Finanzgericht Niedersachsen
Beschl. v. 18.02.2014, Az.: 3 K 433/13
Werbungskostenabzug bei den Einkünften aus Kapitalvermögen im Veranlagungszeitraum 2009
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 18.02.2014
- Aktenzeichen
- 3 K 433/13
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2014, 18732
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2014:0218.3K433.13.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - 09.06.2015 - AZ: VIII R 12/14
Rechtsgrundlagen
- § 9a S. 1 Nr. 2 EStG
- § 20 Abs. 9 EStG
- § 52a Abs. 10 S. 10 EStG
Fundstellen
- DStR 2016, 6
- EFG 2014, 1479-1480
- EStB 2014, 454
- KÖSDI 2014, 18954-18955
Amtlicher Leitsatz
Dem BMF Schreiben vom 22. Dezember 2009, BStbl I 2010, 94, wonach ab 2009 ein über den Sparer Pauschbetrag hinausgehender Werbungskostenabzug generell unzulässig ist, ist nicht zu folgen.
Tatbestand
Streitig ist die Frage, ob der Werbungskostenabzug bei den Einkünften aus Kapitalvermögen im Veranlagungszeitraum 2009 auch dann ausgeschlossen ist, wenn sich die Werbungskosten auf Einnahmen eines vorangehenden Veranlagungszeitraums beziehen.
Die Kläger sind verheiratet und werden zur Einkommensteuer zusammen veranlagt.
Im Veranlagungszeitraum 2007 erzielte der Kläger Einnahmen aus Kapitalvermögen in Höhe von 14.541,- €, die Klägerin in Höhe von 524,- €. Werbungskosten machten die Kläger in ihrer Einkommensteuererklärung 2007 in Höhe von 900,- € geltend; dabei handelt es sich um Depotgebühren. Die Einkommensteuererklärung 2007 reichten die Kläger am 6. Januar 2009 beim Beklagten ein.
Im Streitjahr 2009 erzielte der Ehemann Einnahmen aus Kapitalvermögen in Höhe von 15.985,- € und die Ehefrau in Höhe von 870,- €.
Mit ihrer Einkommensteuererklärung 2009 reichten die Kläger eine Rechnung ihres steuerlichen Bevollmächtigten vom 20. März 2009 ein, wonach dieser ihnen für Leistungen im Zusammenhang mit der Erstellung der Steuererklärung 2007 einen Betrag in Höhe von 1.291,15 € in Rechnung stellte. Von diesem Betrag entfällt ein Teilbetrag in Höhe von 809,20 € auf die Ermittlung der Einkünfte aus Kapitalvermögen, der Rest auf die Ermittlung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. In Abzug gebracht wird eine Abschlagszahlung in Höhe von 1.000,- €, die der Kläger bereits am 13. Januar 2009 überwiesen hat.
Für die Erstellung des Mantelbogens und die nichteinkunftsartbezogenen Aufwendungen hat der Bevollmächtigte den Klägern ebenfalls unter dem Datum des 20. März 2009 eine weitere Rechnung über einen Betrag in Höhe von 107,34 € erteilt.
Die Steuerberatungskosten, soweit sie sich auf die Einkünfte aus Kapitalvermögen beziehen, machten die Kläger als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen geltend.
Der Beklagte berücksichtigte diese Aufwendungen in dem unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Einkommensteuerbescheid 2009 vom 26. Mai 2011 nicht, sondern verwies auf das BMF-Schreiben vom 22. Dezember 2009, BStBl. II 2010, 94. Der Beklagte hob den Vorbehalt der Nachprüfung mit Bescheid vom 4. Juli 2011 auf.
Das nachfolgende Einspruchsverfahren blieb ohne Erfolg.
Die Kläger meinen, dass die Anwendungsvorschrift des § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG eine Durchbrechung des Zu- und Abflussprinzips bewirke. Werbungskosten, die im Zusammenhang mit Kapitalerträgen stünden, die bis zum 31. Dezember 2008 zugeflossen sind, seien auch ab dem Veranlagungszeitraum 2009 weiterhin als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen abzugsfähig. Die gegenteilige Verwaltungsauffassung stehe nicht im Einklang mit der Regelung des § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG. Die Kläger verweisen auf die Entscheidung des FG Köln vom 17. April 2013 7 K 244/12.
Die Kläger beantragen,
unter Abänderung des Einkommensteuerbescheides 2009 in der Fassung vom 4. Juli 2011 und der Einspruchsentscheidung vom 1. Oktober 2013 zusätzliche Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen in Höhe von 809,20 € zu berücksichtigen und die Einkommensteuer entsprechend herabzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte sieht sich an das BMF-Schreiben vom 22. Dezember 2009, BStBl. I 2010, 94, gebunden, wonach ab 2009 über den Sparer-Pauschbetrag hinaus ein Werbungskostenabzug bei den Einkünften aus Kapitalvermögen nicht in Betracht kommt. Die Werbungskosten seien mit dem Sparer-Pauschbetrag in Höhe von 1.602,- € abgegolten. Der Beklagte hat zunächst darauf hingewiesen, dass die Kläger ein Ruhen des Einspruchsverfahrens nach § 363 Abs. 2 AO nicht begehrt hätten und dieses auch nicht in Betracht käme, weil die tatsächlich geltend gemachten Werbungskosten den Sparer-Pauschbetrag nicht übersteigen würden und der Fall von daher nicht mit der Entscheidung des FG Köln Urteil vom 17. April 2013 7 K 244/12, EFG 2013, Rev VIII R 34/13 vergleichbar sei. Im weiteren Verlauf machte der Beklagte auf ein Klageverfahren beim FG Köln unter dem Aktenzeichen 8 K 1937/11 aufmerksam und regte an, das Klageverfahren bis zu dessen Entscheidung auszusetzen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Die Kläger können die Aufwendungen für Steuerberatungskosten, die ihnen im Zusammenhang mit den Einkünften aus Kapitalvermögen 2007 entstanden sind, im Veranlagungszeitraum 2009 als Werbungskosten in Abzug bringen.
§ 20 Abs. 4 EStG in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Oktober 2002 (BGBl. I 2002, 4210) lautete: "Bei der Ermittlung der Einkünfte aus Kapitalvermögen ist nach Abzug der Werbungskosten ein Betrag von 750,- € abzuziehen (Sparer-Freibetrag). Ehegatten, die zusammen veranlagt werden, wird ein gemeinsamer Sparer-Freibetrag von 1.500,- € gewährt." Gem. § 9a Satz 1 Nr. 2 EStG derselben Gesetzesfassung wurde für Einnahmen aus Kapitalvermögen ein Pauschbetrag von 51,- €, bei zusammenveranlagten Ehegatten von insgesamt 102,- € gewährt.
Gem. § 20 Abs. 9 EStG in der Fassung des Unternehmenssteuerreformgesetzes 2008 vom 14. August 2007 (BGBl. I S. 1912) ist bei der Ermittlung der Einkünfte aus Kapitalvermögen als Werbungskosten ein Betrag von 801,- € abzuziehen (Sparer-Pauschbetrag); der Abzug der tatsächlichen Werbungskosten ist ausgeschlossen. Ehegatten, die zusammen veranlagt werden, wird ein gemeinsamer Sparer-Pauschbetrag von 1.602,- € gewährt.
Hinsichtlich der erstmaligen Anwendung des neuen § 20 Abs. 9 EStG bestimmt die durch das Jahressteuergesetz 2009 vom 19. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2794) in das Einkommensteuergesetz aufgenommene Übergangsvorschrift des § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG: "§ 20 Abs. 3 bis 9 ist erstmals auf nach dem 31. Dezember 2008 zufließende Kapitalerträge anzuwenden." Die neue Fassung des § 9a EStG - die keinen Pauschbetrag für Einnahmen aus Kapitalvermögen mehr enthält - ist gem. § 52a Abs. 6 EStG erstmals ab dem Veranlagungszeitraum 2009 anzuwenden.
Nach dem klaren Wortlaut des § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG ist die Zuerkennung eines Sparerpauschbetrages und der Ausschluss des Abzugs der tatsächlichen Werbungskosten auf nach dem 31. Dezember 2008 zufließende Kapitalerträge bezogen. Zwar steht den Klägern für den Veranlagungszeitraum 2009 ein Sparer-Pauschbetrag zu, weil ihnen in 2009 Kapitalerträge zugeflossen sind. Ein weitergehender Werbungskostenabzug ist damit aber nicht ausgeschlossen. Denn die Steuerberatungskosten der Kläger betreffen Kapitalerträge, die ihnen davor, nämlich im Veranlagungszeitraum 2007 zugeflossen sind; es handelt sich insoweit um nachträgliche Werbungskosten. Für diese kommt die neue Regelung des § 20 Abs. 9 EStG noch nicht zur Anwendung. Dass die Formulierung des § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG nicht etwa sprachlich verunglückt ist, sondern sehr bewusst gewählt wurde, zeigt der Vergleich mit der anders gefassten Übergangsvorschrift zu § 9a EStG in § 52a Abs. 6 EStG, der die Neufassung uneingeschränkt ab dem 1. Januar 2009 für anwendbar erklärt. Es hätte für den Gesetzgeber nahegelegen, eine analoge Formulierung auch für § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG zu wählen, wenn er tatsächlich den individuellen Werbungskostenabzug bereits ab dem Veranlagungszeitraum hätte generell ausschließen wollen. Der durch § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG bewirkte "gleitende Übergang" von der Altfassung in die Neufassung ist im Übrigen auch inhaltlich sachgerecht, weil dadurch Brüche beim Übergang zum System der Abgeltungssteuer vermieden werden, die entstehen würden, wenn nämlich die Versteuerung von Kapitaleinnahmen sich nach dem alten, der Abzug auf diese Kapitaleinnahmen bezogener nachträglicher Werbungskostenabzug indes nach dem neuen System richten würde. Unabhängig von der Frage, wie der generelle Werbungskostenausschluss in § 20 Abs. 9 EStG verfassungsrechtlich zu würdigen ist - , würde die Gesetzesauslegung durch den Beklagten in jedem Fall einen nicht folgerichtigen Eingriff in das objektive Nettoprinzip darstellen, weil dem Steuerpflichtigen der Werbungskostenabzug verwehrt würde, ohne dass er für die Einnahmen, auf die die Werbungskosten bezogen sind, in den Genuss des niedrigeren Abgeltungsteuersatzes gelangte.
Soweit sich der Beklagte auf das BMF-Schreiben vom 22. Dezember 2009, BStBl. I 2010, 94, beruft, folgt das Gericht dem nicht. Der BMF erklärt in diesem Schreiben einen über den Sparer-Pauschbetrag hinausgehenden Werbungskostenabzug generell für unzulässig. Mit dem dieser Rechtsmeinung entgegenstehenden Gesetzeswortlaut des § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG setzt er sich hingegen nicht ansatzweise auseinander.
Das Gericht sieht keinen Grund für ein Ruhen des Verfahrens. Der Beklagte hat selbst zunächst die Auffassung vertreten, die derzeit beim BFH anhängigen Verfahren zum Werbungskostenabzug im Zusammenhang mit der Umstellung zum System der Abgeltungssteuer seien nicht vergleichbar, weil der Sachverhalt nicht mit dem Streitfall vergleichbar sei. Insofern ist es widersprüchlich, wenn der Beklagte nunmehr - seit ihm bekannt ist, dass das Gericht der Klage voraussichtlich stattgeben wird - die gegenteilige Auffassung vertritt. Das in dem zuletzt genannten Schriftsatz des Beklagten zitierte beim FG Köln anhängige Verfahren 8 K 1937/11 stellt keinen Grund für ein Ruhen dar, weil kein Grund ersichtlich ist, warum dieses Verfahren vor dem hier anhängigen entschieden werden sollte.
Die Berechnung der Steuer wird gem. § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO dem Beklagten übertragen, weil die Ermittlung einen nicht unerheblichen Aufwand erfordert.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Das Gericht lässt gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO die Revision zu, weil die Frage, wie die Übergangsvorschrift des § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG auszulegen ist, noch nicht höchstrichterlich entschieden ist.