Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 12.02.2014, Az.: 4 K 261/13
Tilgung der Steuerschuld des anderen Ehegatten durch Zahlungen eines Ehegatten auf die gemeinsame Steuerschuld
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 12.02.2014
- Aktenzeichen
- 4 K 261/13
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2014, 12027
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2014:0212.4K261.13.0A
Rechtsgrundlagen
- § 36 Abs. 2 Nr. 1 EStG
- § 37 Abs 2 AO
- § 44 AO
- § 218 AO
Fundstelle
- EFG 2014, 883-884
Amtlicher Leitsatz
Liegen keine gegenteiligen Anhaltspunkte oder anderslautenden Absichtsbekundungen vor, kann das FA, davon ausgehen, dass Zahlungen eines Ehegatten auf die gemeinsame Steuerschuld auch die die Steuerschuld des anderen Ehegatten tilgen sollen.
Tatbestand
Streitig ist, auf die Einkommensteuerschuld welches Ehegatten Einkommensteuervorauszahlungen anzurechnen sind.
Die Klägerin war mit Herrn G verheiratet. Im Oktober 2009 reichten die Eheleute bei dem Beklagten (dem Finanzamt - FA -) die Einkommensteuererklärung für das Jahr 2008 ein. Die Eheleute beantragten die Zusammenveranlagung. Anhaltspunkte für ein dauerndes Getrenntleben der Ehegatten ergaben sich aus der Erklärung nicht. Durch Bescheid vom 30. Dezember 2009 setzte das FA die Einkommensteuer 2008 fest. Durch Bescheid vom selben Tag setzte es ab 10. März 2010 vierteljährliche Vorauszahlungen auf die Einkommensteuer in Höhe von 800 EUR fest. Entsprechend der in der Einkommensteuererklärung 2008 enthaltenen Empfangsvollmacht wurde der Bescheid dem Steuerberater U als Empfangsbevollmächtigten für Herrn und Frau G bekannt gegeben. Die festgesetzten Vorauszahlungen wurden aufgrund der dem FA erteilten Einzugsermächtigung dem Konto der Klägerin belastet.
Am 22. Dezember 2010 ging bei dem FA die Einkommensteuererklärung 2009 der Klägerin ein, in der diese die getrennte Veranlagung beantragte und zugleich darum bat, die für das Jahr 2009 geleisteten Vorauszahlungen in voller Höhe bei ihr anzurechnen, weil sie aus ihrem Vermögen geleistet worden seien. Durch Nachforschungen bei der Gemeindebehörde erhielt das FA am 27. Dezember 2010 davon Kenntnis, dass die Ehe der Klägerin im November 2009 geschieden worden war und die Eheleute bereits seit 2008 dauernd getrennt gelebt hatten. Im Zeitpunkt der Kenntniserlangung waren die Vorauszahlungen für 2010 in voller Höhe entrichtet.
Am 27. April 2012 reichte die Klägerin die Einkommensteuererklärung 2010 bei dem FA ein. Durch Bescheid vom 31. Juli 2012 setzte das FA die Einkommensteuer gegenüber der Klägerin fest und rechnete die für das Jahr 2010 geleisteten Vorauszahlungen zur Hälfte, d.h. in Höhe von 1.600 EUR, auf die Steuerschuld an.
Am 4. Juli 2013 ging bei dem FA ein Schreiben der Steuerberaterin R ein, mit dem diese für die Klägerin Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 2010 einlegte und darum bat, die geleisteten Vorauszahlungen in voller Höhe auf deren Einkommensteuerschuld anzurechnen, weil sie allein aus ihrem Vermögen geleistet worden seien.
Das FA bezog den Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid auf die dazu ergangene Anrechnungsverfügung und erteilte am 12. Juli 2013 einen Abrechnungsbescheid, mit dem es feststellte, dass die für das Jahr 2010 geleisteten Vorauszahlungen nur zur Hälfte auf die Einkommensteuerschuld der Klägerin anzurechnen seien. Den hiergegen eingelegten Einspruch der Klägerin vom 15. August 2013 wies das FA durch Einspruchsbescheid vom 30. September 2013 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte es aus: Werde eine Zahlung ohne rechtlichen Grund geleistet oder falle dieser später fort, habe nach § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung derjenige einen Anspruch auf Erstattung, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden sei. Dabei komme es nicht darauf an, mit wessen Mitteln die Zahlung bewirkt worden sei, sondern allein darauf, wessen Steuerschuld nach dem Willen des Zahlenden, wie er im Zeitpunkt der Zahlung gegenüber dem FA erkennbar hervorgetreten sei, habe getilgt werden sollen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs sei im Allgemeinen anzunehmen, dass Zahlungen eines Ehegatten nicht nur die eigene, sondern auch die Einkommensteuerschuld des mit ihm zusammen veranlagten Ehegatten tilgen sollten, wenn dieser Annahme keine gegenteiligen Absichtsbekundungen des Zahlenden entgegenstünden. Dabei seien nur die Umstände zu berücksichtigen, die dem FA im Zahlungszeitpunkt bekannt seien. Da ihm - dem FA - bis zum Eingang der letzten Einkommensteuervorauszahlung für das Jahr 2010 keine Anhaltspunkte für eine Scheidung oder ein dauerndes Getrenntleben der Klägerin vorgelegen hätten, seien die Vorauszahlungen auf Rechnung beider Ehegatten geleistet worden und daher hälftig aufzuteilen.
Hiergegen richtet sich die Klage. Die Klägerin begehrt weiter die volle Anrechnung der Vorauszahlungen auf ihre Einkommensteuerschuld und führt zur Begründung aus:
Bei der Beurteilung der Frage, auf wessen Steuerschuld Vorauszahlungen anzurechnen seien, komme es nicht auf den Zeitpunkt der Zahlung an, weil das Steuerschuldverhältnis zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht bestehe. Die Anrechnung der Vorauszahlungen habe vielmehr auf der Grundlage der Steuererklärungen zu erfolgen. Im Streitfall sei für sie - die Klägerin - für 2010 eine Einzelveranlagung durchgeführt worden. Ihr geschiedener Ehemann habe mangels steuerpflichtigen Einkommens keine Einkommensteuererklärung abgegeben. Damit sei dem FA im Zeitpunkt der Veranlagung bekannt gewesen, dass die allein aufgrund ihres Einkommens festgesetzten Vorauszahlungen in voller Höhe auf ihre Steuerschuld anzurechnen seien.
Die Klägerin beantragt,
unter Änderung des Abrechnungsbescheids vom 12. Juli 2013 und des dazu ergangenen Einspruchsbescheids vom 30. September 2013 festzustellen, dass auf die Einkommensteuerschuld 2010 Vorauszahlungen in Höhe von 3.200 EUR anzurechnen sind.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält an der seinem Einspruchsbescheid zugrunde liegenden Beurteilung fest.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet. Der angefochtene Abrechnungsbescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
1. Über Streitigkeiten, die die Verwirklichung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis betreffen, entscheidet die Finanzbehörde gemäß § 218 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) durch Verwaltungsakt. Des gilt auch, wenn die Streitigkeit einen Erstattungsanspruch (§ 37 Abs. 2 AO) betrifft (§ 218 Abs. 2 Satz 2 AO).
Im Streitfall hat das FA zu Recht festgestellt, dass die aufgrund des Vorauszahlungsbescheids vom 30. Dezember 2009 geleisteten Vorauszahlungen nur zur Hälfte auf die Einkommensteuerschuld der Klägerin anzurechnen sind (§ 36 Abs. 2 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes - EStG -) und nur in diesem Umfang in die Ermittlung des ihr zustehenden Erstattungsanspruchs (§ 36 Abs. 4 Satz 2 EStG) einfließen.
a) Erstattungsberechtigt ist nach § 37 Abs. 2 AO derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist. Es kommt daher für die Erstattungsberechtigung nicht darauf an, von wem oder mit wessen Mitteln gezahlt worden ist, sondern nur darauf, wessen Steuerschuld nach dem Willen des Zahlenden, wie er im Zeitpunkt der Zahlung dem FA gegenüber erkennbar hervorgetreten ist, getilgt werden sollte (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH -: vgl. nur Urteile vom 25. Juli 1989 VII R 118/87, BFHE 157, 326, BStBl. II 1990, 41; vom 4. April 1995 VII R 82/94, BFHE 177, 224, BStBl. II 1995, 492; vom 23. August 2001 VII R 94/99, BFHE 196, 18, BStBl. II 2002, 330; vom 30. März 2010 VII R 17/09, BFH/NV 2010, 1412).
b) Diese Rechtsgrundsätze gelten auch für den Fall, dass mehrere Personen die überzahlte Steuer als Gesamtschuldner (§ 44 Abs. 1 AO) schuldeten. So verhält es sich im Streitfall. Nach dem Regelungsinhalt des Vorauszahlungsbescheids vom 30. Dezember 2009, der den Rechtsgrund für die Entrichtung der Vorauszahlungen bildete, wurden diese von der Klägerin und ihrem früheren Ehemann als Gesamtschuldnern geschuldet. Dass die Ehe bei Erteilung des Bescheids schon nicht mehr bestand und die Festsetzung gemeinsamer Vorauszahlungen gegenüber den früheren Ehegatten damit materiell-rechtlich unzulässig war, ist für das Bestehen des Gesamtschuldverhältnisses unerheblich, weil der Vorauszahlungsbescheid nicht angefochten wurde und bis zur Entrichtung der letzten Vorauszahlung wirksam geblieben ist.
c) Lässt sich aus den dem FA bei Zahlung erkennbaren Umständen nicht entnehmen, wessen Steuerschuld der zahlende Gesamtschuldner begleichen wollte, so wird im Allgemeinen angenommen, dass er nur seine eigene Steuerschuld tilgen wollte (BFH-Urteile in BFHE 157, 326, BStBl. II 1990, 41; vom 18. Februar 1997 VII R 117/95, BFH/NV 1997, 282, m.w.N.; vom 22. März 2011 VII R 42/10, BFHE 233, 10, BStBl. II 2011, 607). Anders kann es sich jedoch verhalten, wenn ein Ehegatte auf die Gesamtschuld gezahlt hat. Liegen keine gegenteiligen Anhaltspunkte oder anderslautenden Absichtsbekundungen vor, kann das FA als Zahlungsempfänger, solange die Ehe besteht und die Eheleute nicht dauernd getrennt leben, aufgrund der zwischen ihnen bestehenden Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft davon ausgehen, dass derjenige Ehegatte, der auf die gemeinsame Steuerschuld zahlt, mit seiner Zahlung auch die Steuerschuld des anderen mit ihm zusammen veranlagten Ehegatten begleichen will (ständige Rechtsprechung des BFH: vgl. Urteile vom 15. November 2005 VII R 16/05, BFHE 211, 396, BStBl. II 2006, 453, m.w.N.; vom 30. September 2008 VII R 18/08, BFHE 222, 235, BStBl. II 2009, 38; in BFHE 233, 10, BStBl. II 2011, 607). Ob die Eheleute sich später trennen oder einer der Ehegatten nachträglich die getrennte Veranlagung beantragt, ist für die Beurteilung der Tilgungsabsicht unerheblich, weil es nur darauf ankommt, wie sich die Umstände dem FA im Zeitpunkt der Vorauszahlung darstellen (BFH-Urteile vom 26. Juni 2007 VII R 35/06, BFHE 218, 10, BStBl. II 2007, 742; in BFHE 233, 10, BStBl. II 2011, 607).
d) Ausgehend von diesen Rechtsgrundsätzen hat die Klägerin die ihrem Konto belasteten Vorauszahlungen nicht nur auf eigene, sondern zugleich auf Rechnung ihres früheren Ehemanns entrichtet. Zwar weist der Streitfall die Besonderheit auf, dass die objektiven Voraussetzungen, an die die Vermutung einer entsprechenden Tilgungsabsicht anknüpft, bei Entrichtung der Vorauszahlungen nicht mehr vorhanden waren, weil die Ehe der Klägerin bereits geschieden war. Da die Frage, auf wessen Rechnung die Zahlung eines Gesamtschuldners erfolgt, nach dem im Zeitpunkt der Zahlung gegenüber dem FA erkennbar hervorgetretenen Willen des Zahlenden zu beurteilen ist, muss es aber ausreichen, dass das FA nach den ihm zu diesem Zeitpunkt bekannten Umständen davon ausgehen konnte und musste, dass die Ehe und die sich daraus ergebende Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft noch bestand (vgl. für den Fall der Trennung Nr. 2.4.1 des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen vom 31. Januar 2013, BStBl. I 2013, 70, sowie weitergehend - auch für den Fall der Scheidung - Nr. 2.5 der Verfügung der Oberfinanzdirektion Koblenz vom 14. Februar 2013, AO-Kartei RP § 37 AO Karte 2).
Diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt. Bis zum Eingang der Einkommensteuererklärung der Klägerin für das Jahr 2009 am 22. Dezember 2010 hatte das FA keinen Anhaltspunkt für die Annahme, dass die Eheleute getrennt lebten oder sogar geschieden waren. Vielmehr hatten diese noch im Oktober 2009 eine gemeinsame Einkommensteuererklärung für das Jahr 2008 abgegeben, die keinen Hinweis auf die zu diesem Zeitpunkt bereits mehr als ein Jahr zurückliegende Trennung enthielt. Am 22. Dezember 2010, als das FA erstmals von der Trennung der Eheleute Kenntnis erlangte, waren die Vorauszahlungen für 2010 aber bereits vollständig entrichtet. Die nachträgliche Kenntniserlangung des FA konnte die nach den Verhältnissen der Zahlungszeitpunkte zu bestimmende Tilgungswirkung nicht rückwirkend verändern.
Die von der Klägerin geleisteten Zahlungen wurden damit für Rechnung beider Gesamtschuldner entrichtet und sind deshalb nach Köpfen zwischen ihnen aufzuteilen (BFH-Urteil in BFHE 222, 235, BStBl. II 2009, 38).
2. Die Klage ist daher abzuweisen. Die Kosten des Rechtsstreits sind der Klägerin als der unterlegenen Beteiligten aufzuerlegen (§ 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Zulassung der Revision beruht auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO. Die Frage, ob Zahlungen, die Eheleute nach Trennung oder Scheidung auf eine Gesamtschuld leisten, bis zur Kenntniserlangung des FA von diesen Umständen noch auf Rechnung beider Gesamtschuldner erfolgen, hat grundsätzliche Bedeutung.