Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 22.09.2015, Az.: L 4 KR 276/15 B ER

Kostenübernahme für Cannabistropfen; Morbus Bechterew mit progredientem Verlauf; Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkasse; Anspruch bei lebensbedrohlicher Krankheit

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
22.09.2015
Aktenzeichen
L 4 KR 276/15 B ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2015, 29961
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2015:0922.L4KR276.15B.ER.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Oldenburg - 26.06.2015 - AZ: S 61 KR 181/15 ER

Fundstellen

  • NZS 2015, 6
  • VK 2015, 194

Redaktioneller Leitsatz

1. Bei der Entscheidung über die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung sind bei der Anwendung und Auslegung der leistungsrechtlichen Vorschriften des SGB V die Anforderungen aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip sowie aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu beachten und das Recht des Betroffenen auf eine Leistungserbringung durch die gesetzliche Krankenversicherung, die dem Schutz seines Lebens gerecht wird, zu wahren.

2. Nach den mittlerweile im Gesetz normierten, vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Voraussetzungen können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, ausnahmsweise eine Leistung außerhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht (§ 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V).

Tenor:

Der Beschluss des Sozialgerichts Oldenburg vom 26. Juni 2015 wird abgeändert.

Die Antragsgegnerin wird bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren verpflichtet, die Kosten für die Therapie mit Cannabis-Extrakt-Tropfen ab dem 12. Mai 2015 vorläufig und unter dem Vorbehalt der Rückforderung im Fall des Obsiegens im Hauptsacheverfahren zu übernehmen.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin hat 3/4 der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu erstatten.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um die Kostenerstattung und Kostenübernahme für Cannabis-Extrakt-Tropfen zur Behandlung einer Schmerzerkrankung.

Der im Jahre 1961 geborene Antragsteller ist bei der Antragsgegnerin gesetzlich krankenversichert. Seit dem 9. Lebensjahr leidet er an einem Morbus Bechterew mit progredientem Verlauf. BWS und LWS sind fixiert. Es besteht ein chronischer Schmerz mit stechendem Charakter. Nach der Darstellung des behandelnden Allgemeinmediziners Schulte (Attest vom 1. Dezember 2014) nimmt der Schmerz im Tagesverlauf zu, wobei zum Abend nahezu unerträgliche Beschwerden bestehen. Längeres Laufen, langes Stehen sowie Rumpfbeugen wirken als Triggerfaktoren der Beschwerden. Im Laufe der Erkrankung wurden seit 1982 verschiedenste schulmedizinische Versuche mit Analgetika wie Tramal, Tilidin, Novalgin und NSAR unternommen. Die Therapieversuche verliefen insuffizient und wurden aufgrund erheblicher Nebenwirkungen nicht fortgeführt. In den Jahren 2002 bis 2007 erfolgte eine Therapie mit Dronabinol zu Lasten der Antragsgegnerin. Nachdem diese die Kosten der Therapie nicht weiter übernahm, führte der Antragsteller in den Jahren 2007 bis 2009 ein erfolgloses Widerspruchsverfahren. Der Widerspruchsbescheid wurde bestandskräftig. Die Schmerztherapie wurde mit schulmedizinischen Mitteln (Morphin) mit mäßiger Wirksamkeit und unter Nebenwirkungen fortgeführt.

Am 19. September 2013 erteilte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) - Bundesopiumstelle - dem Antragsteller eine Ausnahmeerlaubnis nach § 3 Abs. 2 Betäubungsmittelgesetz (BtMG) zum Erwerb von Cannabis zu Therapiezwecken.

Am 28. Juli 2014 beantragte der Antragsteller unter Vorlage von vier Privatrezepten die Kostenübernahme/Erstattung für Cannabis-Extrakt-Tropfen gegenüber der Antragsgegnerin. Zur Begründung verwies er auf den Behandlungsverlauf, in dem schulmedizinische Analgetika nicht den gewünschten Erfolg erzielt hätten. In seinem Falle sei Cannabis die einzige Lösung. Er überreichte eine Stellungnahme des behandelnden Allgemeinmediziners Schulte vom 24. Juni 2007, wonach die im Jahre 2002 begonnene Dronabinoltherapie zu einer deutlichen Verbesserung der Lebensqualität geführt habe. Die chronische Schmerzsymptomatik sei nebenwirkungsfrei günstig beeinflusst worden und zum anderen seien auch positive Nebeneffekte auf die Stimmungslage des Antragstellers aufgetreten, der im Laufe der Erkrankung häufig psychisch instabil gewesen sei und viele depressive Episoden erlitten habe (krankheitsbedingte Aufgabe des Studiums, Zerbrechen der Ehe, finanzielle Engpässe, in erster Linie aber chronisches Schmerzsyndrom).

Mit Bescheid vom 8. August 2014 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag ab. Eine Schmerztherapie mit Dronabinol sei eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode i.S. des § 135 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V). Eine positive Bewertung des gemeinsamen Bundesausschusses liege nicht vor. Dronabinol sei derzeit unzureichend erforscht. Aufgrund der Studienlage bestünden erhebliche Bedenken zur Sicherheit. Eine medizinische Standardtherapie sei grundsätzlich verfügbar, da es eine Vielzahl von medikamentösen Therapieansätzen zur Behandlung von Schmerzen gebe, die vom Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenkasse umfasst seien.

Der Antragsteller erhob Widerspruch und trug vor, dass eine medizinische Standardtherapie in seinem Falle nicht wirksam sei; die Nebenwirkungen von Morphium seien sehr unangenehm. Demgegenüber sei Cannabisextrakt als Therapieansatz wirksam. Er überreichte eine Stellungnahme des BfArM - Bundesopiumstelle - vom 12. Dezember 2014, wonach eine Ausnahmeerlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG ausschließlich in den Fällen erteilt werden dürfe, in denen keinerlei zugelassene Fertigarzneimittel oder Rezepturarzneimittel zur Therapie der vorliegenden Erkrankung oder Symptomatik zur Verfügung stünden. Dies sei nach eingehender Plausibilitätsprüfung bei dem Antragsteller der Fall. Eine Kostenübernahme für die Therapie mit Cannabisprodukten würde durch das BfArM sehr begrüßt werden. Die Antragsgegnerin beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherungen (MDK) mit der sozialmedizinischen Begutachtung. Dieser führte am 24. März 2015 durch Dr. Gärtner aus, dass die Ausnahmevoraussetzungen bei einer nicht zugelassenen NUB vorliegend gegeben sein könnten. Eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung liege zwar nicht vor. Ob chronische Schmerzen auf dem Boden einer Bechterew-Erkrankung jedoch eine zumindest wertungsmäßig gleichzustellende Erkrankung sei, bliebe sozialrechtlich zu klären. Die fehlende Verfügbarkeit schulmedizinischer Behandlungen sei durch die Stellungnahme der Bundesopiumstelle zu bejahen. Darüber hinaus sei eine positive Wirksamkeitsprognose aufgrund der jahrelangen erfolgreichen Therapie ebenfalls zu bejahen. Da die beiden letztgenannten Kriterien kumulativ erfüllt seien, werde der Kasse empfohlen, hier eine leistungsrechtliche Entscheidung zu treffen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 27. April 2015 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch als unbegründet zurück. Eine Therapie mit Cannabis-Extrakt-Tropfen gehöre nicht zur vertragsärztlichen Versorgung. Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden dürften nach § 135 Abs. 1 Nr. 1 SGB V in der vertragsärztlichen Versorgung nur zu Lasten der Krankenkasse erbracht werden, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 SGB V Empfehlungen abgegeben habe über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit. Eine solche Empfehlung für eine Therapie mit Cannabis-Extrakt-Tropfen läge bislang nicht vor. Darüber hinaus läge auch keine Ausnahmesituation vor, da nach den Feststellungen des MDK keine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vorliege.

Hiergegen hat der Antragsteller am 12. Mai 2015 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Oldenburg erhoben (S 61 KR 184/15). Zugleich hat er um die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nachgesucht. Es sei nicht mehr möglich, die notwendige Therapie mit Cannabis-Extrakt-Tropfen weiterhin aus seiner Rente selbst zu finanzieren. Ihm helfe nichts anderes und die Therapie habe keine schädigenden Nebenwirkungen. Das Präparat sei dringend erforderlich, um die Schmerzen erträglich zu machen. Er hat eine Verordnung vom 11. Mai 2015 überreicht, wonach ihm Aufwendungen von 90,00 EUR entstanden sind. Darüber hinaus hat er die Kostenübernahme für die Zukunft geltend gemacht.

Mit Beschluss vom 26. Juni 2015 hat das SG den Antrag abgelehnt. Soweit der Antragsteller die Kostenerstattung für die Vergangenheit begehre, liege kein Anordnungsgrund vor. Soweit er die Kostenübernahme für die Zukunft geltend mache, sei ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht worden. Eine Behandlung mit Cannabis-Extrakt-Tropfen sei bislang nicht vom Gemeinsamen Bundesausschuss zugelassen worden. Es könne auch keine Ausnahme i.S. des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2005 anerkannt werden, da dieses nur in eng begrenzten, notstandsähnlichen Situationen der Fall sei.

Gegen den am 29. Juni 2015 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 23. Juli 2015 Beschwerde bei dem SG eingelegt. Dieses hat die Beschwerde dem Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen zur Entscheidung vorgelegt. Er hat weiterhin auf seine fehlenden finanziellen Möglichkeiten verwiesen und ausgeführt, dass er infolgedessen auf Opioide und Morphin zurückgreifen müsse. Seine Lebensqualität sei dadurch extrem gesunken und es lägen erhebliche Nebenwirkungen vor.

Der Antragsteller beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,

den Beschluss des Sozialgerichts Oldenburg vom 26. Juni 2015 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, die für die Therapie mit Cannabis-Extrakt-Tropfen seit April 2014 entstandenen Kosten zu erstatten sowie die Kosten künftig zu übernehmen.

Die Antragsgegnerin beantragt schriftsätzlich,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend und schließt sich den dort genannten Gründen an.

Im Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage vor dem Berichterstatter am 3. September 2015 haben die Beteiligten den folgenden Vergleich geschlossen:

1. Die Antragsgegnerin leistet dem Antragsteller - ohne Anerkennung einer Rechtspflicht und unter ausdrücklicher Aufrechterhaltung ihrer Rechtsposition - eine Kostenbeteiligung für Cannabisextrakt in Höhe von 90,00 EURO pro Monat gegen Vorlage entsprechender Kostenbelege. Die Beteiligung erfolgt bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache, längstens jedoch bis Mai 2016. Die Beteiligten werden eine abschließende Klärung im Hauptsacheverfahren herbeiführen.

2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

3. Hiermit ist das Verfahren L 4 KR 276/15 B ER erledigt.

4. Der Antragsgegnerin bleibt nachgelassen, diesen Vergleich bis zum 7. September 2015 eingehend bei Gericht zu widerrufen.

Die Antragsgegnerin hat den Vergleich widerrufen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakte, den Inhalt der Verwaltungsakte der Antragsgegnerin und den Inhalt der Akte des Klageverfahrens S 61 KR 184/15 verwiesen, die der Entscheidung zugrunde gelegen haben.

II.

Die Beschwerde ist gemäß § 172 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgemäß erhoben worden und auch im Übrigen zulässig.

Sie ist auch überwiegend begründet. Dem angefochtenen Beschluss des SG Oldenburg vom 26. Juni 2015 schließt sich der erkennende Senat nicht an. Denn der Antragsteller hat im einstweiligen Rechtsschutzverfahren einen Anspruch auf vorläufige Kostenübernahme für eine Schmerztherapie mit Cannabis-Extrakt-Tropfen ab dem Zeitpunkt der Stellung des Eilantrages.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig ist. Das ist immer dann der Fall, wenn ohne den vorläufigen Rechtsschutz schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache im Fall des Obsiegens nicht mehr in der Lage wäre (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 19. Oktober 1977, 2 BvR 42/76, BVerfGE 46, 166, 179, 184). Steht dem Antragsteller ein von ihm geltend gemachter Anspruch voraussichtlich zu und ist ihm nicht zuzumuten, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten, ist der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes begründet. Eine aus Gründen der Gewährung effektiven Rechtsschutzes gebotene Vorwegnahme der Hauptsache im einstweiligen Verfahren ist jedoch nur dann zulässig, wenn dem Antragsteller ohne den Erlass der einstweiligen Anordnung unzumutbare Nachteile drohen und für die Hauptsache hohe Erfolgsaussichten prognostiziert werden können (LSG Nds., Beschluss vom 8. September 2004, L 7 AL 103/04 ER). Sowohl der Anordnungsanspruch als auch der Anordnungsgrund sind gemäß § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) i. V. m. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG glaubhaft zu machen.

Gemessen an diesen Voraussetzungen ist eine besondere Eilbedürftigkeit für die Zeit ab Stellung des Eilantrags glaubhaft gemacht. Für die besondere Eilbedürftigkeit kommt es darauf an, ob es den Antragstellern zuzumuten ist, eine Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Unzumutbarkeit liegt beispielsweise vor bei einer konkreten Gefährdung der Existenz oder wenn gar die Vernichtung der Lebensgrundlage droht. Eine Eilbedürftigkeit muss grundsätzlich hinsichtlich einer Regelung für die Zukunft vorliegen. Der Antragsteller hat durch Vorlage ärztlicher Atteste glaubhaft gemacht, dass in seinem Falle eine Therapie mit Cannabisextrakt zur Linderung von massiven Schmerzen erforderlich ist, die auf schulmedizinischem Wege nicht in ausreichendem Maße erfolgen kann. Hierzu hat er insbesondere das Attest des Allgemeinmediziners Schulte vom 1. Dezember 2014 vorgelegt, das die Erforderlichkeit der Therapie im Einzelnen darstellt.

Demgegenüber besteht kein Anordnungsgrund für die Erstattung von Kosten für die Zeit vor Stellung des Eilantrages.

Eine Verpflichtung zur Zahlung von Geldleistungen für einen zurückliegenden Zeitraum wird von Sinn und Zweck der vorläufigen Regelung nicht erfasst. Leistungen für die Vergangenheit können grundsätzlich nur im Hauptsacheverfahren geltend gemacht werden (Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28.02.2013, L 1 KR 33/13 B ER). Denn das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG ist regelmäßig nicht darauf gerichtet, Geldleistungen für die Vergangenheit, sondern für die Gegenwart und Zukunft zu gewähren (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller, SGG, 9. Auflage 2008, § 86b Rdnr. 29a.

Ob ein Anordnungsanspruch, d.h. materieller Leistungsanspruch des Antragstellers auf das streitbefangene Präparat besteht, kann auch bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren allein gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht mit hinreichender Sicherheit beurteilt werden. Der Senat stützt seine Entscheidung daher auf eine Folgenabwägung.

Ein Sachleistungsanspruch innerhalb des Regelleistungskataloges der gesetzlichen Krankenversicherung besteht nicht. Denn eine Therapie mit Cannabis-Extrakt-Tropfen gehört nicht zur vertragsärztlichen Versorgung.

Der Gemeinsame Bundesausschuss soll nach § 92 Abs. 1 Nr. 5 SGB V insbesondere Richtlinien über die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden beschließen.

Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden dürfen nach § 135 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Nr. 5 Empfehlungen abgegeben hat über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit - auch im Vergleich zu bereits zu Lasten der Krankenkassen erbrachten Methoden - nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der jeweiligen Therapierichtung.

Nach § 135 Abs. 1 SGB V und der Rechtsprechung des BSG bezüglich neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden darf die Krankenkasse neue Behandlungsmethoden nur übernehmen, wenn seitens des Bundesausschusses eine positive Entscheidung für diese Behandlung getroffen worden ist (Urteil vom 28.03.2000 - B 1 KR 11/98 R -).

Der Gemeinsame Bundesausschuss hat bisher für eine Therapie mit Cannabis-Extrakt-Tropfen noch keine positive Empfehlung ausgesprochen, um diese als vertragsärztliche Leistung anzuerkennen.

Ein darüber hinausgehender Anspruch aus § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB VI ist im Falle eines schwersten chronischen Schmerzgeschehens für den erkennenden Senat grundsätzlich möglich.

Bei der Entscheidung über die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung sind bei der Anwendung und Auslegung der leistungsrechtlichen Vorschriften des SGB V die Anforderungen aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip sowie aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu beachten und das Recht der Antragstellerin auf eine Leistungserbringung durch die gesetzliche Krankenversicherung, die dem Schutz seines Lebens gerecht wird, zu wahren (vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. Dezember 2005, 1 BvR 347/98, Rz. 62 - zitiert nach juris). Nach den mittlerweile im Gesetz normierten, vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Voraussetzungen können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, ausnahmsweise eine Leistung außerhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht (§ 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V).

Eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung liegt im Falle des Antragstellers nicht vor. In Betracht kommt jedoch eine wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung.

Das Bundessozialgericht stellt strenge Anforderungen an das Vorliegen einer solchen Krankheit und die Voraussetzungen dafür, wann diese mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung in der Bewertung vergleichbar ist (vgl. BSG, Urteil vom 27.3.2007, B 1 KR 30/06 R, Rz. 16). Neben notstandsähnlichen Situationen, die einen der Lebenserhaltung dienenden akuten Behandlungsbedarf begründen, bezieht das Bundessozialgericht Erkrankungen ein, in denen es um einen nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion geht (vgl. BSG, Urteil vom 14.12.2006, B 1 KR 12/06 R, Rz. 20).

Der Senat hält es dem Grunde nach für möglich, eine schwerste chronische Schmerzerkrankung dann wertungsmäßig gleichzustellen, wenn sie in ihren (funktionalen Auswirkungen) bis dem Verlust von herausgehobenen Körperfunktionen gleich steht. Schmerzen können in ihrer Schwere und ihrem Ausmaß eine sehr weite Spanne umfassen. Aufgrund des restriktiven Charakters des § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V steht fest, dass mittelschwere oder auch schwerere Schmerzen wie sie beispielsweise Verschleißerkrankungen mit sich bringen, von einer wertungsmäßigen Gleichstellung nicht umfasst ein können. Der Senat hält es jedoch unter Heranziehung einer grundrechtsorientierten Auslegung für geboten, einem schwersten chronischen Schmerzgeschehen, wie es etwa von Tumorerkrankungen oder Wundschmerzen hervorgerufen werden kann, eine wertungsmäßige Gleichstellung nicht von vornherein zu versagen (vgl. BSG, Urteil vom 27. März 2007, B 1 KR 30/06 R, Rd 19).

Ob diese Voraussetzungen beim Antragsteller vorliegen, wird im Hauptsacheverfahren zu klären sein. Hierzu werden weitere medizinische Sachverhaltsermittlungen erforderlich sein, die Auskunft zu Umfang und Ausprägung des Schmerzgeschehens liefern. Der Antragsteller gibt an, an wechselnden Schmerzen zu leiden, die sich im Laufe des Tages auf ein geradezu unerträgliches Maß steigern. Wie sich sein Schmerz im Einzelnen darstellt und wie er sich im Laufe des Tages entwickelt, kann dabei Gegenstand der Begutachtung durch einen Schmerzmediziner sein. Hierbei können auch die funktionellen Auswirkungen im Hinblick auf die Bewältigung täglicher Verrichtungen im Einzelnen untersucht werden. Dabei wird auch zu überprüfen sein, inwieweit die vorliegenden Angaben zu den Ausmaßen des Schmerzgeschehens objektivierbar sind und durch die zugrundeliegende Erkrankung eines Morbus Bechterew getragen werden. All dies ist im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht zu leisten.

Ebenso wenig kann mit hinreichender Sicherheit geklärt werden, ob die zweite Voraussetzung des § 2 Abs. 1a SGB V gegeben ist. Zwar führt der MDK im Gutachten vom 24. März 2015 durch Dr. Gärtner aus, dass für das Behandlungsziel keine schulmedizinischen Behandlungsmöglichkeiten gegeben sind. Hierzu stützt er sich jedoch nur auf die Stellungnahme des BfArM - Bundesopiumstelle - vom 12. Dezember 2014, die sich auf eine "eingehende Plausibilitätsprüfung" im Falle des Antragstellers stützt. Eine solche Plausibilitätsprüfung mag zwar ein erhebliches indizielles Gewicht haben, sie kommt jedoch keinem medizinischen Vollbeweis gleich, der für eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren erforderlich sein wird. Auch diesbezüglich wird (schmerz)medizinisch zu begutachten sein, ob im Falle des Antragstellers anerkannte schulmedizinische Behandlungsmethoden mit tolerablen Nebenwirkungen zur Verfügung stehen.

Die dritte Voraussetzung, nämlich eine positive Wirksamkeitsprognose, dürfte hingegen anzunehmen sein. Denn durch die Therapie mit Cannabis-Produkten in Jahren 2002 bis 2007 hat sich gezeigt, dass diese Therapie im Falle des Antragstellers erfolgreich ist und keine unerwünschten Nebenwirkungen mit sich bringt.

Bei dieser Sachlage nimmt der Senat in Anbetracht der zahlreichen, im Eilverfahren nicht aufklärbaren medizinischen Tatsachenfragen vorliegend eine Interessenabwägung vor. Denn in einem Fall des § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V soll die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes grundsätzlich auf eine eingehende Prüfung der Sach- und Rechtslage gestützt werden (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 25. Februar 2009, 1 BvR 120/09, Rz. 11). Ist dies wegen der Eilbedürftigkeit - wie im vorliegenden Fall - nicht möglich, kann nach einer Folgenabwägung für die beeinträchtigten Rechtsgüter entschieden werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gilt: Je schwerer die Belastungen des Betroffenen wiegen, die mit der Versagung des vorläufigen Rechtsschutzes verbunden sind, umso weniger darf das Interesse an einer vorläufigen Regelung oder Sicherung der geltend gemachten Rechtsposition zurückgestellt werden. Art. 19 Abs. 4 GG verlangt auch bei Vornahmesachen jedenfalls dann vorläufigen Rechtsschutz, wenn ohne ihn schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Februar 2009, 1 BvR 120/09, Rz. 11, vgl. auch: Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 19. Juni 2013, L 5 KR 91/13 B ER).

Aufgrund der bestehenden Schmerzen ist es dem Antragsteller nicht zuzumuten, bis zum Vorliegen einer (ggf. begutachtungsintensiven) Hauptsacheentscheidung zu warten. Auch die Berücksichtigung der Interessen der Versichertengemeinschaft und die Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots stehen dem nicht entgegen, denn die Kosten der streitbefangenen Therapie sind allenfalls geringfügig höher als schulmedizinische Schmerztherapien. Mithin ist das Interesse des Antragstellers höher zu gewichten. Hiernach war der Beschwerde in erkanntem Umfange zu entsprechen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG, wobei der Senat das Teilunterliegen des Antragstellers mit 1/4 gewichtet.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).