Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 05.11.2007, Az.: 4 A 200/05

atypische Umstände; Aufenthaltsbewilligung; Aufenthaltserlaubnis; Ausnahmefall; Ausweisungsgrund; Ausweisungstatbestand; Bestrafung; gefährliche Körperverletzung; geringfügige Bestrafung; geringfügige Körperverletzung; Geringfügigkeit; Körperverletzung; Promotionsstudium; Regelausweisung; Studiendauer; Studium; Verlängerung

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
05.11.2007
Aktenzeichen
4 A 200/05
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2007, 71728
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand:

1

Der am … in L. geborene Kläger ist georgischer Staatsangehöriger und hat bereits in Georgien 1997 nach einem Studium von acht Semestern den Abschluss eines Diplom-Volkswirts erworben. Er reiste am 28. September 1999 mit einem Stipendium nach Deutschland ein und immatrikulierte sich zum Wintersemester 1999/2000 an der M. -N. -Universität in E. im Studiengang „Betriebswirtschaft (Promotion)“. Parallel hierzu geht der Kläger einer Erwerbstätigkeit nach.

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Erstmals am 13. Oktober 1999 erteilte ihm die Beklagte eine befristete Aufenthaltsbewilligung, die sie am 25. September 2000 mit Wirkung bis zum 28. September 2001 zum Zwecke der Promotion verlängerte.

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Über einen Verlängerungsantrag vom 4. September 2001 entschied die Beklagte zunächst im Hinblick auf ein gegen den Kläger im Juni 2001 eingeleitetes Strafverfahren nicht.

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Mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts E. vom 5. April 2005 wurde der Kläger wegen gefährlicher Körperverletzung im minderschweren Fall zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu jeweils 20,00 € verurteilt - ... Ds ... Js .../... - .../... -. Die gegen das Strafurteil gerichteten Berufungen nahmen der Kläger und die Staatsanwaltschaft am 22. September 2005 zurück - LG E. ... Ns .../... -.

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Ein weiteres 2003 eingeleitetes Ermittlungsverfahren gegen den Kläger wegen gemeinschaftlich begangener Körperverletzung war zuvor von der Staatsanwaltschaft E. am 11. Dezember 2003 gemäß § 153 Abs. 1 StPO eingestellt worden - ... Js .../... -.

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Unter dem 9. November 2004 teilte die Universität der Beklagten mit, es sei davon auszugehen, dass der Kläger Ende März 2006 „sein Studium beenden“ werde (Bl. 89 BA A). Unter dem 14. Dezember 2005 gab sie die weitere Auskunft, dass der Kläger seine Promotion im Herbst oder Ende 2006 abschließen werde (Bl. 142 BA A).

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Nach Anhörung lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Verlängerung des Aufenthaltstitels mit einem Bescheid vom 31. Oktober 2005 ab, forderte ihn auf, die Bundesrepublik Deutschland bis zum 15. Dezember 2005 zu verlassen und drohte ihm für den Fall der Zuwiderhandlung die Abschiebung nach Georgien oder in einen anderen Staat an, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei. Zur Begründung wird ausgeführt, dass der Kläger mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten und durch das vorbezeichnete Urteil vom 5. April 2005 auch verurteilt worden sei. Durch die Verurteilung erfülle der Kläger einen Ausweisungsgrund, der zugleich einen Regelversagungsgrund für die beantragte Verlängerung des Aufenthaltstitels darstelle. Es handele sich auch nicht um ein geringfügiges Vergehen. Ein atypischer Sachverhalt liege nicht vor. Zwar werde nicht verkannt, dass der Kläger seit seiner Einreise bereits einige Zeit in die Realisierung seines Studiums investiert habe, andererseits sei es in kurzer Zeit nach und nach zu Rechtsverstößen gekommen. Darüber hinaus sei auch die Sicherung des Lebensunterhalts aus eigenen Mitteln nicht ausreichend nachgewiesen.

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Mit seiner am 1. Dezember 2005 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Ziel der Verlängerung seines Aufenthaltstitels, hilfsweise Neubescheidung weiter. Zur Begründung trägt er vor, dass die Beklagte ermessensfehlerhaft vom Vorliegen mehrerer strafrechtlicher Auffälligkeiten ausgegangen sei, hingegen nur eine Verurteilung vorliege. Der der Verurteilung zugrunde liegende Rechtsverstoß sei auch als geringfügig zu bewerten. Die Beklagte halte ihm die Straftat zu spät vor und der Verletzte sei unbekannten Aufenthalts. Seine Promotion werde in absehbarer Zeit abgeschlossen sein. Sein Lebensunterhalt sei durch seine Erwerbstätigkeit und ein hilfsweise eingreifendes georgisches Stipendium gesichert. Unter dem 6. Dezember 2005 versicherte der Kläger an Eides statt, dass seine Dissertation „Controlling und Entwicklungsmöglichkeiten in georgischen Unternehmen“ kurz vor dem Abschluss stehe und „noch in diesem Frühjahr“ von der Universität angenommen werde.

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Der Kläger hat zunächst beantragt,

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den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 31. Oktober 2005 zu verpflichten, dem Kläger auf seinen Antrag vom 4. Januar 2001 seine Aufenthaltsbewilligung vom 29. November 1999 als Aufenthaltserlaubnis zu Studienzwecken zu verlängern.

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Nach negativem Ausgang eines Verfahrens zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (Beschluss vom 21. Februar 2006 - 4 B 201/06 -) ist der Kläger am 25. April 2006 freiwillig aus Deutschland ausgereist und nach Georgien zurückgekehrt. Er möchte jedoch als Mitarbeiter eines deutschen Betriebes erneut in das Bundesgebiet einreisen und will deshalb die Rechtswidrigkeit des Bescheides der Beklagten vom 31. Oktober 2005 durch das Gericht festgestellt wissen.

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Der Kläger beantragt nunmehr,

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festzustellen, dass der Bescheid der Beklagten vom 31. Oktober 2005 rechtswidrig ist.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie verteidigt den angefochtenen Bescheid und tritt dem Vorbringen des Klägers entgegen.

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Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der vorbezeichneten Gerichtsakten und der Verwaltungsvorgänge der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zwar als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig, aber unbegründet.

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Denn die Beklagte hat es zu Recht mit dem streitbefangenen Bescheid abgelehnt, die dem Kläger seinerzeit erteilte Aufenthaltsbewilligung als Aufenthaltserlaubnis zu Studienzwecken zu verlängern.

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Gemäß §§ 8 Abs. 1, 7, 16 Abs. 1 Satz 2 AufenthG kann die Geltungsdauer des bisherigen Aufenthaltstitels im Falle des Studiums um bis zu zwei Jahre verlängert werden, wenn der Aufenthaltszweck noch nicht erreicht ist und in einem angemessenen Zeitraum noch erreicht werden kann.

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Die Verlängerung des Aufenthaltstitels setzt jedoch gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG in der Regel voraus, dass kein Ausweisungsgrund vorliegt. Ein solcher liegt gemäß § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG jedoch vor, wenn der Ausländer einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen hat. Es kommt dabei nur darauf an, dass der Ausweisungsgrund tatbestandlich vorliegt. Es ist demgegenüber nicht erforderlich, dass die Rechtsfolge eintritt, der Ausländer also auch ermessensfehlerfrei ausgewiesen werden könnte. Strafgerichtliche Verurteilungen insbesondere bei Vorsatztaten sind grundsätzlich nicht geringfügig, es sei denn, dass es sich um sogenannte Bagatelldelikte oder unbedeutende Straßenverkehrsdelikte handelt, bei denen der Grad des Verschuldens als gering einzustufen ist. Außerdem ist als geringfügig zu bewerten eine Straftat, die zu einer Verurteilung von lediglich bis zu dreißig Tagessätzen geführt hat (vgl. Nr. 55.2.2.3.1 VorlVV-AufenthG).

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Der Kläger ist vom Amtsgericht E. am 5. April 2005 hingegen rechtskräftig wegen gefährlicher Körperverletzung in einem minderschweren Fall zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu jeweils 20,00 € verurteilt worden. Den Urteilsgründen ist zu entnehmen, dass der Kläger am 14. Juni 2001 im Rahmen einer Auseinandersetzung mit einem anderen Ausländer diesem ein Messer in den Bauch stieß, wobei zu diesem Zeitpunkt kein gegenwärtiger Angriff des anderen Ausländers gegen den Kläger vorlag. Der Verletzte flüchtete und wurde vom Kläger verfolgt, der dann das Messer hinter ihm herwarf. Das Amtsgericht ist der Auffassung, es sei deshalb lediglich von einem minderschweren Fall der gefährlichen Körperverletzung auszugehen, weil sich eine Provokation durch das Verhalten des später Verletzten nicht ausschließen lasse. Zugunsten des Klägers sei zu werten gewesen, dass er strafrechtlich nicht einschlägig in Erscheinung getreten sei, dass er infolge starker Erregung überreagiert habe und dass ihm letztlich die Tat persönlichkeitsfremd sei. Andererseits sei straferschwerend zu werten gewesen, dass er den anderen Ausländer erheblich verletzt habe und dass es nur einem Zufall zu verdanken sei, dass innere Organe durch den Stich nicht betroffen waren. Der Verletzte befand sich nach einer Operation vom 24. Juni bis 3. Juli 2001 in stationärer Behandlung. Das Strafgericht hat ausdrücklich festgestellt, dass der Kläger zum Zeitpunkt seiner Straftat nicht einem rechtswidrigen Übergriff des später Verletzten ausgesetzt war. Der Kläger hat den Geschädigten schwer verletzt. Dieser musste operiert und mehrere Tage stationär in einem Krankenhaus versorgt werden.

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Diese Tat ist im Gegensatz zur Rechtsauffassung des Klägers keineswegs als geringfügig anzusehen, zumal er bereit war, ein von ihm mitgeführtes Messer trotz fehlender Notwehrlage wegen einer geradezu als lächerlich zu bezeichnenden Auseinandersetzung um einen Sitzplatz in einem Konzert als Waffe einzusetzen und damit eine erhebliche Körperverletzung des Geschädigten zu verursachen. Hinzu kommt, dass der Kläger das Messer auch dem bereits von ihm schwer Verletzten hinterhergeworfen hat, als dieser sich von ihm entfernte, um dem weiteren Angriff des Klägers zu entgehen. Die vom Amtsgericht vorgenommene Bestrafung wegen gefährlicher Körperverletzung im minderschweren Fall nach § 224 StGB ist nicht mit einer geringfügigen Bestrafung im Sinne von § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG gleichzusetzen. Der Ausweisungstatbestand ist danach zweifelsohne erfüllt und ein Ausweisungsgrund liegt vor.

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Von der Regelvoraussetzung darf nur ausnahmsweise abgesehen werden, wenn von der Regel abweichende Umstände vorliegen. Der Ausnahmefall liegt nicht im behördlichen Ermessen, sondern bildet einen zwingenden Teil des gesetzlichen Tatbestandes, der durch Rechtsauslegung und Subsumtion zu ermitteln ist. Der Sachverhalt muss so atypisch gelagert sein, dass eine Versagung der Verlängerung des Aufenthaltstitels mit den gesetzgeberischen Anliegen nicht zu vereinbaren und als ungerecht und insbesondere unverhältnismäßig anzusehen ist. Besteht ein Rechtsanspruch auf Verlängerung des Aufenthaltstitels, kann eher eine Ausnahme angenommen werden als - wie vorliegend - bei einer nach § 16 AufenthG im Ermessen der Behörde stehenden Verlängerung.

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Atypische Umstände, die ein Absehen vom Erfordernis des Fehlens eines Ausweisungsgrundes rechtfertigen könnten, liegen nicht vor. Dies gilt bereits von vornherein für den vom Kläger vorgetragenen Grund, die Beklagte halte ihm die Straftat viel zu spät vor. Denn die Beklagte hat lediglich das erst am 22. September 2005 beendete Strafverfahren abgewartet, um nach weiterer Anhörung des Klägers am 31. Oktober 2005 auf sicherer Grundlage zu entscheiden. Dass das Opfer der Straftat unbekannten Aufenthalts ist, ist für die Frage der Verlängerung des Aufenthaltstitels des Klägers unerheblich.

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Zu Recht hat die Beklagte auch darauf verwiesen, dass der Aufenthalt des Klägers von vornherein zum Zwecke seiner Promotion befristet war. Die Nichtverlängerung des Aufenthaltstitels könnte im Falle eines straffällig gewordenen Studenten allenfalls dann unverhältnismäßig sein, wenn sein weiterer Aufenthalt in Deutschland zum Abschluss der Promotion unbedingt erforderlich ist, die Promotion unmittelbar vor dem Abschluss steht und die Ausreisepflicht dem ausländischen Studenten die Früchte jahrelanger zügig durchgeführter Forschungsarbeit nähme. Der Student trägt für das Vorliegen entsprechender atypischer Umstände die Darlegungslast. Keine dieser Voraussetzungen liegt hier vor. Zu Recht verweist die Beklagte darauf, dass der Kläger seine Dissertation auch in Georgien abschließen kann. Dies folgt bereits aus dem Thema der von ihm gewählten Arbeit „Controlling und Entwicklungsmöglichkeiten in georgischen Unternehmen“. Sofern er zum Zwecke der Vorstellung seiner Dissertation und des Abschlusses seines Promotionsverfahrens für eine kurze Zeitspanne erneut in das Bundesgebiet einreisen muss, kann er auf das Visumverfahren verwiesen werden. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Kläger sein Studium bereits 1997 in Georgien beendet hat und sich in Deutschland seit September 1999 ausschließlich zum Zwecke der Promotion aufgehalten hatte. Danach war dem Kläger bereits ein ausreichender Zeitraum zur Erfüllung seines Aufenthaltszwecks eingeräumt, ohne dass er diesen für einen Abschluss seines Vorhabens genutzt hat.

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Der Vorwurf des Klägers, die Beklagte habe ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt, indem sie ihm mehrere Straftaten unterstellt habe, tatsächlich jedoch nur eine Verurteilung vorliege, ist unerheblich. Wie bereits ausgeführt, ist der Beklagte bei der Prüfung des Regelerteilungsgrundes kein Ermessen eingeräumt. Tatsächlich hat sie in dem angefochtenen Bescheid bei der Prüfung des Regelerteilungsgrundes lediglich auf die eine Verurteilung durch das Amtsgericht E. abgestellt (s. Seite 2 unten und Seite 3 oben des Bescheides). Soweit sie auf Seite 1 des Bescheides darauf hinweist, dass der Kläger „bereits mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten“ sei und auf Seite 3 ausführt, es sei „in kurzer Zeit nach und nach zu Rechtsverstößen gekommen“, wurde dieser Sachverhalt bei der rechtlichen Bewertung, ob ein Ausweisungsgrund vorliegt, nicht berücksichtigt. Dessen ungeachtet ist die Feststellung der Beklagte nicht unrichtig, weil ein weiteres Ermittlungsverfahren gegen den Kläger lediglich nach § 153 Abs. 1 StPO eingestellt worden ist. Das Ermessen nach § 5 Abs. 3 Halbsatz 2 AufenthG, von einer Anwendung des § 5 Abs. 1 AufenthG abzusehen, ist der Beklagte nicht eröffnet, weil der hier allein in Frage kommende Aufenthaltstitel zum Zwecke des Studiums nach § 16 AufenthG nicht im Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes, sondern im Abschnitt 3 geregelt ist. Der angestrebte Abschluss einer Promotion dient auch nicht völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen.

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Die Abschiebungsandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in den §§ 59, 58, 50 AufenthG.

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Somit ist die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 und 2 GKG.