Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 11.05.2022, Az.: 2 A 100/19

Außenbereich; Flächennutzungsplan; Höhenbegrenzung; Klimaschutz; Spruchreife; Vorbescheid; Windenergieanlage; Windkraftanlage; Windrad

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
11.05.2022
Aktenzeichen
2 A 100/19
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2022, 59605
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Eine im Flächennutzungsplan geregelte Höhenbegrenzung für Windenergieanlagen reicht nicht aus, um die Genehmigung für eine diese Grenze überschreitende Anlage nach § 35 Abs. 1 und 3 BauGB zu versagen.

2. Die Genehmigungsbehörde hat bei der erforderlich werdenden Abwägung zwischen den mit der Höhenbegrenzung verfolgten und den für die höhere Anlage sprechenden Interessen die Bedeutung höherer Anlagen für die effektive Nutzung der Windenergie und den besonderen Stellenwert zu berücksichtigen, der der Windenergie für die Sicherung der Energieversorgung und den Klimaschutz zukommt.

3. Jede Maßnahme, die auf den weiteren Ausbau der Nutzung erneuerbarer Energien gerichtet ist, dient dem Schutz des Klimas sowie dem Schutz von Leben, Gesundheit und Eigentum vor den Gefahren des Klimawandels; zu diesem Schutz ist der Staat nach dem Grundgesetz verpflichtet.

4. Wegen der grundsätzlichen Privilegierung von Windenergieanlagen sowie der Bedeutung der Anlagenhöhe für die Leistungsfähigkeit der Anlagen und damit für die Ziele der Energiesicherung und des Klimaschutzes bedarf es überragend wichtiger Gründe, um die Genehmigung für eine Windenergieanlage im Außenbereich im Rahmen der Abwägung unter Berufung auf die in einem Flächennutzungsplan vorgegebene Höhenbegrenzung zu versagen.

5. Zur Auslegung und Bindungswirkung eines immissionsschutzrechtlichen Vorbescheids, der die Überschreitung der geltenden Höhenbegrenzung für Windenergieanlagen unter der Voraussetzung als genehmigungsfähig ansieht, dass eine Willensbekundung des Gemeinderats zur Anpassung des Flächennutzungsplans vorliegt.

Tenor:

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 6. Juni 2018 verpflichtet, über den Antrag der Klägerin vom 28. Oktober 2016 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin und die Beklagte je zur Hälfte.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin und die Beklagte können die Vollstreckung jeweils durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Verfahrensgegner zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des festzusetzenden Vollstreckungsbetrages leistet.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 300.000 Euro festgesetzt.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Genehmigung einer Windenergieanlage.

Sie betreibt auf dem im geltenden „Flächennutzungsplan 2020plus“ der Beklagten als Sonderbaufläche für Windenergieanlagen ausgewiesenen Gebiet in der Gemarkung F. drei Windenergieanlagen von 100 Metern Höhe. Der Flächennutzungsplan enthält im Rahmen der Planzeichenerläuterung zur „allgemeinen Art der baulichen Nutzung“ neben dem Symbol für die Sonderbaufläche den Hinweis: „maximale Höhe baulicher Anlagen: 100 m“. Im vorliegenden Verfahren möchte die Klägerin erreichen, dass die Beklagte ihr eine Genehmigung erteilt für die Errichtung einer Windenergieanlage vom Typ ENERCON E-115 mit einer Nabenhöhe von ca. 149 Metern, einer Nennleistung von 3.000 kW und einer Gesamthöhe von ca. 207 Metern auf der Sonderbaufläche (Flurstück 70/1, Flur 1 der Gemarkung F.). Die Bestandsanlagen sollen dann zurückgebaut werden.

Mit Schreiben vom 7. Dezember 2015 beantragte die Klägerin bei der Beklagten einen immissionsschutzrechtlichen Vorbescheid, mit dem die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit und außerdem geklärt werden sollte, welche naturschutzfachlichen Belange im Rahmen des Antragsverfahrens untersucht werden müssten.

In dem von der Beklagten unter dem 7. Juli 2016 erteilten Vorbescheid heißt es, auf Antrag der Klägerin werde der „Vorbescheid für folgendes Vorhaben erteilt: Feststellung der planungsrechtlichen Zulässigkeit des geplanten Anlagenstandortes von einer Windkraftanlage (WKA) vom Typ ENERCON E-115 der Leistungsklasse 3 MW mit 149 m Nabenhöhe, Gesamthöhe 207 m, innerhalb der Sonderbaufläche für Windenergieanlagen westlich von F.“ (Abschnitt I Nr. 1 des Vorbescheids). Im Abschnitt II des Bescheids mit der Überschrift „Nebenbestimmungen und Hinweise“ ist unter Ziffer 2 („Stadtplanung“) ausgeführt, dass die Ausweisung von Sonderbauflächen für die Windenergienutzung zurückgehe auf die Verfahren zur 62. und 93. Änderung des „Flächennutzungsplans 1977“. Die Beklagte habe seinerzeit im Ergebnis der Abwägung eine Höhenbegrenzung für Windenergieanlagen von 100 Metern festgelegt. Grundlage der Abwägung seien „Ziele zur Minimierung der Landschaftsbildbeeinträchtigung und der Reduzierung der Störeffekte auf die Menschen“ gewesen. Diese Planungen seien in den „Flächennutzungsplan 2020plus“ übernommen worden. Die technische Entwicklung führe aber zu immer höher werdenden Anlagen. Wörtlich heißt es dann weiter: „Voraussetzung für eine Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens ist jedoch mindestens die Willensbekundung des Rates, den Flächennutzungsplan über ein Änderungsverfahren entsprechend anzupassen. Dieser Änderungsbeschluss kann vom Rat voraussichtlich im Dezember 2016 gefasst werden. Auf Grundlage eines solchen Beschlusses wird die Genehmigung in Aussicht gestellt“ (S. 3 des Vorbescheids). Eine entsprechende Formulierung findet sich in Abschnitt III des Vorbescheides (Überschrift „Begründung“) unter Ziffer 5 („Städtebauliches Planungsrecht“). In Abschnitt III heißt es unter Ziffer 7 weiter, die Prüfung der Antragsunterlagen habe ergeben, „dass nach Aufnahme der unter II. genannten Nebenbestimmungen in den Bescheid die Genehmigungsvoraussetzungen der §§ 6 und 9 BImSchG vorliegen. (…) Der beantragte Bescheid war somit zu erteilen.“ Wegen der weiteren Einzelheiten der Ausführungen wird auf den Vorbescheid verwiesen (Beiakte 001, Trennblatt „Vorbescheid“).

Mit Schreiben vom 28. Oktober 2016 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Genehmigung für die Errichtung der Windenergieanlage Typ ENERCON E-115 auf der angegebenen Fläche. Dem Antrag waren verschiedene Unterlagen beigefügt.

Die Verwaltung der Beklagten erarbeitete eine Vorlage zur Änderung des Flächennutzungsplans mit dem Beschlussvorschlag, die Höhenbegrenzung von 100 m für die „Sonderbaufläche für Windenergienutzung“ zu streichen. Im November 2017 lehnte der Ortsrat F. /Mörse dies ab, im Januar 2018 auch der Planungs- und Bauausschuss. Daraufhin zog die Verwaltung die Vorlage zurück, sodass es nicht mehr zur Abstimmung im Rat kam.

Mit Bescheid vom 6. Juni 2018 lehnte die Beklagte den Antrag auf Erteilung der Genehmigung ab. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus: Die Prüfung des naturschutzfachlichen Teils der Unterlagen habe ergeben, dass die Anlage aus naturschutzfachlicher Sicht prinzipiell genehmigungsfähig sei. Da es bei der im Flächennutzungsplan verankerten Höhenbegrenzung für Windenergieanlagen geblieben sei, sei die Errichtung der beantragten Windenergieanlage aber aus planungsrechtlichen Gründen nicht möglich. Dazu verwies sie auf eine Stellungnahme der Baubehörde vom 5. April 2018, die dem Bescheid beigefügt wurde. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf den Bescheid und die Anlage verwiesen (Beiakte 001, Trennblatt „Bescheid/Allgemein“).

Dagegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 28. Juni 2018, das am selben Tag bei der Beklagten einging, Widerspruch ein und trug zur Begründung vor, der Vorbescheid entfalte Bindungswirkung, außerdem sei die Höhenbegrenzung, wenn nicht die gesamte Flächennutzungsplanung, unwirksam. Über diesen Widerspruch entschied die Beklagte nicht.

Am 2. April 2019 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie macht im Wesentlichen Folgendes geltend: Der Genehmigungsanspruch ergebe sich schon aus dem Vorbescheid vom 7. Juli 2016, der für das beantragte Vorhaben Bindungswirkung entfalte. Im Übrigen wäre eine Nebenbestimmung zum Vorbescheid auch rechtswidrig. Die Höhenbegrenzung sei unwirksam. Die Flächennutzungsplanung leide an erheblichen Abwägungsmängeln, erfülle nicht das rechtliche Gebot, der Windenergie substanziell Raum zu verschaffen, und sei funktionslos geworden. Insgesamt sei ein wirtschaftlicher Betrieb von Windenergieanlagen mit einer auf 100 Meter begrenzten Höhe nicht mehr möglich. Mit der Höhenbegrenzung, die auch nicht die rechtlichen Anforderungen an die Erforderlichkeit der Planung erfülle, liege eine unzulässige Verhinderungsplanung vor. Die gesamte Planung des „Flächennutzungsplans 2020plus“ könne dem Vorhaben außerdem schon wegen der fehlerhaften Bekanntmachung nicht entgegengehalten werden. Sie enthalte keinen ausreichenden Hinweis auf die mit der Ausweisung der Sonderflächen für Windenergie beabsichtigte Ausschlusswirkung für andere Flächen. Die Auslegungsbekanntmachungen seien auch deswegen fehlerhaft, weil es darin heiße, Anregungen zum Entwurf könnten „schriftlich oder zur Niederschrift“ vorgebracht werden. Selbst wenn die Höhenbegrenzung wirksam sei, reiche sie für die Ablehnung der Genehmigung einer Windenergieanlage nicht aus; die erforderliche Abwägung habe die Beklagte nicht vorgenommen.

Die Klägerin beantragt,

den Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 6. Juni 2018 aufzuheben und diese zu verpflichten, ihr eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb einer Windenergieanlage des Typs ENERCON E-115 auf dem Flurstück 70/1 der Gemarkung F. gemäß dem Antrag vom 28. Oktober 2016 zu erteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

und trägt dazu im Wesentlichen das Folgende vor: Der Vorbescheid entfalte keine Bindungswirkung. Er enthalte mit dem Verweis auf eine Willensbekundung des Rates eine Nebenbestimmung in der Form einer aufschiebenden Bedingung. Die mit der Nebenbestimmung verlangte Voraussetzung – eine Willensbekundung des Rates – liege nicht vor. Die inhaltlichen Anforderungen an die Offenlagebekanntmachung und die Bekannt-machung der Genehmigung des Flächennutzungsplans seien erfüllt. Bei der Neuaufstellung des Flächennutzungsplans hätten für die Beklagte keine relevanten Abwägungsspielräume hinsichtlich der auszuweisenden Konzentrationszonen bestanden. Etwaige Abwägungsmängel wären inzwischen nach den §§ 214, 215 BauGB unbeachtlich geworden. Ein wirtschaftlicher Betrieb sei auch bei Anlagen von 100 Metern Höhe möglich; Gegenteiliges habe die Klägerin nicht belegt. Der Genehmigung stünden weitere Hindernisse entgegen. Die Grundlagenermittlung zum Landschaftsbild sei defizitär. Die artenschutzrechtlichen Gutachten seien methodisch fehlerhaft sowie inhaltlich unzureichend. Die Raumnutzungsanalyse für Großvögel sei mangelhaft. Bei der Erstellung des artenschutzrechtlichen Fachbeitrags sei nicht der aktuelle Artenschutzleitfaden des Landes Niedersachsen zugrunde gelegt worden. Die Ausführungen, mit denen ein Verstoß gegen das Tötungsverbot hinsichtlich der Feldlerchen-Population verneint werde, seien nicht mit dem BNatSchG vereinbar. Auch im Hinblick auf den Rotmilan reichten die vorgelegte Unterlagen weiter nicht aus. Die Berechnung des Ersatzgeldes für den Eingriff in das Landschaftsbild sei defizitär.

Die Klägerin erwidert, die jetzt von der Beklagten genannten weiteren Genehmigungshindernisse seien zu keinem Zeitpunkt des Verwaltungsverfahrens vorgebracht worden; schon im Rahmen der Vorbescheidung sei festgestellt worden, dass keine Genehmigungshindernisse bestünden. Im Übrigen seien der Beklagten nachgebesserte Unterlagen zum Natur- und Artenschutz überreicht worden. Von der Beklagten als fehlend bemängelte Unterlagen seien dieser schon lange zuvor zugeleitet worden. Die Klägerin legt eine Stellungnahme des von ihr beauftragten Planungsbüros vom 2. Oktober 2019 zu den naturschutzfachlichen Fragestellungen und zu den Beeinträchtigungen des Landschaftsbilds sowie eine Wirtschaftlichkeitsberechnung vor. Wegen der Einzelheiten wird auf diese Unterlagen verwiesen (Bl. 92 ff. und 237 ff. der Gerichtsakte).

Die Beklagte hat den „Flächennutzungsplan 2020plus“ im Amtsblatt vom 29. Oktober 2021 (S. 949) neu bekanntgemacht (verfügbar unter: https://www.wolfsburg.de/leben/bauenwohnen/bebauungsplaene).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen nimmt das Gericht auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug.

Entscheidungsgründe

Die Verpflichtungsklage ist zulässig (A) und teilweise begründet (B).

A. Die Klage ist gemäß § 14a BImSchG, der als spezielle Regelung der Bestimmung in § 75 Satz 1 VwGO vorgeht, ohne abgeschlossenes Vorverfahren zulässig. Bei Klageerhebung war seit Einlegung des Widerspruchs ein Zeitraum von deutlich mehr als drei Monaten verstrichen, ohne dass die Beklagte über den Widerspruch der Klägerin entschieden hatte.

B. Die Klage ist teilweise begründet. Der angegriffene Bescheid der Beklagten ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. In dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin aber wegen fehlender Spruchreife keinen Anspruch auf die beantragte Genehmigung; stattdessen ist die Beklagte zu verpflichten, über den Genehmigungsantrag der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden (vgl. § 113 Abs. 5 VwGO). Die Klägerin hat die Verpflichtung zur Neuentscheidung zwar nicht ausdrücklich beantragt. Der dahin gehende Antrag ist aber als „Minus“ in ihrem Antrag auf Verpflichtung zur Erteilung der Genehmigung enthalten (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl., § 113 Rn. 201).

I. Der angegriffene Bescheid ist rechtswidrig. Er verstößt gegen Bauplanungsrecht.

Die von der Klägerin beantragte immissionsschutzrechtliche Genehmigung setzt voraus, dass das Vorhaben genehmigungsbedürftig und genehmigungsfähig ist.

Die Anlage, für die die Klägerin die Genehmigung beantragt hat, ist genehmigungsbedürftig nach § 4 Abs. 1 Satz 3 Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 der 4. Verordnung zur Durchführung des BImSchG und Nr. 1.6 des Anhangs zu dieser Verordnung, weil die Anlage eine Gesamthöhe von mehr als 50 Meter haben soll und eine Betriebsdauer von mehr als 12 Monaten zu erwarten ist.

Die Genehmigung zur Errichtung der Windenergieanlage ist nach § 6 BImSchG zu erteilen, wenn sichergestellt ist, dass die sich aus § 5 BImSchG und einer aufgrund des § 7 BImSchG erlassenen Rechtsverordnung ergebenden Pflichten erfüllt werden (Nr. 1), und andere, d.h. außerhalb des BImSchG normierte öffentlich-rechtliche Vorschriften und Belange des Arbeitsschutzes der Errichtung und dem Betrieb der Anlage nicht entgegenstehen (Nr. 2). Zu den anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften im Sinne dieser Regelung gehören auch die Vorschriften des Bauplanungsrechts.

Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des streitgegenständlichen Vorhabens richtet sich nach § 35 Baugesetzbuch (BauGB), da der Standort für die geplante Anlage weder im Geltungsbereich eines Bebauungsplans liegt (§ 30 BauGB) noch innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile (§ 34 BauGB) und daher dem Außenbereich zuzuordnen ist.

1. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens ergibt sich allerdings nicht schon aus dem Vorbescheid der Beklagten vom 7. Juli 2016.

Rechtsgrundlage für diesen Vorbescheid ist die Regelung in § 9 BImSchG. Danach soll auf Antrag durch Vorbescheid über einzelne Genehmigungsvoraussetzungen sowie über den Standort der Anlage entschieden werden, sofern die Auswirkungen der geplanten Anlage ausreichend beurteilt werden können und ein berechtigtes Interesse an der Erteilung eines Vorbescheides besteht. Der Vorbescheid ist keine Genehmigung; er nimmt mit verbindlicher Wirkung einen Ausschnitt aus dem feststellenden Teil einer etwaigen späteren Anlagengenehmigung vorweg (Jarass, BImSchG, 13. Aufl., § 9 Rn. 1 f. m.w.N.). Soweit der Vorbescheid über das Vorliegen bestimmter Genehmigungsvoraussetzungen entscheidet, bindet er die Genehmigungsbehörde für das weitere Genehmigungsverfahren und nimmt insoweit die Entscheidung vorweg (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 20.11.2012 - 8 A 252/10 -, juris Rn. 36; Kahl/Gärditz, Umweltrecht, 11. Aufl., § 7 Rn. 95). Inwieweit der Vorbescheid unter Vorbehalte gestellt und mit Nebenbestimmungen versehen werden kann, wird nicht einheitlich beurteilt. Nach überwiegender Auffassung sind Vorbehalte und Nebenbestimmungen grundsätzlich zulässig (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 20.11.2012 - 8 A 252/10 -, juris Rn. 36; Thüringer OVG, Urteil vom 14.10.2009 - 1 KO 372/06 -, juris Rn. 28; Enders in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK UmweltR, Stand: 01.01.2022, § 9 BImSchG Rn. 14 m.w.N.; Jarass, a.a.O., § 9 Rn. 10 und 12; zu Vorbehalten s. außerdem OVG Lüneburg, Beschluss vom 29.09.1986 - 7 D 4/86 -, NVwZ 1987, 342, 343; Kahl/Gärditz, a.a.O., § 7 Rn. 88; s.a. § 23 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 9. BImSchV). Die Bindungswirkung des Vorbescheids kann dann nur so weit reichen, wie er nicht durch Vorbehalte bzw. Nebenbestimmungen eingeschränkt wurde (vgl. Jarass, a.a.O., Rn. 21).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kann hier nicht davon ausgegangen werden, dass der Vorbescheid die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens rechtsverbindlich festgestellt hat. Jedenfalls ergibt die Auslegung des Vorbescheids, dass die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens noch nicht abschließend festgestellt, sondern nur für den noch nicht gegebenen Fall angenommen werden sollte, dass eine „Willensbekundung des Rates“ zur Änderung der Höhenbegrenzung im Flächennutzungsplan vorliegt.

Um Regelungsinhalt und -umfang eines Verwaltungsakts zu bestimmen, ist vom Wortlaut des verfügenden Teils unter Zuhilfenahme der Begründung auszugehen (Stelkens in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl., § 35 Rn. 76). Dabei sind die für Willenserklärungen allgemein geltenden Auslegungsgrundsätze anzuwenden (§ 133 BGB analog). Maßgeblich ist danach nicht das, was die Behörde gewollt oder gedacht hat. Für die Frage, wie ein Verwaltungsakt seinem Inhalt nach zu verstehen ist, kommt es vielmehr grundsätzlich auf den Empfängerhorizont an, d.h. darauf, wie Adressaten und Drittbetroffene den Verwaltungsakt von ihrem Standpunkt aus bei verständiger Würdigung verstehen mussten bzw. durften (objektiver Erklärungswert, vgl. Ramsauer in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 22. Aufl., § 35 Rn. 55 und 54; Stelkens, a.a.O., Rn. 79). Der für die Auslegung maßgebliche Zeitpunkt ist der Erlass des Verwaltungsakts (Stelkens, a.a.O., Rn. 71). Die dargestellten Grundsätze gelten auch für die Auslegung von Nebenbestimmungen.

Nach diesen Maßstäben lässt sich dem Vorbescheid keine abschließende und damit bindende Feststellung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit entnehmen. Unter Ziffer 5 der Begründung (Abschnitt III des Bescheides) ist unter der Überschrift „städtebauliches Planungsrecht“ ausgeführt: „Voraussetzung für die Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens ist die Willensbekundung des Rates, den Flächennutzungsplan entsprechend anzupassen.“ Was unter „entsprechender Anpassung“ zu verstehen ist, ist im Abschnitt II des Bescheides unter Ziffer 2 ausgeführt, wo die Beklagte auf die Höhenbegrenzung im geltenden Flächennutzungsplan eingeht und auf die Möglichkeit hinweist, insoweit einen Änderungsbeschluss des Rates herbeizuführen; „auf der Grundlage eines solchen Beschlusses“ werde die Genehmigung in Aussicht gestellt. Unter Ziffer 7 („Ergebnis der Antragsprüfung“) in Abschnitt III des Vorbescheids ist ausgeführt, dem geplanten Anlagenstandort stünden „vorbehaltlich des Änderungsbeschlusses zum Flächennutzungsplan“ keine von vornherein unüberwindlichen Hindernisse entgegen. Für den Adressaten ergibt sich jedenfalls aus den zitierten Formulierungen in Abschnitt II („Nebenbestimmungen und Hinweise“) und Abschnitt III des Bescheides („Begründung“) bei verständiger Würdigung, dass die Beklagte die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit noch nicht abschließend feststellen wollte, sondern sich hieran durch die bestehende Höhenbegrenzung für Windenergieanlagen gehindert sah.

Dem steht nicht entgegen, dass der Vorbescheid an anderer Stelle Formulierungen enthält, die als solche keine Einschränkungen erkennen lassen. So heißt es im Abschnitt III unter Ziffer 7 am Ende zwar, der beantragte Bescheid sei „somit“ zu erteilen gewesen. Dieser (missglückte) Satz steht aber unter dem Absatz, in dem die Beklagte ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dem Vorhaben stünden „vorbehaltlich des Änderungsbeschlusses zum Flächennutzungsplan keine von vornherein unüberwindlichen Hindernisse“ entgegen. Schon nach dem Kontext, in dem dieser Satz steht, aber auch nach dem Gesamtzusammenhang – wegen der an anderen Stellen im Vorbescheid vorgenommenen Hinweise auf die fehlende „Willensbekundung“ des Rates – konnte ihm daher nicht entnommen werden, der Vorbescheid solle einschränkungslos ergehen. Dies gilt im Ergebnis auch für die Formulierung im einleitenden Abschnitt des Vorbescheids (Abschnitt I Ziffer 1). Wörtlich heißt es dort: „Auf Ihren Antrag (…) wird Ihnen hiermit (…) der Vorbescheid für folgendes Vorhaben erteilt: Feststellung der planungsrechtlichen Zulässigkeit (…).“ Fraglich ist schon, ob diese Formulierung tatsächlich einen Teil des Bescheidtenors enthält. Der Vergleich mit der äußeren Form des Bescheids vom 6. Juni 2018 deutet darauf hin, dass damit lediglich der Gegenstand der Entscheidung bezeichnet werden sollte. Selbst wenn die Formulierung als Teil des Tenors anzusehen sein sollte, hat die Beklagte mit den folgenden Ausführungen in Abschnitt II und III des Vorbescheides jedenfalls hinreichend deutlich gemacht, dass der abschließenden Feststellung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit aus ihrer Sicht die (noch) geltende Höhenbegrenzung entgegensteht.

Soweit die Klägerin geltend macht, die Zulässigkeitsfeststellung unter einer Bedingung sei schon rechtswidrig, daher verbiete sich eine dahin gehende Auslegung, folgt die Kamer dem nicht. Der Inhalt eines Verwaltungsaktes ist grundsätzlich – wie dargestellt – nach seinem objektiven Erklärungswert zu bestimmen. Nur soweit das mit diesem Grundsatz vereinbar ist, ist davon auszugehen, dass die Behörde den Verwaltungsakt im Zweifel im Einklang mit dem Gesetz verstanden wissen wollte (Ramsauer, a.a.O., Rn. 55 m.w.N.). Andernfalls bestünde die Gefahr, der Behörde gegen ihren erklärten Willen Regelungsspielräume zu verschaffen und Betroffenen gegen den erklärten Willen der Behörde Rechtspositionen einzuräumen. Danach kann hier für die Bestimmung der Regelungsinhalte nicht auf die gesetzeskonforme Auslegung zurückgegriffen werden, weil die Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont zu einem klaren Ergebnis führt, also kein Zweifelsfall vorliegt, der Raum für eine gesetzeskonforme Interpretation ließe. Unabhängig davon kann eine gesetzeskonforme Auslegung nur dann maßgeblich sein, wenn die Rechtslage eindeutig und allen Beteiligten bekannt ist bzw. sie bei allen Beteiligten (vernünftigerweise) außer Zweifel steht. Aus der Sicht der von dem Bescheid Betroffenen ist nur in diesem Fall die Annahme gerechtfertigt, dass die Behörde nicht mehr (und nicht weniger) regeln wollte, als ihr das Gesetz ermöglicht (vgl. Stelkens, a.a.O., § 35 Rn. 80). Eine in diesem Sinne eindeutige Rechtslage hat hier nicht vorgelegen.

Selbst wenn man zu dem Ergebnis käme, der Vorbescheid sei im Hinblick auf die einschränkenden Formulierungen zur Zulässigkeitsfeststellung zu unbestimmt, würde dies nicht dazu führen, dass von einer (rechtsverbindlichen) Feststellungswirkung auszugehen wäre. Dabei würde es sich um einen inhaltlichen Fehler der Entscheidung handeln. Ein solcher Fehler wäre nicht nach § 46 VwVfG unbeachtlich, der sich ausschließlich auf Verfahrensfehler bezieht. Der Fehler hätte vielmehr zur Folge, dass dem Vorbescheid insoweit wegen seiner Unklarheit keine definitive Feststellungswirkung zukäme (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 29.09.1986 - 7 D 4/86 -, NVwZ 1987, 342, 343). Bei einem Verstoß gegen das Bestimmtheitserfordernis ist die Regelung rechtswidrig, jedoch nicht nichtig (vgl. Stelkens, a.a.O., § 36 Rn. 28). Da der Vorbescheid bestandskräftig ist, bliebe er damit in jedem Fall wirksam.

Nach allem kann die Kammer auch offenlassen, ob die einschränkenden Ausführungen im Vorbescheid als – wie die Beklagte meint – aufschiebende Bedingung zu verstehen sind und inwieweit ein Vorbescheid nach § 9 BImSchG überhaupt Nebenbestimmungen und Vorbehalte enthalten darf.

Der Klägerin ist einzuräumen, dass der Vorbescheid damit im Ergebnis wertlos für sie gewesen ist und das eigentliche Ziel einer solchen Entscheidung, Teilaspekte des umfassenden Genehmigungstatbestandes mit definitiver Feststellungswirkung zu erledigen, verfehlt hat. Es bestehen daher auch zumindest Zweifel, ob der Bescheid zweckmäßig gewesen ist; die mit dem Vorbescheidsantrag eigentlich beabsichtigte Klärung hat die Klägerin jedenfalls nicht erreicht. Die Beklagte hat sich hinsichtlich der Zulässigkeit des Vorhabens nach Bauplanungsrecht nicht abschließend festlegen wollen und dazu in dem Bescheid vielfach konturlose Formulierungen verwendet. Dies kann vom Gericht aber nicht durch Auslegung korrigiert werden. Einen Rechtsanspruch auf Erteilung der Genehmigung ohne weitere Prüfungen durch die Beklagte kann die Klägerin aus dem Vorbescheid nicht ableiten.

2. Die von der Beklagten im Ablehnungsbescheid vom 6. Juni 2018 als Ablehnungsgrund angeführte, im Flächennutzungsplan enthaltene Höhenbegrenzung für Windenergieanlagen steht dem Vorhaben nicht entgegen. Der Bescheid verstößt insoweit gegen Bauplanungsrecht und ist daher rechtswidrig.

Die Errichtung von Windenergieanlagen im Außenbereich ist nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB bevorzugt („privilegiert“) zulässig. Auch ein grundsätzlich privilegiertes Vorhaben ist im Außenbereich aber nur zulässig, wenn öffentliche Belange nicht entgegenstehen (§ 35 Abs. 1 BauGB). Eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange liegt unter anderem vor, wenn das Vorhaben den Darstellungen des Flächennutzungsplans widerspricht (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB). Der Zweck dieser Regelung ergibt sich aus der dem Flächennutzungsplan nach § 5 Abs. 1 BauGB zukommenden Aufgabe, die sich aus der beabsichtigten städtebaulichen Entwicklung ergebende Art der Bodennutzung nach den voraussehbaren Bedürfnissen der Gemeinde in den Grundzügen darzustellen. Der Flächennutzungsplan enthält damit eine Konkretisierung dessen, was im Einzelfall der geordneten städtebaulichen Entwicklung entspricht. Daher soll er eine eigenständige Bedeutung für die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Vorhaben im Außenbereich haben, der grundsätzlich auch zur Sicherung der geordneten städtebaulichen Entwicklung ohne Aufstellung von Bebauungsplänen von Bebauung freigehalten werden soll. Insofern können auch planerische Zielsetzungen von Bedeutung sein (vgl. Söfker in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand: August 2021, § 35 Rn. 79; Rieger in: Schrödter, BauGB, 9. Aufl., § 35 Rn. 110).

Ein Widerspruch zu den Darstellungen des Flächennutzungsplans ist im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB grundsätzlich nur relevant, wenn der Plan wirksam ist (s. nur VG Göttingen, Urteil vom 09.08.2018 - 2 A 230/16 -). Allerdings kann auch ein in Aufstellung befindlicher Flächennutzungsplan Wirkungen entfalten (Finkelnburg/Ortloff/Kment, Öffentliches Baurecht, Bd. 1, 7. Aufl., § 27 Rn. 42 m.w.N.). Dies gilt auch für einen lediglich aus formellen Gründen unwirksamen Flächennutzungsplan; dann soll zwar nicht § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB anwendbar sein, der Plan soll aber einen unbenannten öffentlichen Belang darstellen, da auch ein solcher Flächennutzungsplan Aufschluss über die von der Gemeinde beabsichtigte städtebauliche Entwicklung gibt (so Rieger in: Schrödter, a.a.O., 9. Aufl., Rn. 114). Selbst der Entwurf eines Flächennutzungsplans soll – zumindest unter der Voraussetzung, dass er die tatsächlichen Verhältnisse aufgreift – zu berücksichtigen sein können (vgl. VG Göttingen, a.a.O.; Söfker, a.a.O., § 35 Rn. 80 m.w.N).

Grundlage für die Bestimmung zur Höhenbegrenzung im Flächennutzungsplan ist die Regelung in § 5 Abs. 2 Nr. 1 BauGB i.V.m. § 16 Abs. 1 BauNVO und § 18 BauNVO.

Für den hier von der Klägerin angestrebten Ersatz vorhandener älterer Windkraftanlagen durch neue Anlagen, die aufgrund des zwischenzeitlichen technologischen Fortschritts über eine deutlich höhere Leistung verfügen (sog. Repowering), gelten grundsätzlich dieselben Regeln wie für die erstmalige Errichtung derartiger Anlagen (Rieger, a.a.O., § 35 Rn. 75).

a) Selbst wenn es sich bei der Höhenbegrenzung im Flächennutzungsplan um eine wirksame Regelung handeln sollte, genügt der Hinweis der Beklagten darauf nicht, um die beantragte Genehmigung nach § 35 BauGB zu versagen. Die Entscheidung der Beklagten ist insoweit rechtswidrig.

Die Errichtung von Windenergieanlagen ist im Außenbereich – wie dargelegt – privilegiert und nur dann unzulässig, wenn öffentliche Belange entgegenstehen; öffentliche Belange sind beeinträchtigt, wenn das Vorhaben den Darstellungen des Flächennutzungsplans – z.B. einer in diesem Plan vorgesehenen Höhenbegrenzung – widerspricht. Die Beeinträchtigung öffentlicher Belange, die sich aus einem Widerspruch des Vorhabens zu den Darstellungen des Flächennutzungsplans ergibt, reicht danach nicht aus, um Windenergieanlagen im Außenbereich als unzulässig anzusehen. Die Genehmigungsbehörde darf die Errichtung von Windenergieanlagen nach § 35 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB nur dann unter Berufung auf öffentliche Belange als unzulässig ablehnen, wenn diese Belange dem Vorhaben „entgegenstehen“. Ob dies der Fall ist, ist im Wege einer Abwägung zwischen den jeweils berührten öffentlichen Belangen und dem Interesse an der Verwirklichung des Vorhabens zu ermitteln. Durch die generelle Verweisung bestimmter Vorhaben wie die Errichtung von Windenergieanlagen in den Außenbereich hat der Gesetzgeber nämlich selbst eine planerische Entscheidung zugunsten solcher Vorhaben getroffen und damit auch in Kauf genommen, dass in Einzelfällen öffentliche Belange beeinträchtigt werden. Diese Privilegierung fällt bei der Abwägung zugunsten des Vorhabens ins Gewicht (vgl. zu allem BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 4 CN 1.12 -, juris Rn. 24; VG Aachen, Beschluss vom 12.03.2021 - 6 L 417/20 -, juris Rn. 63; VG Münster, Urteil vom 02.04.2020 - 10 K 4573/17 -, juris Rn. 82; VG Göttingen, Urteil vom 09.08.2018 - 2 A 230/16 -; Mitschang/Reidt in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 15. Aufl., § 35 Rn. 68; Roeser in: Berliner Kommentar zum BauGB, Stand: April 2022, § 35 Rn. 58, 51 u. 10; jew. m.w.N.; s. auch Nr. 3.5.2.2 des Nds. Windenergieerlasses vom 20.07.2021, Nds. MBl. S. 1398). Erforderlich ist eine auf den Einzelfall bezogene „nachvollziehende“ Abwägung (vgl. BVerwG, VG Aachen und VG Münster, jeweils a.a.O.). Dies gilt auch für den Fall, dass der Flächennutzungsplan – wie hier – eine Höhenbegrenzung für Windenergieanlagen vorsieht. Im Einzelnen bedeutet dies, dass die Gemeinde eine die Umstände des konkreten Falles berücksichtigende Gewichtung des fraglichen öffentlichen Belangs – hier der vom Flächennutzungsplan vorgegebenen Höhenbegrenzung – und der nach der Entscheidung des Gesetzgebers im Außenbereich privilegierten Windenergienutzung vorzunehmen und dabei insbesondere die damit verfolgten Zwecke zu berücksichtigen hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.07.2001 - 4 C 4.00 -, juris Rn. 18; Söfker in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand: August 2021, § 35 Rn. 60). Will die Gemeinde eine Windenergieanlage im Außenbereich unter Hinweis auf die im Flächennutzungsplan vorgesehene Höhenbegrenzung ablehnen, so ist dies nur dann mit dem Gesetz vereinbar, wenn die für die Höhenbegrenzung sprechenden Gründe die mit der Errichtung der Anlage verbundenen Interessen im konkreten Fall überwiegen. Die „nachvollziehende“ Abwägung ist gerichtlich uneingeschränkt überprüfbar (BVerwG, Urteil vom 19.07.2001, a.a.O., Rn. 18; Roeser, a.a.O., Rn. 58).

Bei der Gewichtung des Interesses an einer Windenergieanlage, die die Höhenvorgaben des Flächennutzungsplans überschreitet, hat die Genehmigungsbehörde neben der grundsätzlichen Privilegierung von Windenergieanlagen im Außenbereich die Bedeutung höherer Anlagen für die effektive Nutzung der Windenergie und damit auch den besonderen Stellenwert zu berücksichtigen, der der Windenergie für die Sicherung der Energieversorgung und den Klimaschutz zukommt.

Die Windenergienutzung hat nach den energiepolitischen Entscheidungen in der Bundesrepublik und den Zielsetzungen des Pariser Klimaschutzabkommens zentrale Bedeutung für das Energieversorgungskonzept der Zukunft (s. auch Dix, NVwZ 2020, 184, 184 m.w.N.). Wirksamer Klimaschutz ist nur möglich, wenn die Transformation der Energieversorgung in ein System gelingt, das zum Schutz des Klimas künftig nahezu vollständig klimaneutral ist (Nr. 1.1 des Nds. Windenergieerlasses, a.a.O.). Als kostengünstige, etablierte und klimafreundliche Technologie bildet die Windenergie ein Kernstück der Energiewende im Stromsektor. Ihr weiterer Ausbau ist auch nach dem Niedersächsischen Windenergieerlass, der für die niedersächsischen Immissionsschutzbehörden verbindlich ist, von hohem öffentlichen Interesse; um die dargestellten Klimaziele zu erreichen, wird der schnellstmögliche Ausbau der sogenannten erneuerbaren Energien angestrebt, zu denen auch die Windenergie gehört (vgl. zum Vorstehenden Nds. Windenergieerlass, a.a.O., Nrn. 1.1, 1.2 und 1.4).

Der Ausbau der Windenergie hat auch eine verfassungsrechtliche Dimension. Aus erneuerbaren Energien wie der Windkraft kann Strom gewonnen werden, ohne dass beim Erzeugungsvorgang wie bei der herkömmlichen Stromgewinnung durch Verbrauch fossiler Energieträger klimaschädliches CO2 emittiert wird. Daher dient jede Maßnahme, die auf den weiteren Ausbau der Nutzung erneuerbarer Energien gerichtet ist, dem Schutz des Klimas, zu dem der Staat nach dem Klimaschutzgebot des Art. 20a GG verpflichtet ist (BVerfG, Urteil vom 24.03.2021 - 1 BvR 2656/18 u.a. -, BVerfGE 157, 30 = juris Rn. 197 ff.; Beschluss vom 23.03.2022 - 1 BvR 1187/17 -, juris Rn. 104). Darüber hinaus folgt aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und aus Art. 14 Abs. 1 GG die Pflicht des Staates, Leben und Gesundheit sowie das Eigentum vor den Gefahren des Klimawandels zu schützen. Dazu gehören neben Maßnahmen zur Vermeidung schwerer Folgen des tatsächlich eintretenden Klimawandels im Sinne von Anpassungsmaßnahmen auch Maßnahmen zur Begrenzung des Klimawandels selbst durch eine Verringerung des Ausstoßes von CO2 bis hin zu einem klimaneutralen Umgang mit Energie (BVerfG, Urteil vom 24.03.2021, a.a.O., juris Rn. 143 ff., 150, 119 f., 164; Beschluss vom 23.03.2022, a.a.O., juris Rn. 105). Schließlich ist auch das Ziel, die Stromversorgung durch vermehrten Ausbau der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien zu sichern, ein verfassungsrechtlich gewichtiger Gemeinwohlbelang (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.03.2022, a.a.O., juris Rn. 106 f.). Das Bundesverfassungsgericht hat dazu Folgendes ausgeführt:

„In Wahrnehmung seines Konkretisierungsauftrags und seiner Konkretisierungsprärogative hat der Gesetzgeber das Klimaschutzziel des Art. 20a GG aktuell durch § 1 Satz 3 des Bundes-Klimaschutzgesetzes (KSG) dahingehend bestimmt, dass der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2 °C und möglichst auf 1,5 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen ist. Die Temperaturschwelle des § 1 Satz 3 KSG ist als verfassungsrechtlich maßgebliche Konkretisierung auch der verfassungsrechtlichen Prüfung zugrunde zu legen (vgl. BVerfGE 157, 30 [BVerfG 24.03.2021 - 1 BvR 2656/18] <145 ff. Rn. 208 ff.>). Daraus folgt die Notwendigkeit, den Ausstoß von CO2 durch den Verbrauch fossiler Energieträger immer stärker bis zu dem Punkt zu reduzieren, zu dem die Nutzung von Energie keinen Beitrag mehr zur globalen Erderwärmung leistet (vgl. BVerfGE 157, 30 [BVerfG 24.03.2021 - 1 BvR 2656/18] <150 ff. Rn. 216 ff.> zum insoweit verbleibenden CO2-Restbudget). Das erfordert die Rückführung der Stromgewinnung durch Verbrauch fossiler Energieträger, die zur Sicherung einer ausreichenden Stromversorgung durch eine vermehrte Nutzung erneuerbarer Energien aufgefangen werden muss. Hinzu kommt der gesetzlich festgelegte Ausstieg aus der Nutzung von Atomenergie, die wegen der Verpflichtung zur Klimaneutralität auf Dauer nur durch Strom aus erneuerbaren Energien ersetzt werden kann. Ein erhöhter Bedarf entsteht schließlich dadurch, dass fossile Energieträger nicht nur bei der Stromerzeugung, sondern auch in anderen Sektoren wie Verkehr, Gebäude oder Industrie durch,Grünstrom‘ oder durch alternative, unter Verwendung solchen Stroms gewonnene Energieträger wie etwa Wasserstoff ersetzt werden müssen. Somit verlangt die Sicherung der Stromversorgung bei gleichzeitiger Wahrung des verfassungsrechtlichen Klimaschutzziels einen verstärkten Ausbau erneuerbarer Energien (vgl. Klimaschutzplan 2050, S. 39; Klimaschutzprogramm 2030 der Bundesregierung zur Umsetzung des Klimaschutzplans 2050, BTDrucks 19/13900, S. 26)“ (BVerfG, Beschluss vom 23.03.2022, a.a.O., Rn. 107).

Die Bedeutung und die Dringlichkeit eines beschleunigten Ausbaus der Windenergie sind durch den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine noch gestiegen. Es entspricht dem von einem breiten politischen und gesellschaftlichen Konsens getragenen Willen und damit einem besonderen öffentlichen Interesse, durch den Ausbau der erneuerbaren Energien dazu beizutragen, die Abhängigkeit von der Energieversorgung aus Russland zu beenden. Auch dieser Aspekt wird bei allen Entscheidungen über die Errichtung von Windenergieanlagen im Außenbereich künftig zu berücksichtigen sein.

Für die effektive Nutzung und den beschleunigten Ausbau der Windenergie sind leistungsfähige Anlagen von besonderer Bedeutung. Eine wesentliche Komponente für die Leistungsfähigkeit einer Windenergieanlage ist deren Größe (vgl. Fachagentur Windenergie an Land: Höhenbegrenzung von Windenergieanlagen, Januar 2021, S. 16 und S. 5, verfügbar über: https://www.fachagentur-windenergie.de/fileadmin/files/Veroeffentlichungen/Genehmigung/FA_Wind_Hintergrundpapier_Hoehenbeschraenkungen_01-2021.pdf, abgerufen am 04.05.2022 - im Folgenden: FA Windenergie -). Deutlich höhere Anlagen, die wie die von der Klägerin im Genehmigungsantrag bezeichnete Anlage 200 Meter hoch oder noch höher sind, sind jedenfalls deutlich leistungsfähiger als kleinere Anlagen von 100 Metern Höhe wie die von der Klägerin betriebenen Bestandsanlagen. Insoweit kann festgestellt werden, dass der erhebliche Höhenzuwachs und die Leistungssteigerung zwei Seiten derselben Medaille sind (so Dix, NVwZ 2020, 184, 187). Demgemäß haben in den letzten Jahren bereits die Rotorenmaße, die Nabenhöhe und die Gesamthöhe von Windenergieanlagen stetig zugenommen. Die mittlere Gesamthöhe von Windenergieanlagen betrug im Jahr 2000 noch 100 Meter, bereits im Jahr 2019 hatte sie sich auf rund 220 Meter mehr als verdoppelt (FA Windenergie, a.a.O., S. 8 m.w.N.). Hinzu kommt, dass in der Bundesrepublik nur ein sehr begrenzter Anteil der Landfläche für die Windenergienutzung verfügbar ist, der Flächenbedarf sich durch höhere Anlagen aber signifikant verringern lässt (vgl. FA Windenergie, a.a.O., S. 5 m.w.N.). Auch der Windenergieerlass trägt diesen Überlegungen Rechnung, indem er bestimmt, Windenergie-Standorte seien so weit wie möglich für das Repowering zu erhalten (s. Nrn. 1.2 und 2.10 des Erlasses).

Die Größe einer Windenergieanlage ist darüber hinaus ein wichtiger Indikator für deren Wettbewerbsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit (vgl. FA Windenergie, a.a.O., S. 7 f., 16 und 5). So deuten Studien, die vor dem Ukraine-Krieg erstellt worden sind, darauf hin, dass die Wirtschaftlichkeit und Rentabilität von Windenergieanlagen bis zu 100 Metern Höhe zumindest fraglich ist (vgl. Deutsche Windguard, Wirtschaftlichkeit unterschiedlicher Nabenhöhen von Windenergieanlagen, Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie vom 30.06.2017; s. auch OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10.05.2021 - 2 D 100/19.NE -, juris Rn. 123; VG Aachen, Beschluss vom 12.03.2021 - 6 L 417/20 -, juris Rn. 68 ff.; VG Münster, Urteil vom 02.04.2020 - 10 K 4573/17 -, juris Rn. 84). Ist der Betrieb einer Windenergieanlage auf Dauer nicht rentabel, wird sich kein Betreiber für sie finden. Dies widerspricht den Zielen des Ausbaus und der effektiven Nutzung der Windenergie. Die Genehmigungsbehörde hat im Rahmen der Abwägung daher auch zugunsten des Vorhabens zu berücksichtigen, wenn die Höhenbegrenzung im konkreten Einzelfall, also insbesondere unter Berücksichtigung standortbedingter Faktoren wie der Windhöffigkeit, zur Folge hat, dass der Betrieb der Anlage evident unrentabel ist (vgl. auch FA Windenergie, a.a.O., S. 16).

Wegen der grundsätzlichen Privilegierung von Windenergieanlagen sowie der dargelegten Bedeutung der Anlagenhöhe für die Leistungsfähigkeit der Anlagen und damit für die Ziele der Energiesicherung und des Klimaschutzes bedarf es überragend wichtiger Gründe, um die Genehmigung für eine Windenergieanlage im Rahmen der Abwägung unter Berufung auf die in einem Flächennutzungsplan vorgegebene Höhenbegrenzung zu versagen.

Diese rechtlichen Vorgaben hat die Beklagte bei ihrer Entscheidung über den Genehmigungsantrag nicht beachtet. Eine „nachvollziehende“ Abwägung in dem dargelegten Sinn hat sie im Bescheid vom 6. Juni 2018 nicht vorgenommen. Sie hat dort im Rahmen der Begründung unter Hinweis auf die im Flächennutzungsplan enthaltene Höhenbegrenzung ausgeführt, „Voraussetzung für eine Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens“ sei „mindestens die Willensbekundung des Rates, den Flächennutzungsplan über ein Änderungsverfahren entsprechend anzupassen“; ein entsprechender Ratsbeschluss sei abzuwarten, erst dann könne die Baubehörde Stellung nehmen (S. 2 des Bescheids). Außerdem schließt sich der Bescheid einer Stellungnahme der Stadtplanung an, die die Auffassung vertreten hat, nach der Zurückziehung der Ratsvorlage zur Aufhebung der Höhenbegrenzung könne dem Bauantrag der Klägerin aus planungsrechtlichen Gründen nicht entsprochen werden (S. 3 des Bescheids). Schließlich nimmt der Bescheid Bezug auf eine Stellungnahme der Baubehörde vom 5. April 2018, die dem Bescheid beigefügt und Bestandteil des Bescheids ist. Dort heißt es wörtlich:

„Der Flächennutzungsplan (…) stellt das zur Bebauung vorgesehene Grundstück zwar als Sonderbaufläche für Windenergieanlagen dar, enthält aber die Regelung, dass diese Anlagen nur eine max. Höhe von 100 m haben dürfen. Der Flächennutzungsplan steht somit der Verwirklichung der geplanten Windenergieanlage mit einer Gesamthöhe von 207 m entgegensteht (gemeint ist: entgegen). Somit ist festzustellen, dass das Vorhaben aus bauplanungsrechtlichen Gründen unzulässig ist, da dem privilegierten Vorhaben öffentliche Belange entgegenstehen (§ 35 Abs. 1 und 3 BauGB).“

Die Ausführungen lassen erkennen, dass der Bescheid und insbesondere auch die von ihm in Bezug genommene Stellungnahme der Baubehörde entgegen der Rechtslage davon ausgehen, schon wegen der Höhenbegrenzung im Flächennutzungsplan liege ein öffentlicher Belang vor, der zur Unzulässigkeit der beantragten Anlage führt. Damit hat die Beklagte das Abwägungserfordernis jedoch vollständig übersehen. Die Höhenbegrenzung im Flächennutzungsplan genügt nicht, um die Genehmigung zu versagen. Ausführungen zum Zweck des beantragten Vorhabens und zu seiner Gewichtung gegenüber dem mit der Höhenbegrenzung verfolgten öffentlichen Belangen fehlen vollständig. Von der Abwägung ist die Beklagte nicht etwa deswegen entbunden, weil der Flächennutzungsplan noch nicht geändert worden ist. Das Abwägungserfordernis gilt uneingeschränkt schon für die bestehende Höhenbegrenzung im Flächennutzungsplan.

Dass der Höhenbegrenzung im Flächennutzungsplan eine Abwägung vorausgegangen ist, genügt für das sich nach § 35 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB ergebende Abwägungserfordernis nicht. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Regelungen, nach denen bei einem Widerspruch zu den Darstellungen des Flächennutzungsplans lediglich eine „Beeinträchtigung“ öffentlicher Belange vorliegt, die Zulässigkeit des Vorhabens aber davon abhängt, ob ihm diese Belange „entgegenstehen“. Darüber hinaus würde es dem Zweck der Regelungen widersprechen, die Genehmigung einer Windenergieanlage lediglich von der allgemeinen, regelmäßig bereits länger zurückliegenden planerischen Abwägung abhängig zu machen, ohne die im konkreten Fall und nach der aktuellen Sachlage für die Errichtung der Anlage streitenden Interessen zu berücksichtigen.

Die erforderliche Abwägung hat die Beklagte auch nicht im gerichtlichen Verfahren nachgeholt, obwohl die Klägerin auf das Erfordernis im Rahmen ihrer Klagebegründung hingewiesen hatte. Insbesondere reicht dafür nicht aus, dass die Beklagte auf die dem Flächennutzungsplan zugrunde liegende Abwägung verwiesen hat, die sich – wie dargelegt – grundlegend von der nach § 35 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB erforderlichen Abwägung unterscheidet. Den Anforderungen genügt auch nicht der Hinweis der Beklagten, dass das Vorhaben mit einer Gesamthöhe von 207 Metern der Höhendarstellung im Flächennutzungsplan widerspreche und insoweit öffentliche Belange entgegenstünden, bedürfe angesichts des Maßes der Höhenüberschreitung und der Nähe der Anlage zu Wohnnutzungen im ehemaligen G. Bahnhof keiner weiteren Darlegung. Auch diese Ausführungen lassen nicht erkennen, dass die Beklagte das besondere Gewicht der dem beantragten Repowering zugrunde liegenden Interessen berücksichtigt hat. Darüber hinaus ist nach den Feststellungen in der mündlichen Verhandlung davon auszugehen, dass der ehemalige G. Bahnhof aktuell nicht mehr als Wohnung genutzt wird. Ob die Beklagte die nach § 35 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB erforderliche Abwägung überhaupt wirksam im gerichtlichem Verfahren nachholen könnte oder daran in analoger Anwendung des § 114 Satz 2 VwGO gehindert wäre, kann die Kammer daher offenlassen (vgl. dazu z.B. Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl., § 114 Rn. 49).

Die Kammer lässt darüber hinaus offen, ob der Bescheid schon deswegen rechtswidrig ist, weil die Beklagte gar keine „nachvollziehende“ Abwägung vorgenommen hat. Für diese Rechtsfolge einer unterbliebenen Abwägung könnte sprechen, dass in einem solchen Fall wesentliche Ermittlungsdefizite vorliegen und komplexe Prüfungen nachzuholen sind. Zweifelhaft ist, ob es den unterschiedlichen Funktionen von Behörden und Verwaltungsgerichten entspricht, die erforderlichen Feststellungen in diesen Fällen dem Gericht zu überlassen, obwohl es die behördlichen Entscheidungen grundsätzlich nur überprüfen soll (im Ergebnis für die Rechtswidrigkeit wegen unterbliebener Abwägung wohl VG Münster, Urteil vom 02.04.2020 - 10 K 4573/17 -, juris Rn. 82 ff.; allgem. zur Problematik z.B. Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl., § 113 Rn. 21 und 198).

Die Frage kann hier offenbleiben, weil überragend wichtige Gründe, die im konkreten Fall für die Höhenbegrenzung sprechen und das dargelegte besonders gewichtige Interesse an der Verwirklichung des Vorhabens überwiegen, jedenfalls nicht ersichtlich sind. Solche Gründe hat auch die Beklagte nicht vorgetragen.

Soweit sie in der mündlichen Verhandlung auf die Beeinträchtigung des Landschaftsbilds durch die höhere Anlage hingewiesen hat, hat sie einen überragend wichtigen Grund für die Höhenbegrenzung und damit für die Versagung der Genehmigung nicht aufgezeigt. Zu berücksichtigen ist dabei schon, dass die Klägerin die drei Bestandsanlagen durch die beantragte höhere, gleichwohl deutlich leistungsfähigere Anlage ersetzen wird. Das Vorhaben trägt damit zur „Entspargelung“ der Landschaft bei. Darüber hinaus kommt die von der Klägerin vorgelegte fachliche Stellungnahme vom 2. Oktober 2019 im Abschnitt „Grundlagenermittlung Landschaftsbild“ zu dem Ergebnis, „freizuhaltende Sichtachsen und Blickbeziehungen, Anordnungsmuster und abstandsbegründende Aspekte zum Schutz der Erholungseignung, kulturhistorischer Besonderheiten oder Panoramasituationen“ seien aus gutachterlicher Sicht nicht vorhanden. Dem ist die Beklagte nicht substanziiert entgegengetreten. Bedenken gegen die Ermittlungen und das Ergebnis der fachlichen Stellungnahme sind für die Kammer auch nach den sonst vorliegenden Unterlagen nicht ersichtlich. Damit kann jedenfalls nicht davon ausgegangen werden, das Vorhaben beeinträchtige das Landschaftsbild derart schwerwiegend, dass dies nicht durch eine Ersatzzahlung (§ 15 Abs. 6 Satz 1 BNatSchG) kompensierbar ist (zur Ersatzzahlung näher s. Nr. 3.6.4.2 des Windenergieerlasses). Solange bei Eingriffen in das Landschaftsbild eine solche Geldkompensation rechtlich möglich ist, darf die Genehmigungsbehörde die Genehmigung für ein Repowering im Außenbereich wegen der überragenden Bedeutung der Windenergie nicht unter Berufung auf Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes gemäß § 35 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB versagen.

Der in der mündlichen Verhandlung erfolgte Hinweis der Beklagten auf die Beeinträchtigung des Landschaftsbildes als wichtigen, im konkreten Fall für die Höhenbegrenzung sprechenden Belang steht im Übrigen in Widerspruch zu ihren vorherigen Bewertungen. In ihrem Bescheid vom 6. Juni 2018 hat die Beklagte ausgeführt, Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes könnten durch Festsetzung eines Ersatzgeldes ausgeglichen werden (S. 3 des Bescheides). Entsprechend hatte sie sich bereits im Vorbescheid vom 7. Juli 2016 geäußert (dort S. 4). Im Rahmen ihrer schriftlichen Ausführungen im gerichtlichen Verfahren hat sie geltend gemacht, die Berechnung des Ersatzgeldes durch die Klägerin sei defizitär (Schriftsatz vom 28.05.2020, S. 16). Zu keiner Zeit hat sie damit zuvor die Beeinträchtigung des Landschaftsbildes als derart gravierend angesehen, dass sie der Genehmigung zwingend entgegenstünde. Dass dies der Fall ist, ist – wie dargelegt – nach den vorliegenden Unterlagen tatsächlich nicht erkennbar. Die (beabsichtigte) Festsetzung eines Ersatzgeldes zeigt vielmehr, dass die Beklagte selbst den Eingriff in das Landschaftsbild nicht als ein den Ausbau der Windenergie überwiegenden Belang angesehen hat (vgl. auch Hess. VGH, Beschluss vom 31.03.2022 - 3 B 214/21.T -, juris Rn. 67).

Ob sich Windenergieanlagen von 100 Metern Höhe – wie die Bestandanlagen – noch für eine gewisse Dauer wirtschaftlich betreiben lassen, lässt sich auf der Grundlage der vorliegenden Unterlagen und wegen der gegenwärtigen, durch den Ukraine-Krieg verursachten Unwägbarkeiten bei der Prognose der Energiepreisentwicklung in dem für die Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht hinreichend sicher durch die Kammer feststellen. Der Bescheid der Beklagten ist aber unabhängig davon rechtswidrig, weil keine überragend wichtigen Gründe vorliegen, die für eine Höhenbegrenzung von Windenergieanlagen sprechen. Daher liegt schon die Ersetzung der bestehenden Anlagen durch eine leistungsfähigere Neuanlage wegen der besonderen Bedeutung der Windenergie für die Energieversorgung der Zukunft und der verfassungsrechtlichen Grundlagen des Ausbaus erneuerbarer Energien (s. oben) im überwiegenden Interesse (vgl. dazu auch VG Darmstadt, Urteil vom 04.11.2021 - 6 K 826/17.DA -, juris Rn. 373). Der für die Abwägung maßgeblichen Bedeutung des Vorhabens zum Ausbau erneuerbarer Energien für den Klimaschutz und den Schutz der Grundrechte vor den Gefahren des Klimawandels kann nicht entgegengehalten werden, dass der Beitrag des Vorhabens für sich genommen im Vergleich zur global emittierten Gesamtmenge von CO2 geringfügig ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.03.2022 - 1 BvR 1187/17 -, juris Rn. 142 ff.)

b) Für die Entscheidung der Kammer kommt es demnach nicht mehr darauf an, ob der Bescheid der Beklagten auch deshalb rechtwidrig ist, weil die Höhenbegrenzung im Flächennutzungsplan unwirksam ist. Die Kammer lässt die sich insoweit stellenden Fragen daher offen, weist aber darauf hin, dass einige Zweifel bestehen, ob von der Wirksamkeit der Höhenbegrenzung auszugehen ist.

Dies gilt vor allem hinsichtlich der Frage, ob die Höhenbegrenzung funktionslos geworden ist und auch deswegen dem Vorhaben nicht mehr entgegengehalten werden kann.

Nach ständiger Rechtsprechung tritt eine bauplanerische Festsetzung wegen Funktionslosigkeit außer Kraft, wenn und soweit die Verhältnisse, auf die sie sich bezieht, in der tatsächlichen Entwicklung einen Zustand erreicht haben, der eine Verwirklichung der Festsetzung auf unabsehbare Zeit ausschließt und die Erkennbarkeit dieser Tatsache einen Grad erreicht hat, der einem etwa dennoch in die Fortgeltung der Festsetzung gesetzten Vertrauen die Schutzwürdigkeit nimmt (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.04.1977 - IV C 39.77 – juris Rn 35; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23.09.2020 - 10 A 2544/18 – juris Rn 26; VG Aachen, Beschluss vom 12.03.2021 - 6 L 417/20 -, juris Rn. 65 ff.). Diese Kriterien gelten auch für Flächennutzungspläne (s. nur Dix, NVwZ 2020, 184, 186 m.w.N.). Funktionslos können Festsetzungen auch dann werden, wenn die tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse einen Zustand erreicht haben, der eine Verwirklichung der zugelassenen Nutzungen ausschließt, weil sie auf absehbare Zeit wirtschaftlich nicht mehr tragfähig und damit unzumutbar sind (vgl. BayVGH, Urteil vom 25.03.2004 - 25 N 01.308 -, juris Rn. 33 ff.; VG Aachen, a.a.O.; Dix, a.a.O., m.w.N.). Keine Funktionslosigkeit ist anzunehmen, wenn das Vorhaben noch rentabel ist oder wenn zu erwarten ist, dass die Fläche in der Zukunft trotz der Höhenbegrenzung im Flächennutzungsplan weiter für die Errichtung von Windenergieanlagen genutzt wird (vgl. Dix, a.a.O.).

Die Frage der Wirtschaftlichkeit des Betriebs einer Windenergieanlage mit einer maximalen Höhe von 100 Metern ist von Bedeutung auch für die Prüfung, ob die Höhenbegrenzung dem planungsrechtlichen Grundsatz der Erforderlichkeit entspricht (§ 1 Abs. 3 BauGB) und ob insoweit ein Abwägungsmangel nach § 1 Abs. 7 BauGB vorliegt (vgl. hierzu z.B. die Übersichten bei FA Windenergie, a.a.O., S. 11, 12 f., 14 f.). Insoweit wäre für eine gerichtliche Entscheidung auch zu klären, inwieweit sich die Klägerin hierauf noch berufen könnte und ob für die Beurteilung auf den Zeitpunkt der Neubekanntmachung des Flächennutzungsplans abzustellen wäre.

Da sich die Wirtschaftlichkeit und Rentabilität von Windenergieanlagen mit einer maximalen Höhe von 100 Metern für die Kammer gegenwärtig nicht hinreichend sicher beurteilen lässt (s. oben), lässt sie diese Fragen offen.

Offenlassen kann die Kammer hier darüber hinaus, ob die Höhenbegrenzung im Flächennutzungsplan hinreichend bestimmt ist. Der Plan enthält dazu lediglich die Formulierung: „maximale Höhe baulicher Anlagen: 100 m“. Unabhängig davon, ob sich das Bestimmtheitsgebot für Angaben in Flächennutzungsplänen zur maximalen Höhe baulicher Anlagen aus einer analogen Anwendung des § 18 Abs. 1 BauNVO oder dem allgemeinen Bestimmtheitsgebot ergibt, ist jedenfalls erforderlich, dass der untere und der obere Bezugspunkt der Höhenangabe begrifflich eindeutig bestimmt oder bestimmbar sind (vgl. Söfker in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand: August 2021, § 18 BauNVO Rn. 3). Das Verwaltungsgericht Münster hat auf dieser Grundlage eine vergleichbare Formulierung in einem Flächennutzungsplan als nicht hinreichend bestimmt angesehen (vgl. VG Münster, Urteil vom 02.04.2020 - 10 K 4573/17 -, juris Rn. 81; zur Herleitung vgl. z.B. Jaeger in: Spannowsky/Hornmann/Kämper, BauNVO, 2. Aufl., § 18 Rn. 2; Hartmann/Schilder in: Bönker/Bischopink, BauNVO, 2. Aufl., § 18 Rn. 12).

II. Die Klage hat aber keinen Erfolg, soweit sie auf die Verpflichtung zur Erteilung der begehrten Genehmigung gerichtet ist. Die Klägerin hat in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keinen Anspruch auf Erteilung der beantragten immissionsschutzrechtlichen Genehmigung (vgl. § 113 Abs. 5 VwGO).

Wird eine Genehmigung rechtswidrig abgelehnt, kann das Verwaltungsgericht die Behörde nur dann zur Erteilung verpflichten, wenn die Sache spruchreif ist (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Andernfalls spricht das Gericht gegen die Behörde die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO). Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung liegt hier keine Spruchreife vor, weil sich wesentliche Voraussetzungen für die Erteilung der beantragten Genehmigung nicht feststellen lassen. Das eingeleitete Genehmigungsverfahren ist in einem Stadium „steckengeblieben“, in dem verschiedene fachbezogene Prüfungen der Beklagten als Genehmigungsbehörde noch nicht abgeschlossen waren.

In der Situation eines „steckengebliebenen Genehmigungsverfahrens“ entfällt die Verpflichtung des Gerichts zur Herbeiführung der Spruchreife, wenn in dem Verwaltungsverfahren noch nicht behandelte komplexe technische oder naturschutzfachliche Fragen erstmals im gerichtlichen Verfahren erschöpfend geprüft werden müssten. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung im Allgemeinen nicht ohne zahlreiche Nebenbestimmungen erteilt wird. Grundsätzlich könnte zwar auch das Gericht mit Hilfe kundiger Sachverständiger ein Auflagenprogramm entwickeln und ihm mit dem Tenor eines Verpflichtungsurteils Verbindlichkeit verschaffen. Im Allgemeinen sind jedoch individuelle Einschätzungen und Zweckmäßigkeitserwägungen dafür erheblich, ob diese oder jene gleichermaßen geeignete Auflage oder sonstige Nebenbestimmung anzufügen ist. In derartigen besonders gelagerten Fällen ist es nicht die Aufgabe der Gerichte, ein „steckengebliebenes Genehmigungsverfahren“ in allen Einzelheiten durchzuführen. Es ist dann ausnahmsweise gerechtfertigt, dass das Gericht davon absieht, die Sache spruchreif zu machen, und ein Bescheidungsurteil im Sinne von § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO erlässt. Für ein Bescheidungsurteil ist bei dieser Sachlage keine weitere Sachverhaltsermittlung durch das Gericht erforderlich (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25.11.1997 - 4 B 179/97 -, juris Rn. 3 = NVwZ-RR 1999, 74; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 20.11.2012 - 8 A 430/10 -, juris Rn. 116; VG Münster, Urteil vom 02.04.2020 - 10 K 4573/17 -, juris Rn. 54; Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl., § 113 Rn. 195). Ein solcher Fall ist hier gegeben.

Zwar hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass der ehemalige G. Bahnhof gegenwärtig tatsächlich nicht bewohnt wird; daher hat sie nicht an ihrem Vortrag festgehalten, von dem Vorhaben gehe eine unzulässige Lärmentwicklung und eine optisch bedrängende Wirkung aus. Ohne eine die aktuelle Situation berücksichtigende Klärung naturschutzfachlicher Fragen und ohne deren Bewertung und Prüfung durch die Beklagte, der hinsichtlich solcher Fragen eine Einschätzungsprärogative zusteht, lässt sich für das Gericht aber nicht feststellen, ob das streitgegenständliche Vorhaben Belange des Naturschutzes erheblich beeinträchtigt bzw. gegen das Artenschutzgebot verstößt (dazu 1.). Von der für ein Verpflichtungsurteil zur Erteilung der Genehmigung erforderlichen Spruchreife ist nicht schon deswegen auszugehen, weil die Beklagte im Vorbescheid im Hinblick auf natur- und artenschutzrechtliche Fragen keine Einwände erhoben hat (dazu 2.).

1. Keine Spruchreife besteht im Hinblick auf die Frage, ob eine Beeinträchtigung von Belangen des Naturschutzes der Erteilung der Genehmigung entgegensteht (vgl. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) bzw. ein Verstoß gegen artenschutzrechtliche Verbotstatbestände vorliegt (§ 44 Abs. 1 BNatSchG). Artenschutzrechtliche Verbote im Sinne des § 44 BNatSchG sind nach dem Prüfprogramm des § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG „zugleich“ Belange des Naturschutzes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB, die einem privilegierten Außenbereichsvorhaben bauplanungsrechtlich nicht entgegenstehen dürfen (vgl. VG Hannover, Urteil vom 15.09.2020 - 12 A 6994/17 -, juris Rn. 116; VG Aachen, Beschluss vom 12.03.2021 - 6 L 417/20 -, juris Rn. 112).

Nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG ist es verboten, wildlebenden Tieren der besonders geschützten Arten nachzustellen, sie zu fangen, zu verletzen oder zu töten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören. Der Tötungstatbestand, der nach Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 92/43/EWG nur absichtliche Formen der Tötung umfasst, ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs auch dann erfüllt, wenn sich die Tötung als unausweichliche Konsequenz eines im Übrigen rechtmäßigen Verwaltungshandelns erweist (vgl. VG Hannover, a.a.O., Rn. 118).

Dass einzelne Exemplare besonders geschützter Arten durch Kollisionen mit Windenergieanlagen bzw. deren Rotorblättern zu Schaden kommen können, ist allerdings bei lebensnaher Betrachtung nie völlig auszuschließen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist der artenschutzrechtliche Tötungs- und Verletzungstatbestand daher dann nicht erfüllt, wenn das Vorhaben nach naturschutzfachlicher Einschätzung kein signifikant erhöhtes Risiko kollisionsbedingter Verluste von Einzelexemplaren verursacht, mithin unter der Gefahrenschwelle in einem Risikobereich bleibt, der mit dem Vorhaben im Naturraum immer verbunden ist, vergleichbar dem ebenfalls stets gegebenen Risiko, dass einzelne Exemplare einer Art im Rahmen des allgemeinen Naturgeschehens Opfer einer anderen Art werden. Der Verbotstatbestand ist zwar individuenbezogen; dass einzelne Exemplare etwa durch Kollisionen zu Schaden kommen, reicht aber nicht aus. Soll das Tötungs- und Verletzungsverbot nicht zu einem unverhältnismäßigen Planungshindernis werden, ist vielmehr zu fordern, dass sich das Risiko des Erfolgseintritts in signifikanter Weise erhöht. In die Bewertung sind Maßnahmen einzubeziehen, mittels derer sich solche Kollisionen vermeiden lassen oder dieses Risiko zumindest minimiert werden kann. Mit einer signifikanten Erhöhung des Risikos ist eine „deutliche“ Steigerung des Tötungsrisikos gemeint. Dafür genügt es nicht, dass im Eingriffsbereich überhaupt Tiere der (besonders) geschützten Art angetroffen worden sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.06.2013 - 4 C 1.12 -, juris Rn. 11). Diese Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hat der Gesetzgeber zum Anlass für die in § 44 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BNatSchG getroffene Regelung genommen, wonach ein Verstoß gegen das Tötungs- und Verletzungsverbot nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG nicht vorliegt, wenn die Beeinträchtigung durch den Eingriff oder das Vorhaben das Tötungs- und Verletzungsrisiko für Exemplare der betroffenen Arten nicht signifikant erhöht und diese Beeinträchtigung bei Anwendung der gebotenen, fachlich anerkannten Schutzmaßnahmen nicht vermieden werden kann.

Nach § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG ist es verboten, wildlebende Tiere der streng geschützten Arten und der europäischen Vogelarten während der Fortpflanzungs-, Aufzucht-, Mauser-, Überwinterungs- und Wanderungszeiten erheblich zu stören. Eine erhebliche Störung liegt vor, wenn sich durch die Störung der Erhaltungszustand der lokalen Population einer Art verschlechtert. Davon ist auszugehen, wenn sich die Störung dergestalt auf die Überlebenschancen, die Reproduktionsfähigkeit oder den Fortpflanzungserfolg der lokalen Population auswirkt, dass sich Größe oder Fortpflanzungserfolg nachhaltig verringern. Störung ist jede unmittelbare Einwirkung auf ein Tier, die eine Verhaltensänderung des Tieres bewirkt. Sie kann durch Vergrämung (z.B. durch Schall, Licht, Wärme oder sonstige Beunruhigung und Scheuchwirkungen), aber auch durch vorhabenbedingte Zerschneidungs- und Trennwirkungen ausgelöst werden (vgl. VG Hannover, a.a.O., Rn. 120 m.w.N.).

Bei der Prognose, ob die Errichtung von Windenergieanlagen artenschutzrechtliche Verbotstatbestände verletzt, steht der Genehmigungsbehörde ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu (vgl. BVerwG, Urteil vom 09.07.2008 - 9 A 14.07 -, juris Rn. 65). Die der Genehmigungsbehörde zustehende naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative bezieht sich sowohl auf die Erfassung des Bestandes der geschützten Arten als auch auf die Bewertung der Risiken, denen diese bei Realisierung des zur Genehmigung stehenden Vorhabens ausgesetzt sind (BVerwG, Urteil vom 21.11.2013 - 7 C 40.11 -, juris Rn. 19). Grund für die Zuerkennung einer naturschutzfachlichen Einschätzungsprärogative ist der Umstand, dass es im Bereich des Naturschutzes regelmäßig um ökologische Bewertungen und Einschätzungen geht, für die normkonkretisierende Maßstäbe fehlen. Die Rechtsanwendung ist daher auf die Erkenntnisse der ökologischen Wissenschaft und Praxis angewiesen, die sich aber nicht als eindeutiger Erkenntnisgeber erweist. Bei zahlreichen Fragestellungen stehen jeweils vertretbare naturschutzfachliche Einschätzungen gegeneinander, ohne dass sich eine gesicherte Erkenntnislage und anerkannte Standards feststellen lassen. Sind verschiedene Methoden wissenschaftlich vertretbar, bleibt die Wahl der Methode der Behörde überlassen. Eine naturschutzfachliche Meinung ist einer anderen Einschätzung nicht bereits deshalb überlegen oder ihr vorzugswürdig, weil sie umfangreichere oder aufwändigere Ermittlungen oder „strengere“ Anforderungen für richtig hält. Das ist erst dann der Fall, wenn sich diese Auffassung als allgemein anerkannter Stand der Wissenschaft durchgesetzt hat und die gegenteilige Meinung als nicht (mehr) vertretbar angesehen wird. Die naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative ergibt sich nicht aus einer bestimmten Verfahrensart oder Entscheidungsform, sondern aus der Erkenntnis, dass das Artenschutzrecht außerrechtliche Fragestellungen aufwirft, zu denen es jedenfalls nach dem derzeitigen Erkenntnisstand keine eindeutigen Antworten gibt (vgl. zu allem: BVerwG, Urteil vom 27.06.2013 - 4 C 1.12 -, juris Rn. 15; VG Hannover, a.a.O., Rn. 121).

Die naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative der Genehmigungsbehörde umfasst auch die Prüfung, inwieweit sich die artenschutzrechtlich bedeutsamen Konflikte durch Auflagen zur Genehmigung oder sonstige Maßnahmen lösen lassen. Die Beklagte hat in dem angegriffenen Bescheid vom 6. Juni 2018 selbst darauf hingewiesen, dass die auftretenden naturschutzfachlichen Konflikte durch Auflagen zu lösen sind. Eine umfassende Prüfung dieser Fragen hat sie jedoch noch nicht durchgeführt.

Insgesamt ist noch eine Prüfung und Bewertung durch die Beklagte erforderlich, die die aktuellen Gegebenheiten berücksichtigt (vgl. nur VG Münster, Urteil vom 02.04.2020 - 10 K 4573/17 -, juris Rn. 64). Insbesondere ist eine aktuelle Bestandsaufnahme der von der Beklagten genannten Vogelarten Rotmilan und Feldlerche durchzuführen. Auch die von der Klägerin im gerichtlichen Verfahren vorgelegte ergänzende naturschutzfachliche Stellungnahme vom 2. Oktober 2019 greift noch auf Beobachtungen aus dem Jahr 2016 zurück. Darüber hinaus sind jetzt die Vorgaben des in Niedersachsen für die Genehmigungsbehörde verbindlichen, inzwischen vorliegenden „Windenergieerlasses“ zu berücksichtigen. Der in dessen Anlage 2 enthaltene „Leitfaden zur Umsetzung des Artenschutzes bei der Planung und Genehmigung von Windenergieanlagen“, der im Dialogprozess von einer Unter-Arbeitsgruppe mit Vertretern der Umweltverbände, der Windenergiebranche, der Fachbehörde für Naturschutz, der Unteren Naturschutzbehörde, des Niedersächsischen Kreistages, Planungsbüros und Mitarbeitern des Umweltministeriums erarbeitet worden ist, enthält eine Reihe von Vorgaben, unter anderem für Untersuchungen zur möglichen Betroffenheit von Brut- und Rastvogelarten. Für die Brutvogelerfassung soll danach neben einer Standardkartierung (Revierkartierung an 12 Geländetagen in dem in Nr. 5.1.2 des Artenschutzleitfadens im Einzelnen beschriebenen Untersuchungsraum) ein Mindestmaß an Raumnutzungsanalyse (Standardraumnutzungskartierung) durchgeführt werden. Unter bestimmten, in Nr. 5.1.3.1 des Artenschutzleitfadens dargestellten Voraussetzungen ist darüber hinaus eine vertiefte Raumnutzungsanalyse erforderlich (vgl. zu allem – insbesondere im Hinblick auf Rotmilan und Feldlerche – z.B. auch Hess. VGH, Beschluss vom 31.03.2022 - 3 B 214/21.T -, juris Rn. 46 ff. und 37 ff.).

Die von der Beklagten geltend gemachten rechtlichen Bedenken gegen die in den naturschutzfachlichen Unterlagen der Klägerin vorgeschlagenen sogenannten Lerchenfenster sind nachvollziehbar. „Lerchenfenster“ sind Fehlstellen in Ackerflächen, die es Feldlerchen ermöglichen würden, auch in bereits aufwachsendem Getreide einzufliegen und darauf während und nach dem Hochwachsen des umstehenden Getreides zu brüten (Nds. OVG, Beschluss vom 04.04.2022 - 1 MN 156/20 -, juris Rn. 9). Solche Maßnahmen dürften sich nicht als Vermeidungsmaßnahmen zur Senkung eines signifikanten Tötungsrisikos eignen, sondern allenfalls der Stabilisierung der Population dienen (so auch Nds. OVG, Urteil vom 25.10.2018 - 12 LB 118/16 -, juris Rn. 230; zu Fällen eines sinnvollen Einsatzes von „Lerchenfenstern“ s. Nds. OVG, Urteil vom 27.08.2019 - 7 KS 24/17 -, juris Rn. 357). Insoweit ist naturschutzfachlich zu klären, welche anderen, geeigneten Maßnahmen stattdessen in Betracht kommen.

Artenschutzrechtliche Verbote stehen einem immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Außenbereichsvorhaben stets zwingend entgegen; für eine Abwägung ist insofern kein Raum (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.06.2013 - 4 C 1.12 -, juris Rn. 6; VG Aachen, a.a.O., Rn. 112).

2. Hinsichtlich der Beeinträchtigung naturschutzrechtlicher Belange und im Hinblick auf Verstöße gegen den Artenschutz ist die Spruchreife nicht schon deswegen gegeben, weil die Beklagte insoweit im Vorbescheid keine durchgreifenden Einwände erhoben hat.

Zu den natur- und artenschutzrechtlichen Fragen hat die Beklagte im Vorbescheid keine abschließenden und damit verbindlichen Feststellungen getroffen. Sie hat vielmehr ausdrücklich dargelegt, welche naturschutzfachlichen Untersuchungen noch durchzuführen sind (Abschnitt II Ziffer 3 des Bescheides). Eine Bindungswirkung für die Genehmigungsentscheidung kann dem Vorbescheid daher insoweit nicht entnommen werden.

Dies gilt auch, soweit die Beklagte im Vorbescheid festgehalten hat, es ergebe sich insgesamt ein vorläufiges positives Gesamturteil (S. 11 des Bescheides). Die Bindungswirkung dieses positiven Gesamturteils kann nur so weit reichen, wie die Fragen Gegenstand der Prüfung waren (vgl. Kahl/Gärditz, Umweltrecht, 11. Aufl., § 7 Rn. 88). Da bei Erlass des Vorbescheids aber noch nicht alle Unterlagen vorgelegen haben, hat die Beklagte seinerzeit auch noch keine abschließende Prüfung der natur- und artenschutzrechtlichen Fragen durchführen können.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus der Anwendung der §§ 167 VwGO, 711 und 708 Nr. 11 ZPO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG und orientiert sich an der Nennleistung der Anlage, deren Genehmigung die Klägerin beantragt hat (vgl. Nr. 3 Buchst. g der Streitwertannahmen der Bausenate des Nds. OVG in der hier noch anzuwendenden Fassung vom 01.01.2002: 100 Euro je 1 kW Nennleistung).

Gründe für die Zulassung der Berufung nach § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO sind nicht ersichtlich.