Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 23.09.2015, Az.: L 13 AS 170/13
Versagung von Grundsicherungsleistungen wegen fehlender Mitwirkung; Vorläufiger Charakter einer Versagung; Notwendiger Inhalt einer Rechtsfolgenbelehrung; Folgen fehlender Mitwirkung im sozialrechtlichen Verwaltungsverfahren; Anforderungen an die Rechtsfolgenbelehrung vor der Leistungsversagung
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 23.09.2015
- Aktenzeichen
- L 13 AS 170/13
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2015, 29970
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2015:0923.L13AS170.13.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Oldenburg - 23.05.2013 - AZ: S 49 AS 387/11
Rechtsgrundlagen
- § 66 Abs. 1 S. 1 SGB I
- §§ 60 ff. SGB I
- § 12 Abs. 2 SGB II
- § 9 Abs. 1 SGB II
- § 66 Abs. 3 SGB I
Fundstellen
- FEVS 2016, 372-378
- NZS 2016, 155-158
Redaktioneller Leitsatz
1. Nicht zuletzt wegen des vorläufigen Charakters der Rechtsfolgen des § 66 SGB I darf die Behörde in diesen Fällen die Leistungen auch ganz versagen.
2. Dies erfordert nicht den Nachweis der Rechtswidrigkeit des Leistungsbezugs, sondern vielmehr genügt schon die Verletzung der Mitwirkungspflicht als solche.
3. Dieser Eingriff wird relativiert durch den Umstand, dass nach Nachholung der Mitwirkungshandlung gemäß § 67 SGB I nachträglich die - ggf. tatsächlich zustehenden - Leistungen erbracht werden können.
4. Der Senat schließt sich der Auffassung des LSG Baden-Württemberg an, dass in der Rechtsfolgenbelehrung nicht schon das Ausmaß der konkret beabsichtigten Versagung bzw. die konkret beabsichtigte Entscheidung abschließend angegeben werden muss.
Tenor:
Das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 23. Mai 2013 wird aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich mit seiner Klage gegen einen auf der Grundlage des § 66 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) ergangenen Versagungsbescheid, der aufgrund fehlender Mitwirkung ergangen ist.
Der 1949 geborene Kläger beantragte erstmals im Mai 2010 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Diesen Antrag lehnte die Rechtsvorgängerin des Beklagten mit Bescheid vom 25. Juni 2010 ab, da der Kläger über Vermögen i. H. von mehr als 15.000 EUR verfügte, das seine Vermögensfreibeträge i. H. v. insgesamt 9.750 EUR überstieg. Der Kläger legte Widerspruch ein. Am 12. August 2010 stellte er erneut einen Antrag auf Grundsicherungsleistungen, während des laufenden Widerspruchsverfahrens, in welchem alsdann ein zurückweisender Widerspruchsbescheid der Rechtsvorgängerin des Beklagten vom 23. August 2010 unter Hinweis auf das vorhandene Vermögen erging.
Hinsichtlich des Neuantrages vom 12. August 2010 forderte die Rechtsvorgängerin des Beklagten den Kläger mit Schreiben vom 2. September 2010 zur Mitwirkung auf und bat um eine persönliche Vorsprache, die Einreichung vollständiger Antragsunterlagen oder eine Verzichtserklärung. Der Kläger kam dieser Aufforderung durch Einreichung von Antragsunterlagen nach. Mit Schreiben vom 7. Oktober 2010 erging eine neue Aufforderung zur Mitwirkung unter Hinweis auf eine - in den Verwaltungsakten nicht enthaltene - Aufforderung vom 16. September 2010, nunmehr fehlten noch die Kopien bestimmter Kontoauszüge, auch dieser Vorgang wurde anschließend erledigt.
Mit erneuter Aufforderung zur Mitwirkung vom 13. Oktober 2010 teile die Rechtsvorgängerin des Beklagten dem Kläger mit, dieser habe nach seinen eigenen Angaben im Zeitraum von Juni bis September 2010 insgesamt 8.320,49 EUR seines Vermögens verbraucht. Er werde insoweit aufgefordert, Nachweise über die Verwendung des genannten Betrages bis zum 30. Oktober 2010 vorzulegen. Hieran wurde er mit Aufforderungsschreiben vom 3. November 2010 unter Fristsetzung bis zum 20. November 2010 erinnert, nachdem der Kläger sich auf "diverse Anschaffungen" berufen hatte. Ferner teilte der Kläger mit, am 3. Oktober 2010 sei sein Vater verstorben und habe seinen Geschwistern und ihm eine Immobilie hinterlassen. Diesbezüglich wurde der Kläger gleichfalls im genannten Schreiben um nähere Angaben gebeten. An die Aufforderung zur Mitwirkung vom 3. November 2010 wurde der Kläger durch Schreiben der Rechtsvorgängerin des Beklagten vom 30. November 2010 unter Fristsetzung auf den 17. Dezember 2010 erinnert, wobei dieses Schreiben - wie sämtliche vorausgegangenen Aufforderungs- und Erinnerungsschreiben - eine Belehrung in folgendem Wortlaut enthielt: "Haben Sie bis zum genannten Termin nicht reagiert oder die erforderlichen Unterlagen nicht eingereicht, können die Geldleistungen ganz versagt werden, bis Sie die Mitwirkung nachholen (§§ 60, 66, 67 SGB I). Dies bedeutet, dass Sie keine Leistungen erhalten."
Mit Bescheid vom 21. Dezember 2010 versagte die Rechtsvorgängerin des Beklagten die Leistungen ab dem 12. August 2010 ganz. Sie teilte mit, die Angaben würden für die Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen zwingend benötigt, seien aber trotz Belehrung über die Rechtsfolgen nicht vollständig vorgelegt worden. Sie habe von ihrem Ermessen Gebrauch gemacht. Die Behörde sei verpflichtet, wirtschaftlich zu handeln. Hierzu gehöre - auch im Interesse der Gemeinschaft der Steuerzahler - nur bei nachgewiesener Hilfebedürftigkeit und in rechtmäßiger Höhe Leistungen zu erbringen. Es seien keine Ermessensgesichtspunkte erkennbar oder vorgetragen, die im Rahmen der Ermessensentscheidung zugunsten des Klägers hätten berücksichtigt werden können. In Abwägung mit dem gesetzlichen Zweck und dem öffentlichen Interesse sei die Leistung dementsprechend zu versagen gewesen. Der Kläger legte Widerspruch ein, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28. Januar 2011 zurückwies.
Am 17. Februar 2011 stellte der Kläger, nunmehr vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, einen erneuten Leistungsantrag. Auch diesbezüglich erging - da keine aktuellen Unterlagen vorlagen - unter dem 22. Februar 2011 eine Aufforderung zur Mitwirkung mit Fristsetzung auf den 11. März 2011. Nachdem der Kläger weiterhin keine Unterlagen vorgelegt hatte, wurden die Leistungen diesbezüglich mit Bescheid vom 21. April 2011 auf der Grundlage des § 66 SGB I versagt. Die maßgeblichen Textpassagen der Belehrung und der Ermessensentscheidung waren im Vergleich zum vorausgegangenen Verfahren identisch. Auch insoweit legte der Kläger Widerspruch ein.
Der Beklagte wies den Widerspruch des Klägers gegen den Versagungsbescheid vom 21. April 2011 durch Widerspruchsbescheid vom 5. August 2011 zurück. Der Kläger habe weder aktuelle Vermögensnachweise eingereicht, die Situation hinsichtlich der geerbten Immobilie aufgeklärt, noch angeforderte Kontoauszüge eingereicht. Die Vorlage der angeforderten Nachweise stehe im angemessenen Verhältnis zu der beantragten Sozialleistung, sie sei dem Kläger zumutbar, und der Leistungsträger sei nicht in der Lage, sich mit geringerem Aufwand die erforderlichen Kenntnisse selbst zu beschaffen.
Der Kläger hat hinsichtlich des Versagungsbescheides vom 21. Dezember 2010, in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28. Januar 2011, am 17. Februar 2011 sowie hinsichtlich des Versagungsbescheides vom 21. April 2011, in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 5. August 2011, am 17. August 2011 Klage erhoben. Er hat ausgeführt, seines Erachtens hätten alle erforderlichen Unterlagen vorgelegen - dies in Bezug auf den Leistungsantrag vom 17. Februar 2011 - bzw. er sei durchaus seiner Mitwirkungspflicht nachgekommen, allerdings sei zwischen den Beteiligten offensichtlich streitig, welche Unterlagen von ihm hätten vorgelegt werden müssen - dies in Bezug auf den Antrag vom 12. August 2010. Zudem belasse der Beklagte es bei formelhaften Floskeln, der immer wieder auftauchende Hinweis auf die Verpflichtung der Behörde zu wirtschaftlichem Handeln könne keine ordnungsgemäße Ermessensausübung darstellen. Der Beklagte hält eine ordnungsgemäße Ermessensausübung demgegenüber für gegeben und meint, die angefochtenen Bescheide seien rechtmäßig.
Nachdem das Sozialgericht (SG) Oldenburg die Verfahren hinsichtlich der vorgenannten Versagungsbescheide mit in der öffentlichen Sitzung vom 23. Mai 2013 gefasstem Beschluss zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden hat, hat es die Bescheide mit Urteil vom gleichen Tage aufgehoben. Zur Begründung hat das SG Oldenburg dargelegt, es fehle vorliegend an einem konkreten, unmissverständlich auf den Fall des Klägers bezogenen Hinweis über die Rechtsfolgen seiner nicht hinreichenden Mitwirkung i.S.v. § 66 Abs. 3 SGB I. Dieser Hinweis sei eine zwingende Voraussetzung der Versagung (mit Hinweis auf Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 25. Oktober 1988 - 7 RAr 70/87). Der in § 66 Abs. 3 SGB I vorgesehene vorherige Hinweis dürfe sich nicht auf die Wiederholung des Gesetzeswortlauts oder Belehrungen allgemeiner Art beschränken, sondern er müsse anhand der dem Leistungsträger durch § 66 Abs. 1 und 2 SGB I eingeräumten Entscheidungsmöglichkeiten unmissverständlich und konkret die Entscheidung bezeichnen, die im Einzelfall beabsichtigt sei, wenn der Betroffene dem Mitwirkungsverlangen innerhalb der gesetzten Frist nicht nachkomme. Ein solcher Hinweis sei nicht ergangen. Eine Ausnahme von der Hinweispflicht sei nur insoweit anzunehmen, als feststehe, dass der Mitwirkungspflichtige sich des Inhalts der von ihm erwarteten Mitwirkungshandlung und der Folgen der Obliegenheitsverletzung bewusst sei und auch ein schriftlicher Hinweis ihn nicht veranlassen würde, ernsthaft an der Sachverhaltsaufklärung mitzuwirken. Ein solcher Fall sei vorliegend nicht zu erkennen.
Gegen das seinen Prozessbevollmächtigten am 29. Mai 2013 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 12. Juni 2013 Berufung eingelegt. Er hält den erteilten Hinweis für im Sinne des § 66 Abs. 3 SGB I hinreichend deutlich, zumal dem Kläger die erwarteten Mitwirkungshandlungen und die Folgen seiner Obliegenheitsverletzung aufgrund wiederholter Hinweise und des gesamten Sachverhaltes bewusst gewesen seien. Die vom SG Oldenburg genannte Rechtsprechung des BSG sei zu überdenken. Ihr stehe auch eine Entscheidung des Landessozialgerichts - LSG - Baden-Württemberg (Urteil vom 5. Oktober 1994 - L 5 Ar 667/94) entgegen, wonach der Hinweis für die Rechtsfolgenbelehrung nach § 66 Abs. 3 SGB I ausreiche, dass die Sozialleistungen ganz oder teilweise versagt oder entzogen werden könnten. Werde gefordert, dass die Rechtsfolgenbelehrung schon das Ausmaß der beabsichtigten Versagung angebe, würde eine unzulässige Vorwegnahme der Ermessensausübung erfolgen. Der Warnfunktion sei auch genügt, wenn ein Hinweis auf die Möglichkeit der Versagung ergehe.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des SG Oldenburg vom 23. Mai 2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil des SG Oldenburg für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Rechtsstreits durch Urteil ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Schriftsätzen vom 26. und 27. Februar 2015 einverstanden erklärt.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen, die dem Gericht vorgelegen haben und die Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegte Berufung ist zulässig (§ 143 SGG) und begründet. Die Versagungsbescheide der Rechtsvorgängerin des Beklagten vom 21. Dezember 2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 28. Januar 2011 sowie des Beklagten vom 21. April 2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 5. August 2011 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Das Urteil des SG Oldenburg vom 23. Mai 2013 ist dementsprechend aufzuheben.
Die angefochtenen Bescheide finden ihre Rechtsgrundlage in § 66 Abs. 1 S. 1 SGB I. Diese Norm trifft folgende Regelung: Kommt derjenige, der eine Sozialleistung beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62, 65 SGB I nicht nach und wird hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert, kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, soweit die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind.
Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind hier erfüllt. Der Kläger ist seinen Mitwirkungspflichten nach § 60 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 3 SGB I bei der Klärung der Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 4 SGB II nicht nachgekommen, denn er hat in Bezug auf zuvor vorhandenes Vermögen und eine eingetretene Erbschaft nicht ausreichend dargelegt, dass er hilfebedürftig i. S. des § 9 Abs. 1 SGB II war. Hiernach hat er sein das Schonvermögen i. S. des § 12 Abs. 2 SGB II übersteigende Vermögen einzusetzen. Entsprechende Berechnungen waren dem Beklagten mangels vollständiger Angaben des Klägers, an denen es auch weiterhin fehlt, nicht möglich.
Nachdem der Kläger die von ihm geforderten Angaben trotz Fristsetzung nicht erbracht hatte, war der Beklagte zur Versagung der beantragten Leistungen berechtigt. Das ihm dabei nach § 66 Abs. 1 SGB I eingeräumte Ermessen hat der Beklagte (bzw. seine Rechtsvorgängerin) ordnungsgemäß ausgeübt. Es ist nicht erkennbar, welche für den Antragsteller sprechenden Gesichtspunkte die Behörde zu berücksichtigen verpflichtet gewesen wäre, wenn dieser mehrfach auf seine Mitwirkungspflichten hingewiesen worden ist und ihm die Folgen der Unterlassung deutlich gemacht worden sind (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 19. Januar 2011 - L 5 AS 452/10 B ER - juris Rn. 58). Nicht zuletzt wegen des vorläufigen Charakters der Rechtsfolgen des § 66 SGB I darf die Behörde in diesen Fällen die Leistungen auch ganz versagen (LSG Sachsen-Anhalt, aaO. - juris Rn. 60). Dies erfordert nicht den Nachweis der Rechtswidrigkeit des Leistungsbezugs, also hier das Vorliegen von die Freibeträge übersteigendem Vermögen, sondern vielmehr genügt schon die Verletzung der Mitwirkungspflicht als solche. Dieser Eingriff wird relativiert durch den Umstand, dass nach Nachholung der Mitwirkungshandlung gemäß § 67 SGB I nachträglich die - ggf. tatsächlich zustehenden - Leistungen erbracht werden können (LSG Sachsen-Anhalt, aaO.). Zwar sind die Ausführungen zur Ermessensentscheidung knapp gehalten. Der Beklagte hat aber ausreichend zum Ausdruck gebracht, dass ihm das eingeräumte Ermessen bewusst war und er sich aufgrund der unklaren Vermögenssituation des Klägers gegen eine Leistungsgewährung entschieden hat (vgl. auch LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 3. März 2010 - L 12 AS 15/08 - juris Rn. 59).
Gemäß § 66 Abs. 3 SGB I dürfen Sozialleistungen wegen fehlender Mitwirkung nur versagt werden, nachdem der Leistungsberechtigte auf die Folge schriftlich hingewiesen worden ist und seiner Mitwirkungspflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten angemessenen Frist nachgekommen ist. Der in § 66 Abs. 3 SGB I vorgesehene vorherige Hinweis ist eine zwingende Voraussetzung der Versagung. Er soll sicherstellen, dass der Betroffene in Kenntnis der ihm drohenden Folgen seine Haltung überdenkt und durch die spätere Entscheidung nach § 66 SGB I nicht überrascht wird.
Nach überwiegend, auch in der älteren Rechtsprechung des BSG vertretener Auffassung darf sich der Hinweis nicht auf die Wiederholung des Gesetzeswortlauts oder Belehrungen allgemeiner Art beschränken (BSG, Urteil vom 20. März 1980 - 7 RAr 21/79 - SozR 4100 § 132 Nr. 1). Er muss hiernach vielmehr anhand der dem Leistungsträger durch § 66 Abs. 1 und 2 SGB I eingeräumten Entscheidungsmöglichkeiten unmissverständlich und konkret die Entscheidung bezeichnen, die im Einzelfall beabsichtigt ist, wenn der Betroffene dem Mitwirkungsverlangen innerhalb der gesetzten Frist nicht nachkommt (BSG, aaO., m. w. N.; BSG, Urteil vom 25. Oktober 1988 - 7 RAr 70/87 - SozR 1200 § 66 Nr. 13, juris Rn. 19; Schleswig-Holsteinisches LSG, Urteil vom 27. September 2012 - L 5 R 127/11 - juris Rn. 27; der Rechtsprechung des BSG folgend auch: Sächsisches LSG, Urteil vom 23. Mai 2013 - L 7 AS 804/12 - juris Rn. 46; Thüringisches LSG - Urteil vom 30. Oktober 2012 - L 6 KR 1108/09 - juris Rn. 23; ebenso auch Sichert, in: Hauck/Noftz, SGB I, Stand 38. Lieferung Juni 2015, § 66 Rn. 19; W. Lilge, SGB I, 3. Aufl. 2012, § 66 Rn. 47 m. w. N.; auf die "beabsichtigte Rechtsfolge" abstellend Reinhard, in: LPK-SGB I, 3. Aufl. 2014, § 66 Rn. 19; "Konkretisierung im Einzelfall" erforderlich auch nach Kampe, jurisPK-SGB I, 2. Aufl. 2012, § 66 Rn. 33; unklar, aber auch der Rechtsprechung des BSG grundsätzlich folgend Mrozynski, SGB I, 5. Aufl. 2014, Rn. 30). In der jüngeren Rechtsprechung des BSG ist die Frage soweit ersichtlich nicht nochmals entschieden worden (vgl. etwa BSG, Urteil vom 19. September 2008 - B 14 AS 45/07 R -, juris Rn. 27; Urteil vom 20. Oktober 2005 - B 7a/7 AL 102/04 R - juris Rn. 16).
Der Senat schließt sich indes der Auffassung des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 5. Oktober 1994 - L 5 Ar 667/94 -, nach juris) an, dass in der Rechtsfolgenbelehrung entgegen dieser Rechtsprechung nicht schon das Ausmaß der konkret beabsichtigten Versagung bzw. die konkret beabsichtigte Entscheidung abschließend angegeben werden muss. Der entgegenstehenden - überwiegenden - Auffassung folgt der Senat insbesondere deswegen nicht, weil damit eine unzulässige Vorwegnahme der Ermessensausübung verbunden wäre, worauf bereits das LSG Baden-Württemberg - aaO. - zutreffend hingewiesen hat. Auch der Gesetzeswortlaut zwingt zu einer derartigen Auffassung nicht. Sozialleistungen dürfen hiernach wegen fehlender Mitwirkung nur versagt oder entzogen werden, nachdem der Leistungsberechtigte "auf diese Folge schriftlich hingewiesen worden ist" und seiner Mitwirkungspflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten angemessenen Frist nachgekommen ist. Auch Sichert (aaO., § 66 Rn. 33, mit Hinweis auf Krasney, Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 67 SGB I, BKK 1987, 384 [387]) weist darauf hin, bei der Ermessensentscheidung seien die Gründe zu beachten, derentwegen der zur Mitwirkung grundsätzlich Verpflichtete seine Mitwirkung verweigert. Diese aber können u. U. zur Zeit der Abfassung der Belehrung der Behörde noch unbekannt sein und können bei der Ermessensentscheidung nur dann Berücksichtigung finden, wenn eine abschließende Rechtsfolgenkonkretisierung noch aussteht.
Hat die Ermessensentscheidung erst nachfolgend nach der Belehrung zu erfolgen, steht dies einer vorherigen Festlegung durch abschließende Konkretisierung entgegen, denn sonst sind sachgerechte Ermessenserwägungen nicht mehr möglich, da der Belehrung nachfolgende Erkenntnisse nicht mehr berücksichtigt werden können. Zum Entscheidungszeitpunkt im Sinne einer der Belehrung nachfolgenden Ermessensentscheidung äußert sich klar und unzweideutig auch Seewald (in: Kasseler Kommentar, Stand 86. Ergänzungslieferung Juni 2015, § 66 Rn. 23). Er führt an anderer Stelle zudem aus, die Belehrung solle dem Verpflichteten die Möglichkeit geben, seine Entscheidung zu überdenken, und müsse sich daher konkret und unmissverständlich auf den individuellen Einzelfall beziehen, die Angabe des Umfangs der Leistungsversagung oder Entziehung sei aber nicht erforderlich (Seewald, aaO., Rn. 12, unter Mitteilung der Forderung des BSG nach Angabe der konkret im Einzelfall beabsichtigten Entscheidung; eine deutliche Abgrenzung seiner eigenen Auffassung zu jener des BSG nimmt Seewald indes nicht vor, so dass seine genaue Positionierung schlussendlich nicht klar wird).
Letztlich entscheidend für den notwendigen Inhalt der Folgenbelehrung nach § 66 Abs. 3 SGB I ist die damit verfolgte Warnfunktion. Die Behörde muss dem Bürger unmissverständlich deutlich machen, welche Folgen einzutreten drohen, sollte er seiner Mitwirkungspflicht nicht innerhalb der gesetzten angemessenen Frist nachkommen. Diesen Anforderungen genügt die hier in Rede stehende Belehrung unzweifelhaft, denn dem Kläger ist in verständlicher Form vor Augen beführt worden, womit er für den Fall der fehlenden Mitwirkung rechnen musste ("Dies bedeutet, dass Sie keine Leistungen erhalten."). Damit hat die Belehrung in vollem Umfang ihren Zweck erfüllt. Weitergehende Anforderungen sind nicht zu stellen. Wäre die Behörde nämlich gehalten, ihr Ermessen bereits in dem zur Warnung dienenden Hinweis nach § 66 Abs. 3 SGB I auf eine ganz bestimmte Rechtsfolge zu konkretisieren, so müsste sie sich damit zwangsläufig der Möglichkeit begeben, auf nachfolgend, zeitlich nach dem erfolgten Hinweis, eintretende Gesichtspunkte bei der Ermessensausübung sachgerecht zu reagieren, wie oben bereits dargelegt worden ist. So müsste die Leistung bei einer entsprechend konkretisierten Rechtsfolgenandrohung der vollständigen Versagung etwa auch dann vollständig versagt werden, wenn der Leistungsberechtigte in erkennbarem Bemühen um ausreichende Mitwirkung die erforderliche Mitwirkungshandlung nur unvollständig bzw. unzureichend erbracht hat oder sonstige Gesichtspunkte gegen eine vollständige Versagung sprechen, der Verpflichtete etwa nachvollziehbare Gründe für seine Weigerung vorbringt. Wollte man dieses Dilemma dadurch umgehen, dass zwar eine vollständige Versagung als konkrete in Aussicht genommene Rechtsfolge alternativlos angedroht werden muss, damit diese Folge rechtmäßig gewählt werden kann, die Behörde aber gleichwohl zulässigerweise eine mildere Alternativfolge bei entsprechenden nachfolgenden Ermessensgesichtspunkten wählen dürfte, so wäre dies weder konsequent noch wäre damit für die Rechtssicherheit etwas gewonnen. Denn dann müsste die Behörde stets die nachteiligste mögliche Folge - hier die vollständige Versagung - als konkret bevorstehende Folge ankündigen, um sich damit das vollständige Spektrum der rechtlich im Rahmen sachgerechter Ermessensausübung zulässigen Rechtsfolgenalternativen zu erhalten.
Vor diesem Hintergrund erscheint es konsequenter, die zu fordernde Ankündigung in einer Fassung als ausreichend anzuerkennen, in welcher die vollständige Versagung als mögliche Rechtsfolge lediglich in Aussicht gestellt wird. Denn diese Fassung kann allein die zutreffende Belehrung darstellen, wenn der Behörde, falls sie sich - der Intention des Gesetzgebers entsprechend - die Verfügbarkeit des gesamten Ermessensspektrums vorbehalten will, nicht abschließend die Wahl eines milderen Mittels verwehrt sein soll.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision ist gemäß § 160 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1, 2 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache ebenso wie aufgrund von Divergenz zuzulassen.