Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 17.05.2022, Az.: 2 A 351/19

Folgeantrag; Wiederaufgreifen; Wiederaufgreifen nach Ermessen; Zweitantrag

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
17.05.2022
Aktenzeichen
2 A 351/19
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2022, 59738
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die Regelung in § 51 Abs. 5 VwVfG i.V.m. den §§ 48 und 49 VwVfG, nach der die Behörde ein abgeschlossenes Verwaltungsverfahren nach pflichtgemäßem Ermessen zugunsten des Betroffenen wiederaufgreifen und eine neue Sachentscheidung treffen kann, ist bei der Entscheidung über einen Zweitantrag nach § 71a AsylG nicht anwendbar.

Tatbestand:

Der Kläger ist irakischer Staatsangehöriger arabischer Volkszugehörigkeit und islamischen Glaubens. Er wendet sich dagegen, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das für ihn ein Abschiebungsverbot festgestellt hat, seinen Asylantrag nach Abschluss eines in Österreich durchgeführten Asylverfahrens als unzulässig abgelehnt hat.

Der Kläger reiste nach eigenen Angaben am 5. November 2018 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 27. Juni 2019 einen Asylantrag.

Im Rahmen seiner Anhörungen beim Bundesamt am 27. Juni und 5. August 2019 gab der Kläger zur Begründung seines Asylantrags im Wesentlichen Folgendes an:

Er habe Familienangehörige in F.. Den Irak habe er im März 2015 verlassen und sei in die Bundesrepublik eingereist. Zuvor sei er ca. dreieinhalb Jahre in Österreich gewesen, wo er auch einen Asylantrag gestellt habe. Der Asylantrag sei in Österreich abgelehnt worden; es habe zwei Entscheidungen gegeben, dann habe die Abschiebung erfolgen sollen. Den Asylantrag in Deutschland habe er so spät gestellt, weil seine Mutter sich im November 2018 das Knie gebrochen hatte und er das einzige Kind gewesen sei, das sich in dieser Zeit um sie habe kümmern können. Im Heimatland lebten keine weiteren Verwandten mehr. Er habe im Irak als Lehrer für Geschichte an der Universität gearbeitet. Sein letzter Arbeitstag sei der 1. Juni 2014 gewesen. Sein Vater habe große Ländereien besessen und Landwirtschaft betrieben. Was die Asylgründe anbelange, die er vortragen werde, handele es sich eigentlich um dieselben Gründe wie in Österreich. Ein weiterer Grund sei hier in Deutschland entstanden. Der neue Grund habe mit seinem Onkel zu tun, der in der Türkei gelebt habe. Dieser sei zurückgereist in den Irak, um ein Grundstück zu verkaufen, das er besessen habe. Er habe auch noch offene Forderungen gehabt gegenüber Personen im Irak. Im Januar oder Februar 2019 sei der Onkel in den Irak zurückgekehrt. Seitdem wisse niemand mehr, wo er sich befinde; er sei spurlos verschwunden. Im Irak habe er, der Kläger, an Demonstrationen teilgenommen. Er habe einen Anruf seiner Eltern bekommen, dass bewaffnete Personen nach ihm gefragt hätten. Er sei auf der Arbeit gewesen. Nach dem Anruf sei er sofort aus der Uni zu seinem Onkel gegangen. Dort sei er für ca. 10 Tage geblieben. Die Demos hätten etwa von 2013 bis 2014 stattgefunden. Er habe teilweise zwei Mal pro Woche daran teilgenommen. Bei den Demonstrationen sei es um willkürliche Festnahmen gegangen und um die Ungerechtigkeit, dass unschuldige Menschen inhaftiert und als Terroristen bezeichnet worden seien. Im Juni 2014 habe der IS die ganze Region gestürmt. Mithilfe eines Schleusers hätten sie nach Kirkuk gelangen können in ein von kurdischen Einheiten geführtes Flüchtlingslager, wo sie ihre Personaldokumente hätten abgeben müssen. Wenn irgendwelche Bomben in die Luft gegangen seien, seien die kurdischen Soldaten in das Lager gekommen und hätten wahllos unschuldige Menschen verhaftet. Ihr Dorf sei sozusagen zugemauert und nur an einer Stelle geöffnet gewesen, von 7 Uhr morgens bis Sonnenuntergang; die restliche Zeit sei das Dorf von Soldaten „gesperrt“ gewesen. 2012 sei er zusammen mit seinem Bruder und seinem Onkel verhaftet, einen Monat lang festgehalten und währenddessen gefoltert worden. Sie hätten erst gehen dürfen, als sie Lösegeld gezahlt hätten.

Unter dem 8. August 2019 teilte das österreichische Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Beklagten mit, der Kläger habe am 10. Juli 2015 Anträge auf internationalen Schutz eingebracht, sein Asylverfahren sei mit dem 24. Oktober 2018 rechtskräftig negativ abgeschlossen. Seit dem 5. November 2018 sei der Aufenthaltsort des Klägers aufgrund Untertauchens unbekannt. Unter dem 2. September 2019 entschied das Bundesamt, über das Asylgesuch des Klägers im nationalen Verfahren zu befinden.

Mit Bescheid vom 17. Dezember 2019 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab, stellte aber fest, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG vorliegt. Zur Begründung führte das Bundesamt im Wesentlichen aus: Der Asylantrag sei im Hinblick auf das in Österreich bereits durchgeführte Asylverfahren als Zweitantrag nach § 71a AsylG anzusehen. Die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nach dieser Vorschrift seien nicht erfüllt. Soweit der Kläger sich auf das spurlose Verschwinden seines Onkels im Irak berufen habe, sei nicht ersichtlich, aus welchem Grund der Onkel verschwunden sei und inwieweit eine Verbindung zum Verfolgungsschicksal des Klägers bestehe. Sein Onkel könne auch in Schwierigkeiten mit Schuldnern geraten sein. Darüber hinaus habe der Kläger keine relevanten Anhaltspunkte für eine Sachlagenänderung vorgetragen. Die Abschiebung des Klägers sei aber unzulässig, weil ihm durch einen staatlichen Akteur verursachte Folter oder unmenschliche bzw. erniedrigende Bestrafung oder Behandlung drohe. Glaubhaft sei, dass er von irakischen Sicherheitskräften inhaftiert worden sei. Es sei davon auszugehen, dass oppositionelles Gedankengut im Irak kriminalisiert und mit Haft und Folter bestraft werde.

Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 23. Dezember 2019 Klage erhoben, soweit sein Asylantrag als unzulässig abgelehnt wurde. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, ihm sei die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Wenn eine Gefahr im Heimatland bestehe, stehe es dem Bundesamt nach den allgemeinen Regeln des Verwaltungsverfahrens jederzeit frei, das Verfahren wiederaufzunehmen. Das der Behörde insoweit eingeräumte Ermessen habe die Beklagte nicht ausgeübt. Im Übrigen gebe es Gründe, die die Wiederaufnahme des Verfahrens geböten. Er habe mitgeteilt, dass ein Verwandter im Heimatland voraussichtlich inhaftiert und getötet worden sei.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 17. Dezember 2019 in Ziff. 1 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

und tritt ihr aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung entgegen.

Das Gericht hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung informatorisch angehört. Wegen des Ergebnisses wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und den Verwaltungsvorgang der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage, über die das Gericht gemäß § 102 Abs. 2 VwGO entscheiden kann, obwohl kein Vertreter der Beklagten an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hat, ist zulässig, aber nicht begründet.

Die vom Kläger erhobene Anfechtungsklage ist zulässig. Gegen die Entscheidung des Bundesamtes, einen Zweitantrag nach § 71a AsylG als unzulässig abzulehnen, ist die Anfechtungsklage statthaft mit dem Antrag, die Entscheidung aufzuheben. Hat diese Klage Erfolg, so ist das Bundesamt verpflichtet, ein weiteres Asylverfahren ohne die Beschränkungen des § 71a AsylG durchzuführen (vgl. BVerwG, U. v. 14.12.2016 - 1 C 4.16 -, juris Rn. 16 ff. = BVerwGE 157, 18).

Die Klage ist jedoch nicht begründet. Die Beklagte hat rechtmäßig entschieden, dass der Asylantrag des Klägers unzulässig ist.

Nach § 71a Abs. 1 AsylG ist auf den Asylantrag eines Ausländers nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat gem. § 26a AsylG, für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, ein weiteres Asylverfahren nur dann durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen. Ist danach ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen, hat das Bundesamt den Asylantrag („Zweitantrag“) als unzulässig abzulehnen (§ 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG). Danach ist die Entscheidung des Bundesamtes rechtlich nicht zu beanstanden.

Die Regelung in § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG i. V. m. § 71a Abs. 1 AsylG, nach der ein als Zweitantrag anzusehender Asylantrag als unzulässig abzulehnen ist, wenn ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist, ist mit Unionsrecht vereinbar. Insbesondere stehen der Regelung die Bestimmungen in Art. 33 Abs. 2 Buchst. d und Art. 2 Buchst. q der Verfahrensrichtlinie (Richtlinie 2013/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013) nicht entgegen (ebenso OVG Bremen, Urteil vom 03.11.2020 - 1 LB 28/20 -, juris Rn. 45 ff.; VG Braunschweig, Beschluss vom 11.11.2021 - 2 B 240/21 - und vom 25.01.2022 - 2 B 9/22 -; jew. m.w.N. zum Streitstand). Die Verfahrensrichtlinie erfasst mit der Regelung in Art. 33 Abs. 2 Buchst. d i. V. m. Art. 40 Abs. 2, 4 und 5, die es den Mitgliedstaaten unter den dort geregelten Voraussetzungen erlaubt, Folgeanträge nach einer ersten Prüfung als unzulässig zu betrachten, nach Wortlaut, Regelungssystematik und Regelungszweck nicht nur Folgeanträge, die im selben Mitgliedstaat gestellt werden wie die jeweiligen Erstanträge; die Regelung gilt vielmehr auch für Folgeanträge, die nach dem Abschluss des Erstverfahrens in einem anderen Mitgliedstaat – d.h. mitgliedstaatsübergreifend – gestellt werden. Nach Art. 33 Abs. 2 Buchst. d der Verfahrensrichtlinie können die Mitgliedstaaten einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig betrachten, wenn es sich um einen Folgeantrag handelt, bei dem keine neuen Umstände oder Erkenntnisse zu der Frage, ob der Antragsteller nach Maßgabe der Richtlinie 2011/95/EU als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist, zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind. Nach der Begriffsbestimmung des Art. 2 Buchst. q der Verfahrensrichtlinie bezeichnet der Begriff des „Folgeantrags“ dabei einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz, der nach Erlass einer bestandskräftigen Entscheidung über einen früheren Antrag gestellt wird. Eine Beschränkung auf Folgeanträge im selben Mitgliedstaat enthält diese Legaldefinition nicht (OVG Bremen, a.a.O., Rn. 47 m.w.N.). Für diese Auslegung spricht auch der 36. Erwägungsgrund der Verfahrensrichtlinie, wonach es unverhältnismäßig wäre, die Mitgliedstaaten zur erneuten Durchführung des gesamten Prüfungsverfahrens zu verpflichten, wenn der Antragsteller einen Folgeantrag stellt, ohne neue Beweise oder Argumente vorzubringen. Weiter ist in diesem Erwägungsgrund ausgeführt, „in diesen Fällen sollten die Mitgliedstaaten einen Antrag gemäß dem Grundsatz der rechtskräftig entschiedenen Sache (res iudicata) als unzulässig abweisen können“. Diese Erwägung ist im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem aber nicht nur für die Behandlung von Asylanträgen einschlägig, die in demselben Mitgliedstaat nach Abschluss eines dort vollständig durchlaufenen Asylverfahrens gestellt werden. Die Erwägung gilt vielmehr mitgliedstaatsübergreifend, weil sich in diesen Fällen bei einem erneuten Asylantrag das gleiche Problem stellt. Dafür spricht auch, dass im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem die Entscheidung über die Gewährung internationalen Schutzes in allen beteiligten Mitgliedstaaten nach vereinheitlichten inhaltlichen und verfahrensrechtlichen Vorgaben getroffen wird (vgl. die Richtlinien 2011/95/EU und 2013/32/EU), wobei nach dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten davon auszugehen ist, dass alle anderen Mitgliedstaaten das Unionsrecht und insbesondere die dort anerkannten Grundrechte beachten, und daher regelmäßig die Vermutung gilt, dass die Behandlung der Personen, die internationalen Schutz beantragen, in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta, der Genfer Konvention und der EMRK steht (vgl. OVG Bremen, a.a.O., Rn. 48).

Die Voraussetzungen für die Entscheidung, ein weiteres Asylverfahren nach § 71a AsylG nicht durchzuführen, sind erfüllt.

Die Bundesrepublik Deutschland ist für die Durchführung des Asylverfahrens jedenfalls zuständig geworden, als das Bundesamt im September 2019 die Entscheidung getroffen hat, über das Asylgesuch im nationalen Verfahren zu entscheiden und damit von dem Selbsteintrittsrecht der Bundesrepublik nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO Gebrauch zu machen.

Das Bundesamt hat den Antrag des Klägers zu Recht als Zweitantrag im Sinne des § 71a AsylG angesehen, der nur eine eingeschränkte Prüfung eröffnet. Nach den vorliegenden Unterlagen ist das vorangegangene Asylverfahren in Österreich für den Kläger im Zeitpunkt seines in Deutschland gestellten Asylantrages erfolglos und rechtskräftig abgeschlossen gewesen. Dies ergibt sich aus dem Schreiben des österreichischen Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 8. August 2019, nach dem die Asylverfahren in Österreich bereits im Oktober 2018 – und damit vor dem im Juni 2019 in Deutschland gestellten Asylantrag – rechtskräftig abgeschlossen waren. Auch der Kläger hat im Rahmen seiner Anhörungen vor dem Bundesamt erklärt, sein Antrag sei in Österreich zwei Mal abgelehnt worden, beim letzten Mal sei die Entscheidung unanfechtbar gewesen.

Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG i. V. m. § 71a AsylG liegen nicht vor. Nach diesen Regelungen ist auf einen Zweitantrag ein weiteres Asylverfahren im Bundesgebiet nur durchzuführen, wenn sich die Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Schutzsuchenden geändert hat, wenn neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Schutzsuchenden günstigere Entscheidung herbeigeführt hätten, oder wenn Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind (§ 51 Abs. 1 VwVfG). Der Schutzsuchende muss darüber hinaus ohne grobes Verschulden außerstande gewesen sein, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen (§ 51 Abs. 2 VwVfG). Schließlich muss er den Antrag binnen drei Monaten stellen, wobei die Frist mit dem Tag beginnt, an dem der Schutzsuchende von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erlangt (§ 51 Abs. 3 VwVfG). Ob die Regelung in § 51 Abs. 3 VwVfG vor dem Hintergrund des Urteils des Europäischen Gerichtshofes vom 9. September 2021 (C-18/20, juris Rn. 55 ff.) mit dem Unionsrecht vereinbar und hier anzuwenden ist, kann dahinstehen (gegen die Vereinbarkeit mit Unionsrecht: VG Freiburg, Urteil vom 27.09.2021 - A 14 K 6699/18 -, juris Rn. 52 ff.; VG Schleswig-Holstein, Urteil vom 23.09.2021 - 13 A 196/21 -, juris Rn. 32 ff.; für die Unionsrechtskonformität vor Erlass des EuGH-Urteils noch OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 12.04.2021 - 14 A 818/19.A -, juris Rn. 29 ff.). Denn hier ist schon ein Wiederaufgreifensgrund im Sinne des § 51 Abs. 1 VwVfG nicht gegeben. Insbesondere hat sich weder die Sachlage zugunsten des Klägers geändert, noch liegen neue Beweismittel vor, die eine dem Kläger günstigere Entscheidung herbeigeführt hätten.

Eine Änderung der Sachlage zugunsten des Schutzsuchenden, die ein weiteres Verfahren im Bundesgebiet eröffnet, liegt nur dann vor, wenn sich aus seinem substanziierten und glaubhaften Sachvortrag ergibt, dass sich die im vorangegangenen Verfahren als entscheidungserheblich zugrunde gelegte Sachlage tatsächlich zu seinen Gunsten geändert hat und sich hieraus die konkrete Möglichkeit für eine positive Entscheidung ergibt (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 22. Aufl., § 51 Rn. 26). Dies ist hier nicht der Fall.

Soweit er geltend gemacht hat, sein Onkel sei im Irak verschwunden, ist nicht ersichtlich, woraus sich deswegen Gefahren für den Kläger selbst ergeben könnten. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, sein Onkel sei in den Irak zurückgekehrt, um ein Grundstück zu verkaufen und Geld zurückzufordern, das er anderen geliehen hatte. Selbst wenn der Onkel deswegen im Irak Probleme bekommen hätte, ergäben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die Täter ein weitergehendes Interesse auch an der Person des Klägers haben könnten. Der Kläger hielt sich zu der fraglichen Zeit – sein Onkel soll im Januar oder Februar 2019 in den Irak zurückgekehrt sein – nicht mehr im Irak auf. Für eine sippenhaftähnliche Verfolgung liegen keine Hinweise vor. Daher gibt es auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger schon deswegen im Irak Probleme bekäme, weil er den gleichen (Nach-)Namen wie der Onkel trägt. Soweit sich aus dem Vortrag des Klägers die Vermutung ergibt, sein Onkel sei Opfer eines kriminellen Übergriffs geworden, fehlt es für einen Schutzanspruch nach § 3 Abs. 1 AsylG darüber hinaus an der Anknüpfung der Gewalthandlungen an einen der in dieser Vorschrift genannten Verfolgungsgründe Rasse, Religion, Nationalität, politische Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe. Dies würde dann mangels anderer Anhaltspunkte auch für den Kläger gelten, sofern davon auszugehen wäre, dass er selbst Übergriffe gleicher Art von den Tätern zu befürchten hätte.

Hinsichtlich der im Übrigen von ihm geltend gemachten Gründe hat der Kläger im Rahmen seiner Anhörung vor dem Bundesamt selbst angegeben, er habe sich darauf bereits in seinem Asylverfahren in Österreich berufen. Daher fehlt es insoweit schon an einer Änderung der Sachlage.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen seines Verfahrens „im weiteren Sinne“ nach § 51 Abs. 5 VwVfG i. V. m. den §§ 48 und 49 VwVfG. Die Regelung ist für die Entscheidung über einen Zweitantrag nach § 71a AsylG – wie bei Entscheidungen über Folgeanträge nach § 71 AsylG – nicht anwendbar (für die insoweit identische Regelung für Folgeanträge ebenso BVerwG, Urteil vom 21.03.2000 - 9 C 41/99 -, juris Rn. 10 = BVerwGE 111, 77; BVerwG, Urteil vom 15.12.1987 - 9 C 285.86 -, juris Rn. 20 = BVerwGE 78, 332 - zu § 14 AsylVfG a.F. -; VG Karlsruhe, Urteil vom 11.05.2021 - A 8 K 13288/17 -, juris Rn. 35; VG Trier, Urteil vom 04.05.2021 - 1 K 1102/21.TR -, juris Rn. 49; VG Wiesbaden, Urteil vom 30.04.2021 - 6 K 470/19.WI.A -, juris Rn. 34; so im Ergebnis auch Marx, AsylG, 10. Aufl., § 71 Rn. 98; a.A. wohl VG Berlin, Urteil vom 14.02.2022 - 12 K 155/21 A -, juris Rn. 40; zum Streitstand s. auch Dickten in: BeckOK Ausländerrecht, Stand: 01.04.2022, § 71 AsylG Rn. 24). Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 71a Abs. 1 Halbsatz 1 AsylG. Danach ist ein weiteres Asylverfahren auf einen Zweitantrag nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis Abs. 3 VwVfG vorliegen. Die Regelung in § 51 Abs. 5 VwVfG wird damit – wie in der Vorschrift über Folgeanträge in § 71 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AsylG – ausdrücklich nicht in Bezug genommen. Das entspricht auch dem Zweck der Vorschrift, die – wie die Regelung über Folgeanträge – zugunsten des Prinzips der Rechtssicherheit und aus Gründen der Verfahrensökonomie gewährleisten soll, dass die Asylbehörde nicht in jedem Fall auf einen weiteren, nach rechtskräftiger Entscheidung über ein Asylgesuch gestellten Asylantrag ein Asylverfahren erneut vollständig durchführen muss. Die für Zweit- und Folgeanträge vorgesehene beschränkte Prüfung soll „endlose“ Asylverfahren verhindern, die sich daraus ergeben, dass immer wieder neue, in der Sache zu prüfende Asylanträge gestellt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.12.1987, a.a.O., Rn. 22). Dies soll auch der durch das fortgesetzte Stellen von Asylanträgen ermöglichten faktischen Aufenthaltsverfestigung entgegenwirken (vgl. auch Dickten, a.a.O., § 71 Rn. 2 f.). Nur wenn die gesetzlich geregelten Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des abgeschlossenen verwaltungsbehördlichen Verfahrens nach § 51 Abs. 1 bis Abs. 3 VwVfG, insbesondere die Wiederaufnahmegründe nach § 51 Abs. 1 VwVfG gegeben sind, soll der Rechtsbeständigkeitsaspekt ausnahmsweise hinter das Richtigkeitsinteresse zurücktreten. Diese Beschränkung ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Sie stellt eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Begrenzung des Rechtsschutzanspruchs des Asylsuchenden aus den Gesichtspunkten der Rechtssicherheit und der Verfahrensökonomie dar (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.06.1986 - 2 BvR 569/86 -, NVwZ 1987, 487, 487 - zum Folgeantragsverfahren -). Dies gilt auch deswegen, weil das Bundesamt für die erneute Entscheidung zu Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG die Voraussetzungen des § 51 VwVfG in vollem Umfang zu prüfen und damit auch die durch § 51 Abs. 5 VwVfG eröffneten Korrekturmöglichkeiten im Fall einer etwa drohenden Verletzung elementarer Menschenrechte in den Blick zu nehmen hat (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 21.03.2000, a.a.O.; Marx, a.a.O., § 71 Rn. 98). Auf dieser Grundlage hat das Bundesamt auch im vorliegenden Fall ein Abschiebungsverbot festgestellt.

Selbst wenn der § 51 Abs. 5 VwVfG im vorliegenden Fall anwendbar wäre, würde sich kein Anspruch des Klägers auf Wiederaufgreifen des Verfahrens ergeben. Die Regelung in § 51 Abs. 5 i. V. m. den §§ 48 und 49 VwVfG begründet für den Betroffenen grundsätzlich nur einen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung (BVerwG, Beschluss vom 12.11.2020 - 2 B 1/20 -, juris Rn. 10). Ein Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens entsteht nur dann, wenn sich das dem Bundesamt eröffnete Ermessen dahin gehend auf Null reduziert hat, dass jede andere Entscheidung als das Wiederaufgreifen ermessensfehlerhaft wäre (s. Nds. OVG, Beschluss vom 08.11.2017 - 10 LA 216/17 - und VG Braunschweig, Urteil vom 13.05.2022 - 1 A 113/21 -, jew. n. v.). Im vorliegenden Fall ist aber weder ein Ermessensfehler noch eine Ermessensreduzierung ersichtlich. Das Bundesamt hat im streitgegenständlichen Bescheid in dem nicht mit der Klage angegriffenen Teil festgestellt, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG vorliegt. Den Asylantrag hat das Bundesamt als unzulässig abgelehnt, weil die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nicht vorlägen. Dabei hat das Bundesamt Ausführungen nur zu den Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG gemacht. Dass Ausführungen zum Wiederaufgreifen „im weiteren Sinne“ nach § 51 Abs. 5 VwVfG fehlen, impliziert aber, dass das Bundesamt das Wiederaufgreifen nach dieser Regelung abgelehnt hat. Dies ist weder ermessensfehlerhaft noch aus anderen Gründen rechtswidrig. Das Bundesamt handelt grundsätzlich nicht ermessensfehlerhaft, wenn es ein Wiederaufgreifen im Hinblick auf einen rechtskräftigen Bescheid im früheren Asylverfahren ablehnt. In diesen Fällen sind regelmäßig keiner weiteren ins Einzelne gehenden Ermessenserwägungen erforderlich (s. BVerwG, Urteil vom 22.10.2009 - 1 C 26/08 -, juris Rn. 20; VG Braunschweig, Urteil vom 13.05.2022 - 1 A 113/21 -, n.v., m.w.N.). Umstände, die ausnahmsweise eine erneute Sachentscheidung gebieten, das Ermessen der Behörde also zugunsten des Betroffenen verdichten, müssen in Bedeutung und Gewicht den in § 51 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 VwVfG geregelten zwingenden Wiederaufgreifensgründen entsprechen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.10.2009, a.a.O., Rn. 20). Dies ist hier – wie sich auch aus den Ausführungen zu § 51 Abs. 1 VwVfG ergibt – nicht der Fall.

Ob das Bundesamt im Fall eines Zweitantrags dann, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis Abs. 3 VwVfG nicht erfüllt sind, das Verfahren zwar nicht nach Ermessen (s. oben), aber von Amts wegen wiederaufgreifen darf oder daran wegen fehlender ausdrücklicher Ermächtigung gehindert ist, kann das Gericht für den vorliegenden Fall offenlassen (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 15.12.1987, a.a.O., Rn. 20 ff. - zum Folgeantrag nach § 14 AsylVfG a.F. -; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 22. Aufl., § 43 Rn. 14c; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl., § 43 Rn. 31 ff.). Auf ein solches Wiederaufgreifen von Amts wegen besteht jedenfalls kein Rechtsanspruch des Klägers. Dafür spricht auch, dass dem Asylsuchenden sonst entgegen dem Zweck der gesetzlichen Prüfungsbeschränkung (s. oben) und unter Umgehung des gesetzlichen Ausschlusses einer Prüfung nach § 51 Abs. 5 VwVfG ermöglicht würde, nach rechtskräftigem Abschluss eines Asylverfahrens immer wieder neue Sachentscheidungen des Bundesamts im Asylverfahren herbeizuführen. Unabhängig davon ist nicht ersichtlich, dass ein solches Wiederaufgreifen zur Vermeidung schlechthin unerträglicher Ergebnisse, beispielsweise zur Abwendung einer erheblichen Gefahr für Leib oder Leben des Klägers erforderlich wäre. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Kläger nach der Entscheidung des Bundesamtes eine Abschiebung in den Irak nicht zu befürchten hat.