Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 17.03.2005, Az.: 2 A 2884/04

Abschlag; Abzugsbetrag; Arzneimittel; Aufwendungen; Befreiung; Behandlungskosten; Beihilfe; Beihilfeberechtigung; Beihilfebewilligung; Belastungsgrenze; Eigenanteil; Eigenbehalt; Festsetzung; Medikament; Praxisgebühr; Ruhestandsbeamter; Selbstbehalt; Unterkunft; zumutbare Eigenversorgung

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
17.03.2005
Aktenzeichen
2 A 2884/04
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2005, 50647
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Abzugsbeträge/Eigenbehalt nach § 12 Abs. 1 Satz 1 BhV sind rechtmäßig.

2. Der Abzugsbetrag nach § 12 Abs. 1 Satz 2 BhV (sog. Praxisgebühr) darf nur von den beihilfefähigen Aufwendungen berechnet werden.

Tatbestand:

1

Der Kläger ist als Ruhestandsbeamter des Bundes beihilfeberechtigt. Sein Beihilfebemessungssatz und der seiner berücksichtigungsfähigen Ehefrau beträgt 70 v.H. Er wendet sich insgesamt gegen vier Beihilfefestsetzungsbescheide der Beklagten, mit der verschiedene Abzugsbeträge bzw. Eigenanteile von der festzusetzenden Beihilfe in Abzug gebracht werden.

2

Mit Bescheid vom 10.02.2004 bewilligte die Beklagte dem Kläger eine Beihilfe, nahm aber hierauf einen Abschlag in Höhe von 10,00 EUR für das erste Quartal des Kalenderjahres 2004 auf der Grundlage des § 12 Abs. 1 Satz 2 BhV vor. Im Bescheid vom 15.03.2004 brachte die Beklagte bei der Beihilfebewilligung im Übrigen einen Betrag in Höhe von 67,24 EUR von den Aufwendungen des Klägers in Abzug, es handelt sich insoweit um einen Eigenanteil für verordnete Arzneimittel.

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Im Bescheid vom 22.04.2004 wird für das 2. Quartal des Kalenderjahres wiederum ein Abschlag in Höhe von 10,00 EUR auf der Grundlage des § 12 Abs. 1 Satz 2 BhV sowie von Aufwendungen für Medikamente von 25,00 EUR vorgenommen. Die gegen diese belastenden Regelungen in den drei genannten Bescheiden eingelegten Widersprüche wies die Beklagte in ihrem Widerspruchsbescheid vom 05.05.2004 als unbegründet zurück. Insoweit hat der Kläger am 03.06.2004 Klage erhoben - 2 A 2884/04 -.

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Im Beihilfebescheid vom 16.06.2004 rechnete die Beklagte Aufwendungen des Klägers für eine stationäre Wahlleistungsunterbringung ab. Sie brachte bei den Aufwendungen zum einen für fünf Tage einen Betrag von 14,50 EUR täglich gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 6 b) BhV in Abzug, weil der Kläger Wahlleistungen in Form einer gesondert berechneten Unterkunft in Anspruch genommen hatte. Darüber hinaus erfolgte durch die Beklagte ein Abschlag von 60,00 EUR (6 Tage à 10,00 EUR) auf der Grundlage des § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 a) BhV. Da der Beihilfebescheid vom 16.06.2004 des Weiteren eine Beihilfe für diverse dem Kläger verordnete Medikamente bewilligt, erfolgte schließlich auch insoweit ein Abzug, und zwar in Höhe von 50,22 EUR auf der Grundlage des § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a) BhV hinsichtlich der Aufwendungen für verordnete Arzneimittel. Auch insoweit blieb der Widerspruch des Klägers erfolglos, nämlich im Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 19.07.2004. Hiergegen hat der Kläger am 27.07.2004 Klage erhoben - 2 A 3722/04 -, mit der er zunächst weitere Beihilfeleistungen von 167,65 EUR anstrebte.

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Mit Bescheid vom 27.07.2004 gewährte die Beklagte antragsgemäß nach Maßgabe des § 12 Abs. 2 BhV eine teilweise Befreiung von den Selbstbehalten bei Überschreiten der Belastungsgrenze und gewährte daraufhin weitere Beihilfeleistungen in Höhe von 8,11 EUR.

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Auf den gerichtlichen Hinweis, der nach den Beihilfevorschriften vorzunehmende Abzug für nach der Bundespflegesatzverordnung gesondert berechnete Unterkunft im Falle stationärer Krankenhausbehandlung sei in den Beihilfevorschriften seit langem verankert und stelle keine mittelbare Folge des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung dar, hat der Kläger seine Klage gegen den Bescheid vom 16.06.2004 insoweit (also als Aufwendungen in Höhe von 72,50 EUR betroffen sind) zurückgenommen.

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Der Kläger ist im Übrigen der Auffassung, die von der Beklagten abgesetzten Beträge beruhten auf einer rechtswidrigen, weil fürsorgepflichtwidrigen Fassung der Beihilfevorschriften. Er beantragt,

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die Beklagte zu verpflichten, ihm eine weitere Beihilfe in Höhe von 112,24 EUR (2 A 2884/04) sowie von weiteren 116,90 EUR (2 A 3722/04) zu gewähren und die Bescheide der Beklagten vom 10.02.2004, 15.03.2004 und 22.04.2004 jeweils in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.05.2004 sowie den Beihilfebescheid vom 16.06.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.07.2004 aufzuheben, soweit sie diesem Begehren entgegenstehen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen

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und verweist darauf, dass sie an die Beihilfevorschriften gebunden sei, auf deren Grundlage sie dem Grunde und der Höhe nach die Beihilfe korrekt festgesetzt habe.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Kammer hat von dem ihr in § 93 VwGO eröffneten Ermessen Gebrauch gemacht, und die beiden Klageverfahren zur gemeinsamen Entscheidung miteinander verbunden. Beide Verfahren beruhen auf demselben Sachverhalt und es stellen sich dieselben Rechtsfragen.

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Die Entscheidung ergeht durch die Kammer gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung, nachdem sich die Beteiligten in beiden Verfahren damit einverstanden erklärt haben.

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Das Verfahren ist gemäß § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen, soweit der Kläger mit Schriftsatz vom 30.07.2004 seine Klage zurückgenommen hat, also hinsichtlich des im Beihilfefestsetzungsbescheid von der Beklagten am 16.06.2004 vorgenommenen Abzuges von täglich 14,50 EUR an Aufwendungen aufgrund der Unterbringung im Zweibettzimmer während des Krankenhausaufenthaltes vom 26.05. bis zum 01.06.2004. Dies entspricht Beihilfeleistungen von 50,70 EUR (Bemessungssatz von 70 v.H.).

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Der noch zur Entscheidung des Gerichts gestellte Klageantrag hat nur zu einem geringen Teil Erfolg. Die Kammer kann den im Beihilfebescheid vom 15.03.2004 vorgenommenen Abzug bei den beihilfefähigen Aufwendungen nicht beanstanden. Dies gilt zunächst für einen Eigenanteil an verordneten Medikamenten in Höhe von 67,24 EUR. Auch soweit der Bescheid vom 16.06.2004 einen Abschlag für einen sechstätigen Krankenhausaufenthalt in Höhe von 10,00 EUR täglich vornimmt, ist er rechtsfehlerfrei ergangen. Dasselbe gilt auch für den dort vorgenommenen Abzug eines Eigenanteils für verordnete Medikamente in Höhe von 50,22 EUR. Soweit der Kläger jedoch einen Abschlag von 10,00 EUR auf die Beihilfe in den Bescheiden vom 10.02. und 22.04.2004 für das erste bzw. Kalendervierteljahr rügt, muss seine Klage teilweise Erfolg haben. Zur Überzeugung der Kammer kann rechtmäßigerweise der Abzugsbetrag von 10,00 EUR je Kalendervierteljahr nur auf die beihilfefähigen Aufwendungen und nicht auf die festgesetzte Beihilfe berechnet werden, so dass bei dem hier anzuwendenden Bemessungssatz in Höhe von 70 v.H. der Abschlag pro Quartal nur jeweils 7,00 EUR betragen darf. Demgemäß ist die Beklagte zu einer weiteren Bewilligung von Beihilfeleistungen in Höhe von 3,00 EUR pro Quartal zu verpflichten. Dazu ist im Einzelnen auszuführen:

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Die Ansprüche des Klägers bemessen sich allein nach den im Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen geltenden Beihilfevorschriften. Nicht erheblich ist deshalb der Vortrag des Klägers, soweit er sich darauf beruft, dass in Folge eines ärztlichen Kunstfehlers Behandlungskosten angefallen sind, und der in seiner Person entstandene Schadensersatzanspruch gemäß § 87 a BBG auf die Beklagte insoweit übergegangen ist, als der Dienstherr aus gleichem Anlass (dem erlittenen Körperschaden) zur Gewährung von Leistungen verpflichtet ist. Auch im Falle dieses gesetzlichen Forderungsübergangs richtet sich das zwischen Kläger und Beklagter bestehende streitige Rechtsverhältnis in vollem Umfang und ohne Modifikation nach den Beihilfevorschriften in der ab dem 01.01.2004 geltenden Fassung.

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Die Abzugsbeträge für verordnete Medikamente in den Bescheiden vom 15.03.2004 sowie vom 16.06.2004 finden ihre Grundlage in § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a) BhV. Soweit erweisen sich die Bescheide und die zugrunde liegende Regelung der Beihilfevorschriften als rechtmäßig. Die Abzugsbeträge der hier in Rede stehenden Art wurden bereits mit der am 01.07.1993 in Kraft getretenen beihilferechtlichen Regelung eingeführt, und zwar in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Änderung der Beihilfevorschriften vom 09.06.1993 (GMBl. S. 370). Danach war damals jeweils ein Betrag von 3,00 DM bei einem Apothekenabgabepreis bis 30,00 DM, jedoch nicht mehr als die Kosten des Mittels, 5,00 DM bei einem Apothekenabgabepreis von 30,01 DM bis 50,00 DM sowie 7,00 DM bei einem Apothekenabgabepreis von mehr als 50,00 DM abzuziehen. Die drei genannten unterschiedlich hohen Abzugsbeträge sind in der Folgezeit regelmäßig erhöht worden, und zwar aufgrund der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift vom 17.12.1996 (GMBl. 1997, S. 3) mit Wirkung vom 01.01.1997, mit Allgemeiner Verwaltungsvorschrift vom 27.06.1997 (GMBl. S. 294) mit Wirkung vom 01.07.1997 und mit Allgemeiner Verwaltungsvorschrift vom 08.01.1999 (GMBl. S. 58) mit Wirkung vom 01.01.1999 in Anpassung an das Gesetz vom 19.12.1998 (BGBl. I, S. 3853, sog. GKV-Solidaritätsstärkungsgesetz). In der Folgezeit sind die Abzugsbeträge dann mit der Währungsumstellung auf EUR umgestellt worden. In der hier anzuwendenden Fassung der 27. Allgemeinen Verwaltungsvorschrift vom 18.12.2003 (GMBl. 2004, 227), die mit Wirkung vom 01.01.2004 gilt, werden nun keine festen Abzugsbeträge mehr von den beihilfefähigen Aufwendungen bei Arznei und Verbandmitteln einbehalten. Die hierfür getätigten Aufwendungen vermindern sich vielmehr um 10 v.H. der Kosten, mindestens um 5,00 EUR, höchstens um 10,00 EUR, jeweils aber um nicht mehr als die tatsächlichen Kosten.

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In der rechtlichen Bewertung ändert sich aber zur Überzeugung der Kammer durch die dargestellten Änderungen nichts. Die grundsätzliche Zulässigkeit der früher in der Selbstbehaltvorschrift des § 6 Satz 2 Ziff. 2 Satz 1 BhV geregelten Eigenanteils war in der Rechtsprechung geklärt. Die Rechtmäßigkeit ist vom Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 15.12.1995 - 2 B 146.95 - (Veröffentlichung nicht bekannt) bestätigt worden, damit zugleich die in jenem Verfahren in der Berufungsinstanz ergangene Entscheidung des Bay. VGH vom 15.09.1995 (Schütz, Beamtenrecht, Rspr., ES/C IV 2 Nr. 97). Die dort entschiedenen Grundsätze gelten unverändert trotz der Änderung der Berechnung der Höhe des Abzugsbetrages und der Verortung der Vorschrift jetzt in § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a) BhV fort. Beihilferechtlich ist die Erstattung jeweils im vollen Umfang der Aufwendungen nicht erforderlich (vgl. auch BVerwG E 60, 205, 219). Es ist ausreichend, wenn die Beihilfe des Dienstherrn sicherstellt, dass der Beamte nicht mit erhöhten Aufwendungen belastet bleibt, die er auch über eine zumutbare Eigenvorsorge nicht abdecken kann (vgl. BVerfG E 96, 133 = ZBR 1998, 96). Das in § 6 Abs. 1 i.V.m. § 12 Abs. 1 BhV ausgestaltete Erstattungssystem, das für eine Übergangszeit noch hinzunehmen ist (BVerwG, U. v. 17.06.2004, DVBl. 2004, 1420), trifft angesichts des weiten Gestaltungsspielraums des Vorschriftengebers keine von vornherein unzumutbare Regelung. Die getroffenen Einschränkungen beruhen auf dem genannten Gesundheitsstrukturgesetz, das Einschränkungen im Leistungsbereich der gesetzlichen Krankenversicherungen zum Anlass nahm, auch Folgerungen für das Beihilferecht zu verlangen (s. Bundesratdrucksache 856/92). Vor allem aber sind durch die Schaffung eines Härteausgleichs zunächst nach § 6 Abs. 5 BhV, jetzt auf der Grundlage des § 12 Abs. 2 BhV die Probleme der Unzumutbarkeit noch weiter entschärft worden. Auch dem Kläger ist antragsgemäß im Bescheid vom 27.07.2004 ein solcher Härteausgleich - wenn auch in geringem Umfang - unter Abänderung des Beihilfefestsetzungsbescheides vom 16.06.2004 zugute gekommen, soweit dort die Befreiung von Selbstbehalten ausgesprochen wird. Der Bay. VGH hat in seinem Beschluss vom 15.09.1995 dazu ausgeführt, dass sich die zumutbare Eigenvorsorge des Beamten nicht allein auf den Abschluss einer beihilfekonformen privaten Krankenversicherung beschränkt und der Dienstherr nicht verpflichtet ist, alle hierdurch nicht abgedeckten Aufwendungen ausnahmslos durch die Beihilfe abzudecken. Eine solche Auffassung wäre mit dem nur ergänzenden Charakter der Beihilfe nicht vereinbar. Die weiteren Erwägungen in dem genannten Beschluss macht sich die Kammer zu eigen und verweist darauf.

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Aus den genannten rechtsgrundsätzlichen Ausführungen ergibt sich auch die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 16.06.2004, soweit dort die Beklagte auf der Grundlage des § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 a) einen Abschlag von täglich 10,00 EUR, insgesamt 60,00 EUR von den Aufwendungen des Klägers bei vollstationärer Krankenhausleistung festgesetzt hat. Die entsprechende Regelung ist mit Wirkung zum 01.01.2004 neu in die Beihilfevorschriften aufgenommen worden, anders als bei dem Eigenanteil für Aufwendungen bei verordneten Medikamenten gibt es hier keine Vorgängerregelung. Mit der hier in Rede stehenden Regelung hat der Vorschriftengeber der Beihilfe die Regelung des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung vom 14.11.2003 (BGBl. I, 2190) umgesetzt. Gemäß § 61 Abs. 1 Satz 2 SGB V hat nämlich mit Wirkung vom 01.01.2004 jedermann - auch z.B. der bisher vollständig befreite Sozialhilfeempfänger - bis zu den in § 62 SGB V geregelten Belastungsgrenzen Zuzahlungen zu leisten, und zwar werden bei stationären Maßnahmen je Kalendertag 10,00 EUR erhoben. Auch diese beihilferechtliche Zuzahlungsregelung verstößt gegen die Fürsorgepflicht des Dienstherrn nicht. Auch insoweit ist auf den Grundsatz der ergänzenden Hilfeleistung und auf zumutbare Eigenanteile abzustellen. Auch die Abzugsbeträge bei stationärer Unterbringung sind gemäß § 12 Abs. 2 BhV bei Berechnung der individuellen Leistungsgrenze zu berücksichtigen, so dass ausreichend Vorsorge gegen eine Belastung in unzumutbarer Höhe getroffen worden ist. Auch wenn es sich bei der gesetzlichen Krankenversicherung und der beamtenrechtlichen Beihilfe um verschiedene Sicherungssysteme handelt (BVerwG E 81, 27), war es doch dem Vorschriftengeber unbenommen, den Auftrag des Bundestages zu vollziehen, nicht nur die Entlastungen, sondern auch die Belastungen, die das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung den Mitgliedern der gesetzlichen Krankenkassen auferlegt, auf die Beihilferegelungen zu übertragen (vgl. Bundestagsdrucksache 15/1584 unter IV 2). Da ein starres Beihilfesystem kraft Herkommens nicht besteht, schon gar nicht zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums zählt und dem Vorschriftengeber ein sehr weiter Gestaltungsspielraum eingeräumt ist, können durch das Gericht sachliche Gründe für die Übernahme der Regelung des § 62 Abs. 1 Satz 2 SGB V in das Beihilfesystem nicht ausgeschlossen werden.

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Teilweise anders verhält es sich indessen zur Überzeugung der Kammer bei den Eigenanteilen auf der Grundlage des § 12 Abs. 1 Satz 2 BhV. Nach dieser Vorschrift hat die Beklagte sowohl im Bescheid vom 10.02. wie auch vom 22.04.2002 für jedes Kalendervierteljahr die dem Kläger bewilligte Beihilfe um einen Betrag von 10,00 EUR vermindert. Dieses Vorgehen der Beklagten entspricht zwar den Beihilfevorschriften, die Regelung selbst verstößt aber gegen höherrangiges Recht. Der Eigenanteil kann vielmehr fürsorgegerechterweise nur von den beihilfefähigen Aufwendungen, jedoch nicht auf die festgesetzte Beihilfe in Abzug gebracht werden.

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Auch die insoweit von der Kammer beanstandete Regelung des § 12 Abs. 1 Satz 2 BhV ist eine Übertragung aus dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, und zwar der dort sogenannten Praxisgebühr. Mit Wirkung vom 01.01.2004 an zahlen gesetzlich Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, gemäß § 28 Abs. 4 SGB V je Kalendervierteljahr für jede erste Inanspruchnahme eines an der ambulanten ärztlichen, zahnärztlichen oder psychotherapeutischen Versorgung teilnehmenden Leistungserbringers, die nicht auf Überweisung aus demselben Kalendervierteljahr erfolgt, als Zuzahlung den sich nach § 61 Satz 2 SGB V ergebenden Betrag, mithin die oben näher dargestellten 10,00 EUR, wie sie der Höhe nach bei stationären Maßnahmen je Kalendertag erhoben werden. Die beihilferechtliche Umsetzung geschah durch Einfügen des neuen § 12 Abs. 1 Satz 2 BhV in der 28. Allgemeinen Verwaltungsvorschrift vom 30.01.2004 (GMBl. S. 379) rückwirkend zum 01.01.2004. Ist gegen die Übernahme auch dieser Regelung aus dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich rechtlich kein Einwand zu erheben, so ist doch die konkrete Ausgestaltung, die eine Minderung der Beihilfeleistungen vorsieht, im Wege einer Verwaltungsvorschrift rechtswidrig. Zum einen ist darauf hinzuweisen, dass die genannten Entschließung des Bundestages (Drucks. 15/1584 unter IV 2) darauf abzielt, die Bundesregierung möge die Be- und Entlastungen durch das GKV-Modernisierungsgesetz wirkungsgleich in die Beihilfevorschriften übertragen. Gefordert wird also nicht eine wörtliche Übertragung der gesetzlichen Regelung in die Beihilfevorschriften, sondern eine Regelung, die den Beamten in demselben Umfange belastet wie ein Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung. Ein Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung erhält aber im Krankheitsfall eine Übernahme der Krankheitskosten in voller Höhe. Dem Grundsatz der ergänzenden Fürsorge im Beihilferecht entspricht es, dass beihilfefähige Aufwendungen nur mit einem bestimmten Bemessungssatz geleistet werden. Sind folglich die Leistungen im Krankheitsfall für den Beamten von vornherein auf einen bestimmten Bruchteil beschränkt, im Falle des Klägers 70 v.H., so entspricht einer wirkungsgleichen Übertragung der Praxisgebühr der gesetzlichen Krankenversicherung in einen beihilferechtlichen Eigenanteil der Abzug von 10,00 EUR bei den beihilfefähigen Aufwendungen, mit anderen Worten ein Eigenbehalt nicht von 10,00 EUR sondern in einer Höhe, die sich nach Anwendung des Bemessungssatzes auf diesen Betrag ergibt.

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Zum zweiten verstößt die anderslautende, nicht dem Willen des Bundestages entsprechende Regelung der Beihilfevorschriften in § 12 Abs. 1 Satz 2 BhV zwar nicht gegen die vom Dienstherrn geschuldete Fürsorgepflicht in ihrem Wesenskern, weil dafür die Höhe der hier streitigen Aufwendungen zu gering ist, verletzt wird durch die Beihilfevorschrift aber das Programm der Beihilfevorschriften selbst. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG E 71, 342) erfordert die Fürsorgepflicht des Dienstherrn, dass er das in den Beihilfevorschriften zum Ausdruck kommende „Programm“ einhält, um generell sicherzustellen, dass der Beamte durch die ihm im Krankheitsfall typischerweise entstehenden notwendigen und angemessenen Aufwendungen nicht belastet wird. Zwar liegt den Beihilfevorschriften insgesamt die Vorstellung zugrunde, dem Beamten könne für Krankheitsfälle eine angemessene Selbstvorsorge durch den freiwilligen Abschluss einer privaten Krankenversicherung zugemutet werden, so dass die Beihilfe ergänzend nur den Teil der krankheitsbedingten Aufwendungen zu decken braucht, den eine zumutbare Versicherung regelmäßig nicht abdeckt. Aus diesem Grundsatz folgt aber eine dahingehende Fürsorgepflicht, die vom Dienstherrn vorgesehenen Beihilfen so zu regeln, dass der dem Beihilfeberechtigten verbleibende Teil der Aufwendungen langfristig verlässlich voraussehbar ist. Nur dann ist der Beamte nämlich in der Lage, im Rahmen eines Versicherungsverhältnisses eine sinnvolle, alle nicht gänzlich aus dem Rahmen des Voraussehbaren fallenden Krankheitsfälle erfassende Selbstvorsorge zu treffen. Solange die Beihilfen noch immer nicht in der gesetzlich gebotenen Weise durch Rechtsvorschrift geregelt sind, erweist es sich aus den genannten Gründen in besonderem Maße als notwendig, das in ihnen festgelegte Programm der ergänzenden Hilfeleistung des Dienstherrn einzuhalten (BVerwG, DVBl. 2004, 1420; E 71, 342). Ist die beihilferechtliche Regelung aber tatsächlich ungeeignet, das in ihr angelegte Programm zu verwirklichen, dann verletzt der Bund als Dienstherr des Beamten seine Fürsorgepflicht, wenn er sie gleichwohl weiterhin unverändert anwendet.

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So liegt es zur Überzeugung der Kammer im vorliegenden Fall bei der Umsetzung der Regelungen der gesetzlichen Krankenversicherung über die Praxisgebühr in die Beihilfevorschrift des § 12 Abs. 1 Satz 2 BhV. Maßgeblich für diese Einschätzung ist nicht nur das Unterlassen der vom Bundestag geforderten „wirkungsgleichen“ Regelung der §§ 28 Abs. 4 Satz 1, 61 Satz 2 SGB V. Die wortgetreue Übernahme der Regelungen aus dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung führt im Beihilferecht zu einem gänzlich systemfremden Ergebnis. Da beihilferechtlich nur eine ergänzende Fürsorge geschuldet wird, können auch Selbstbehalte bei dieser Fürsorgeleistung systemgerecht nur an diesen Umfang der ergänzenden Hilfeleistung anknüpfen. Erhält der gesetzlich Versicherte - als Sachleistung - als Gegenleistung für seinen Krankenversicherungsbeitrag eine vollständige Freistellung von den Krankheitskosten, so ist der Beamte neben der ihm zumutbaren Eigenvorsorge von vornherein auf eine anteilige Erstattung verwiesen. Bei der Übertragung von dem Versicherten zugemuteten Eigenanteilen folgt daraus die beihilferechtliche Notwendigkeit, Eigenanteile an die im Krankheitsfall entstandenen Aufwendungen anzuknüpfen. Diesen Weg sind die Beihilfevorschriften schon immer gegangen. Was den Selbstbehalt bei Arznei- und Verbandmitteln angeht, so sind oben die seit dem 01.07.1993 in Kraft getretenen „Zuzahlungsregelungen“ dargestellt, die damals und über alle Änderungen hinweg bis zu der heute geltenden Regelung des § 12 Abs. 1 Satz 1 a) BhV an den Apothekenabgabepreis bzw. die beihilfefähigen Aufwendungen anknüpfen, von denen der Eigenbehalt in Abzug zu bringen ist. Der Abzugsbetrag für Wahlleistungen bei gesondert berechneter Unterkunft ist von den berechneten Unterkunftskosten des § 22 BPflV bzw. der §§ 16 und 17 KHEntgG abzuziehen, der Höhe nach begrenzt durch die tatsächlichen Kosten eines Zweibettzimmers. Auch die Eigenbehalte bei Hilfsmitteln und Fahrtkosten von im Regelfall 10 v.H. und der Eigenbehalt von 10,00 EUR je Kalendertag bei vollstationären Krankenhausleistungen sowie bei Unterkunftskosten anlässlich einer Sanatoriumsbehandlung oder einer Heilkur werden gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 BhV von den beihilfefähigen Aufwendungen ebenso in Abzug gebracht wie bei Aufwendungen für die Inanspruchnahme häuslicher Krankenpflege. Dieses seit langem geltende und in sich schlüssige Beihilfesystem wird durch § 12 Abs. 1 Satz 2 BhV ohne rechtfertigenden Grund durchbrochen. Der Beamte kann sich gegen den systemwidrigen Abzug der 10,00 EUR je Kalendervierteljahr von den Beihilfeleistungen auch nicht durch den Abschluss einer ihm grundsätzlich zumutbaren ergänzenden privaten Krankenversicherung absichern. Die Regelung ist daher fürsorgepflichtwidrig.

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Das von der Kammer gefundene Ergebnis kann jedoch nicht dazu führen, dass der Kläger mit seinem Begehren, von dem Abzug der 10,00 EUR je Kalendervierteljahr gänzlich verschont zu werden, in vollem Umfang Erfolg hat. Die Allgemeine Verwaltungsvorschrift ist insoweit nicht gänzlich zu verwerfen mit der Folge ihrer Nichtanwendbarkeit, sondern sie ist einer fürsorgegerechten Auslegung zugänglich, die sich in das Programm der Beihilfevorschriften einfügt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind die Beihilfevorschriften im Hinblick auf ihre besondere rechtliche Form und ihre ungewöhnliche rechtliche Bedeutung nicht wie sonstige Verwaltungsvorschriften, also nicht nach ihrer tatsächlichen Handhabung in der Praxis, sondern wie Rechtsvorschriften aus sich heraus auszulegen (BVerwG E, 72, 119; ZBR 1995, 275). Angesichts der dargestellten, im Beihilferecht im Übrigen geltenden Regelungen über Eigenanteile kann dies im konkreten Fall nur zum Ergebnis haben, dass die in entsprechender Anwendung in Abzug zu bringende „Praxisgebühr“ von den beihilfefähigen Aufwendungen abzuziehen ist, bzw. sich die Beihilfe um einen Betrag mindert, der sich ergibt, wenn man den Bemessungssatz auf die in § 61 Satz 2 SGB V festgelegten 10,00 EUR anwendet. In rechtmäßiger Weise durften daher für den Kläger im ersten und zweiten Quartal des Jahres 2004 nur jeweils 7,00 statt 10,00 EUR in Abzug gebracht werden. Dementsprechend war die Beklagte zur Gewährung weiterer Beihilfeleistungen in Höhe von 6,00 EUR zu verpflichten, die Klage aber im Übrigen abzuweisen.

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Die Kostenentscheidung findet ihre Grundlage in § 155 Abs. 1 Satz 3 sowie in § 155 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO.

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Die Kammer sieht keinen Anlass, die Berufung gegen dieses Urteil zuzulassen, weil es sich bei den angewendeten Beihilfevorschriften um auslaufendes, nur noch für eine Übergangszeit in dieser Rechtsform hinzunehmendes Recht handelt. Auslaufendem Recht kommt eine grundsätzliche Bedeutung nicht zu.