Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 16.03.2005, Az.: 5 A 8/05
Altersrente; Altersversorgung; Berufsständisches Altersversorgungswerk; Eigentum; Existenzsicherung; Finanzbedarf; Heraufsetzung; Nichtigkeit; Pension; Pensionierung; Pensionierungsalter; Rentenanpassung; Rentenanwartschaft; Renteneintrittsalter; Rentensicherung; Rückwirkung; Satzungsänderung; Versorgungswerk; Vertrauensschutz; Zahnarzt; Zahnärztekammer; Zusicherung; Äquivalenzprinzip
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 16.03.2005
- Aktenzeichen
- 5 A 8/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 50649
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- Art 14 GG
- Art 20 Abs 3 GG
- § 12 ZÄASiO ND
- § 38 Abs 3 VwVfG
- § 12 Abs 2 HKG ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Die Heraufsetzung des Pensionierungsalters ist zur Sicherung der Funktionsfähigkeit des Altersversorgungswerks ausnahmsweise zulässig.
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Entscheidung über die Kosten ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
Tatbestand:
Der am 14.10.1944 geborene Kläger ist Zahnarzt in B.. Er ist Pflichtmitglied im beklagten Altersversorgungswerk der Zahnärztekammer Niedersachsen.
Mit Schreiben vom 15.04.1985 wurde der Kläger - wie alle anderen Mitglieder - vom Beklagten wie folgt benachrichtigt:
Betreff: Änderung Ihres Pensionierungsalters
Sehr geehrtes Mitglied!
Die am 1. April 1985 in Kraft getretene und im Niedersächsischen Zahnärzteblatt 3/1985 veröffentlichte Satzungsänderung hinsichtlich der flexibleren Gestaltung des Pensionierungsalters jedes einzelnen Mitgliedes berücksichtigt den in der Vergangenheit verstärkt aus Ihrer Mitte an den Leitenden Ausschuss herangetragenen Wunsch, vor Erreichen des 65. Lebensjahres eine Rente aus dem Altersversorgungswerk zu erhalten.
Sie gehören zu dem Kreis der Mitglieder, der am 31.3.1985 das 44. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, so dass für Sie ab 1.4.1985 ein Pensionierungsalter von 60 gilt, sofern nicht von Ihnen innerhalb der angegebenen Fristen eine andere Vereinbarung gewünscht wird.
Haben Sie sich für ein Pensionierungsalter entschieden, so behält dieses für die gesamte Zeit Gültigkeit, wobei es Ihnen unbenommen bleibt, von den Möglichkeiten des § 19 der Alterssicherungsordnung (zusätzliche Einzahlungen zur Vorverlegung) Gebrauch zu machen.
Auf der anderen Seite können Sie den Beginn der Rentenzahlung bei Erreichen Ihres Pensionierungsalters auch wieder jeweils um 1 Jahr mit oder ohne Beitragszahlung bis höchstens zum 65. Lebensjahr hinausschieben. In diesem Fall würde sich die Altersrente entsprechend erhöhen.
Außerdem erlauben wir uns, darauf hinzuweisen, dass die Altersrente zum vereinbarten Zeitpunkt gezahlt wird, ohne dass Sie Ihre Praxis aufgeben.
Für den Fall, dass Sie einen Antrag auf Änderung der Beitragszahlung ab April 1985 gestellt haben sollten, ist dieser in dem beiliegenden Bescheid noch nicht berücksichtigt.
Wir hoffen, dass diese zusätzlichen Erläuterungen Ihnen die Entscheidung erleichtern mögen und verbleiben.
(Unterschrift)
Mit Bescheid vom 22.01.1987 sowie in allen Folgebescheiden wurde dem Kläger die monatliche Altersrente ab dem Pensionierungsalter von 60 Jahren sowie die erworbene Anwartschaft zur Witwenrente mitgeteilt.
Die Kammerversammlung der Zahnärztekammer Niedersachsen beschloss am 18.12.1999 die Änderung der Rechnungsgrundlagen sowie der Satzung wie folgt:
§ 12 Absätze 2 und 3 haben folgenden neuen Wortlaut:
(2) Die Rentenzahlung beginnt mit dem Monat, der auf das Erreichen eines bestimmten Lebensalters (Pensionierungsalter) folgt.
Als Pensionierungsalter gilt die Vollendung des 63. Lebensjahres für alle nach dem 31.12.1999 begründeten Mitgliedschaften.
Für Mitgliedschaften, die am 31.12.1999 bestanden haben, gilt folgende Regelung:
1. Bei Mitgliedern der Geburtsjahre 1962 und jünger erhöht sich das bisherige Pensionierungsalter um 3 Jahre
2. Bei Mitgliedern der Geburtsjahre 1941 - 1961 erhöht sich das bisherige Pensionierungsalter wie folgt:
Geburtsjahr 1941 um 3 Monate
Geburtsjahre 1942 und 1943 um 6 Monate
Geburtsjahre 1944 und 1945 um 9 Monate
Geburtsjahre 1946 und 1947 um 12 Monate
Geburtsjahre 1948 und 1949 um 15 Monate
Geburtsjahre 1950 und 1951 um 18 Monate
Geburtsjahre 1952 und 1953 um 21 Monate
Geburtsjahre 1954 und 1955 um 24 Monate
Geburtsjahre 1956 und 1957 um 27 Monate
Geburtsjahre 1958 und 1959 um 30 Monate
Geburtsjahre 1960 und 1961 um 33 Monate
3. Mitglieder des Geburtsjahres 1940 und älter sowie solche, die auf die Rentenanpassung nach § 12 c verzichten, behalten ihr bisher maßgebendes Pensionierungsalter. Die Verzichtserklärung ist unwiderruflich und unbedingt schriftlich bis zum 30.06.2000 abzugeben.
(3) Das Mitglied kann das Pensionierungsalter um höchstens drei Jahre, jedoch nicht vor das 60. Lebensjahr, vorverlegen. Die Altersrente wird dann nach den Rechnungsgrundlagen des Werkes gekürzt.
Nach Maßgabe dieser Neuregelung wurde das Pensionierungsalter des Klägers im Bescheid vom 17.02.2000 ab dem 01.01.2000 auf 60 Jahre und 9 Monate festgesetzt bei einer Anwartschaft auf eine monatliche Altersrente in Höhe von 2549 DM und einer Kaufkraftanpassung um 51,50 %.
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein mit der Begründung, ihm sei das Pensionierungsalter von 60 Jahren garantiert worden. Neue Sterbetafeln seien als Rechnungsgrundlage für die Heraufsetzung nicht geeignet. Der Widerspruch wurde vom Beklagten mit Bescheid vom 04.09.2000 - zugestellt am 11.09.2000 - zurückgewiesen mit der Begründung, das Versorgungswerk werde nach dem Kapitaldeckungssystem finanziert. Das bedeute, dass jedes Mitglied letztlich seine Rente selbst finanziere. Mitglieder hätten keinen Anspruch auf Mitgliedsbeiträge von anderen, sondern es verbleibe nur die Möglichkeit, bei gleich hoher Beitragszahlung entweder die Renten zu kürzen oder die Rentenbezugszeit zu verändern, wenn sie älter würden als zu Beginn ihrer Beitragszahlung errechnet. Grundlage für derartige Berechnungen bildeten die Sterbetafeln, die der tatsächlichen Entwicklung immer wieder angepasst werden müssten. Aus der neuesten Sterbetafel gehe hervor, dass die jüngeren Jahrgänge eine höhere Lebenserwartung hätten als die älteren. Das Prinzip der Kapitaldeckung bedeute, dass der Personenkreis, der voraussichtlich länger lebe, dafür auch das Kapital bereitstellen müsse, etwa durch höhere Einzahlungen, Veränderung der Rentenbezugszeit oder einer Mischform beider Möglichkeiten. Bereits 1995 habe eine Änderung der Rechnungsgrundlagen durchgeführt werden müssen, wie nunmehr erneut. Diejenigen Mitglieder sollten belastet werden, die in Zukunft einen höheren Finanzbedarf durch Längerlebigkeit verursachten. Deshalb seien die Rente und auch die Rentenanpassung den Versorgungsempfängern erhalten geblieben. Ein rechtswidriger Eingriff in bestehende Eigentumsrechte liege darin nicht, wie auch aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur gesetzlichen Rentenversicherung ersichtlich. Das Altersversorgungswerk beinhalte Merkmale der gesetzlichen Rentenversicherung wie z. B. die Berufsunfähigkeitsleistung, Waisenrenten und die Finanzierung der alten Last, so dass die Grundsätze übertragbar seien.
Der Kläger hat dagegen am 10.10.2000 Klage erhoben (Az. 5 A 5061/00); das Verfahren wurde wegen des zu dem Streitgegenstand der Heraufsetzung des Pensionierungsalters in § 12 Abs. 2 Satz 2 und 3 Alterssicherungsordnung - ASO - beim Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht anhängigen Nomenkontrollverfahrens Az. 8 KN 4142/01 zum Ruhen gebracht. Im Urteil vom 29.09.2004 hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht die Satzungsneuregelung aus formellen Gründen für nichtig erklärt, weil die von der Kammerversammlung am 18.12.1999 beschlossene Satzungsänderung nicht ordnungsgemäß bekannt gemacht worden war. In der Sitzung vom 29.10.2004 hat die Kammerversammlung der Zahnärztekammer daraufhin rückwirkend zum 01.01.2000 die Neufassung der §§ 12, 13 ASO einstimmig erneut beschlossen. Sie wurde in den Zahnärztlichen Nachrichten Niedersachsen (ZNN) 12/2004, S. 36, veröffentlicht.
Der Kläger meint, in der Heraufsetzung des Pensionierungsalters von 60 Jahren auf 60 Jahre und 9 Monate liege eine erhebliche Schlechterstellung, die einen Eingriff in die verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie darstelle. Diese werde durch das Heilkammergesetz und die Satzungsautonomie nicht gedeckt. Das Renteneintrittsalter sei ihm mit den Bescheiden vom 15.04.1985 und zuletzt vom 22.03.1999 zugesichert worden. Die Übertragung der Grundsätze der gesetzlichen Rentenversicherung auf Entscheidungen der Kammerversammlung im Rahmen ihrer Satzungsautonomie sei nicht zulässig. Die rückwirkende Inkraftsetzung der Satzungsneuregelung sei unzulässig.
Der Kläger beantragt,
1. den Bescheid des Beklagten vom 17.02.2000 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 04.09.2000 aufzuheben,
2. die Zuziehung des Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.
Der Beklagte erwidert, er habe sämtliche Mitglieder über die bevorstehenden Satzungsänderungen informiert. Eine Anhebung des Pensionierungsalters um nur 9 Monate stelle keine erhebliche Schlechterstellung dar.
Die zunächst unwirksame Satzungsregelung sei nunmehr geheilt worden und wirksam. Der Bescheid vom 17.02.2000 habe eine wirksame Rechtsgrundlage.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte und den vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgang.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat keinen Erfolg.
Das Altersversorgungswerk der Zahnärztekammer Niedersachsen kann gemäß § 12 Abs. 2 Satz 1 Heilkammergesetz - HKG - in der Fassung vom 08.12.2000 (Nds.GVBl. S. 301) aufgrund der nunmehr eingeführten Teilrechtsfähigkeit unter seinem eigenen Namen verklagt werden. Das Rubrum war daher von Amts wegen zu ändern.
Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 17.02.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.09.2000 lässt Rechtsfehler nicht erkennen.
Rechtsgrundlage für den Bescheid vom 17.02.2000 ist § 12 Abs. 2 Nr. 3 HKG a. F. v. 19.06.1996 (Nds. GVBl. S. 259) bzw. § 12 Abs. 4 Satz 1, 6 Nr. 3 HKG n. F. v. 08.12.2000, (a.a.O.). Hiernach haben die Kammern in der Satzung zur Sicherung im Alter u.a. die Art und den Umfang der Versorgungsleistung zu regeln, wie in §§ 12, 12 a ASO erfolgt. Der Beklagte hat das Pensionierungsalter des 1944 geborenen Klägers nach Maßgabe der rückwirkend zum 01.01.2000 in Kraft getretenen Satzungsänderung vom 29.10.2004 (veröffentlicht in ZNN Nr.12/2004, S. 36) gemäß § 12 Abs. 2 Satz 3, 3. Satz zutreffend auf 60 Jahre und 9 Monate festgesetzt.
Die rückwirkende Inkraftsetzung der belastenden Regelung über die Heraufsetzung des Pensionierungsalters ist ungeachtet der darin liegenden sog. echten Rückwirkung rechtlich unbedenklich, da diese Regelung bereits mit Beschluss der Kammerversammlung vom 18.12.1999 in die Satzung aufgenommen worden war. § 12 Abs. 2 Satz 2 und 3 ASO in der Fassung vom 18.12.1999 war allerdings in dem Normenkontrollurteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 29.09.2004 (Az. 8 KN 4142/01) für nichtig erklärt worden, aber allein wegen formeller Mängel bei der Veröffentlichung. Der Kläger und alle übrigen Mitglieder des beklagten Versorgungswerks mussten mit der erneuten Inkraftsetzung der Neuregelung bereits deshalb rechnen, weil diese Regelung Rechtsgrundlage nahezu aller bis zum heutigen Tag ergangenen Rentenanwartschaftsbescheide und zahlreicher Rentenbescheide für die zwischenzeitlich in den Ruhestand eingetretenen Zahnärzte ist. Vertrauen in das Weiterbestehen der bis zum 31.12.1999 geltenden Satzungsregelung, die das Pensionierungsalter mit 60 Jahren vorsah, konnte mithin nicht entstehen. Unter diesen Umständen war die rückwirkende Inkraftsetzung der Satzungsänderung rechtlich zulässig (ständ. Rspr. d. BVerfG, vgl. dazu Leibholz/Rinck/Hesselberger, Kommentar zum Grundgesetz, 7. A., Art. 20 GG Rdnr. 1632; BVerwG, U. v. 26.09.2001 - 6 C 5.01- Juris; so wohl auch zu dieser Neuregelung Nds. OVG, B. v. 01.02.2005 - 8 ME 324/04, S.5). Der Umstand, dass die Satzungsänderung bei Vollendung des 60. Lebensjahres des Klägers vorübergehend unwirksam war, wirkt sich daher nicht zu seinen Gunsten aus.
Die Neuregelung ist auch materiellrechtlich wirksam.
Bei der Rentenanwartschaft des Klägers handelt es sich um eine vermögenswerte Rechtsposition, die hinsichtlich des Altersrentenanspruchs ausschließlich auf Eigenleistungen des Mitglieds beruht, im Alter seiner Existenzsicherung dienen soll und ihm nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts als privatnützig zugeordnet ist. Es handelt sich daher um eine von Art. 14 GG geschützte Rechtsposition. Das gilt bei dem beklagten Altersversorgungswerk im besonderen Maße, weil seine Finanzierung nach dem Äquivalenzprinzip des klassischen Kapitaldeckungsverfahrens erfolgt, d.h. die Versorgungsleistungen des einzelnen Mitglieds werden nicht - wie bei dem von einer Vielzahl von Versorgungswerken verwendeten offenen Plandeckungsverfahren - auch von Umlagen, sondern nur von den eingezahlten Beiträgen des jeweiligen Mitglieds und den daraus erwachsenen Zinsen genährt. Der Eigentumsschutz bezieht sich auch auf den Zeitpunkt der Gewährung einer ungekürzten Altersrente. Denn zwischen dem zu zahlenden Beitrag sowie der Höhe und dem Beginn der Altersrente besteht nach der ASO ein unmittelbarer Zusammenhang (so Nds. OVG, Urt. v. 29.09.2004 - 8 KN 4142/01, S. 11,12).
Allerdings werden bei der rückwirkenden Inkraftsetzung der Regelungen in § 12 ASO eigentumsgeschützte Rechtspositionen nicht gänzlich entzogen, sondern die Rentenanwartschaft, die in der Höhe unberührt blieb, wird durch Hinausschieben des Rentenbeginnalters lediglich modifiziert. Die Modifikation einer Anwartschaft ist nach den Grundsätzen zu beurteilen, nach denen der Normgeber in zulässiger Weise Inhalt und Schranken des Eigentums nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG bestimmen darf (BVerfG, B. v. 08.04.1987 - 1 BvR 564/84, DVBl 1987, 947 f).
Als Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG genügt die angegriffene Neuregelung - noch - verfassungsrechtlichen Anforderungen, die auch bei der Inkraftsetzung von untergesetzlichen Satzungsnormen durch eine Selbstverwaltungskörperschaft zu beachten sind.
Die in Frage stehende Neuregelung ist von dem Ziel der langfristigen Rentensicherung durch das Altersversorgungswerk getragen. Dieses Ziel dient mithin dem allgemeinen Wohl aller von der ASO Betroffenen im Sinne von Art. 14 Abs. 2 Satz 2 GG und ist daher legitim (BVerfGE 103, 293, 306 f [BVerfG 03.04.2001 - 1 BvL 32/97]).
Die angegriffene Regelung ist auch verhältnismäßig im weiteren Sinne. Denn die Neuregelung ist geeignet, das von der Zahnärztekammerversammlung angestrebte Ziel der langfristigen Sicherung der Rentenbezüge aller derzeitigen und zukünftigen Rentenbezieher zu erreichen. Dabei steht dem Satzungsgeber bei der berufsständischen Altersversorgung wie in allen komplexen, auf künftige Entwicklungen ausgelegten Rechtsbereichen ein weiter Einschätzungsspielraum zu (BVerfGE 37, 104, 118; 78, 249, 288). Von diesem Einschätzungsspielraum sind die Vorschriften über die Anhebung des Renteneintrittsalters gedeckt. Sie veranlassen regelmäßig die Versicherten, unter Weiterzahlung der Versorgungsbeiträge länger erwerbstätig zu sein oder aber nach § 12 Abs. 2 Satz Nr. 3 ASO unwiderruflich auf die Rentenanpassung nach § 12 c ASO zu verzichten und so ihr bisher maßgebendes Pensionierungsalter zu erhalten, oder es nach § 12 Abs. 3 ASO unter Kürzung der Altersrente bis zum 60. Lebensjahr vorzuverlegen, oder aber es gemäß § 19 ASO durch zusätzliche Beitragsleistung bis frühestens zum 60.Lebensjahr vorzuverlegen .
Die Anhebung der Altersgrenze war Ende des Jahres 1999 zwingend und unabdingbar erforderlich. Denn die Lebenserwartung der Versicherten war vor allem im Verlaufe der 90-iger Jahre signifikant gestiegen. Bereits im Jahr 1994 hatte die Kammerversammlung mit Wirkung zum 01.01.1995 daher neue Rechnungsgrundlagen beschließen müssen, die der gestiegenen Lebenserwartung Rechnung trugen. Die Renten und Rentenanwartschaften hatten seinerzeit nur durch die Entnahme von ca 72,3 Mio DM aus der sog. sonstigen versicherungstechnischen Rücklage, aus der die satzungsgemäße Überschussbeteiligung (Rentenanpassung, §§ 12 c, 29 Abs. 2 Satz 2 ASO) gewährt wird, gesichert werden können (Breith/Velten, Versicherungsmathematisches Gutachten über das Altersversorgungswerk der Zahnärztekammer Niedersachsen zum 31.12.2002, Ziff. 6.2, ab jetzt: Gutachten).
Wegen der starken Erhöhung der Lebenserwartung war der erneute Übergang zu neuen Rechnungsgrundlagen ab Januar 2000 zwingend erforderlich, um die Bilanz des Altersversorgungswerkes auszugleichen und die Sicherheit des Werkes zu gewährleisten (Breith/Velten, Gutachten zum 30.09.1999, Ziff. 1.5). Dabei wurde auf die Sterbetafel der Deutschen Aktuarvereinigung 1994R mit Modifikationen im Hinblick auf den guten Lebensstandard der Zahnärzte und die daraus resultierende Untersterblichkeit zurückgegriffen (Modifikation: Verringerung der Sterbewahrscheinlichkeiten linear von 1% auf 10 % ab dem Alter von 59 bis 68 Jahren und für alle höheren Alter, Gutachten zum 30.09.1999, Ziff. 4.3). Die Untersterblichkeit wurde durch statistische Erhebungen zu den Beständen des Altersversorgungswerks überprüft und spiegelte sich dort wieder. So lag z.B. die Sterblichkeit bei männlichen Ruhegeldempfängern von 1997 bis 1999 nicht, wie statistisch errechnet, bei 129, sondern bei 100 Fällen, die bei den mengenmäßig immer noch weit überwiegenden männlichen Rentenanwartschaftsinhabern (34,3 % aktive Zahnärztinnen, Gutachten zum 31.12.2002, Ziff. 3.2) bei 11 statt 41. Ab sofort mussten neue Rechnungsgrundlagen beschlossen werden, die die zukünftige Steigerung der Lebenserwartung einschlossen (Gutachten zum 30.09.1999, Ziff. 4.1, 4.2).
Der auch aus der Sicht des Gerichts zwingend notwendige Beschluss über die neuen Rechnungsgrundlagen am 18.12.1999 machte die Satzungsänderung im Hinblick auf Beitragskalkulation und Leistungsfestsetzung unabdingbar. Denn die Deckungsrückstellung für die Grundrenten musste nunmehr um ca 406 Mio DM aufgefüllt werden (Gutachten zum 30.09.1999, Ziff. 5.4).
Die in der Kammerversammlung beschlossene und in der Folgezeit der Arbeit des Altersversorgungswerkes zugrunde gelegte Neuregelung des Pensionierungsalters - neben anderen Neuregelungen, z.B. bei der Berufsunfähigkeitsrente - war zur Schließung der Deckungslücke auch geeignet. Die versicherungstechnische Bilanz für das Altersversorgungswerk zum 31.12.1999 wies keinen Fehlbetrag mehr auf.
Der Kammerversammlung der Zahnärztekammer stand kein milderes, die Betroffenen insgesamt weniger belastendes Mittel als die Heraufsetzung des Pensionierungsalters zur Verfügung, mit dem sie ihre Ziele, nämlich die Verhinderung einer Deckungslücke, ebenso gut hätte erreichen können.
In Betracht gekommen wäre die Auffüllung der Deckungsrückstellung für die Grundrenten durch Auflösung der Rückstellung für die satzungsgemäße Überschussbeteiligung (sog. sonstige versicherungstechnische Rückstellung) und die Verwendung aller 1999 angefallenen Zinsüberschüsse für die Grundrentensicherung, denn auf die hieraus (und aus den laufenden Überschüssen) gespeiste Rentenanpassung besteht für die Rentenbezieher der Höhe nach kein Rechtsanspruch (Umkehrschluss aus § 11 und § 12 c ASO).
Diese Möglichkeit zeigt § 29 Abs. 2 Satz 3 ASO durchaus auf. Aber abgesehen davon, dass gleichwohl ein ganz erheblicher Fehlbetrag in Höhe von 221,7 Mio DM offen geblieben (Bilanz zum 30.09.1999 ohne Satzungsänderungen, unter „Ausgleichsposten“) und anderweitig auszugleichen gewesen wäre, hätte das zur Folge gehabt, dass nicht erst im Jahr 2004, sondern bereits ab dem Jahr 2000 trotz im Jahr 1999 noch üppig anfallender Überzinsen (d.h. über dem vom Altersversorgungswerk verwendeten rechnungsmäßigen Zinsfuß von 4 % liegender Zinsen) sämtliche Rentenanpassungen weggefallen wären, also auch die Rentenanpassungen zu bereits laufenden Rentenverpflichtungen (Gutachten zum 30.09.1999, Ziff. 5.4). Die ausreichende Rückstellung für die satzungsmäßige Überschussbeteiligung bzw. „sonstige versicherungstechnische Rückstellung“ dient daneben aber auch der Absicherung der Nominalrenten, wie aus § 29 Abs. 2 Satz 3 ASO ersichtlich. Sie ergänzt die Deckungsrückstellung für die garantierten Leistungen (Gutachten zum 30.09.1999 und zum 31.02.2002, jeweils Ziff. 6.2). Werden die über dem Zinsfuß liegenden Überschüsse vollständig zur Auffüllung der Deckungsrückstellung verwendet und fällt die Rückstellung für die satzungsmäßige Überschussbeteiligung gänzlich weg, entsteht im Falle von Unterschreitung des Zinsfußes sofort ein Fehlbetrag bei der Deckungsrückstellung für die Grundrenten und -anwartschaften, der den Leitenden Ausschuss zu sofortigem Handeln nach § 29 Abs. 3 ASO zwingen würde.
Hinzu kommt, das sich die Mittel für die Rentenanpassungen allein aus Überschüssen des Werkes und nicht aus Beiträgen speisen. Sie sind daher anfällig für Zinsschwankungen, wie die Entwicklung am Kapitalmarkt und der Wegfall des Zinsüberschusses in den Jahren 2002/2003 sowie der dadurch bedingte vollständige Wegfall der Rentenanpassung im Jahr 2004 für alle Rentenbezieher, aber auch für Witwen und Waisen, nachträglich drastisch vor Augen geführt hat. Es lag daher innerhalb der Gestaltungsfreiheit des Satzungsgebers, die Rückstellung für die satzungsgemäße Überschussbeteiligung im Dezember 1999 nicht vollständig für die Auffüllung des Deckungsfehlbetrages bei den Grundrenten und Grundrentenanwartschaften zu verwenden. Stattdessen wurde nur der Teilbetrag in Höhe von 77,1 Mio DM zur Auffüllung der Deckungsrückstellung zum Zwecke der Vermeidung von Rentenkürzungen verwendet (Breith/Velten, Gutachten zum 31.12.2002, Ziff. 6.2).
Die Kammerversammlung konnte nicht darauf verwiesen werden, eine Einsparung an anderer, von der betreffenden Satzungsneuregelung nicht erfasster Stelle zu erzielen (BVerfGE 75, 78, 101 [BVerfG 08.04.1987 - 1 BvR 564/84],103, 172, 189). Sie war unter dem Gesichtspunkt des Erforderlichkeitsgrundsatzes weder verpflichtet, die Bestandsrenten zu verringern noch allgemein für alle aktiven Zahnärzte die Versorgungsbeiträge heraufzusetzen (was wegen der Koppelung an die Beiträge in gesetzlichen Rentenversicherung zukünftig wohl auch kaum mehr möglich sein wird, vgl. § 12 Abs. 5 Satz 2 HKG i.d.F. v. 08.12.2000, a.a.O.) . Dass die Kammerversammlung Letzteres ablehnte, um „die jungen Zahnärzte in der jetzigen wirtschaftlichen Situation nicht unzumutbar zu belasten“ (Rundschreiben FVDZ v. 20.12.1999, S. 2), hält sich innerhalb der satzungsgemäßen Gestaltungsfreiheit. Der Entschluss, die Bestandsrenten nicht zu kürzen, überschreitet den Gestaltungsspielraum des Satzungsgebers gleichfalls nicht, denn - im Gegensatz zu den von der Satzungsänderung betroffenen Rentenanwartschaftsinhabern - hätten die Rentenbezieher und auch die unmittelbar vor dem Rentenbezug stehenden, von der Satzungsänderung ausgenommenen aktiven Zahnärzte keine Möglichkeit gehabt, durch entsprechende finanzielle Dispositionen die Rentenkürzungen anderweitig aufzufangen.
Die vom Satzungsgeber vorgenommene Abwägung der Gemeinwohlbelange, nämlich der Gewährleistung der Leistungsfähigkeit des Versorgungswerks und der Sicherung der Renten auf lange Sicht, mit dem entstehenden Vertrauensschaden bei den aktiven Zahnärzten und ihrem Interesse an der Aufrechterhaltung des Pensionierungsalters bei 60 Jahren, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere ist der schonendsmögliche Eingriff in die Eigentumsposition der Rentenanwartschaft gewählt worden. Die den Zahnärzten im Bestand durch die Regelung zugefügten Nachteile sind erheblich, aber noch zumutbar, zumal die Möglichkeit einer vorzeitigen Inanspruchnahme der Altersrente ab dem bislang geltenden Rentenbeginn, d.h. ab dem 60. Lebensjahr, mit § 12 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3, Abs. 3 und § 19 ASO geblieben ist, wenngleich mit Abschlägen bei der Rentenhöhe oder erhöhter Beitragszahlung. Nur für den unmittelbar vor dem Renteneintritt stehenden Jahrgang (Geburtsjahr 1940) wurde das Pensionierungsalter beibehalten. Allen anderen Betroffenen stand und steht bis zum jetzigen Rentenbeginn ein noch ausreichender Zeitraum für Dispositionen zur Verfügung, da die unmittelbar von der Neuregelung betroffenen Zahnärzte durch die stufenweise Heraufsetzung des Pensionierungsalters mit nur 3 Monaten auch am Geringsten belastet wurden, danach die im Zwei-Jahres-Rhythmus greifende Heraufsetzung in Drei-Monats-Schritten zumutbar geregelt ist. Der bis dahin bleibende Zeitraum kann bei generalisierender Betrachtungsweise als noch ausreichend angesehen werden, um für den Ruhestand schon getroffene Dispositionen an die neue Rechtslage anzupassen (vgl. dazu BVerfG, B. v. 03.02.2004 - NVwZ 2004, 365 f [OVG Rheinland-Pfalz 04.11.2003 - 8 B 11220/03]). Das gilt auch für den Kläger, denn er hatte bis zu seinem ursprünglichen Pensionierungsalter fast 5 Jahre Zeit, um seinen Rentenbeginn, z.B. durch weitere Beiträge, wieder auf den ursprünglichen Zeitpunkt herabzusetzen.
Die Heraufsetzung des Pensionierungsalters auf mehr als 60 Jahre war auch nicht aufgrund des Rundschreibens des Beklagten vom 15.04.1985 rechtswidrig. Es kann offen bleiben, ob es sich dabei um eine Zusage des Pensionierungsalters handelt, worauf die Aussage „Haben Sie sich für ein Pensionierungsalter entschieden, so behält dieses für die gesamte Zeit Gültigkeit“,...hindeutet. Denn der Beklagte betrachtet ohnehin die Festsetzung des Pensionierungsalters und die Höhe der Rentenanwartschaft in allen Bescheiden als garantierte Leistung.
An diese Zusicherung war der Beklagte aufgrund der besonderen Umstände gemäß § 38 Abs. 3 VwVfG nicht gebunden. Es war - wie ausgeführt - aufgrund der nachträglichen drastischen Steigerung des Lebensalters der Zahnärzte unabdingbar notwendig, das Pensionierungsalter heraufzusetzen. Die Geschäftsgrundlage für die Zusicherung war damit weggefallen (vgl. Kopp/ Ramsauer, Komm. z. VwVfG, 7. A., § 38 Rdnr. 36). Dass die Kammerversammlung der Zahnärztekammer bei Kenntnis der nachträglichen Änderung der Sachlage die Satzungsänderung im Jahr 1985 nicht vorgenommen und das Altersversorgungswerk diese Zusicherung bzw. Garantie nicht gegeben hätte, steht für das Gericht außer Frage.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.