K. habe das auch bei ihnen versucht; es sei nur deshalb nicht zu einem entsprechenden Flugmanöver gekommen, weil sie sofort dagegen gesteuert hätten. Die Zeugen R., M. und E. haben ausgesagt, Herr K. sei dafür bekannt gewesen, riskant bzw. waghalsig zu fliegen; es seien schon früher Überschreitungen der Betriebsgrenzen in jeder Form vorgekommen. Deshalb habe er auch auf dem Flugplatz H. nicht mehr ausbilden dürfen.
Vor allem zeigt aber das wiederholte Ansetzen zum Steilflug, dass Herr K. in dieses Flugverhalten unbedingt eingewilligt haben muss. Denn er hätte es - wie erwähnt - ohne weiteres sofort von sich aus unterbinden können und müssen. Stattdessen wurde aber nach den Bekundungen der Zeugen der Steilflug nach jedem Abkippen des Fluggeräts sogar noch verschärft. Hier kann es sich also weder um ein einmaliges Versehen noch um einen Abstimmungsfehler der Piloten gehandelt haben.
Der Fluglehrer K. hat danach mit dem Ultraleichtflugzeug einen insgesamt verbotenen Kunstflug - mit mehrfachen, je für sich schon unzulässigen Flugfiguren - durchgeführt und dadurch den Absturz des Fluggeräts verursacht. Eine andere Absturzursache hat der Senat nicht feststellen können. Das gilt insbesondere in Bezug auf einen etwaigen Herzinfarkt des Herrn K.. Der Sachverständige T. hat hierzu ausgeführt, Herr K. habe zwar Übergewicht und eine deutliche Gefäßverkalkung insbesondere im Bereich der Herzkranzgefäße gehabt; es wären auch kleinere Infarkte festgestellt worden. Eine krankhafte Störung sei gleichwohl nicht unfallursächlich gewesen. Denn aus medizinischer Sicht sprächen die Unfallschilderungen eher gegen eine Bewusstseinsstörung aufgrund einer Erkrankung. Dann wären Schwindelerscheinungen zu erwarten gewesen und darausfolgend ein seitliches Abkippen des Flugzeugs. Außerdem hätten die bei dem Fluglehrer vorgefundenen Medikamente keinen Einfluss auf das Reaktionsvermögen gehabt (vgl. Bl. 102/103 d. A.).
Der Umstand, dass das Ultraleichtflugzeug ein Rettungsgerät aufwies, kann letztlich auch nicht zugunsten des Beklagten berücksichtigt werden. Dies mindert nicht den Fahrlässigkeitsvorwurf. Zum einen ist das Rettungsgerät nicht ausgelöst worden. Zum anderen hätte es ohnehin nur von vorne, d. h. von dem auf das bezogene Fluggerät ganz unerfahrenen Herrn D. betätigt werden müssen. Ob er dazu in der Lage war, insbesondere angesichts der dramatischen Umstände, ist fraglich. Das gilt umso mehr, als nach den Aussagen der Zeugen P. und O.-P. Herr K. das Rettungsgerät vor Beginn des Flugs jedenfalls ihnen überhaupt nicht erklärt und nicht einmal darauf hingewiesen hat. Dies mag eventuell daran gelegen haben, dass er, wie der Zeuge G. bekundet hat, gegenüber mehreren Personen geäußert haben soll, er könne das Rettungsgerät vom hinteren Sitz aus bedienen. Das war aber nicht möglich, wie ebenfalls der Zeuge G. sowie der Sachverständige E. bestätigt haben.
Nach alledem ist der Senat davon überzeugt, dass der Fluglehrer K. unter völliger Missachtung der vorgeschriebenen Betriebsgrenzen für Ultraleichtflugzeuge ein letztlich nicht mehr beherrschbares (Kunst-)Flugmanöver im Rahmen eines Ausbildungs- und Schauflugs veranlasste oder billigend hinnahm, wodurch das Flugzeug nach hinten überschlug und in ein sog. Rückenflachtrudeln geriet, was bis zum Aufprall am Boden nicht mehr korrigiert werden konnte (vgl. dazu auch die Ausführungen des Sachverständigen E., Bl. 107 d. A.). Das führte ohne weiteres zum Tod beider Flugzeuginsassen.
2. Gemäß §§ 823 Abs. 1, 844 Abs. 1 u. 2 i. V. m. §§ 1601, 1960 und 1967 BGB ist damit der Beklagte gegenüber den Klägern verpflichtet, den geltend gemachten und vom Landgericht im angefochtenen Urteil zuerkannten Schadensersatz, der sich auch auf die Beerdigungskosten sowie eine monatliche Geldrente erstreckt, zu tragen. Ebenfalls ist der Feststellungsantrag bzgl. der weitergehenden Unterhaltsschäden begründet, wie vom Landgericht ausgeurteilt.
Diese Ansprüche sind gemäß § 852 BGB a. F. nicht verjährt, worauf bereits der Bundesgerichtshof in seinem Revisionsurteil vom 15. März 2005 (unter II. 2. b)) hingewiesen hat. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird hier auch Bezug genommen auf die Ausführungen im ersten Senatsurteil vom 13. November 2003 (unter II. 3.).
3. Die mit der Berufung vormals noch geltend gemachte Haftungsbegrenzung, die der Senat im vorangegangenen Urteil ausgesprochen hat, war aufrechtzuerhalten, obwohl sie im Schadensersatzanspruch nach §§ 823 Abs. 1, 844 BGB keine Grundlage hat, sondern aus § 46 LuftVG folgt, wie der Senat unter Ziffer II. 4. im Urteil vom 13. November 2003 dargelegt hat, weil der BGH dieses Urteil mangels Anfechtung durch die Kläger lediglich insoweit aufgehoben hat, als es zum Nachteil des Beklagten ergangen ist.
Die Berufung des Beklagten war damit entsprechend unbegründet und zurückzuweisen.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO (das betrifft auch die Kosten für das Revisionsverfahren, vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 63. Aufl., § 97, Rn. 42 [B, 75 f.]).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 108 Abs. 1 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne von § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.