Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 14.03.2005, Az.: 2 B 1087/05
Rechtmäßigkeit der Nichtgestattung der Erwerbstätigkeit eines in einem Arbeitsverhältnis stehenden geduldeten Ausländers; Anspruch eines Ausländers auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Erlaubnis zur Ausübung einer Beschäftigung
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 14.03.2005
- Aktenzeichen
- 2 B 1087/05
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 35742
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGHANNO:2005:0314.2B1087.05.0A
Rechtsgrundlagen
- § 10 BeschVerfV
- § 11 BeschVerfV
Fundstelle
- InfAuslR 2005, 204-206
Verfahrensgegenstand
Verbot der Erwerbstätigkeit
Antrag nach § 123 VwGO
In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Hannover -2. Kammer -
am 14. März 2005
beschlossen:
Tenor:
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig -bis zum Eintritt der Bestandskraft der Entscheidung der Antragsgegnerin über die Nichtgestattung der Erwerbstätigkeit -die Fortsetzung der Beschäftigung als Arbeitnehmerin bei der {B.} bei unveränderten Arbeitsbedingungen zu erlauben.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes beträgt 2.500,00 EUR.
Gründe
I.
Die im Jahre 1982 geborene Antragstellerin reiste als unbegleitete Minderjährige am 27.12.1997 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Bei ihrer Aufenthaltsanzeige gegenüber der Antragsgegnerin sowie anlässlich ihres Asylbegehrens bei dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge gab sie jeweils an, aus Syrien zu stammen, kurdischer Volks- und yezidischer Glaubenszugehörigkeit zu sein, aber die syrische Staatsangehörigkeit nicht zu besitzen (vgl. die Niederschrift über die Anhörung vor dem BAFl. v. 07.12.1998, S. 1). Die Klage des Bundesbeauftragten gegen den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, der in der Person der Antragstellerin das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG festgestellt hatte, war im Urteil des beschließenden Gerichts vom 16.03.2000 -2 A 1467/99 -erfolgreich. Die Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge v. 14.07.2000, der das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG verneint und die Abschiebung der Antragstellerin nach Syrien androht, blieb im Urteil vom 01.03.2001 -2 A 3367/00 -erfolglos. Die Antragstellerin ist deshalb seit dem 05.04.2001 vollziehbar ausreisepflichtig.
Die Antragstellerin erhielt seitdem befristete Duldungen der Antragsgegnerin, die jeweils verlängert wurden und u.a. die Nebenbestimmung trugen, dass eine selbstständige oder vergleichbare unselbstständige Erwerbstätigkeit nicht gestattet und eine arbeitserlaubnispflichtige Erwerbstätigkeit nur gemäß gültiger Arbeitserlaubnis gestattet sei. Seit dem 12.08.2002 steht die Antragstellerin in einem sozialversicherungspflichtigen, unbefristeten und ungekündigten Arbeitsverhältnis als Zimmerreinigerin bei der Firma {B.} in Hannover.
Bereits am 26.06.2002 hatte die Antragstellerin die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis beantragt. Zu der beabsichtigten Ablehnung wurde sie von der Antragsgegnerin unter dem 11.04.2003 angehört, ein Entscheidung ist soweit ersichtlich nicht ergangen. Der Versuch der Antragsgegnerin, mit der Amtshilfe der Bezirksregierung Braunschweig Passersatzpapiere für die Antragstellerin zu beschaffen, blieb wegen des Fehlens von Personaldokumenten erfolglos. Die Antragstellerin wurde daraufhin mehrfach aufgefordert, sich zur syrischen Botschaft zu begeben, um dort Personalpapiere zu beantragen. Unter dem 21.02.2005 wurde die Duldung der Antragstellerin erneut, diesmal nur für einen Monat befristet, verlängert. Die Duldung enthält u.a. die "Auflage", dass eine Erwerbstätigkeit nicht gestattet sei.
Die Antragstellerin hat gegen diese Entscheidung Widerspruch eingelegt und am 22.02.2005 um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Zur Begründung trägt sie vor, es sei unverhältnismäßig, sie in den Sozialhilfebezug zu zwingen, mit dem Verlust ihrer Beschäftigung würde sie auch einen Verdienst in Höhe von monatlich netto 700,00 DM verlieren. Bereits im Januar 2003 habe sie sich zur syrischen Botschaft begeben, um einen syrischen Pass zu beantragen. Ihr Antrag sei jedoch nicht entgegengenommen, sondern mündlich abgelehnt worden. Schon zuvor habe sie sich mit Schreiben vom 07.09.2001 mit dem gleichen Begehren an die syrische Botschaft erfolglos gewandt. Die Antragsgegnerin habe ihren Vorschlag, gemeinsam mit einem Mitarbeiter bei der Botschaft vorzusprechen, nicht angenommen.
Die Antragstellerin beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die in der Duldung vom 21.02.2005 erteilte Nebenbestimmung "Erwerbstätigkeit nicht gestattet" aufzuheben und ihr weiterhin vorläufig die Erwerbstätigkeit zu gestatten.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen
und erwidert: Die Versagung der Beschäftigungsmöglichkeit für die Antragstellerin sei zwingend. Die Antragstellerin beziehe seit ihrer Einreise ununterbrochen Leistungen nach dem AsylbLG. Sie habe das bestehende Abschiebungshindernis auch zu vertreten. Ihre jetzige Behauptung, nicht die syrische Staatsangehörigkeit zu besitzen, widerspreche den Feststellungen im Asylverfahren. Die Antragstellerin schulde auch Bemühungen über ihre noch in der Heimat wohnenden Eltern oder über einen Rechtsanwalt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Ausländerakten Bezug genommen.
II.
Die Antragstellerin hat sowohl einen Anordnungsgrund wie einen Anordnungsanspruch zum Erlass der begehrten Regelungsanordnung glaubhaft gemacht.
Der Antrag ist nur in der beantragten Form als einstweilige Anordnung statthaft. Bei der der Duldung beigefügten "Nebenbestimmung" des Verbots der Erwerbstätigkeit handelt es sich nicht um eine Auflage, bei der die Einlegung eines Rechtsmittels aufschiebende Wirkung auslösen könnte. Nach dem seit Jahresanfang geltenden Aufenthaltsrecht in Verbindung mit der Beschäftigungsverfahrensordnung vom 22.11.2004 (BGBl. I, 2934) bedürfen geduldete Ausländer wie die Antragstellerin zur Ausübung einer Beschäftigung einer Erlaubnis, die im Falle der Versagung mit einem Verpflichtungsbegehren zu erstreiten ist. Die Dringlichkeit und der Anordnungsgrund ergeben sich aus dem Umstand, dass die Antragstellerin derzeit in einem Beschäftigungsverhältnis steht und ihr der Verlust dieses Arbeitsplatzes droht, wenn die dazu notwendige Erlaubnis ihr nicht erteilt wird.
Auch den notwendigen Anordnungsanspruch hat die Antragstellerin zur Überzeugung der Kammer glaubhaft gemacht. Das Gericht berücksichtigt dabei auch, dass die begehrte Regelung jedenfalls vorläufig die Hauptsache vorweg nimmt, so dass erhöhte Anforderungen an die Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs zu stellen sind. Auch diese werden von der Antragstellerin indessen erfüllt.
Gemäß § 10 BeschVerfV haben geduldete Ausländer nur dann einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Erlaubnis zur Ausübung einer Beschäftigung, wenn sie sich seit einem Jahr erlaubt oder geduldet im Bundesgebiet aufgehalten haben. Zwar hält sich die Antragstellerin nicht erlaubt in der Bundesrepublik Deutschland auf, weil sie zu ihrer Einreise ein Visum benötigte und von diesem Erfordernis nur für die Dauer des Asylverfahrens befreit war. Die Aufenthaltsgestattung war auf die Durchführung des Asylverfahrens beschränkt, so dass zum derzeitigen Zeitpunkt ein erlaubter Aufenthalt nicht mehr gegeben ist. Die Antragstellerin wird jedoch seit Vollziehbarkeit der Ausreiseaufforderung im Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, und damit seit über einem Jahr, nämlich seit dem 05.04.2001 geduldet.
Einem geduldeten Ausländer steht gemäß § 11 BeschVerfV der Anspruch auf ermessenfehlerfreie Entscheidung nicht zur Seite, wenn er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem AsylbLG zu erlangen oder wenn bei ihm aus von ihm zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können. Die Kammer teilt nicht die Auffassung der Antragsgegnerin, die Antragstellerin sei in das Bundesgebiet eingereist, um Leistungen nach dem AsylbLG zu beziehen. Yeziden aus Syrien wurden nach ständiger Rechtsprechung der beschließenden Kammer und auch des Nds. OVG im Zeitpunkt der Einreise der Antragstellerin in die Bundesrepublik Deutschland nämlich gruppenverfolgt und wurden als Asylberechtigte anerkannt.
Die Antragstellerin hat auch glaubhaft gemacht, dass die gegenwärtige Unmöglichkeit ihrer Abschiebung von ihr nicht zu vertreten ist. Sie hat nämlich zur Überzeugung der Kammer alle ihr zumutbaren Anstrengungen unternommen, um gültige Personalpapiere des syrischen Staates ausgestellt zu erhalten. Dabei legt die Kammer ihrer Entscheidung zugrunde, dass nach gegenwärtigem Erkenntnisstand Überwiegendes dafür spricht, dass die Antragstellerin ihrem Vortrag entsprechend tatsächlich nicht die Staatsangehörigkeit der Syrischen Arabischen Republik besitzt. Die Klägerin hat darauf hindeutende Angaben nämlich schon unmittelbar nach ihrer Einreise gegenüber der Antragsgegnerin, nämlich anlässlich ihrer Aufenthaltsanzeige gemacht und ihre Staatsangehörigkeit als "ungeklärt" angegeben. In der Anhörung vor dem Bundesamt hat sie unter dem 07.12.1998 ausdrücklich auf Befragen erklärt, in Syrien keine Personalpapiere besessen zu haben und nicht registrierte "Ungeklärte" zu sein. Dass das Bundesamt dieses Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen, sondern in seinem Bescheid vom 05.03.1999 die Antragstellerin zur syrischen Staatsangehörigen gemacht hat, verleiht der Antragstellerin die Staatsangehörigkeit noch nicht.
Die Antragstellerin hat ferner durch Vorlage einer Fahrkarte von Hannover nach Berlin eine Reise dorthin glaubhaft gemacht. Sie hat versichert, bei der syrischen Botschaft einen Antrag auf Ausstellung von Passpapieren gestellt zu haben, der mündlich abgelehnt worden sei, ohne dass man ihr weitergehende Unterlagen ausgehändigt habe. Auch ein schriftliches entsprechendes Begehren der Antragstellerin ist glaubhaft gemacht. Nach den der Kammer vorliegenden konsularischen Bestimmungen der Botschaft der Syrischen Arabischen Republik wird von dort zur Bedingung für die Erteilung eines neuen Reisepasses oder Reisedokumentes gemacht, dass, wenn der alte Reisepass nicht vorlegt werden kann, ein Identitätsnachweis (Personalausweis, Auszug aus dem Zivilregister -mit gestempeltem Passfoto -) beglaubigt vom syrischen Außenministerium, ein Aufenthaltsnachweis/Anzeige des Verlustes bei der Polizei, einer Annonce in der lokalen Zeitung und eine handschriftliche Erklärung des Passinhabers über den Verlust des Reisepasses beigebracht werden müssen. Nichtregistrierte Personen können diese Voraussetzungen nicht erfüllen.
Da die Kammer mit der im vorliegenden Verfahren nur zu fordernden Überzeugungsgewissheit der Auffassung ist, dass die Antragstellerin die syrische Staatsangehörigkeit nicht besitzt, kann ihr auch nicht erfolgreich vorgehalten werden, Bemühungen zur Beschaffung von Personaldokumenten über ihre noch in der Heimat lebenden Eltern unterlassen zu haben. Bemühungen, die offensichtlich erfolglos bleiben müssen, können nämlich von dem Ausländer nicht verlangt werden und sind nicht geschuldet. Die Kammer geht nach gegenwärtigem Stand vom Fehlen der Staatsangehörigkeit der Antragstellerin neben den geschilderten, durchweg widerspruchsfreien Darstellungen während ihres Aufenthalts in Deutschland auch deshalb vom Wahrheitsgehalt dieser Angaben aus, weil zum Zeitpunkt der Einreise der Antragstellerin diese als yezidische Glaubenszugehörige aus Syrien auch keinen Anlass hatte, über das Vorliegen bzw. Fehlen ihrer Staatsangehörigkeit falsche Angaben zu machen. Angehörige der yezidischen Glaubensgemeinschaft aus dem Nordosten Syriens wurden damals nämlich als einer mittelbaren Gruppenverfolgung unterliegend als Asylberechtigte anerkannt, und zwar unabhängig davon, ob sie die Staatsangehörigkeit des Verfolgerstaates besaßen. Die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte im Lande Niedersachsen hat sich erst im Anschluss an die Urteile des Nds. OVG vom 22.06.1999 geändert.
Die begehrte einstweilige Anordnung war daher zu erlassen, weil Überwiegendes für eine Reduzierung des der Antragsgegnerin eingeräumten Ermessens im Sinne der hier tenorierten Entscheidung spricht. Die Antragstellerin steht in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis, das sie ursprünglich mit der Erlaubnis der Arbeitsverwaltung eingegangen ist. Die nach § 10 BeschVerfV notwendige Zustimmung der Bundesagentur liegt der Antragsgegnerin vor, soweit die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bei demselben Arbeitgeber zu unveränderten Bedingungen in Rede steht. Dementsprechend hat die Kammer die vorläufige Verpflichtung der Antragsgegnerin beschränkt. Sie konnte nicht bis zu einer Entscheidung über den von der Antragstellerin eingelegten Widerspruch befristet werden, weil der Widerspruch gegen die angegriffene Entscheidung nicht statthaft ist. Die Antragsgegnerin hat es in der Hand, durch den Erlass einer mit einer ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrung versehenen Entscheidung die im Moment noch laufende Klagefrist von einem Jahr für die Antragstellerin zu verkürzen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, [...].
Streitwertbeschluss:
Der Wert des Streitgegenstandes beträgt 2.500,00 EUR.
[D]ie Streitwertfestsetzung [folgt] aus § 52 Abs. 2 GKG.
Rücker
Dr. Hüper