Landgericht Hildesheim
Beschl. v. 18.11.2005, Az.: 12 Qs 73/05
Abstammungsgutachten; Abstammungsurkunde; Anfangsverdacht; Aufenthaltsberechtigung; Aufenthaltstitel; Ausländerbehörde; Ausländerrecht; Ausländerstrafrecht; ausländische Kindesmutter; ausländische Mutter; Benutzung; Beschaffung; biologische Abstammung; Deutscher; DNA Gutachten; DNA-Gutachten; Ermittlungsmaßnahme; Ermittlungsrichter; Ermittlungsverfahren; Erschleichung; Körperzellenentnahme; molekulargenetische Untersuchung; nichteheliches Kind; Scheinvaterschaft; Staatsangehöriger; Staatsangehörigkeit; Staatsanwaltschaft; Staatsbürgerschaft; Strafbarkeit; Straftatbestand; Strafverfahren; unrichtige Angabe; Unrichtigkeit; Unwahrheit; Vaterschaftsanerkenntnis; Vaterschaftsanerkennung; Vorlage; zivilrechtliche Wirksamkeit
Bibliographie
- Gericht
- LG Hildesheim
- Datum
- 18.11.2005
- Aktenzeichen
- 12 Qs 73/05
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 50911
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG - 31.07.2005 - AZ: 31 Gs 500/05
Rechtsgrundlagen
- § 81c StPO
- § 81e StPO
- § 95 Abs 2 Nr 2 AufenthG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Die Berufung auf eine zwar zivilrechtlich wirksame Vaterschaftsanerkennung, die aber nicht auf biologischer Abstammung beruht, sondern nur formell zum Zweck der Beschaffung eines Aufenthaltstitels erfolgt ist (sog. Scheinvaterschaft), kann eine Strafbarkeit wegen Benutzung unrichtiger Angaben zur Beschaffung eines Aufenthaltstitels nach § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG begründen.
Tenor:
Die Beschwerde wird auf Kosten der Beschwerdeführerin als unbegründet verworfen.
Gründe
I. Die Beschuldigte zu 1) ist die Mutter der Beschwerdeführerin. Der Beschuldigte zu 2) hat am 07.09.2004 vor dem Notar ... in Berlin anerkannt, der Vater der zum damaligen Zeitpunkt noch nicht geborenen Beschwerdeführerin zu sein, und erklärt, er sei davon überzeugt, dass das Kind von ihm abstamme. Daraufhin wurden in der Geburtsurkunde der Beschwerdeführerin die beiden Beschuldigten als Eltern eingetragen, und die Beschwerdeführerin erhielt einen deutschen Pass.
Mit Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom 23.05.2005 beantragte die Beschuldigte zu 1) beim Landkreis P. die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG mit der Begründung, der Beschuldigte zu 2), der deutscher Staatsangehöriger ist, sei der Vater ihres Kindes, der Beschwerdeführerin. Dadurch sei auch das Kind Deutsche.
Aufgrund der bisherigen Versuche der Beschuldigten zu 1), ein Aufenthaltsrecht in Deutschland zu erhalten, und der Tatsache, dass für ihr älteres Kind ... der deutsche Staatsangehörige ... die Vaterschaft anerkannt hat, obwohl nach den Angaben der Beschuldigten zu 1) nicht er, sondern ... der Vater ist, wurde ein Ermittlungsverfahren gegen die Beschuldigten eingeleitet. Um die Abstammung der Beschwerdeführerin von dem Beschuldigten zu 2) zu überprüfen, hat das Amtsgericht Hildesheim auf Antrag der Staatsanwaltschaft mit Beschluss vom 31.07.2005 die Entnahme von Körperzellen bei den beiden Beschuldigten und der Beschwerdeführerin sowie deren anschließende molekulargenetische Untersuchung angeordnet.
Hiergegen wendet sich das von der Beschuldigten zu 1) vertretene Kind mit seiner Beschwerde. Zur Begründung wird vorgetragen, eine strafbare Handlung komme nicht in Betracht, weil die Vaterschaftsanerkennung unabhängig von der Frage der tatsächlichen Abstammung rechtlich wirksam sei.
II. Die Beschwerde ist zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
Das Amtsgericht hat die Körperzellenentnahme bei der Beschwerdeführerin und deren molekulargenetische Untersuchung im Ergebnis zu Recht angeordnet. Die Voraussetzungen der §§ 81 c, 81 e Abs. 1 S. 2 StPO sind erfüllt.
Entgegen dem Beschwerdevorbringen besteht ein Anfangsverdacht gegen die Beschuldigten hinsichtlich einer Straftat nach § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG. Nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis, insbesondere den zahlreichen Versuchen der Beschuldigten zu 1), sich einen Aufenthaltstitel für Deutschland zu verschaffen, sowie der nicht den Tatsachen entsprechenden Vaterschaftsanerkennung für ihr älteres Kind und den Umständen der jetzigen Vaterschaftsanerkennung bestehen tatsächliche Anhaltspunkte für die Annahme, dass der Beschuldigte zu 2) nicht der Vater der Beschwerdeführerin ist und die Vaterschaftsanerkennung nur formell zu dem Zweck erfolgte, der Beschuldigten zu 1) einen Aufenthaltstitel zu verschaffen. Die Kammer teilt nicht die Auffassung, dass es allein auf die rechtliche Wirksamkeit der Vaterschaftsanerkennung ankomme (so aber LG Frankfurt (Oder), Beschl. v. 27.04.2005 - 22 Qs 384/04). Denn auch sog. Scheinehen, die zu dem gleichen Zweck geschlossen werden, stellen zivilrechtlich wirksame Ehen dar und erfüllen dennoch den Tatbestand unrichtiger Angaben im Sinne des § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG (BayObLG, NStZ 1990, 187 [BayObLG 22.09.1989 - RReg. 4 St 200/89] m.w.N.; Senge in Erbs/Kohlhaas, AuslG, § 92, Rdnr. 38). Die Institute der Ehe und der Vaterschaft stellen nämlich keine rechtlichen Fiktionen dar, sondern knüpfen an entsprechende tatsächliche Lebenssachverhalte an. Wer sich also auf eines dieser Institute beruft, erklärt zugleich zumindest konkludent, dass der damit verbundene Lebenssachverhalt dem zu Grunde liegt. Deshalb enthält die Erklärung, der Beschuldigte zu 2) sei der Vater der Beschwerdeführerin, zugleich die Erklärung, dass die Beschwerdeführerin tatsächlich von dem Beschuldigten zu 2) abstammt (ebenso LG Verden, Beschl. v. 17.09.2004 - 1 Qs 188/04).
Zwar wäre der Beschwerdeführerin, die als Tochter der Beschuldigten zu 1) gemäß § 81 c Abs. 3 S. 1 i.V.m. § 52 StPO ein Recht zur Verweigerung der Untersuchung hat, zur Ausübung dieses Rechts gemäß § 1909 Abs. 1 S. 1 BGB ein Ergänzungspfleger zu bestellen gewesen, weil die Beschuldigte zu 1) als gesetzliche Vertreterin insoweit nach § 52 Abs. 2 S. 2 StPO von der Ausübung dieses Weigerungsrechts ausgeschlossen ist. Die fehlende Einwilligung des gesetzlichen Vertreters ist jedoch gemäß § 81 c Abs. 3 S. 3 StPO durch den richterlichen Beschluss, der insoweit gemäß § 81 c Abs. 3 S. 4 StPO unanfechtbar ist, ersetzt. Dies gilt nicht nur für die Entnahme der Körperzellen, sondern auch für deren Untersuchung. Die gegenteilige Ansicht (LG Verden, a.a.O.) wird nach Auffassung der Kammer vom Wortlaut des § 81 c Abs. 3 S. 5 StPO nicht gedeckt. Dieser macht nicht die Untersuchung der Körperzellen, sondern die spätere Verwendung des Gutachtens als Beweis im weiteren Verfahren von der Einwilligung des im vorliegenden Verfahren noch zu bestellenden Ergänzungspflegers der Beschwerdeführerin abhängig.
Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der Anordnung bestehen vorliegend ebenfalls nicht. Die Entnahme einer Speichelprobe mittels eines Wattestäbchens ist für die Beschwerdeführerin ein nahezu unbelastender körperlicher Eingriff.
Die Beschwerde war daher als unbegründet zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.
Dieser Beschluss ist gemäß § 310 Abs. 2 StPO nicht anfechtbar.