Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 22.11.2007, Az.: 2 A 112/07

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
22.11.2007
Aktenzeichen
2 A 112/07
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2007, 62073
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGGOETT:2007:1122.2A112.07.0A

Amtlicher Leitsatz

§ 11a Abs. 2 Satz 2 NHG verstößt voraussichtlich nicht deshalb gegen Verfassungsrecht, weil er für die Absolventen des Zweiten Bildungsweges eine Ausnahme von der Altersgrenze nicht vorsiehtAus dem Entscheidungstext

Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Der Rechtsstreit wird gemäß § 6 Abs. 1 VwGO dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.

Gründe

1

Gründe Die beantragte Prozesskostenhilfe kann nicht bewilligt werden, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).

2

Zutreffend gehen die Beteiligten übereinstimmend davon aus, dass die hier allein für einen Anspruch auf Gewährung eines Studiendarlehens in Betracht kommende Vorschrift des § 11a NHG der Klägerin einen solchen Anspruch nicht gewährt. Die Klägerin hat ihr Studium der Sozialwissenschaften im Wintersemester 2004/2005 im Alter von 49 Jahren aufgenommen und damit die Altersgrenze des § 11a Abs. 2 Satz 2 von 35 Jahren überschritten. Sie war an einer vorherigen Aufnahme des Studiums nicht durch familiäre Gründe, insbesondere die Erziehung von Kindern bis zu 14 Jahren oder in Folge einschneidender Veränderungen der persönlichen Verhältnisse gehindert, so dass die Ausnahmeregelungen in § 11a Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 und 2 NHG nicht zu ihren Gunsten streiten. Ihre drei Kinder sind 1977, 1985 und 1987 geboren, so dass sie spätestens zum Sommersemester 2002 hätte mit dem Studium beginnen müssen; indes war ihr dies nicht möglich, weil sie erst am 21. Juni 2004 die Allgemeine Hochschulreife erworben hat. Folglich war nicht die Kindererziehung der Grund für die späte Aufnahme des Studiums. Auch die Ehescheidung der Klägerin, von der nicht bekannt ist, wann sie erfolgte, war als möglicherweise einschneidende Veränderung der persönlichen Verhältnisse nicht Ursache für die späte Aufnahme des Studiums.

3

Soweit sich die Klägerin für ihr Klagebegehren auf eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung gegenüber dem in § 11a Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 und 2 NHG genannten Personenkreis beruft und auf die Regelung in § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BAföG verweist, wird dies ihrer Klage voraussichtlich nicht zum Erfolg verhelfen.

4

Richtig ist, dass die im Ausbildungsförderungsrecht bestehende Altersgrenze von 30 Jahren nach § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BAföG u.a. nicht zum Tragen kommt, wenn der Auszubildende die Zugangsvoraussetzungen für die zu fördernde Ausbildung, wie die Klägerin, an einem Abendgymnasium erworben hat und, wie die Klägerin ebenfalls, die Ausbildung unverzüglich nach dem Erreichen der Zugangsvoraussetzungen aufgenommen hat. In Anwendung dieser Vorschrift erhält die Klägerin Ausbildungsförderung. Indes hat der niedersächsische Gesetzgeber auf die Übernahme dieser förderungsrechtlichen Ausnahmebestimmung in die Anspruchsnorm für die Gewährung von Studiendarlehen verzichtet, so dass die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Ausbildungsförderung einerseits und eines Studiendarlehens andererseits nicht deckungsgleich sind. Dies hält die Kammer entgegen der Ansicht der Klägerin für verfassungsrechtlich unbedenklich. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG, wie ihn die Klägerin reklamiert, vermag das Gericht aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zu erkennen.

5

Nach § 11a NHG beträgt die Altersgrenze anders als im Ausbildungsförderungsrecht nicht 30, sondern 35 Jahre. Diese Altersgrenze entspricht derjenigen des § 10 Abs. 3 BAföG bis zum 6. BAföGÄndG vom 16. Juli 1979 (BGBl I S. 1037). In der Fassung des Gesetzes vom 26. August 1971 lautete die Bestimmung: Ausbildungsförderung wird nicht geleistet, wenn der Auszubildende bei Beginn des Ausbildungsabschnitts, für den er Ausbildungsförderung beantragt, das 35. Lebensjahr vollendet hat, es sei denn, dass die Art der Ausbildung oder die Lage des Einzelfalles die Überschreitung der Altersgrenze rechtfertigt. Diese Vorschrift ist vom Bundesverfassungsgericht und vom Bundesverwaltungsgericht für verfassungsgemäß gehalten worden (BVerfG, Beschluss vom 15.09.1980 -1 BvR 715/80-, FamRZ 1981, 404; BVerwG, Urteil vom 16.10.1980 -5 C 64/78-, BVerwGE 61, 87 (90) [BVerwG 16.10.1980 - BVerwG 5 C 64.78]; Urteil vom 09.12.1982 -5 C 64/80-, Buchholz 436.36 § 10 BAföG Nr. 6). Als wesentliches Argument wurde angeführt, das öffentliche Interesse an der Ausschöpfung der Bildungsreserven sei bei Überschreiten der Altersgrenze im Hinblick auf die zu erwartende relativ kurze Berufsdauer nach Abschluss der Ausbildung gering. Entsprechend sei die Altersbegrenzung für die Leistung verfassungsrechtlich unbedenklich, es sei denn, die Möglichkeit, die Ausbildung früher aufzunehmen, bestand für den Auszubildenden nicht. Um die unbestimmten Rechtsbegriffe des § 10 Abs. 3 a.F. mit Leben zu füllen, hat der Gesetzgeber dann mit dem 6. BAföGÄndG die noch heute gültigen Ausnahmetatbestände geschaffen. Zugleich hat er zur Vermeidung von Härten, die durch die Herabsetzung der Altersgrenze von 35 auf 30 Jahre eintreten würden, die Absolventen des Zweiten Bildungsweges, zu denen auch die Klägerin gehört, durch § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BAföG begünstigt (vgl. Beschluss vom 24.05.1988 -5 B 149/87-, Buchholz 436.36 § 10 BAföG Nr. 14; BVerwG, Urteil vom 21.11.1991 -5 C 40/88-, Buchholz 436.36 § 10 BAföG Nr. 19).

6

Schon der Umstand, dass die Altersgrenze in § 11a Abs. 2 NHG bei 35 Jahren liegt, spricht in Anbetracht der Entstehungsgeschichte des § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BAföG dagegen, dass die Herausnahme der Absolventen des zweiten Bildungsweges aus der Anspruchsberechtigung für ein Studiendarlehen bei Überschreiten der Altersgrenze verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegt. Ferner ist zu berücksichtigen, dass nach der zitierten Rechtsprechung für die verfassungsrechtliche Beurteilung der Altersgrenze im öffentlichen Leistungsrecht die Frage eine entscheidende Rolle spielt, ob zu erwarten ist, dass der Auszubildende nach Abschluss der Ausbildung realistischer Weise noch ausbildungsangemessen berufstätig sein wird. Hiervon kann weder generell bei Beginn einer Ausbildung im Alter von mehr als 35 Jahren noch konkret im Fall der Klägerin, die im Alter von 49 Jahren ihr Studium aufgenommen hat und beim Start in das Berufsleben über 50 Jahre alt sein wird, ausgegangen werden. Das mag verfassungsrechtlich ausnahmsweise anders zu beurteilen sein, wenn dem Auszubildenden im Einzelfall eine vorherige Aufnahme der Ausbildung aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen oder Gründen des Allgemeinwohls nicht möglich war. Diese Frage betrifft indes nicht die Verfassungswidrigkeit des § 11a Abs. 2 als Rechtsnorm, sondern diejenige der Rechtsanwendung. Die Klägerin wird sich jedoch nach derzeitiger Erkenntnislage nicht auf einen solchen Ausnahmefall berufen können. Denn wie im Ausbildungsförderungsrecht (vgl. dazu Ramsauer/Stallbaum/Sternal, BAföG, 4. Aufl., § 10 Rn. 9) wird man auch für die Frage der Gewährung eines Studiendarlehens eine lückenlose Kette von Hinderungsgründen bis zur Überschreitung der Altersgrenze fordern müssen. Insoweit ist nicht zu erkennen, weshalb die 1955 geborene Klägerin bis zur Geburt ihres ersten Kindes im Jahre 1977 gehindert gewesen sein sollte, die Hochschulzugangsberechtigung zu erwerben und ein Studium zu beginnen.

7

Spricht danach derzeit nichts dafür, dass die Regelung in § 11a Abs. 2 Satz 2 NHG wegen eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG verfassungswidrig ist, hätte die Klage zudem selbst dann keinen Erfolg, wenn von einer Verfassungswidrigkeit der Norm auszugehen wäre. Denn die Folge eines solchen Verstoßes wäre, dass die Regelung insgesamt nicht mehr angewendet werden könnte. Daraus folgt, dass sie den von der Klägerin für sich behaupteten Anspruch auch nicht mehr hergeben und das Gericht der Klage folglich nicht stattgeben könnte (vgl. Maunz/Dürig u.a., GG, Art. 3 Abs. 1 Rn. 360; BVerwG, Urteil vom 11.10.1996 -3 C 28.96-, NJW 1997, 956; OVG Lüneburg, Urteil vom 28.04.1997 -3 L 391/96-). Anders wäre dies nur, wenn es für den Gesetzgeber nur eine Möglichkeit gäbe, einen verfassungsgemäßen Zustand herzustellen und dies zu einer Anspruchsberechtigung des Bürgers führen würde. Dafür ist nichts ersichtlich. Denkbar wäre z.B., die Studiengebühren für den Personenkreis, dem die Klägerin zugehört abzuschaffen. Möglich erscheint z.B. auch, die Altersgrenze auf 45 Jahre anzuheben. In Anbetracht der oben geschilderten verfassungsrechtlichen Erwägungen, würde eine solche Regelung wohl als verfassungskonform anzusehen sein, auch wenn dadurch Personen, die, wie die Klägerin erst in einem noch höheren Lebensalter ihre Ausbildung beginnen, von einer Anspruchsberechtigung ausgeschlossen wären.