Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 20.02.2014, Az.: 1 K 181/12
Erledigung der vorzeitigen Anforderung einer Steuererklärung durch Abgabe derselben
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 20.02.2014
- Aktenzeichen
- 1 K 181/12
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2014, 26539
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2014:0220.1K181.12.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - 17.01.2017 - AZ: VIII R 52/14
Rechtsgrundlagen
- § 124 Abs. 2 AO
- § 152 Abs. 1 AO
- § 152 Abs. 2 AO
Fundstellen
- DStR 2016, 12
- DStRE 2016, 429-430
Amtlicher Leitsatz
Können bei einer unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr zulässigen Fortsetzungsfeststellungsklage Ermessenserwägungen, die von der Finanzbehörde erst nach der Erledigung des angefochtenen Bescheids (Erledigung der vorzeitigen Anforderung einer Steuererklärung durch Abgabe dieser Erklärung) nachgeholt worden sind, bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit des erledigten Verwaltungsakts berücksichtigt werden?
Tatbestand
Streitig ist, ob die Anforderung der Einkommensteuererklärung der Kläger für das Jahr 2010 zum 31.08.2011 (nachfolgend: vorzeitige Anforderung) und der Verspätungszuschlag zur Einkommensteuer 2010 rechtmäßig sind.
Die Kläger werden seit Jahren beim Beklagten zur Einkommensteuer veranlagt. Mindestens seit 2007 wurden die Steuererklärungen der Kläger von dem Steuerberater X aus Y erstellt.
Mit Schreiben vom 18.02.2011 forderte der Beklagte die Kläger auf, die Einkommensteuererklärung 2010 bis zum 31.08.2011 einzureichen. Zur Begründung führte der Beklagte an, er sei im Interesse einer ordnungsgemäßen Durchführung des Besteuerungsverfahrens gehalten, auf einen frühen Eingang der Steuererklärungen hinzuwirken. Dieses Schreiben enthielt keine Rechtsbehelfsbelehrung.
Die von Steuerberater X angefertigte Einkommensteuererklärung 2010 reichten die Kläger am 07.12.2011 beim Beklagten ein.
Am 23.12.2011 erging der Einkommensteuerbescheid 2010. Darin wurde ein Verspätungszuschlag in Höhe von 880,00 Euro festgesetzt.
Steuerberater X erhob mit Schreiben vom 09.01.2012 im Namen der Kläger Einspruch gegen den Verspätungszuschlag.
Mit Schreiben vom 19.01.2012 wies der Beklagte darauf hin, dass gegen die vorzeitige Anforderung der Einkommensteuererklärung kein Einspruch erhoben worden sei. Anlass und Grund für vorzeitige Anforderung der Steuererklärung sei gewesen, dass die Kläger ihre Steuererklärungen mindestens seit 2007 verspätet abgegeben hätten.
Daraufhin legte Steuerberater X mit Schreiben vom 27.01.2012 Einspruch gegen die vorzeitige Anforderung der Einkommensteuererklärung 2010 ein.
Mit Einspruchsentscheidung vom 01.06.2012 verwarf der Beklagte den Einspruch gegen vorzeitige Anforderung der Steuererklärung als unzulässig. Der angefochtene Bescheid habe sich vor Erhebung des Einspruchs erledigt, weil zum Zeitpunkt seiner Einlegung die Einkommensteuererklärung bereits abgegeben gewesen sei. Das für den Einspruch erforderliche Rechtschutzbedürfnis sei mit der Abgabe der Steuererklärung entfallen.
Den Einspruch gegen die Festsetzung des Verspätungszuschlages wies der Beklagte in derselben Einspruchsentscheidung als unbegründet zurück. Die Kläger hätten ihre Einkommensteuererklärungen seit mindestens 2007 schuldhaft verspätet abgegeben. Unter Berücksichtigung aller im Rahmen der Ermessensentscheidung zu berücksichtigenden Gesichtspunkte sei der festgesetzte Verspätungszuschlag dem Grunde und der Höhe nach ermessensgerecht. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf die Einspruchsentscheidung des Beklagten vom 01.06.2012 verwiesen.
Mit der Klage begehren die Kläger die Feststellung der Rechtswidrigkeit der vorzeitigen Anforderung der Einkommensteuererklärung 2010 und die Aufhebung des Verspätungszuschlags. Der Bescheid über die Festsetzung des Verspätungszuschlages habe nicht mehr ergehen dürfen, weil der zugrundeliegende Bescheid über die vorzeitige Anforderung der Einkommensteuererklärung 2010 im Zeitpunkt seines Erlasses nicht mehr existent gewesen sei und auch nicht durch nachgeholte Ermessenserwägungen habe geheilt werden können. Es habe deshalb die für Angehörige des steuerberatenden Berufs bestimmte Abgabefrist zum 31.12.2011 gegolten. Die Einkommensteuererklärung sei fristgerecht abgegeben worden. Der Bescheid über die Festsetzung des Verspätungszuschlages sei allein schon aus diesem Grund aufzuheben.
Die Kläger beantragen,
1. festzustellen, dass der Bescheid über die Aufforderung zur termingebundenen Abgabe der Einkommensteuererklärung 2010 vom 18.02.2011 rechtwidrig ist,
2. den Bescheid über die Festsetzung eines Verspätungszuschlages zur Einkommensteuer 2010 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Akten des Beklagten und die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze verwiesen.
Entscheidungsgründe
I. Die Klage ist zulässig.
Die Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 28.02.2011 über die vorzeitige Anforderung der Steuererklärung, dessen Regelungsgehalt durch die Abgabe der Einkommensteuererklärung 2010 am 07.12.2011 erschöpft und deshalb erledigt war, ist gemäß § 100 Abs. 1 Satz 4 Finanzgerichtsordnung (FGO) als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig. Bis zum Eintritt des erledigenden Ereignisses waren alle Zulässigkeitsvoraussetzungen für einen Einspruch gegen diesen Bescheid erfüllt. Weil der Bescheid vom 28.02.2011 keine Rechtsbehelfsbelehrung enthielt und sich deshalb die Einspruchsfrist gemäß § 356 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) auf ein Jahr seit Bekanntgabe des Bescheides verlängert hatte, war er bis zu seiner Erledigung noch nicht bestandskräftig geworden und damit mit dem Einspruch anfechtbar. Das für die Fortsetzungsfeststellungsklage erforderliche berechtigte Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des streitbefangenen Verwaltungsaktes ist unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr zu bejahen (vgl. zur Zulässigkeit einer Fortsetzungsfeststellungsklage in vergleichbaren Fallgestaltungen Bundesfinanzhof [BFH], Urteil vom 28.06.2000 - X R 24/95 - BStBl II 2000, 514).
Gegen die Zulässigkeit der Anfechtungsklage gegen die Festsetzung des Verspätungszuschlages zur Einkommensteuer 2010 bestehen keine Bedenken.
II. Sowohl die Fortsetzungsfeststellungsklage als auch die Anfechtungsklage sind unbegründet.
1. Der - im Sinne von § 124 Abs. 2 AO - erledigte Bescheid vom 28.02.2011, mit dem der Beklagte die Einkommensteuererklärung der Kläger vorzeitig anforderte, war rechtmäßig.
Bei der vorzeitigen Anforderung von Steuererklärungen handelt es sich um eine Ermessensentscheidung. Ihr Regelungsinhalt ist die Verkürzung der allgemein bis zum 31.12. des Folgejahres gewährten Fristverlängerung für Steuerpflichtige, deren Steuererklärungen durch Angehörige der steuerberatenden Berufe angefertigt werden (vgl. Klein/Rätke, Kommentar zur AO, 11. Aufl. 2012, § 109 Rz 2). Ihre Rechtmäßigkeit ist vom Finanzgericht nach Maßgabe des § 102 FGO zu überprüfen. Bei Ermessensentscheidungen ist die richterliche Überprüfungskompetenz darauf beschränkt, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten wurden und das Ermessen fehlerfrei ausgeübt wurde.
Bezüglich der vorzeitigen Anforderung von Steuererklärungen gibt die Finanzverwaltung seit vielen Jahren ermessensleitende Richtlinien heraus (sog. Fristenerlass; vgl. für das Streitjahr die gleichlautenden Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder vom 03.01.2011 - BStBl I 2011, 44 - und vom 04.11.2011 - BStBl I 2011, 1088). Abschnitt II Abs. 1 dieser Richtlinien bestimmt sinngemäß, dass die Frist für die Abgabe von Steuererklärungen für den Veranlagungszeitraum 2010, die von Angehörigen der steuerberatenden Berufe erstellt werden, vorbehaltlich der Regelung in Absatz 2 nach § 109 AO allgemein bis zum 31.12.2011 verlängert wird.
Nach Abschnitt II Abs. 2 dieser Richtlinien soll von der Möglichkeit der bevorzugten Anforderung u.a. Gebrauch gemacht werden, wenn für den vorangegangenen Veranlagungszeitraum die Erklärung nicht oder verspätet abgegeben wurde. Diese Ermessensrichtlinie ist offensichtlich sachgerecht und nicht zu beanstanden. Der Beklagte hat sie fehlerfrei befolgt und seine Entscheidung rechtzeitig vor Abschluss des Verwaltungsverfahrens, nämlich mit Schreiben vom 19.01.2012 und auch noch mit der Einspruchsentscheidung vom 01.06.2012 hinreichend unter Hinweis auf die verspätete Abgabe der Steuererklärungen in den vorangegangenen vier Veranlagungszeiträumen begründet.
Dass der Beklagte seinen Bescheid vom 28.02.2011 zunächst nur unzureichend begründet hat, ist unschädlich, weil er die den Bescheid tragenden Ermessenserwägungen rechtzeitig nachgeholt hat. Der Hinweis des Klägers, dass sich zu diesem Zeitpunkt die vorzeitige Anforderung durch zwischenzeitliche Abgabe der Steuererklärung erledigt hatte, ist zutreffend, rechtfertigt aber nicht seine Schlussfolgerung, dass der Beklagte die den Verwaltungsakt tragende Ermessenserwägung nicht mehr hätte geltend machen können. Zwar verliert der erledigte Verwaltungsakt seine Wirksamkeit im Zeitpunkt seiner Erledigung, aber für die Vergangenheit bleibt er Rechtsgrund für die in ihm getroffene Regelung (vgl. § 124 Abs. 2 AO: " Ein Verwaltungsakt bleibt wirksam, solange und soweit er nicht ... erledigt ist."; Klein/Brockmeyer/Ratschow, a.a.O., § 124 Rz. 5 am Ende) und kann deshalb entgegen der Auffassung der Kläger nicht etwa so angesehen werden, als sei er nie ergangen.
Bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines erledigten Ermessens-Verwaltungsakts im Rahmen einer Fortsetzungsfeststellungsklage, sind - unter dem Gesichtspunkt der die Zulässigkeit der Klage allein rechtfertigenden Wiederholungsgefahr - nach allgemein anerkannten Rechtsprechungsgrundsätzen (vgl. Gräber/von Groll, Kommentar zur FGO, 7. Aufl. 2010, § 102 Rz. 13 mit umfangreichen Rechtsprechungsnachweisen) alle Ermessenserwägungen zu berücksichtigen, die der Beklagte bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens geltend gemacht hat. Deshalb ist es für die Rechtfertigung der vorzeitigen Anforderung ausreichend, dass der Beklagte die maßgeblichen Ermessenserwägungen in seinem Schreiben vom 19.01.2012 und in der Einspruchsentscheidung vom 01.06.2012 mitgeteilt hat.
2. Soweit sich die Klage gegen die Festsetzung des Verspätungszuschlages richtet, ist sie ebenfalls unbegründet. Der Verspätungszuschlag beträgt 2% der zunächst festgesetzten Einkommensteuer. Der Beklagte hat das ihm nach § 152 Abs. 1 AO eingeräumte Ermessen dem Grunde und der Höhe nach zutreffend ausgeübt.
Der Beklagte hat die sich aus § 152 Abs. 2 AO ergebenden Grenzen seines Ermessens zutreffend erkannt und bei seiner Entscheidung den Zweck des Zuschlags, die Dauer der Fristüberschreitung, die Höhe des sich aus der Steuerfestsetzung ergebenden Zahlungsanspruchs, die aus der verspäteten Abgabe der Steuererklärung gezogenen Vorteile sowie das Verschulden und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Steuerpflichtigen berücksichtigt und die Höchstgrenze von 10% der festgesetzten Steuer beachtet.
Ermessensfehler lässt die Einspruchsentscheidung des Beklagten vom 01.06.2012 nicht erkennen und sind von den Klägern auch nicht geltend gemacht worden.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.