Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 30.08.2018, Az.: L 16 KR 362/18 B ER
Kostenübernahme für eine stationäre Liposuktion im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 30.08.2018
- Aktenzeichen
- L 16 KR 362/18 B ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2018, 33957
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Stade - 27.06.2018 - AZ: S 15 KR 21/18 ER
Rechtsgrundlagen
- § 86b Abs. 2 SGG
- § 13 Abs 3a SGB V
Fundstelle
- ArztR 2019, 50-51
Tenor:
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Stade vom 27. Juni 2018 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Antragstellerin begehrt die Kostenübernahme für eine stationäre Liposuktion im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes.
Die 1965 geborene Antragstellerin leidet unter einem Lipödem der Arme und Beine. Darüber hinaus bestehen bei ihr ein Zustand nach Mamma-Carcinom im Jahr 2009, eine chronische Schmerzstörung, rezidivierende depressive Episoden (medikamentös eingestellt) sowie eine Gonarthrose rechts. Am 2. Dezember 2017 beantragte sie bei der Antragsgegnerin die Kostenübernahme für eine stationäre Liposuktion unter Vorlage diverser Befundberichte und Arztbriefe sowie des Attestes des Chefarztes der ästhetischen Chirurgie des Klinikum G. Dr H. vom 7. November 2017. Dort wird ein schmerzhaftes Lipödem im Bereich der Ober- und Unterschenkel sowie im Bereich beider Oberarme diagnostiziert, sowie eine Gonarthrose rechts. Das Lipödem bestehe seit mehreren Jahren und könne durch Entstauungs- und Kompressionstherapie nicht gebessert werden, vielmehr seien die Beschwerden trotz Ausschöpfung der konservativen Therapie fortgeschritten.
Mit Bescheid vom 7. Dezember 2017 lehnte die Antragsgegnerin eine Kostenübernahme ab, da es sich bei der Liposuktion um eine neue Behandlungsmethode handele, deren medizinische Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit nicht nachgewiesen sei. In den im Widerspruchsverfahren eingeholten Gutachten vom 5. und 19. Januar 2018 sprach der MDK keine Empfehlung aus. Nach einem Gespräch mit der Antragsgegnerin teilte die Antragstellerin mit, dass sie ihren Widerspruch dennoch aufrechterhalte.
Am 13. Juni 2018 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht (SG) Stade die Kostenübernahme für eine Liposuktion im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes beantragt. Sie trägt vor, dass sie eine Kostenübernahme für die Liposuktion am 17. März 2018 erneut beantragt habe, nachdem sie im Laufe einer Flugreise auf die Insel Jersey eine deutliche Verschlechterung der Folgeerkrankungen sowie des Lipödems selbst festgestellt habe. Sie habe den vorgelegten Antrag auf Kostenübernahme beim Deutschen Konsulat auf I. eingereicht zur Weiterleitung. Aufgrund der beängstigenden Fortentwicklung der Erkrankung sei ein Eilbedürfnis gegeben. Nach Einreichung des Antrags beim deutschen Honorarkonsul auf I. habe sie in den folgenden drei Wochen keine Rückmeldung von der Antragsgegnerin erhalten und auch nicht nach Ablauf der fünf-Wochenfrist.
Mit Schreiben vom 9. Mai 2018 hat die Antragsgegnerin mitgeteilt, dass sie die Schreiben vom 20. Februar, 4. März und 29. April 2018 erhalten und zur Kenntnis genommen habe. Es ergäben sich allerdings keine neuen Erkenntnisse, die zu einer anderen Entscheidung führen könnten. Es laufe zurzeit die Bearbeitung des Widerspruchsverfahrens. Der Eintritt einer Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs 3a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) erfolge nicht nach erneuter Antragstellung in derselben Sache während eines laufenden Widerspruchsverfahrens.
Mit Beschluss vom 27. Juni 2018 hat das SG den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Es bestehe kein Anordnungsanspruch; insbesondere seien die Voraussetzungen nach § 13 Abs 3a SGB V nicht erfüllt. Die Antragsgegnerin habe sämtliche Anträge fristgerecht beschieden. Die behauptete Antragstellung beim Deutschen Konsulat auf I. sei nicht glaubhaft gemacht. Insoweit fehle es bereits am Nachweis einer Eingangsbestätigung.
Zudem fehle es auch an einem Anordnungsgrund. Ein besonderer Eilbedarf lasse sich aus den vorgelegten Unterlagen nicht ableiten.
Gegen den ihr am 29. Juni 2018 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 25. Juli 2018 Beschwerde eingelegt, die sie nicht begründet hat.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Stade vom 27. Juni 2018 aufzuheben und die Antragsgegnerin im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, vorläufig die Kosten für eine Liposuktion der Arme und Beine zu übernehmen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie trägt vor, der angefochtene Beschluss enthalte eine zutreffende rechtliche Würdigung des Sachverhalts. Zur Beschwerdebegründung seien keine neuen entscheidungserheblichen Aspekte genannt.
II
Die Beschwerde ist gemäß §§ 172 ff Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, aber unbegründet.
Nach 86b Abs 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind gemäß § 920 Abs 2 Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft zu machen. Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sind nicht erfüllt.
Entsprechend dem Wesen der einstweiligen Anordnung darf die endgültige Entscheidung grundsätzlich nicht vorweggenommen werden. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden ein bewegliches System, so dass selbst bei einer offensichtlich begründeten Klage ein Anordnungsgrund gegeben sein muss. Denn die Regelung in § 86b SGG dient nicht dazu, Ansprüche "auf der Überholspur" durchzusetzen (vgl Beschluss des Senats vom 1. März 2018, - L 16 KR 41/17 B ER -). Genau diese Absicht verfolgt aber die Antragstellerin. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) kann es nur in eng begrenzten Ausnahmefällen im Interesse der Effektivität des Rechtsschutzes im Hinblick auf Art 19 Abs 4 Grundgesetz (GG) erforderlich sein, der Entscheidung in der Hauptsache vorzugreifen, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile drohen, die durch eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr zu beseitigen sind. Derartige unzumutbare Nachteile sind hier nicht vorgetragen geschweige denn glaubhaft gemacht. Vorliegend ist ein Eilbedürfnis nicht einmal im Ansatz erkennbar. Es bedarf wohl keiner weiteren Ausführung, dass die nach einer Flugreise auf eine Urlaubsinsel - hier Jersey - wahrgenommenen vermehrten Beschwerden in den Beinen kein Eilbedürfnis begründen. Abgesehen davon hat die Antragstellerin auch keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Insbesondere hat sie den offensichtlich von ihr angestrebten Eintritt einer Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs 3a SGB V nicht glaubhaft gemacht. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Beschluss des SG verwiesen, § 153 Abs 2 SGG analog. Der Senat schließt sich ausdrücklich der Auffassung der Kammer an, dass schon die Einreichung des erstinstanzlich vorgelegten Antrags beim Deutschen Konsulat auf Jersey nicht glaubhaft gemacht worden ist; es fehlt jeglicher Nachweis, dass dies tatsächlich erfolgt ist. Zudem kann die Fiktion - also dass die Leistungsversorgung als genehmigt gilt - nur dann greifen, wenn der Antrag so bestimmt gestellt ist, dass die auf Grundlage des Antrags fingierte Genehmigung hinreichend bestimmt ist. Vorliegend fehlt es an der hinreichenden Bestimmtheit. Zwar hat die Antragstellerin Befundberichte/Arztbriefe sowie ein Attest über ein bei ihr vorliegendes Lipödem vorgelegt.
Einen Kostenvoranschlag über die voraussichtlichen Kosten der Operation hat sie aber nicht beigebracht. Genauso wenig hat sie ärztliche Bescheinigungen eingereicht, aus denen hervorginge, wie viele Operationen geplant sind und in welchen Schritten diese vorgenommen werden sollen. Auch deshalb grenzt das Bestreben der Antragstellerin, über eine behauptete Antragseinreichung bei einem Deutschen Konsulat im Ausland eine Kostenübernahme im Rahmen einer Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs 3a SGB V erwirken zu wollen, an Rechtsmissbrauch. Zudem würde das Fristenregime des § 13 Abs 3a SGB V bei einer Antragseinreichung über ein Deutsches Konsulat im Ausland schon nach seinem Sinn und Zweck nicht ab Antragsabgabe gelten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177SGG.