Landgericht Hildesheim
Beschl. v. 04.05.2006, Az.: 23 StVK 45/06
Genehmigung für den Besitz einer Spielkonsole im Strafvollzug; Umfang des Besitzes von Gegenständen zur Freizeitbeschäftigung
Bibliographie
- Gericht
- LG Hildesheim
- Datum
- 04.05.2006
- Aktenzeichen
- 23 StVK 45/06
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 38202
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGHILDE:2006:0504.23STVK45.06.0A
Rechtsgrundlagen
- § 70 Abs. 2 StVollzG
- § 109 Abs. 2 StVollzG
- § 115 Abs. 4 StVollzG
Fundstellen
- NJW 2007, 711 (amtl. Leitsatz)
- NStZ-RR 2006, V Heft 11 (amtl. Leitsatz)
- NStZ-RR 2006, 389-390 (Volltext mit amtl. LS)
Verfahrensgegenstand
Besitz einer Spielkonsole "X-Box 360"
In der Strafvollzugssache
...
hat die Strafkammer 12 - Strafvollstreckungskammer - des Landgerichts Hildesheim
durch
den Richter ...
am 4. Mai 2006
beschlossen:
Tenor:
- 1.
Der den Antragssteller betreffende Bescheid der Antragsgegnerin vom 10. Januar 2006 - 92/05/6 - wird aufgehoben. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, den Antragssteller unter Beachtung der Rechtsauffassung der Kammer erneut zu bescheiden.
- 2.
Der weitergehende Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 12. Januar 2006 wird zurückgewiesen.
- 3.
Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Beteiligten werden gegeneinander aufgehoben.
- 4.
Der Streitwert wird auf 300,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller verbüßt seit dem 8. Juni 2004 mehrere längere Gesamtfreiheitsstrafen wegen Eigentumsdelikten. Das Strafende ist auf den 20. Juni 2016 notiert.
Mit Bescheid vom 10. Januar 2006 - 92/05/6 - lehnte die Antragsgegnerin einen Antrag des Antragsstellers, ihm den Besitz eines X-Box 360 Core-Systems zu gestatten ab.
Zur Begründung führte sie aus, daß das System zwar nicht über eine Festplatte verfüge, aber durch 3 USB-Ports eine Vielzahl von Anschlußmöglichkeiten für Peripheriegeräte wie Netzwerkadapter, Funkcontroller oder USB-Sticks biete. Dies führe zu nicht mehr kontrollierbaren Speichermöglichkeiten im Gigabytebereich und der Möglichkeit der Internetfähigkeit des Systems. Da entsprechende Peripheriegeräte sehr klein seien, können ihr - unerlaubtes - Einbringen in die Anstalt nicht ausgeschlossen werden. Ferner sei die Frontblende der X-Box 360 abnehmbar, was zu einem erhöhten Kontrollaufwand bei Haftraumkontrollen führe. Die X-Box 360 biete ferner die Möglichkeit, Musik zu "rippen" und auf der Memory Unit im MP3-Format abzulegen, was zu einem neuen, nicht kontrollierbaren, Tauschgut für die Inhaftierten führe und besorgen lasse, daß Raubkopien unter Verstoß gegen § 106 UrhG gefertigt und verbreitet würden.
Gegen diesen Bescheid hat der Antragssteller mit Schreiben vom 12. Januar 2006, das am 18. Januar 2006 bei Gericht einging, "Widerspruch gemäß § 109 Abs. 3 StVollzG" erhoben.
Zur Begründung trägt er vor, auch andere in der Anstalt zugelassene Geräte wie Fernseher oder Rekorder/DVD-Spieler verfügten über USB-Anschlüsse mit der Möglichkeit des Anschlusses von Peripheriegeräten. Der Core-Edition der X-Box 360 liege auch kein Funkcontroller bei, sondern ein kabelgebundener Controller. Da man auch direkt mit einem Mobiltelefon ins Internet gehen könne, müsse man ein solches Telefon nicht über einen Adapter an eine Spielekonsole anschließen. Zudem bestehe auch bei dem Nintendo Game Cube, den er seit längerem besitze, die Möglichkeit des Anschlusses eines Modems und damit der Internetfähigkeit. Die Frontblende der X-Box 360 könne fixiert werden, so daß bei Haftraumkontrollen kein zusätzlicher Aufwand entstünde. Ferner sei er bereit, die 3 USB-Ports der X-Box 360 deaktivieren und plombieren zu lassen.
Es überzeuge auch nicht, wenn die Anstalt auf die Möglichkeit des Speicherns und Kopierens von MP3-Dateien abstelle, denn dann würde auch jede Tonbandaufnahme von CD gegen das UrhG verstoßen und es würden sich alle mit Liedern handelnden Internetportale strafbar machen.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
den angefochtenen Bescheid der Antragsgegnerin aufzuheben und sie zu verpflichten, ihm den Besitz einer X-Box 360 - Core Edition - auf seinem Haftraum zu gestatten.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag auf Kosten des Antragstellers zurückzuweisen.
Sie wiederholt und vertieft ihre Ausführungen aus dem angefochtenen Bescheid. Es könnten nur Geräte zugelassen werden, die keine Speichermöglichkeit - mit Ausnahme des Speicherns von Spielständen - ermöglichten. Die Möglichkeit der Weitergabe von MP3-Dateien stelle sicherlich keine Gefährdung der Anstaltssicherheit im herkömmlichen Sinne dar. Das Einräumen dieser teilweise rechtswidrigen Möglichkeit stünde aber nicht im Einklang mit der Aufforderung, künftig straffrei zu leben und stehe daher dem Behandlungszweck entgegen.
II.
1.
Da das Land Niedersachsen von der in § 109 Abs. 3 StVollzG eröffneten Möglichkeit landesrechtlich ein vor Befassung der Strafvollstreckungskammer durchzuführendes Widerspruchsverfahren einzuführen, keinen Gebrauch macht und der Antragssteller seinen Widerspruch vom 12. Januar 2006 schriftlich und innerhalb der Frist des § 112 Abs. 1 S. 1 StVollzG bei der beschließenden Kammer angebracht hat, ist er in einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 109 Abs. 1 StVollzG umzudeuten.
2.
Der so verstandene Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist gemäß § 109 Abs. 2 StVollzG zulässig und hat teilweise Erfolg.
Die Ablehnung der beantragten Genehmigung für den Besitz einer Spielkonsole "X-Box 360" durch den Bescheid der Antragsgegnerin vom 10. Januar 2006 ist rechtwidrig und verletzt den Antragsteller daher in seinen Rechten (§ 115 Abs. 4 StVollzG).
a)
Gefangenen ist im angemessenen Umfang der Besitz von Gegenständen zur Freizeitbeschäftigung gestattet (§ 70 Abs. 1 StVollzG). Hierzu zählt auch der Besitz einer Spielekonsole wie der X-Box 360.
Der Besitz solcher Gegenstände darf einen Gefangen allerdings bei Vorliegen einer der in § 70 Abs. 2 StVollzG genannten Ausschlußgründe nicht gestattet werden. Das Vorliegen eines solchen Ausschlußgrunds hat die Antragsgegnerin aber in dem angefochtenen Bescheid nicht hinreichend dargetan, so daß sich der Bescheid als rechtswidrig erweist und die Antragsgegnerin zur Neubescheidung des Antragsstellers zu verpflichten war (§ 115 Abs. 4 S. 2 StVollzG).
Soweit die Antragsgegnerin in dem angefochtenen Bescheid auf die vorhandenen USB-Ports und die damit verbundenen Möglichkeiten zum Anschluß externer Peripheriegeräte abstellt, die zum Speichern großer Datenmengen oder zur Herstellung der Internetfähigkeit der X-Box 360 dienen könnten, kommt zwar eine Gefährdung der Sicherheit und Ordnung der Anstalt (§ 70 Abs. 2 Nr. 2 2. Var StVollzG) in Betracht. Wie die Kammer mit Beschluß vom 24. März 2006 (23 StVK 86/06) mit Hinblick auf einen Computer mit Festplatte unter Anschluß an entsprechende ober- und verfassungsgerichtliche Rechtsprechung (vgl. BVerfG NStZ 1994, 453ff., [BVerfG 28.02.1994 - 2 BvR 2731/93] OLG Bamberg, NStZ 1995, 434) bereits entschieden hat, stellt die Möglichkeit zur Speicherung von Texten und anderen Daten in größerem Umfang eine Gefährdung der Sicherheit und Ordnung dar. Solche Daten sind nicht mit einem vertretbaren Kontrollaufwand überprüfbar. Jede - stets veränderbare - Datei müßte im Rahmen einer Kontrolle aufgerufen und gelesen werden. Verzichten könnte die Antragsgegnerin auf eine solche Kontrolle nicht. Es besteht stets die Gefahr des Abspeicherns - eventuell auch kodierter - Dateien mit sicherheitsgefährdenden Inhalten, etwa Ausbruchsplänen. Daß einem Gefangenen ein Zugriff auf das Internet und damit entgegen §§ 28 Abs. 2, 29 Abs. 3, 31 StVollzG die Möglichkeit zur unkontrollierten Kommunikation mit Außenstehenden und zu den teilweise strafbaren Inhalten mancher Internetseiten nicht gestattet werden muß, bedarf ohnehin keine näheren Erörterung (vgl. nur Beschluß der Kammer v. 17.06.2005, 23 StVK 177/05 zur Versagung des Besitzes der mit einer Ethernet-Karte ausgestatteten "alten" X-Box).
Die Antragsgegnerin hat sich aber in dem angefochtenen Bescheid nicht hinreichend mit der Frage auseinandergesetzt, ob diesen der X-Box 360 nach ihren eigenen Ausführungen offenbar nur durch die Möglichkeit des Anschlusses von Peripheriegeräten innewohnenden Gefahren durch mildere Maßnahmen begegnet werden könnte, etwa durch die - von dem Antragssteller jedenfalls im Verlauf des gerichtlichen Verfahrens ausdrücklich angebotene - Möglichkeit auf seine Kosten die USB-Ports elektronisch und/oder mechanisch zu deaktivieren. Diese Maßnahme geht nach dem Verständnis der Kammer über die bloße Verplombung des Geräts, die die Antragsgegnerin ohne nähere Begründung für unzureichend hält, hinaus.
Ähnliches gilt für die Frage des auch die Frage der Gefährdung der Sicherheit und Ordnung betreffenden erhöhten Kontrollaufwands wegen der abnehmbaren Frontverblendung der X-Box 360.
Hier hat der Antragssteller nachvollziehbar und unwidersprochen vorgetragen, daß diese Frontblende fixiert werden könne. Da es sich hierbei ferner um einen rein optischen Zusatz handeln soll, dürfte auch die Gestattung des Besitzes ohne Frontblende als mildere Maßnahme in Betracht kommen.
Soweit die Antragsgegnerin in dem angefochtenen Bescheid auf die Möglichkeit des "Rippens" von Musik abstellt, worunter offenbar das Kopieren und Komprimieren von Musikstücken im MP3-Format zu verstehen sein soll, läßt sich mit der von ihr gegebenen Begründung eine Versagung des Besitzes der X-Box 360 nicht rechtfertigen.
Wegen der bloßen Möglichkeit des nach § 109 UrhG strafbaren "Rippens" von Musik kann der Besitz nicht nach § 70 Abs. 2 Nr. 1 StVollzG versagt werden. Diese Vorschrift bezieht sich ersichtlich nur auf Fälle, in der jede Art der Benutzung eines Gegenstands strafbar ist und nicht nur eine Möglichkeit der Benutzung (vgl. Schwind/Böhm/Jehle, § 70 StVollzG, Rn. 6).
Wie die Antragsgegnerin im gerichtlichen Verfahren selbst angedeutet hat, führt diese Möglichkeit - auch unter Berücksichtigung des Austausches entsprechender Musikstücke unter den Gefangenen - auch nicht ohne Weiteres zu einer Gefährdung der Sicherheit und Ordnung der Anstalt im Sinne des § 70 Abs. 2 Nr. 2 2. Var. StVollzG. Der Begriff der Gefährdung der Sicherheit und Ordnung im Sinne des StVollzG ist nicht mit dem gefahrenabwehrrechtlichen Begriff der Gefahr für die (öffentliche) Sicherheit und Ordnung (vgl. § 2 Nr. 1a NSOG) identisch (vgl. Calliess/Müller-Dietz, § 81 StVollzG, Rn. 1).
Während eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit auch dann anzunehmen ist, wenn die Gefahr der Begehung einer Straftat droht, ist Sicherheit im strafvollzuglichen Sinne die äußere und innere Sicherheit einer Vollzugsanstalt, worunter primär die Abwendung von Gefangenenmeuterei und Verhinderung der Befreiung von Gefangenen zu verstehen ist (vgl. Calliess/Müller-Dietz, a.a.O. Rn. 4) und nicht das Begehen irgendeiner Straftat. Ordnung im strafvollzuglichen Sinne ist das geordnete Zusammenleben in sozialer Verantwortung in der Anstalt (Calliess/Müller-Dietz, a.a.O.). Dies ist ebenfalls nicht per se durch das Verbreiten von Musikstücken gefährdet, es bedürfte näherer Darlegungen, etwa inwieweit dem Entstehen einer Subkultur hierdurch Vorschub geleistet werden würde, die Gefahr von Bedrohungen und Auseinandersetzungen von Gefangenen untereinander durch den Austausch von Musikstücken stiege oder die ernsthafte Besorgnis bestünde, daß etwa anarchistische oder gewaltverherrlichende Musikstücke verbreitet werden könnten und hierdurch der "innere Friede" der Anstalt gefährdet werden könnte.
Hingegen liegt es nicht fern, daß das Verbreiten von Musikstücken unter Verstoß gegen § 106 UrhG dem Vollzugsziel (§ 70 Abs. 2 Nr. 2 1 Var. i.V.m. § 2 S. 1 StVollzG) entgegen stehen könnte. Aber auch hierzu bedürfte es konkreterer Ausführungen.
b)
Eine abschließende Entscheidung der Kammer zugunsten des Antragsstellers (§ 115 Abs. 4 S. 1 StVollzG) kam nicht in Betracht, so daß sein weitergehender Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückzuweisen war.
Zwar ist die Kammer grundsätzlich gehalten, die sogenannte Spruchreife herzustellen und jedenfalls bei der Überprüfung einer strafvollzuglichen Maßnahme, bei der - wie hier - der Vollzugsbehörde kein nach § 115 Abs. 5 StVollzG gerichtlich nur beschränkt nachprüfbares Ermessen eröffnet ist zu einer verfahrensabschließenden Entscheidung zu gelangen (vgl. Schuler in Schwind/Böhm/Jehle, § 115 StVollzG Rn. 18).
Die Kammer ist aber nicht gehalten, Tatsachen zu ermitteln, die die angefochtene Entscheidung rechtfertigen könnten, aber von der Vollzugsbehörde nicht berücksichtigt worden sind (OLG Karlsruhe, ZfStrVO 2004, 186, Schuler, a.a.O.). Dies käme einem sogenannten Nachschieben von Gründen gleich, durch das der Rechtsschutz des Antragsstellers verkürzt werden würde.
Wie schon aus den obigen Erwägungen folgt, ist es völlig offen und daher den Tatsachenermittlungen in einem neuen vollzugsbehördlichen Verfahren vorzubehalten, inwieweit Gründe des § 70 Abs. 2 StVollzG der Gestattung des Besitzes der von dem Antragssteller begehrten X-Box 360 entgegen stehen oder mildere Maßnahmen in Betracht kommen.
Nach Einschätzung der Kammer von der technischen Beschaffenheit der X-Box 360 könnte der Besitz dieses Systems darüberhinaus auch aus von der Antragsgegnerin nicht angeführten Gründen zu versagen sein. Die X-Box 360 soll über einen großen Arbeitsspeicher verfügen, in dem sich jedenfalls vorübergehend Daten erheblichen Umfangs ablegen lassen und ferner über ein DVD-Laufwerk, dessen genaue Beschaffenheit zu klären sein wird. Lassen sich damit DVDs nicht nur lesen, sondern auch beschreiben, dürfte dies - wie ein Festplatten- oder Diskettenlaufwerk - die Versagung des Besitzes der X-Box 360 rechtfertigen beziehungweise den Ausbau dieses Laufwerks erfordern. Es kommt ferner in Betracht, daß auch bei Deaktivierung der USB-Ports mittels eines WLAN-Adapters Internetverbindungen hergestellt werden könnten oder auf der Memory Card neben Spielständen und MP3-Dateien durch Umprogrammierung auch andere Daten abgelegt werden könnten.
Die Antragsgegnerin wird bei Bejahung eines Versagungsgrunds nach § 70 Abs. 2 StVollzG ferner abzuwägen haben, inwieweit unter dem verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit dennoch die Gestattung des Besitzes in Betracht kommen könnte (vgl. BVerfG, StV 1996, 638 f.).
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Abs. 1 StVollzG.
Da die matriell-rechtliche Klärung der Frage der Gestattung des Besitzes der X-Box 360 noch offen ist und der Antragssteller zudem die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Gestattung des Besitzes begehrte, erscheint es der Kammer angemessen, die Kosten des gerichtlichen Verfahrens gegeneinander aufzuheben.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 1 Nr. 1 j, 60, 52 Abs. 3 GKG.
Nach Kenntnis der Kammer wird eine X-Box 360 in der Core-Edition gegenwärtig zu Preisen von etwa 300 ? veräußert, so daß auf diesen Betrag als Wert abzustellen war.