Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 12.05.2005, Az.: 2 A 463/03
Adressierung; Bescheid; Erstattungsanspruch; formelle Rechtswidrigkeit; Interessenwahrung; Interessenwahrungsgrundsatz; Kind; Leistung; Minderjähriger; Rechtswidrigkeit; Sozialhilfebescheid; Umzug
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 12.05.2005
- Aktenzeichen
- 2 A 463/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 50684
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 107 Abs 1 BSHG
- § 11 SGB 10
- § 37 Abs 1 SGB 10
- § 111 Abs 1 BSHG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Sozialhilfebescheide, die Leistungen für minderjährige Kinder regeln, sind an die jeweiligen gesetzlichen Vertreter zu adressieren.
2. Die bloß formelle Rechtswidrigkeit von Leistungsbescheiden schließt einen Erstattungsanspruch nach § 107 Abs. 1 BSHG nicht aus.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von dem Beklagten die Erstattung von Kosten, die sie in der Zeit vom 24. Februar 1999 bis 30. Januar 2001 an Hilfe zum Lebensunterhalt für die 1973 geborene I. C. und deren 1992 geborene Tochter J. (im Folgenden Hilfeempfängerinnen) aufgewandt hat.
Die Hilfeempfängerinnen verzogen am 30. Januar 1999 aus der in Sozialhilfeangelegenheiten namens und im Auftrage des Beklagten handelnden Stadt K. nach A.. Hier leistete die Klägerin den Hilfeempfängerinnen ab dem 24. Februar 1999 Hilfe zum Lebensunterhalt. Bis zum 30. Januar 2001 wandte die Klägerin für die Hilfeempfängerinnen nachweislich und in der Höhe zwischen den Beteiligten unbestritten 8.944,92 Euro auf. In diesem Betrag ist ein Heizkostenzuschuss für die Zeit von Oktober 2000 bis Januar 2001 in Höhe von 300,00 DM (entspricht 153,39 Euro) enthalten. Sämtliche Bewilligungsbescheide waren, auch soweit Leistungen an J. C. erbracht wurden, ausschließlich an Frau I. C. adressiert.
Mit Schreiben vom 1. März 1999 meldete die Klägerin bei der Stadt K. ihren Erstattungsanspruch nach § 107 BSHG an. Unter dem 6. April 1999 erteilte der Beklagte ein Anerkenntnis dem Grunde nach. Mit Schreiben vom 18. September 2003 bezifferte die Klägerin ihre Forderung für den Zeitraum vom 24. Februar 1999 bis 31. Januar 2001 auf 8.944,92 Euro. Mit Schreiben vom 28. Oktober 2003 lehnte der Beklagte eine Erstattung mit der Begründung ab, die Klägerin habe dadurch gegen den Interessenwahrungsgrundsatz verstoßen, dass sie Frau C. nicht ausreichend zur Arbeit angehalten habe.
Am 19. Dezember 2003 hat die Klägerin Klage erhoben.
Sie ist der Ansicht, dass sie auch insoweit Leistungsbescheide an Frau I. C. adressieren durfte, als darin Leistungen an deren Tochter J. geregelt waren; die minderjährige Hilfeempfängerin sei gesetzlich durch ihre Mutter vertreten.
Nachdem die Klägerin zunächst eine Summe von 8.944,92 Euro von dem Beklagten forderte, reduzierte sie diesen Betrag im gerichtlichen Verfahren um 153,39 Euro im Hinblick auf die für Oktober 2000 bis Januar 2001 gewährte Heizkostenpauschale und beantragt nunmehr noch,
den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin die in der Zeit zwischen dem 24. Februar 1999 und dem 30. Januar 2001 für I. und J. C. aufgewendeten Sozialhilfekosten in Höhe von 8.791,53 Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank hieraus gemäß § 107 BSHG zu erstatten.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Nachdem er zunächst sein Vorbringen aus der vorgerichtlichen Korrespondenz wiederholt hatte, erkennt er nunmehr den Klageanspruch dem Grunde nach an, soweit es den Anteil von Frau I. C. betrifft, behält sich indes eine Berechnung der Höhe dieses Anteils vor; soweit es die Leistungen an J. C. betrifft, macht er geltend, diese Leistungen seien rechtswidrig erfolgt, weil die entsprechenden Leistungsbescheide nicht an J., sondern an deren Mutter adressiert gewesen sind; deshalb komme ein Erstattungsanspruch der Klägerin insoweit nicht in Betracht.
Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsvorgänge der Beteiligten Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.
Entscheidungsgründe
Soweit die Klägerin ihre Klage in Höhe von 153,39 Euro zurückgenommen hat, ist das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen.
Die weitergeführte Klage, über die das Gericht gemäß § 101 Abs. 2 VwGO im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig und begründet. Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Erstattungsanspruch in der tenorierten Höhe.
Anspruchsgrundlage für das Klagebegehren ist § 107 Abs. 1 BSHG. Hiernach hat bei Umzug einer Person der Träger der Sozialhilfe des bisherigen Aufenthaltsortes dem nunmehr örtlich zuständigen Sozialhilfeträger die dort erforderlich werdende Hilfe außerhalb von Einrichtungen im Sinne von § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG zu erstatten, wenn die Person innerhalb eines Monats nach dem Aufenthaltswechsel der Hilfe bedarf. Diese Verpflichtung endet gemäß § 107 Abs. 2 Satz 2 BSHG spätestens nach Ablauf von zwei Jahren seit dem Aufenthaltswechsel.
Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt, da die Hilfeempfängerinnen am 30. Januar 1999 umgezogen sind und seit 24. Februar 1999 von der Klägerin Hilfe zum Lebensunterhalt erhalten. Die Klägerin macht Aufwendungen, wie sich aus ihrer zahlenmäßigen Aufstellung ergibt, nur bis zum 30. Januar 2001 geltend.
Nach § 111 Abs. 1 BSHG sind die aufgewendeten Kosten allerdings nur insoweit zu erstatten, als die geleistete Hilfe diesem Gesetz entspricht.
§ 111 Abs. 1 BSHG nimmt also rechtswidrig gewährte Sozialhilfeleistungen von der Erstattungspflicht aus. Ein solcher Fall liegt etwa dann vor, wenn unberechtigte Nachzahlungen erfolgt sind, der Einkommens- und Vermögenseinsatz nicht gefordert wurde, auf Überleitungsanzeigen oder Erstattungsansprüche verzichtet wurde oder soweit Leistungen freiwillig, d.h. ohne gesetzliche Grundlage gewährt wurden (vgl. Urteil der Kammer vom 28. April 2004, 2 A 313/03).
Aus § 111 Abs. 1 BSHG ist zudem der sog. Interessenwahrungsgrundsatz abzuleiten. Dieser besagt, dass der die Hilfe gewährende Träger bei der Entscheidung über die Gewährung der Hilfe und bei ihrer Durchführung die Interessen des kostenerstattungspflichtigen Sozialhilfeträgers zu wahren hat (vgl. Oestreicher/ Schelter/ Kunz/ Decker, BSHG, § 111 Rn. 9 m.w.N.). Hieraus resultiert die Pflicht des zunächst leistenden Trägers, alle nach Lage des Einzelfalls zumutbaren und möglichen Maßnahmen und Vorkehrungen zu treffen, die erforderlich sind, um die erstattungsfähigen Kosten möglichst niedrig zu halten (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 16. Januar 2002, Az.: 4 L 4201/00, FEVS 54, S. 171; Oestreicher/ Schelter/ Kunz/ Decker, BSHG, § 111 Rn. 9). Diese “Haftung” des erstattungsberechtigten Sozialhilfeträgers für rechtswidriges Verhalten bringt es mit sich, dass er auch das Risiko der Unaufklärbarkeit eines Geschehensablaufs zu tragen hat - wenn also nicht feststellbar ist, wie sich der Hilfefall entwickelt hätte, wenn der Rechtsverstoß nicht erfolgt wäre (vgl. insoweit Mergler/ Zink, BSHG, § 111 Rn. 10a). Denn zum einen stellt es bereits einen allgemeinen Rechtsgrundsatz dar, dass derjenige, der einen Anspruch erhebt, auch die materielle Beweislast für das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen trägt; zum anderen darf nicht außer Acht gelassen werden, dass der Erstattungspflichtige regelmäßig keinen Einfluss auf das Verhalten des erstattungsberechtigten Sozialhilfeträgers hat (vgl. Urteil der Kammer, a.a.O.).
Gemessen an diesen Vorgaben, scheitert der Anspruch der Klägerin nicht an § 111 Abs. 1 BSHG.
Der Einwand des Beklagten, die Klägerin habe die Hilfeempfängerin I. C. nicht ausreichend dazu angehalten, sich um Arbeit zu bemühen, wird vom Beklagten zu Recht nicht mehr aufrecht erhalten. Insoweit kann auf die gerichtliche Hinweisverfügung vom 2. Dezember 2004 hingewiesen werden.
Der weitere Einwand des Beklagten, die an J. C. erbrachten Leistungen seien rechtswidrig, weil die entsprechenden Bescheide nicht an sie, sondern an ihre Mutter adressiert waren, ist schon im Ausgangspunkt unzutreffend. Zwar ist gemäß § 37 Abs. 1 SGB X ein Verwaltungsakt demjenigen bekannt zu geben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen ist. Dies wäre hier die Hilfeempfängerin J. C., die gemäß §§ 4, 11 und 12 BSHG einen eigenen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt hatte. Zu beachten ist jedoch die Regelung in § 11 SGB X, aus der sich ergibt, dass das minderjährige Kind J. C. nicht zur Vornahme von Verfahrenshandlungen fähig ist. Solchen Personen ist der Verwaltungsakt nicht bekannt zu geben. Soweit keine volle Geschäftsfähigkeit vorliegt, ist der Verwaltungsakt grundsätzlich, wie hier geschehen, an den gesetzlichen Vertreter bekannt zu geben, wobei die Bekanntgabe an einen Elternteil ausreicht (Hauck/Haines, SGB X, § 37 Rdnr. 11, m.w.N.; OVG Schleswig, Urteil vom 7.51993, -3 L 184/92-, NVwZ-RR 1994, 484-486 [OVG Schleswig-Holstein 07.05.1993 - 3 L 184/92]).
Selbst wenn dies anders zu sehen wäre, führt der Einwand des Beklagten nicht weiter, da § 111 BSHG den erstattungspflichtigen Sozialhilfeträger nur vor materiellrechtlich rechtswidrigen Leistungen schützen will (Schoch in: LPK-BSHG, § 111 Rdnr. 10). Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 111 Abs. 1 BSHG, demzufolge Kosten nur dann nicht zu erstatten sind, wenn die Leistung nicht diesem Gesetz, d.h. dem BSHG entsprach. Materiellrechtliche Einwände, die aus dem BSHG abzuleiten wären, hat der Beklagte indes gegen die von der Klägerin an J. C. erbrachten Leistungen nicht vorgebracht. Solche sind auch für die Kammer nicht ersichtlich. Durch eine bloß formelle Rechtswidrigkeit der Leistung bei in der Sache bestehendem Leistungsanspruch besteht eine Schutzwürdigkeit des Erstattungspflichtigen nicht.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Zwar hat die Klägerin hinsichtlich des zurückgenommenen Teils ihrer Klage gemäß § 155 Abs. 2 VwGO grundsätzlich die Kosten zu tragen; dieser Teil ist im Verhältnis zu dem Betrag, in dessen Höhe die Klage Erfolg hat, jedoch geringfügig im Sinne von § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO, so dass der Beklagte die gesamte Kostenlast zu tragen hat.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 709 Satz 1 und 2 ZPO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 2 GKG a.F. i.V.m. § 72 GKG.