Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 17.05.2005, Az.: 2 A 179/04

angemessene Unterkunftskosten; erhöhte Nebenkosten; Erkrankung; Erwerb; Grundsicherung; Grundsicherungsleistung; Krankheit; krankheitsbedingter Waschzwang; Leistung; Minderung; Nebenkosten; seelische Erkrankung; Tabelle; Unterkunft; Unterkunftskosten; Waschzwang; Wohnungsnebenkosten; Zwang

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
17.05.2005
Aktenzeichen
2 A 179/04
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2005, 50800
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Der Umfang der angemessenen tatsächlichen Unterkunftskosten nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 GSiG bestimmt sich nach den individuellen Besonderheiten des Einzelfalles (Hier: Erhöhte Nebenkosten durch krankheitsbedingten Waschzwang).

Tatbestand:

1

Der am ... geborene Kläger erhielt von dem namens und im Auftrag des Beklagten handelnden Flecken F. seit dem 01.04.1997 laufende Hilfe zum Lebensunterhalt. Er leidet unter einer schweren zwangsneurotischen seelischen Behinderung, die sich unter anderem in einem Waschzwang ausdrückt. Dieser führte zu erheblich erhöhten Nebenkosten, die der Flecken F. nach einem diesbezüglich geführten Rechtsstreit in der Vergangenheit unter Geltung des Bundessozialhilfegesetzes den Unterkunftskosten hinzurechnete.

2

Am 20. Dezember 2002 beantragte der Kläger bei dem Flecken F. die Gewährung von Grundsicherungsleistungen ab dem 1. Januar 2003. Anfang Januar 2004 stellte die LVA Hannover fest, dass der Kläger rückwirkend ab dem 1. Januar 2003 dauerhaft voll erwerbsgemindert im Sinne des § 43 Abs. 2 SGB VI ist.

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Daraufhin bewilligte der Flecken F. dem Kläger mit Bescheid vom 19. Januar 2004 rückwirkend ab dem 1. Januar 2003 Grundsicherungsleistungen. Bei den den Bedarf des Klägers erhöhenden Unterkunftsleistungen berücksichtigte er nicht die durch den Waschzwang entstehenden erhöhten Wasserkosten. Mit Bescheid vom selben Datum gewährte der Flecken F. dem Kläger in den Monaten Januar und Februar 2004 Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von 243,38 Euro und setzte den Anspruch für die Monate Januar bis Dezember 2003 jeweils auf 0,- Euro fest. Hierbei zog er die für denselben Zeitraum bewilligten Grundsicherungsleistungen als bedarfsminderndes Einkommen des Klägers ab. Zudem berücksichtigte er als bedarfserhöhend einen individuellen Erhöhungsbetrag von 20,68 Euro, der dem Kläger in der Vergangenheit für die Beschaffung von Kondomen und Gleitmitteln gewährt worden war sowie erhöhte Nebenkosten, die sich aus dem oben beschriebenen Waschzwang ergaben. In den Monaten Januar bis März 2003 waren dies monatlich 127,14 Euro und in den Monaten April 2003 bis Februar 2004 276,14 Euro.

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Gegen beide Bescheide legte der Kläger Widerspruch ein, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19. April 2004, zugestellt am 22. April 2004, zurückwies.

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Am 21. Mai 2004 hat der Kläger Klage erhoben.

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Er ist der Ansicht, der überwiegende Teil der Wohnungsnebenkosten sei als vorbeugende Hilfe in besonderen Lebenslagen vom Beklagten zu übernehmen und dürfe nicht mit Grundsicherungsleistungen verrechnet werden. Dieser Bedarf werde nicht von der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 Grundsicherungsgesetz -GSiG- geregelten Erhöhung des Regelsatzes um 15 von Hundert erfasst und abgegolten.

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Der Kläger beantragt,

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den Beklagten unter entsprechender Aufhebung des Bescheides des Flecken F. vom 19. Januar 2004 und seines Widerspruchsbescheides vom 19. April 2004 zu verpflichten, dem Kläger Grundsicherungsleistungen für die Zeit von Januar 2003 bis zum 19. April 2004 in gesetzlicher Höhe zu bewilligen.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er meint, der beim Kläger entstehende Sonderbedarf wegen des hohen Wasserverbrauchs sei nicht nach dem Grundsicherungsgesetz zu erfassen, weil es sich nicht um Unterkunftskosten handele. Vielmehr könne dieser Zusatzbedarf ebenso wie der - nicht mehr streitgegenständliche - Bedarf für Kondome und Gleitmittel nur als Leistung nach dem Bundessozialhilfegesetz gewährt werden. Deshalb habe er die Beträge bei der Berechnung der Hilfe zum Lebensunterhalt in den Bescheid vom 19. Januar 2004 bedarfserhöhend eingestellt.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsvorgänge des Flecken F. und des Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist begründet. Der Grundsicherungsleistungsbescheid des Beklagten vom 19. Januar 2004 ist insoweit rechtswidrig als in ihm die durch den Waschzwang des Klägers entstehenden erhöhten Nebenkosten nicht als unterkunftsbedarfserhöhend berücksichtigt wurden. Der Kläger hat Anspruch darauf, dass die Leistungen um diesen Betrag, der sich aus der Tenorierung ergibt, erhöht werden (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die gerichtliche Überprüfung ist dabei zeitlich auf die Zeit bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 19. April 2004 begrenzt.

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Nach § 1 Nr. 2 des Gesetzes über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Art. 12 des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung und zur Förderung eines kapitalgedeckten Altersvorsorgevermögens vom 26.06.2001 - BGBl I Seite 1310, 1335 -) in der Fassung des Gesetzes zur Verlängerung von Übergangsregelungen im Bundessozialhilfegesetz vom 27.04.2002 (BGBl I Seite 1462) -GSiG - können zur Sicherung des Lebensunterhalts bei dauerhafter Erwerbsminderung Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage voll erwerbsgemindert im Sinne des § 43 Abs. 2 des 6. Buches Sozialgesetzbuch sind und bei denen unwahrscheinlich ist, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden kann, auf Antrag die Leistungen nach diesem Gesetz erhalten (Antragsberechtigte). Nach § 2 Abs. 1 des Gesetzes haben Anspruch auf Leistungen der beitragsunabhängigen, bedarfsorientierten Grundsicherung Antragsberechtigte, soweit sie ihren Lebensunterhalt nicht aus ihrem Einkommen und Vermögen beschaffen können; Einkommen und Vermögen des nicht getrennt lebenden Ehegatten und des Partners einer eheähnlichen Gemeinschaft, die den Bedarf und die Grenzen des § 3 übersteigen, sind zu berücksichtigen. Nach § 3 Abs. 1 des Gesetzes umfasst die bedarfsorientierte Grundsicherung

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den für den Antragsberechtigten maßgebenden Regelsatz zuzüglich 15 von Hundert des Regelsatzes eines Haushaltsvorstandes nach dem Zweiten Abschnitt des Bundessozialhilfegesetzes,

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die angemessenen tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung,

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die Übernahme von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen entsprechend § 13 des Bundessozialhilfegesetzes,

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einen Mehrbedarf von 20 von Hundert des maßgebenden Regelsatzes nach Nr. 1 bei Besitz eines Ausweises nach § 4 Abs. 5 des Schwerbehindertengesetzes mit dem Merkzeichen G,

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die Dienstleistungen, die zur Erreichung der Zwecksetzung gemäß § 1 erforderlich sind.

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Gemessen hieran ist es rechtlich zu beanstanden, dass der Beklagte bei der Bedarfsbemessung Unterkunftskosten nur in Höhe der angemessenen Grundmiete von 245,00 Euro zuzüglich Heizkosten berücksichtigt und die durch den erhöhten Wasserverbrauch des Klägers verursachten Nebenkosten ausschließlich als sozialhilferechtlich bedeutsamen Bedarf angesehen hat.

21

§ 3 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes spricht - ohne Ausnahme - von den angemessenen tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung. Das Gericht zieht in ständiger Rechtsprechung (vgl. sein Urteil vom 10.11.2004 - 2 A 108/04 - ) die Angemessenheitsgrenze ähnlich wie im Sozialhilferecht, nämlich unter Heranziehung von § 3 Abs. 1 der Regelsatzverordnung. Danach handelt es sich nicht um eine abstrakte Angemessenheitsgrenze, sondern eine, die sich nach den Besonderheiten des Einzelfalles bestimmt. So kommt eine Abweichung von der an der Tabelle zu § 8 WoGG orientierten Angemessenheitsgrenze mit Rücksicht auf die individuelle Bedarfslage des Hilfeempfängers in Betracht (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.10. 2002 -5 C 11.01-, FEVS 55, 121, 122; OVG Lüneburg, Urteil vom 22.01.2004 -12 LB 454/02-; Urteil der erkennenden Kammer vom 1.3.2005 -2 A 173/04-; für das Recht der Grundsicherung Schoch, info also 2002, 157, 162). Dies entspricht auch dem RdErl. des MFAS vom 23.12.2002 -101-200002/12-, Nds.MinBl. 2003, 159. Dort heißt es zu § 3 Nr. 2 GSiG, die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung seien in tatsächlicher Höhe als Bedarf zu berücksichtigen, soweit sie nach den örtlichen Verhältnissen unter Berücksichtigung der alter- und behinderungsbedingten Wohnbedürfnisse des Personenkreises angemessen sind. Auch hier wird den individuellen Wohnbedürfnissen also Rechnung getragen.

22

Diese individuellen Wohnbedürfnisse werden beim Kläger maßgeblich durch den auf seiner seelischen Erkrankung beruhenden Waschzwang bestimmt. Infolge dieser Erkrankung verbraucht der Kläger wesentlich mehr Wasser als ein durchschnittlicher Einpersonenhaushalt. Bei den Wasserkosten handelt es sich um Kosten der Unterkunft, wie dies der Flecken F. in seinem Sozialhilfebescheid vom 19. Januar 2004 auch berücksichtigt hat. Allerdings besteht kein Anlass dafür, diese Kosten im Rahmen des § 3 Abs. 1 Nr. 2 GSiG anders zu behandeln.

23

Soweit der Beklagte - und im Ansatz wohl auch der Kläger - meint, die Übernahme dieser Aufwendungen sei nur als Hilfe in besonderen Lebenslagen nach § 27 BSHG berücksichtigungsfähig, geht diese Rechtsansicht fehl. Denn die Übernahme der erhöhten Wasserkosten dient weder dazu, eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern, ist also keine Krankenhilfe im Sinne von § 37 BSHG noch dient sie der Eingliederung des Klägers in die Gesellschaft, ist also keine Eingliederungshilfe im Sinne von § 39 BSHG. Die übrigen Hilfearten des § 27 Abs. 1 BSHG kommen ersichtlich ebenfalls nicht in Betracht. Vielmehr stellt sich die Übernahme der Wassernebenkosten als finanzieller Ausgleich der krankheitsbedingt erhöhten Unterkunftskosten des Klägers dar und hat infolge dessen im Rahmen von § 3 Abs. 1 Nr. 2 GSiG zu erfolgen.

24

Hinsichtlich der Höhe der Kosten orientiert sich das Gericht an den Beträgen, die der Beklagte bei der Berechnung der Hilfe zum Lebensunterhalt als Bedarf des Klägers eingestellt hat. An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, das sich die dem Kläger im Januar und Februar 2004 gewährten Beträge der Hilfe zum Lebensunterhalt in der Folge dieses Urteils verringern werden, weil die Leistungen der Grundsicherung bei der Berechnung der Hilfe zum Lebensunterhalt als sein Einkommen anzurechnen sind (§§ 76, 77 BSHG).

25

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.

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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf §§ 167 VwGO i.V.m. 708 Nr. 11, 711 ZPO.