Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 27.11.2007, Az.: 3 A 91/06

Beamtenverhältnis auf Probe; Beurteilungsspielraum; Eignung, gesundheitliche; Erkrankung, chronische; Morbus Crohn; Remissionsphase; Risikoeinschätzung; Therapiemöglichkeiten, neue

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
27.11.2007
Aktenzeichen
3 A 91/06
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2007, 62076
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGGOETT:2007:1127.3A91.06.0A

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Die im Rahmen der Entscheidung über die Einstellung in ein Beamtenverhältnis auf Probe zu treffende prognostische Einschätzung der gesundheitlichen Eignung ist rechtlich nicht deshalb zu beanstanden, weil der Dienstherr eine chronische Grunderkrankung (hier: Morbus Crohn) berücksichtigt, die sich im Einzelfall seit mehreren Jahren in einer stabilen Remissionsphase befindet und in der Vergangenheit zu keinen Beeinträchtigungen der Leistungsfähigkeit geführt hat.

  2. 2.

    Im Rahmen seines Beurteilungsspielraums ist der Dienstherr berechtigt, die gesundheitliche Eignung für die Übernahme in ein Beamtenverhältnis auf Probe zu verneinen, wenn der künftige Verlauf einer chronischen Grunderkrankung nicht in dem Sinne sicher prognostizierbar ist, dass trotz gegenwärtiger Remissionsphase künftige Krankheitsschübe, deren gesundheitliche Auswirkungen auf die Dienstfähigkeit nicht absehbar sind, mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden können.

  3. 3.

    Dabei sind neue Therapiemöglichkeiten nur dann zwingend zugunsten des Bewerbers zu berücksichtigen, wenn für die neuen Behandlungsmethoden bereits Ergebnisse von Langzeitstudien vorliegen. Aus dem Entscheidungstext

Tatbestand

1

Die am P. 1976 geborene Klägerin begehrt die Einstellung in ein Beamtenverhältnis auf Probe.

2

Nach 7 Fachsemestern absolvierte sie am Q. 2004 den Diplomstudiengang Wirtschaftspädagogik II, dessen Regelstudienzeit 9 Fachsemester beträgt. Mit Wirkung vom 01. Mai 2004 wurde sie unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf zur Studienreferendarin des Lehramtes an Berufsbildenden Schulen ernannt. Im Verlauf des bis zum 31. Oktober 2005 andauernden Vorbereitungsdienstes war die Klägerin an insgesamt einem Tag dienstunfähig erkrankt. Am 27. September 2005 bestand sie die Zweite Staatsprüfung für das Lehramt an Berufsbildenden Schulen in der beruflichen Fachrichtung Wirtschaft und Verwaltung und im Unterrichtsfach Englisch.

3

Die Beklagte teilte der Klägerin mit Schreiben vom 12. Oktober 2005 mit, dass beabsichtigt sei, sie zum 01. November 2005 unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe als Studienassessorin in den niedersächsischen Schuldienst einzustellen, sofern sie alle Einstellungsvoraussetzungen erfülle. Daraufhin wurde die Klägerin am 27. Oktober 2005 vom Gesundheitsamt für die Stadt und den Landkreis R. amtsärztlich untersucht. In der dortigen Stellungnahme vom 01. November 2005 (Blatt 13 der Gerichtsakte) heißt es, die Klägerin leide an einer derzeit medikamentös gut kompensierten chronisch entzündlichen Darmerkrankung (Morbus Crohn), deren Verlauf bisher relativ günstig gewesen sei. Sie sei als Lehrerin voll arbeitsfähig. Aufgrund der unsicheren Prognose des in Schüben verlaufenden Krankheitsbildes könne die uneingeschränkte gesundheitliche Eignung für die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe sowie später auf Lebenszeit aus amtsärztlicher Sicht jedoch nicht bestätigt werden. Hingegen beständen keine Bedenken gegen eine Einstellung in das Angestelltenverhältnis.

4

Tatsächlich ist bei der Klägerin seit 1994 ein Morbus Crohn bekannt, dessen Verlauf sich bislang wie folgt darstellt: 1994 fand sich ein Totalbefall des Dickdarms sowie ein Befall des terminalen Ileums (Teil des Dünndarms). Zudem bestanden Arthralgien (Gelenkschmerzen) und ein Erythema nodosum (akute Entzündung des Unterhautfettgewebes). Aufgrund der Durchführung einer entzündungshemmenden Therapie mit Mesalazin und Cortison kam es zu einer stabilen klinischen Besserung des Krankheitsbildes. Im Dezember 1998 wurde eine gedeckte Perforation im Ileocoecalbereich (Übergang Dünndarm/Dickdarm) mit einer eitrigen Peritonitis (Bauchfellentzündung) festgestellt. Es erfolgte der chirurgische Verschluss der Perforation und eine Appendektomie (Blinddarmoperation), während eine Resektion von Dünn- oder Dickdarm nicht vorgenommen werden musste. Die nachfolgende entzündungshemmende Therapie mit Mesalazin führte dazu, dass die Klägerin bei der im Jahr 1999 erfolgten Kontrolluntersuchung keine Symptome ihrer Krankheit zeigte. Bei einer weiteren Kontroll-Endeskopie im Jahr 2001 zeigte sich eine mäßig entzündliche Aktivität im terminalen Ileum sowie weitere Entzündungszeichen im Colon ascendens und transversum (Teile des Grimmdarms). Diese Entzündungen nahmen bis 2003 leicht zu. Unter der daraufhin vorübergehend gering erhöhten Therapie mit Mesalazin blieb die Klägerin beschwerdefrei.

5

Am 31. Oktober 2005 teilte die Beklagte der Klägerin telefonisch mit, dass sie nicht die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Einstellung in ein Beamtenverhältnis auf Probe erfülle. Noch an demselben Tag kam es zum Abschluss eines Arbeitsvertrags, durch den die Klägerin mit Wirkung vom 01. November 2005 als vollzeitbeschäftigte Lehrkraft im Angestelltenverhältnis auf unbestimmte Zeit in den niedersächsischen Schuldienst eingestellt wurde. Sie ist seitdem an den Berufsbildenden Schulen I in Osterode tätig.

6

Mit Schreiben vom 25. November 2005 beantragte die Klägerin ihre Einstellung in ein Beamtenverhältnis auf Probe und legte der Beklagten eine am 19. November 2005 erstellte ärztliche Stellungnahme von S.T., Facharzt für Innere Medizin, Rettungsmedizin, vor. In dieser heißt es (Blatt 50 f. des Verwaltungsvorgangs): Der Morbus Crohn weise nach einem initialen protrahierten Schub seit nunmehr sechs oder acht Jahren eine nur geringe entzündliche Aktivität auf. In diesem Zeitraum sei die Klägerin beschwerdefrei gewesen mit regelrechtem Stuhlverhalten und ohne relevante Gewichtsschwankungen. Eine langfristige Prognose der Erkrankung lasse sich anhand der Beurteilung des bisherigen Krankheitsverlaufes abschätzen. Bei nur einem initialen Schub könne mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass die Erkrankung eine derartige Wendung nehme, dass mit einer vorzeitigen Versetzung in den Ruhestand zu rechnen sei.

7

Mit Bescheid vom 11. Januar 2006 lehnte die Beklagte die Einstellung der Klägerin in ein Beamtenverhältnis auf Probe ab, da es dieser an der gesundheitlichen Eignung fehle. Bei der Beurteilung der gesundheitlichen Eignung komme es nicht darauf an, ob eine bestehende Erkrankung bislang einen positiven Verlauf genommen und zu keinen Einschränkungen in der Dienstfähigkeit geführt habe. Vielmehr bestehe die gesundheitliche Eignung nur dann, wenn die Möglichkeit des Eintritts einer dauernden Dienstsunfähigkeit schon vor Erreichen der Altersgrenze nach dem Erkenntnisstand im Zeitpunkt der Berufung in das Beamtenverhältnis mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit auszuschließen sei. Aufgrund des nicht vorhersehbaren Verlaufs von Morbus Crohn sei diese Voraussetzung bei der Klägerin nicht erfüllt.

8

Am 13. Februar 2006 hat die Klägerin Klage erhoben. Aufgrund der individuellen Ausgestaltung ihres bisherigen Krankheitsverlaufs sei die Möglichkeit einer dauernden Dienstunfähigkeit vor Erreichen der Altersgrenze mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen. Nach dem von Prof. Dr. U., Innere Medizin, Chefarzt, am 19. Juli 2006 erstellten Gutachten (Blatt 32 f. der Gerichtsakte) fänden sich keine Hinweise für ein Wiederauftreten der Aktivität des Morbus Crohn. Das Krankheitsbild sei daher seit 2003 als stabil einzuschätzen. Morbus Crohn sei eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung, die in Schüben verlaufe und eine sichere Prognose über den weiteren Verlauf der Erkrankung nicht zulasse. So wenig wie ein bisher leichter Verlauf spätere schwere entzündliche Schübe ausschließen könne, so wenig könne aus einer einzigen schweren Komplikation - wie bei der Klägerin - ein dauerhaft komplizierter Verlauf mit einer hohen Wahrscheinlichkeit einer vorzeitigen Berufsunfähigkeit vorhergesagt werden. Zudem sei eine oft rezidivierende Komplikation, das crohn-assoziierte Fistelleiden, bei der Klägerin nicht aufgetreten. Das amtsärztliche Gutachten vom 30. März 2006 vernachlässige die heutigen Möglichkeiten einer medikamentösen und in wenigen Fällen chirurgischen Therapie. Die von der Beklagten zitierten statistischen Angaben würden auf früheren Daten basieren, die unter den heute zur Verfügung stehenden Behandlungsmöglichkeiten nicht mehr gültig seien. Durch die heute etablierten immunsuppressiven Behandlungsmöglichkeiten könne die überwiegende Zahl der Patienten mit schweren entzündlichen Schüben frühzeitig behandelt werden, ohne dass es zu Komplikationen komme. Die modernen chirurgischen Verfahren bei entzündlich bedingten Stenosen seien heute derart darmschonend, dass entweder Strikturen beseitigt oder kurze stenosierte Abschnitte entfernt würden. Hieraus könne keine vorzeitige Dienstunfähigkeit abgeleitet werden. Die befürchtete Komplikation eines Kurzdarmsydroms bei notwendiger Resektion großer Darmsegmente sei heute die absolute Ausnahme und damit auch in dem Fall der Klägerin nach heutigem Erkenntnisstand mit hoher Wahrscheinlichkeit auszuschließen. Aufgrund des hohen Wissenstandes der Klägerin sei von einer optimalen Ausnutzung aller Therapieoptionen auszugehen, wenn sie überhaupt benötigt würden. Insoweit sei die Situation einer an Morbus Crohn erkrankten Person vergleichbar mit der Situation einer Person, die an einer arteriellen Hypertonie (Bluthochdruck) leide: Unbehandelt bestehe eine große Wahrscheinlichkeit von Sekundärkomplikationen (Herzinfarkt, Schlaganfall, Niereninsuffizienz, peripher arterielle Verschlusskrankheit) mit einer oft dadurch bedingten frühen Dienstunfähigkeit. Dennoch werde hinsichtlich der Hypertonie davon ausgegangen, dass sie heute medikamentös behandelbar sei, so dass aus ihr keine krankheitsbedingte frühere Dienstunfähigkeit resultiere. Da in Zukunft mit noch wirksameren medikamentösen Maßnahmen zur Stabilisierung eines entzündlichen Schubes zu rechnen sei, werde die Wahrscheinlichkeit eines komplizierten ungünstigen Verlaufes der Erkrankung von Jahr zu Jahr geringer. Daher könne bei der Klägerin bereits nach dem derzeitigen Erkenntnisstand mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, bereits vor Erreichen der Altersgrenze dauernd dienstunfähig zu werden. In seinem ärztlichen Zusatzgutachten vom 26. November 2007 ergänzt Prof. Dr. U. seine Angaben dahingehend, ohne eine Erhaltungstherapie sei es weiterhin zu keinem Rezidiv der Erkrankung gekommen. Die Klägerin habe zwischenzeitlich ohne Probleme eine Schwangerschaft regulär beendet und einen gesunden Sohn mit normalen Geburtsgewicht und Größe geboren. Die Darmerkrankung der Klägerin verlaufe sehr günstig, weshalb ein chronisch entzündlicher Verlauf mit der Möglichkeit des Eintritts dauernder Dienstunfähigkeit vor Erreichen der Altersgrenze mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden könne.

9

Die Klägerin beantragt,

  1. die Beklagte zu verpflichten, die Klägerin unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 11. Januar 2006 in ein Beamtenverhältnis auf Probe einzustellen.

10

Die Beklagte beantragt,

  1. die Klage abzuweisen.

11

Sie hält ihren Bescheid für rechtmäßig und tritt den Ausführungen der Klägerin und den von dieser vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen im Einzelnen entgegen. Es komme nicht darauf an, dass die Klägerin derzeit dienstfähig sei und in der Vergangenheit kaum Fehlzeiten gehabt habe. Maßgeblich sei vielmehr der prognostizierte Krankheitsverlauf bis zum Eintritt in den (regulären) Ruhestand. Morbus Crohn sei eine Erkrankung, die sich im Darm tendenziell ausbreite. Bei allen Patienten mit langjährigem Verlauf der Erkrankung gebe es längere Phasen der Symptomfreiheit, die teilweise mehr als 10 Jahre andauerten, bevor es zu einem erneuten Schub komme. Ein Drittel der an Morbus Crohn erkrankten Patienten würden vorzeitig arbeitsunfähig. Demnach komme für die Klägerin eine positive Prognose nicht in Betracht. Nach dem ergänzenden Gutachten des Gesundheitsamts R. vom 30. März 2006 sei mit weiteren Komplikationen im Krankheitsverlauf zu rechnen. In diesem Gutachten (Blatt 26 f. der Gerichtsakte) wird darauf verwiesen, innerhalb von 10 Jahren seit der Diagnose des Morbus Crohn seien zwei Krankheitsschübe dokumentiert worden. In Bezug auf die Lebensarbeitszeit der Klägerin sei mit weiteren Komplikationen mit Auswirkung auf die Dienstfähigkeit zu rechnen. Sichere Aussagen zur Frage der vorzeitigen Dienstunfähigkeit würden sich auch in Zukunft nicht treffen lassen. Allerdings sei eine günstige Beurteilung bis zum 45. Lebensjahr unter der Voraussetzung denkbar, dass in den kommenden 15 Jahren keine erneuten entzündlichen Darmveränderungen aufträten.

12

Die Kammer hat das Gesundheitsamt für die Stadt und den Landkreis R. beauftragt, eine ergänzende Stellungnahme abzugeben darüber, ob im Hinblick auf die im privatärztlichen Gutachten von Prof. Dr. U. vom 19. Juli 2006 genannten neuen Behandlungsmöglichkeiten bei der Klägerin im Falle eines weiteren Krankheitsschubes bzw. weiterer Krankheitsschübe die Dienstfähigkeit mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit bestehen bleiben würde, sofern keine weiteren Risikofaktoren hinzutreten. Unter dem 17. September 2007 hat das Gesundheitsamt R. seine bisherigen Gutachten wie folgt ergänzt (Blatt 41 f. der Gerichtsakte): Die bislang im medizinischen Schrifttum bekannten Studien zur Langzeitprognose bei an Morbus Crohn erkrankten Patienten/Patientinnen bezögen sich auf einen Studienzeitraum von Beginn der 60-er bis Ende der 80-er Jahre des vorherigen Jahrhunderts. Hiernach würden etwa 30 % der Betroffenen vorzeitig dienstunfähig, nach 15 Jahren Krankheitsdauer seien 15 % der Erkrankten berentet. Unter Berücksichtigung aktueller Therapieverfahren sei die Langzeitprognose - auch bezogen auf die Krankheitsentwicklung bei der Klägerin - insgesamt günstiger. Ergebnisse von Langzeitstudien unter Berücksichtigung der aktuellen Therapiemöglichkeiten lägen allerdings (naturgemäß) noch nicht vor. Im Einzelfall sei die prognostische Einschätzung des weiteren Krankheitsverlaufs unsicher, auch nach längerer Remission könne es zu erneuten schwerwiegenden Krankheitsschüben kommen. Für die Gesamtgruppe der Betroffenen könne jedoch davon ausgegangen werden, dass die Langzeitprognose unter Einsatz der neuern Therapieverfahren günstiger sei als in den bisher dargestellten Verlaufsstudien, weshalb der Anteil der zu erwartenden Dienstunfähigkeiten in Bezug auf 15 weitere Jahre unter 15 % liegen dürfe. Da die hinsichtlich der Klägerin zu berücksichtigende Zeitspanne bis zum Ruhestandsalter etwa 30 Jahre betrage, sei das Risiko einer innerhalb dieses Zeitraums eintretenden dauernden Dienstunfähigkeit jedoch wieder höher einzuschätzen. Zuverlässige Aussagen zum Krankheitsverlauf im Einzelfall seien jedoch nicht möglich; der bisherige Krankheitsverlauf der Klägerin lasse jedoch einen günstigeren weiteren Verlauf vermuten.

13

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung gewesen.

Entscheidungsgründe

14

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der angegriffene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO). Diese hat keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten, sie unter Aufhebung des Bescheides vom 11. Januar 2006 in ein Beamtenverhältnis auf Probe einzustellen oder über ihren entsprechenden Antrag unter Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden (vgl. § 113 Abs. 5 VwGO).

15

Rechtsgrundlage für die von der Klägerin begehrte Einstellung in ein Beamtenverhältnis auf Probe ist § 6 Abs. 1 Nr. 3 lit. a Niedersächsisches Beamtengesetz (NBG), wonach ein Beamtenverhältnis auf Probe begründet werden kann, wenn der Beamte/die Beamtin zur späteren Verwendung auf Lebenszeit eine Probezeit zurückzulegen hat. Voraussetzung für die Einstellung ist unter anderem die Eignung im Sinne von Art. 33 Abs. 2 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit § 8 Abs. 1 Satz 1 NBG, wozu auch die gesundheitliche Eignung gehört ( BVerwG, Urteil vom 25. Februar 1993 - 2 C 27.90 - BVerwGE 92, 147 [BVerwG 25.02.1993 - 2 C 27/90] ). Nach der von der erkennenden Kammer geteilten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts fehlt bei nicht schwerbehinderten Bewerbern die gesundheitliche Eignung für eine Verwendung im Beamtenverhältnis auf Lebenszeit bei Vorliegen einer körperlichen oder physischen Veranlagung der Art, dass die Möglichkeit künftiger Erkrankungen oder des Eintritts dauernder Dienstunfähigkeit schon vor Erreichen der Altersgrenze nicht mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann (BVerwG, Urteil vom 25. Februar 1993, a.a.O., BVerwG, Urteil vom 18. Juli 2001 - 2 A 5.00 - DÖD 2002, 219). Diesbezüglich hat der Dienstherr eine prognostische Einschätzung vorzunehmen. Ihm steht insoweit ein Beurteilungsspielraum zu. Seine Wertungen können weder durch die Wertungen eines Sachverständigen noch durch das Gericht ersetzt werden (BVerwG, Urteil vom 25. Februar 1993, a.a.O.). Zur Verneinung der Einstellung genügen bereits begründete Zweifel des Dienstherrn daran, ob der Beamte die Eignung besitzt, die für die Ernennung notwendig ist. Die gerichtliche Kontrolle hat sich darauf zu beschränken, ob der Dienstherr den Begriff der fehlenden gesundheitlichen Eignung und den Rahmen innerhalb dessen er sich frei betätigen kann, verkannt hat, ob er von einem unrichtigen Tatbestand ausgegangen ist, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet oder sachwidrige Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat ( BVerfG, Urteil vom 24. September 2003 - 2 BvR 1436/02 - NJW 2003, 3111; BVerwG, Urteil vom 19. März 1998 - 2 C 5.97 - BVerwGE 106, 263, m.w.N.).

16

Nach den allgemeinen Regeln über die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast trägt der Beamte/die Beamtin die materielle Beweislast für das Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatsachen, hier also für das Vorliegen der gesundheitlichen Eignung entsprechend den dargelegten Grundsätzen. Dieser ihr obliegenden Beweislast ist die Klägerin im vorliegenden Fall nicht nachgekommen.

17

Bei Morbus Crohn handelt es sich um eine chronisch entzündliche, meist in Schüben verlaufende Erkrankung, die alle Abschnitte des Verdauungstraktes erfassen kann. Die Betroffenen leiden an Bauchschmerzen (90 % aller Patienten), Durchfällen (90 %), Gewichtsverlust (60-75 %), Fieber (33-70 %), perianalen Abszessen und Fisteln (15 %) und Darmverschluss (20-35 %). Die Krankheit wird so lange wie möglich mit entzündungshemmenden Medikamenten behandelt; bei Komplikationen muss der betroffene Darmabschnitt operiert werden (vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 258. Auflage, 1998, Stichwort "Enteritis regionalis Crohn").

18

Die Einschätzung der Beklagten, es könne nicht mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass künftige Morbus-Crohn-Schübe zu einem vorzeitigen Eintritt dauernder Dienstunfähigkeit führen könnten, ist nicht zu beanstanden. Insbesondere hat sie dabei keinen falschen Sachverhalt zu Grunde gelegt, sondern sich zu Recht die Risikoprognose des Amtsarztes des Gesundheitsamts für die Stadt und den Landkreis R. zu eigen gemacht; gemäß § 8 Abs. 5 1. Halbsatz NBG ist die gesundheitliche Eignung für die Berufung in ein Beamtenverhältnis auf Lebenszeit oder in ein anderes Beamtenverhältnis mit dem Ziel der späteren Verwendung im Beamtenverhältnis auf Lebenszeit aufgrund eines amtsärztlichen Gutachtens festzustellen.

19

Aufgrund der amtsärztlichen Gesundheitszeugnisse - die insoweit mit den privatärztlichen Stellungnahmen übereinstimmen - durfte die Beklagte für die Beurteilung der gesundheitlichen Eignung der Klägerin insbesondere davon ausgehen, dass das Auftreten weiterer Krankheitsschübe nicht vorhersehbar ist und folglich auch nicht (mit hoher Wahrscheinlichkeit) ausgeschlossen werden kann. In der amtsärztlichen Stellungnahme vom 17. September 2007 wird - wie auch schon in den vorherigen Gutachten des Gesundheitsamtes - nachvollziehbar und überzeugend dargelegt, dass es auch nach einer längeren Remission zu erneuten schwerwiegenden Krankheitsschüben kommen kann. Dieser Einschätzung ist die Klägerin auch nicht substantiiert entgegen getreten: Der die Klägerin behandelnde Facharzt für Innere Medizin, Rettungsmedizin, S.T. führt in seiner ärztlichen Stellungnahme (Blatt 50 f. der Gerichtsakte) zwar aus, aufgrund des bisherigen Krankheitsverlaufs sei die Versetzung der Klägerin in den vorzeitigen Ruhestand mit hoher Wahrscheinlichkeit auszuschließen; zur Wahrscheinlichkeit des Eintritts weiterer Krankheitsschübe äußert er sich hingegen nicht. Das ebenfalls durch die Klägerin eingeholte und vorgelegte Gutachten von Prof. Dr. U. vom 19. Juli 2006 betont die Eigenschaft von Morbus Crohn als eine in Schüben verlaufende, chronisch-entzündliche Darmerkrankung, die eine "sichere Prognose über den weiteren Verlauf der Erkrankung nicht zulässt. So wenig wie ein bisher leichter Verlauf spätere schwere entzündliche Schübe ausschließen kann, so wenig kann aus einer einzigen schweren Komplikation (...) ein dauerhaft komplizierter Verlauf mit einer hohen Wahrscheinlichkeit einer vorzeitigen Berufsunfähigkeit vorhergesagt werden." In seinem ärztlichen Zusatzgutachten vom 26. November 2007 betont Prof. Dr. U. zudem lediglich, die Darmerkrankung verlaufe bei der Klägerin sehr günstig und zeige eine lange stabile Remissionsphase. Diese Ausführungen lassen die Möglichkeit weiterer Krankheitsschübe bei der Klägerin jedoch ohne weiteres zu.

20

Im Rahmen ihres weiten Beurteilungsspielraums durfte die Beklagte zudem zu der Einschätzung gelangen, aufgrund des (unzweifelhaft) bestehenden Rückfallrisikos könne nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit eine vorzeitige Dienstunfähigkeit der Klägerin ausgeschlossen werden. Die Ausführungen des Amtsarztes in seiner Stellungnahme vom 17. September 2007 sind ausreichend, um die von der Beklagten vorgetragenen Zweifel an der gesundheitlichen Eignung der Klägerin zu stützen. Der Amtsarzt hat dargelegt, dass nach den bislang bekannten Studien zur Langzeitprognose bei Patienten/Patientinnen mit Morbus Chron etwa 30 % der Betroffenen vorzeitig dienstunfähig würden, bzw. nach 15 Jahren Krankheitsdauer 15 % der Erkrankten berentet seien. Für die Gesamtgruppe der Betroffenen könne davon ausgegangen werden, dass unter Einsatz neuerer Therapieverfahren der Anteil der zu erwartenden Dienstunfähigkeiten in Bezug auf 15 weitere Jahre unter 15 % liegen dürfte. Da die Klägerin jedoch erst in etwa 30 Jahren in den (regulären) Ruhestand versetzt werden würde, sei das Risiko einer vorzeitigen dauernden Dienstunfähigkeit wieder höher einzuschätzen. Insgesamt ergibt sich aus diesen - vorwiegend aus älteren Untersuchungsreihen abgeleiteten - Daten für Morbus Crohn-Patienten ein Rückfallrisiko, das mit einem höheren Grad der Wahrscheinlichkeit zu einer künftigen Dienstunfähigkeit führt, als dies bei der übrigen Bevölkerung der Fall ist. Zwar hat der die Kläger behandelnde Privatarzt Prof. Dr. U. in seinem Gutachten vom 19. Juli 2006 (Blatt 32 f. der Gerichtsakte) ausgeführt, aufgrund der heute ebtablierten immunsupressiven Behandlungsmöglichkeiten könne die überwiegende Zahl der Patienten mit schweren entzündlichen Schüben frühzeitig behandelt werden, ohne dass es zu Komplikationen komme. Die modernen chirurgischen Verfahren bei entzündlich bedingten Stenosen seien heute derart darmschonend, dass entweder Strikturen beseitigt oder kurze stenosierte Abschnitte entfernt würden. Hieraus könne eine vorzeitige Dienstunfähigkeit nicht abgeleitet werden. Allerdings hat sich die Beklagte insoweit den diesbezüglich erhobenen Einwand des Amtsarztes zu eigen gemacht, Ergebnisse von Langzeitstudien unter Berücksichtigung der aktuellen Therapiemöglichkeiten lägen (naturgemäß) noch nicht vor; hiermit formuliert die Beklagte Zweifel an der gesundheitlichen Eignung der Klägerin, die - wie eingangs dargelegt - zur Ablehnung der Einstellung ausreichend sind. Der Mangel an Erkenntnismaterial, der auch die neueren Therapiemöglichkeiten im Hinblick auf eine Langzeitprognose hinreichend berücksichtigt, geht zu Lasten der die materielle Beweislast tragenden Klägerin.

21

Die Beklagte durfte der Beurteilung der gesundheitlichen Eignung und damit der langfristigen Dienstfähigkeit der Klägerin durch den Amtsarzt einen Vorrang gegenüber der privatärztlichen Stellungnahme von Prof. Dr. U. zukommen lassen. Die medizinische Einschätzung eines Amtsarztes hat gegenüber einer anderslautenden privatärztlichen Bewertung desselben Krankheitsbildes unter den Voraussetzungen Vorrang, dass keine begründeten Zweifel an der Sachkunde des Amtsarztes bestehen, die medizinischen Beurteilungen auf zutreffenden Tatsachengrundlagen beruhen sowie in sich stimmig und nachvollziehbar sind, und der Amtsarzt auf die Erwägungen des Privatarztes, wenn dieser seinen medizinischen Befund näher erläutert hat, eingeht und nachvollziehbar darlegt, warum er ihnen nicht folgt ( OVG Lüneburg, Beschluss vom 05. Juni 2007 - 5 ME 63/07 - zitiert nach juris unter Verweis auf BVerwG, Urteil vom 12. Oktober 2006 - 1 D 2.05 - zitiert nach juris und Beschluss vom 08. März 2001 - 1 DB 8.01 - DVBl. 2001, 1079, zitiert nach juris). Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Insbesondere hat der Amtsarzt zu der Einschätzung des Privatarztes eine Stellungnahme abgegeben und in dieser erläutert, dass für die Gesamtgruppe der an Morbus Crohn erkrankten Personen die Langzeitprognose unter Einsatz der neuen Therapieverfahren günstiger ist als in den bisher dargestellten Verlaufsstudien, dass zuverlässige Aussagen zum Krankheitsverlauf mangels entsprechender Langzeitstudien jedoch nicht möglich seien. Das Fehlen solcher Langzeitstudien wurde von der Klägerin weder substantiiert bestritten, noch hat sie entsprechende Studien vorgelegt. Prof. Dr. U. hat in seinem Privatgutachten vom 19. Juli 2006 zwar ausgeführt, eine notwendig werdende Resektion großer Darmsegmente sei heute die absolute Ausnahme. Allerdings fehlen in seinem Gutachten Aussagen darüber, inwieweit es im allgemeinen ausgeschlossen werden kann, dass weitere schwere entzündliche Schübe aufgrund andersartiger Komplikationen zu einer vorzeitigen Dienstunfähigkeit führen. Prof. Dr. U. hat insoweit lediglich dargelegt, "die überwiegende Zahl der Patienten mit schweren entzündlichen Schüben" könnten frühzeitig behandelt werden, ohne dass es zu Komplikationen komme, dies jedoch nicht durch entsprechendes Zahlenmaterial konkretisiert bzw. gestützt.

22

Es besteht schließlich auch kein Anlass, im Fall der Klägerin eine von der Bewertung des Amtsarztes abweichende Risikoeinschätzung im Wege einer Individualprognose vorzunehmen, d.h. die sich aus den bisher vorliegenden Statistiken ergebenen Durchschnittswerte nicht auf die Klägerin anzuwenden. Die Klägerin hat zwar vorgetragen, dass sie während ihres Studiums und ihres Vorbereitungsdienstes durch ihre Morbus-Crohn-Erkrankung nicht in ihrer Leistungsfähigkeit eingeschränkt gewesen sei. Dies wird durch ihre kurze Studiendauer und den im Verlauf ihres Vorbereitungsdienstes vorhandenen einen Krankheitstag belegt. Allerdings kann aus diesen in der Vergangenheit liegenden Umständen nicht auf eine individuell bestehende günstige Gesundheitsprognose geschlossen werden. Aufgrund der vorliegenden Gutachten und medizinischen Stellungnahmen ist die Kammer vielmehr der Überzeugung, dass aus medizinischer Sicht bislang generell keine Parameter festgelegt werden konnten, aus denen sich eine Individualprognose herleiten ließe. Denn der Amtsarzt hat in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 17. September 2007 betont, im Einzelfall sei die prognostische Einschätzung des weiteren Krankheitsverlaufs unsicher. Auch Prof. Dr. U. gelangt letztlich zu dem Ergebnis der fehlenden Möglichkeit einer individuellen Prognose, indem er ausführt, der bisherige Krankheitsverlauf lasse grundsätzlich keine sichere Prognose über den weiteren Verlauf der Erkrankung zu.

23

Demnach ist die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.