Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 29.04.2003, Az.: 6 B 1256/03

Eilantrag; mündliche Prüfung; Prüfung; Prüfungsrecht; Teilnahme; vorläufige Teilnahme; Vorwegnahme der Hauptsache

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
29.04.2003
Aktenzeichen
6 B 1256/03
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 48080
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Scheitert ein Prüfungskandidat in der zweiten juristischen Staatsprüfung an der Regelung des § 14 Abs. 1 Nr. 4 NJAG, wonach für ein Fortsetzen der Prüfung das Ergebnis von mindestens 4 Punkten in mindestens drei Aufsichtsarbeiten erzielt werden muss, muss für den Anordnungsanspruch auf Teilnahme an der mündlichen Prüfung über eine bloße Fehlerhaftigkeit der bisher vorliegenden Bewertungen hinaus glaubhaft gemacht werden, dass bei einer rechtsfehlerfreien Bewertung zumindest eine Klausurnote mindestens auf "ausreichend (4 Punkte)" lauten wird.

2. Für die zu erwartende Anhebung der Note muss wegen der damit verbundenen vorübergehenden Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung eine überwiegende Wahrscheinlichkeit bestehen.

3. Ob dieses der Fall ist, lässt sich im gerichtlichen Eilverfahren nach § 123 VwGO stets abschließend prüfen, ohne dass es einer Interessenabwägung bedarf. Denn die erbrachten Prüfungsleistungen und deren Bewertungen sind bis zur Entscheidungsreife des Eilantrags schriftlich dokumentiert, und Grundvoraussetzung eines erfolgreichen Rechtsbehelfs ist in diesem Punkt, dass der Prüfling gegen die bisherige Benotung seiner Prüfungsleistungen qualifiziert Einwendungen erhoben hat.

Gründe

1

I. Die Antragstellerin bestand im Herbst 2001 die zweite juristische Staatsprüfung nicht, nachdem von sieben ihrer Aufsichtsarbeiten nur eine mit mindestens "ausreichend" bewertet worden war. Im Mai 2002 wiederholte die Antragstellerin die schriftlichen Prüfungsleistungen für die zweite juristische Staatsprüfung. Dabei erzielte sie nur für die Klausuren Z1 (Zivilrecht) und WV (Wahlfach Verwaltungsrecht) mit dem Ergebnis "ausreichend (6 Punkte)" die Mindestnote. In der Klausur V1 (Verwaltungsrecht) war ihre Leistung mit "ungenügend (0 Punkte)" bewertet worden, die übrigen fünf Klausurennoten lauteten auf "mangelhaft (2 bzw. 3 Punkte)". Der Antragsgegner teilte der Antragstellerin deshalb mit Bescheid vom 5. August 2002 mit, dass sie die zweite juristische Staatsprüfung abermals nicht bestanden habe.

2

Die Antragstellerin erhob gegen diese Entscheidung am 12. August 2002 Widerspruch, zu dessen Begründung sie Einwendungen gegen die Benotung der Klausuren A (Anwaltsfach), V2 (Verwaltungsrecht), S1 (Strafrecht), S2 und Z2 (Zivilrecht) vorbrachte.

...

3

Nach Einholung schriftlicher Stellungnahmen der Erst- und Zweitbeurteiler der Klausuren A, V2, S1, S2 und Z2 wies der Antragsgegner den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 25. Februar 2003 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er aus, die Beurteilungen der Klausuren seien rechtsfehlerfrei zustande gekommen. ...

4

Die Antragstellerin hat am 24. März 2003 Klage im Hauptsacheverfahren 6 A 1255/03 erhoben, mit der sie die Aufhebung der Prüfungsentscheidung vom 5. August 2002 und die Zulassung zur mündlichen Prüfung verfolgt. Mit dem im vorliegenden Verfahren am selben Tag gestellten Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beansprucht sie ebenfalls die Verpflichtung des Antragsgegners, sie zur mündlichen Prüfung zuzulassen.

5

Die Antragstellerin nimmt zur Antragsbegründung auf ihr Vorbringen im Widerspruchsverfahren Bezug und macht ergänzend geltend, der Erstbeurteiler der Klausur A habe zwar im Vorverfahren Fehler seiner Begutachtung zugestanden, die von der Antragstellerin erhobenen Einwendungen aber als nicht ausschlaggebend bezeichnet, obwohl sie sich auf zentrale Aspekte der Klausurlösung bezögen.

...

6

Die Antragstellerin trägt vor, der einstweilige Rechtsschutz zur Fortsetzung des Prüfungsverfahrens sei notwendig, weil sie eine Entscheidung über den Erfolg ihrer im Hauptsacheverfahren erhobenen Klage nicht abwarten könne, ohne erhebliche gesundheitliche Nachteile zu erleiden. Die Antragstellerin versichert dazu unter dem 7. April 2003 an Eides statt: ...

7

Die Antragstellerin beantragt,

8

ihr für das Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz Prozesskostenhilfe zu bewilligen und den Antragsgegner im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, sie zur mündlichen Prüfung der zweiten juristischen Staatsprüfung zuzulassen.

9

Der Antragsgegner beantragt,

10

den Antrag abzulehnen.

11

Der Antragsgegner vertritt die Auffassung, dass die Antragstellerin weder einen Anordnungsgrund noch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht habe. Für die Annahme eines Anordnungsanspruchs reiche es nicht aus, dass die beanstandeten Klausurbewertungen an einem beachtlichen Fehler litten, sondern es müsse die hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass eine fehlerfreie Bewertung der genannten Klausuren in mindestens einem Fall zur Benotung mit der Note "ausreichend" führe. Hierfür seien in Anbetracht der eingeholten Stellungnahmen der Prüfer keine Anhaltspunkte ersichtlich.

12

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts verweist die Kammer ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Prüfungsvorgänge des Antragsgegners.

13

II. Der Antrag ist mit der sich aus dem Entscheidungsausspruch ergebenden Einschränkung zulässig und begründet. Gemäß § 123 Abs. 1 VwGO kann das Verwaltungsgericht eine vorläufige Regelung in Bezug auf den streitigen Inhalt eines Prüfungsrechtsverhältnisses erlassen, soweit dieses während eines Widerspruchs- oder Klageverfahrens zur Vermeidung nicht wieder auszugleichender Rechtsnachteile nötig ist. Zulässiger Regelungsinhalt einer einstweiligen Anordnung kann danach die Verpflichtung der Prüfungsbehörde sein, eine Kandidatin oder einen Kandidaten vorläufig bis zum Abschluss des Streits über das Nichtbestehen der Prüfung an weiteren Prüfungsveranstaltungen teilnehmen zu lassen.

14

Zwar geht der vorliegende Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz über eine vorläufige Regelung hinaus, soweit er darauf gerichtet ist, den Antragsgegner uneingeschränkt, also ohne Berücksichtigung einer anders lautenden Entscheidung im Hauptsacheverfahren, zur mündlichen Prüfung zuzulassen. Insoweit ist der Antrag unzulässig und damit abzulehnen, weil er die vom Gesetzgeber im Widerspruchsverfahren vorgeschriebenen Behördenentscheidungen (§§ 72, 73 VwGO) und ein eventuell nachfolgendes Klageverfahren gegenstandlos macht. Die Antragstellerin kann nämlich mit ihren Einwendungen gegen die Bewertung der Klausuren auch im Hauptsacheverfahren nur eine Neubewertung der Aufsichtsarbeiten und daran anschließend eine rechtsfehlerfreie Entscheidung über die Fortsetzung des Prüfungsverfahrens erreichen. Der auf eine endgültige Zulassung zur mündlichen Prüfung gerichtete Antrag der Antragstellerin unterfällt daher dem sog. Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache. Damit das Recht auf eine rechtsfehlerfreie Entscheidung über das Bestehen der Staatsprüfung ohne im Einzelfall unzumutbaren Zeitverlust durchgesetzt werden kann, reicht regelmäßig eine einstweilige Anordnung aus, die die zunächst erfolglose Prüfungskandidatin in den Stand versetzt, das Prüfungsverfahren vorläufig, also unter dem Vorbehalt eines abweichenden Ausgangs des Hauptsacheverfahrens, fortzusetzen (s. dazu die Zimmerling/Brehm, Prüfungsrecht, 2. Aufl., Rdnr. 682 ff., mit Übersicht über Rspr. und Lit.).

15

Das Gericht kann aber im Verfahren nach § 123 VwGO - unter teilweiser Ablehnung eines weitergehenden Antrags - auch eine einstweilige Anordnung treffen, deren Wirkung diesem Gebot der Vorläufigkeit Rechnung trägt und die Prüfungsbehörde verpflichtet, die Prüfungskandidatin unter dem Vorbehalt eines abweichenden Ausgangs des Hauptsacheverfahrens an der mündlichen Prüfung der zweiten juristischen Staatsprüfung teilnehmen zu lassen und die dabei erbrachten Leistungen vorläufig zu bewerten. Mit diesem eingeschränkten Inhalt hat das Rechtsschutzbegehren Erfolg:

16

Der dafür nach § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO erforderliche Anordnungsanspruch folgt aus § 17 Abs. 1 NJAG, wonach die aus einer schriftlichen und einer mündlichen Prüfung bestehende zweite juristische Staatsprüfung bei Nichtbestehen einmal wiederholt werden darf. Für die Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs ist dabei die Regelung in § 14 Abs. 1 Nr. 4 NJAG zu beachten, wonach für ein Fortsetzen der Prüfung das Ergebnis von mindestens 4 Punkten in mindestens drei Aufsichtsarbeiten erzielt werden muss, was die Antragstellerin bisher nicht erreicht hat. Danach muss für den Anordnungsanspruch auf Teilnahme an der mündlichen Prüfung über eine bloße Fehlerhaftigkeit der bisher vorliegenden Bewertungen hinaus glaubhaft gemacht werden, dass bei einer rechtsfehlerfreien Bewertung zumindest eine Klausurnote mindestens auf "ausreichend (4 Punkte)" lauten wird. Für die zu erwartende Anhebung der Note muss wegen der damit verbundenen vorübergehenden Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung eine überwiegende Wahrscheinlichkeit bestehen (vgl. zum Wahrscheinlichkeitsmaßstab: Zimmerling/Brehm, a.a.O., Rdnr. 644 ff. m.w.N.). Ob dieses der Fall ist, lässt sich im gerichtlichen Eilverfahren nach § 123 VwGO stets abschließend prüfen, denn die erbrachten Prüfungsleistungen und deren Bewertungen sind bis zur Entscheidungsreife des Eilantrags schriftlich dokumentiert, und Grundvoraussetzung eines erfolgreichen Rechtsbehelfs ist in diesem Punkt, dass der Prüfling gegen die bisherige Benotung seiner Prüfungsleistungen qualifiziert Einwendungen erhoben hat.

17

Nach dem gegenwärtigen Stand der Sache ist es überwiegend wahrscheinlich, dass die Antragstellerin bei einer rechtsfehlerfreien Wiederholung der Bewertung der Klausur A für diese Prüfungsleistung die Note "ausreichend (4 Punkte)" erhalten und damit die von § 14 Abs. 1 Nr. 4 NJAG gesetzte Hürde für eine Teilnahme an der mündlichen Prüfung überwinden wird.

18

Klausurnoten sind Leistungsbeurteilungen und lassen sich deshalb gerichtlich nur daraufhin überprüfen, ob gegen Verfahrensvorschriften verstoßen worden ist, ob das anzuwendende Recht verkannt oder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden ist, ob allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe verletzt worden sind oder ob der Bewertung sachfremde Erwägungen zugrunde liegen. Dabei ist die gerichtliche Kontrolle dichter, wenn fachspezifische Wertungen substantiiert angegriffen werden (BVerfGE 84, 54 f. und NVwZ 1992, 658; vgl. auch BVerwG, NVwZ 1993, 686, 687 [BVerwG 24.02.1993 - BVerwG 6 C 38/92] und NVwZ 1995, 789 [BVerwG 30.01.1995 - BVerwG 6 C 1/92]). Lässt sich die Richtigkeit oder Angemessenheit von Lösungen wegen der Eigenart der Prüfungsfrage nicht eindeutig bestimmen, haben die Prüfer zwar auch hier einen Bewertungsspielraum, sie müssen aber dem Prüfling einen angemessenen Antwortspielraum einräumen. Eine vertretbare und mit gewichtigen Argumenten folgerichtig begründete Lösung darf nicht als falsch bewertet werden. Dies ist ein allgemeiner Bewertungsgrundsatz, der bei berufsspezifischen Prüfungen aus Art. 12 Abs. 1 GG folgt. Weiterhin darf die gerichtliche Willkürkontrolle nicht zu stark eingeschränkt werden. Eine willkürliche Fehleinschätzung ist bereits dann anzunehmen, wenn sie Fachkundigen als unhaltbar erscheinen muss (BVerfGE 84, 55; OVG Münster, NVwZ 1995, 801 [OVG Nordrhein-Westfalen 23.01.1995 - 22 A 1834/90]). Prüfungsspezifisch sind dagegen alle Fragen, die sich nur mit einem Bewertungsspielraum beantworten lassen, die z.B. einen Vergleich mit anderen oder üblichen Prüfungsleistungen erforderlich machen (Benotung), eine Gewichtung verschiedener Aufgaben bedingen, bei denen der Schwierigkeitsgrad der Aufgabe eingeordnet werden muss, oder die nach der Qualität der Darstellung der Lösung fragen (BVerwG, NVwZ 1998 S. 738). Lassen sich Fachfragen - wie zum Beispiel in Fragen des Aufbaus einer rechtlichen Lösung - nur schwer von prüfungsspezifischen Fragen trennen, sind sie quasi herauszufiltern (BVerwG, NVwZ 1998 S. 738 [BVerwG 17.12.1997 - BVerwG 6 B 55/97]).

19

Bei Berücksichtigung dieser Grundsätze lässt die Bewertung der Klausur A auch nach Durchführung des in § 13 Abs. 5 NJAG vorgegebenen Verfahrens zur Eigenkontrolle der Prüferurteile Rechtsfehler erkennen, deren Vermeidung bei der gebotenen Anwendung desselben Beurteilungsmaßstabes nach dem gegenwärtigen Sachstand mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu einer Höherbewertung der Klausurleistung führen werden und entscheidend für die Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs sind.

20

Dabei kann es dahingestellt bleiben, ob es im vorliegenden Fall ausreichend war, dass der Zweitbeurteiler unter dem 10. Dezember 2002 keine eigene Stellungnahme zu den Einwendungen der Antragstellerin abgegeben, sondern sich darauf beschränkt hat, sich "vollinhaltlich" der Stellungsnahme des Erstbeurteilers vom 20. November 2002 anzuschließen. Dieses Verfahren ist in Anbetracht der Tatsache, dass der Zweitbeurteiler schon in seiner Ausgangsbeurteilung keine eigene schriftliche Begründung abgegeben und der Erstbeurteiler sein Votum im Widerspruchsverfahren in Einzelpunkten revidiert bzw. ergänzt hat, nicht unbedenklich (vgl. dazu Urteil der Kammer vom 24.5.2000, Nds. Rpfl. 2001 S. 27); in diesem Punkt wird im Hauptsacheverfahren der Rechtsfrage nachzugehen sein, ob der Zweitbeurteiler im Widerspruchsverfahren überhaupt eine eigene materielle Beurteilung abgegeben hat.

21

Jedenfalls beruht die Note "mangelhaft (2 Punkte)" für die Klausur A in einem entscheidenden Teil der Klausurenbewertung auf einer Abweichung von dem allgemeinen Bewertungsgrundsatz, dass eine vertretbare und mit gewichtigen Argumenten folgerichtig begründete Lösung nicht als falsch bewertet werden darf. Dem vom Erstbeurteiler verfassten Prüfervotum zufolge waren für die Vergabe dieser Note in erster Linie die hervorgehobenen Mängel der Bearbeitung der prozessualen Fragen entscheidend, wobei die Beurteiler davon ausgingen, dass es in der Bearbeitung der Verfasserin insoweit (Prozessstation) "fast völlig an zutreffenden Überlegungen fehlt". Dabei werden im schriftlichen Votum des Erstprüfers für das fast völlige Fehlen zutreffender Überlegungen insgesamt fünf Kernpunkte der Kritik genannt, nämlich

22

1. ...,

23

2. ...,

24

3. ...,

25

4. ..., sowie

5. ....

26

Von diesen tragenden fünf Kritikpunkten haben die Beurteiler im Vorverfahren den an dritter Stelle genannten zurückgenommen und die Richtigkeit der in der Klausurbearbeitung vertretenen Rechtsauffassung der Antragstellerin ... eingeräumt.

27

Nicht eingeräumt haben die Beurteiler einen Beurteilungsfehler im Zusammenhang mit ihrer an fünfter Stelle genannten Kritik, wonach der Ansatz der Klausurverfasserin ... unzutreffend und die Problematik ... insoweit nicht erkannt worden sei. Tatsächlich ist dieser Lösungsansatz aber, was die Antragstellerin ... zu Recht vorträgt, vertretbar. Er kann daher nicht als unzutreffend bewertet werden. Insoweit haben die Prüfer ihre rechtsfehlerhafte Annahme in der schriftlichen Stellungnahme des Erstbeurteilers vom 20. November 2002, der sich der Zweitbeurteiler uneingeschränkt angeschlossen hat, auch nicht revidiert. Vielmehr geben sie ihrer ursprünglichen Beanstandung nunmehr einen Inhalt, der ihr objektiv nicht zu entnehmen ist, indem sie ausführen, mit der diesbezüglichen Korrekturbemerkung des Erstbeurteilers auf Seite 9 oben habe beanstandet werden sollen, dass es an Darlegungen zum Verhältnis der Anträge (...) fehle. Die Beurteilung der Klausur lässt allerdings nicht erkennen, dass bemängelt werden sollte, ein grundsätzlich vertretbarer Lösungsansatz (...) sei nicht mit überzeugenden Gründen entwickelt worden. Vielmehr lässt die Korrekturbemerkung auf Seite 9 eindeutig erkennen, dass der Erstbeurteiler - und ihm folgend auch der Zweitbeurteiler - der Auffassung war, ein ...antrag wäre ... weder erforderlich noch möglich. Im Zusammenhang mit dem dazu im Prüfervotum gewählten Prädikat "unzutreffend" lässt sich nur schließen, dass die Beurteiler diesen Teil der Klausurbearbeitung für fachlich falsch erachteten.

28

Wenn der Erstbeurteiler diese Prüferkritik nunmehr in seiner schriftlichen Stellungnahme vom 20. November 2002 dahingehend ändert, dass das Verhältnis der Anträge zueinander nicht dargelegt worden sei, verstößt dieses gegen das Gebot der Chancengleichheit nach Art. 12 Abs. 1 GG. Danach darf ein Prüfer, dem ein Bewertungsfehler unterlaufen ist, aus Gründen der Chancengleichheit bei der erforderlichen Neubewertung seine ursprünglichen Bewertungskriterien, nach denen er im Rahmen des ihm zustehenden Bewertungsspielraums die Prüfungsleistung bewertet hat, nicht ohne Weiteres ändern. Er muss vielmehr seine Bewertung ergänzen und die neu vorzunehmenden Wertungen in die komplexen Erwägungen, auf denen das Bewertungsergebnis beruht, einbeziehen, was eine Verschlechterung ausschließt und grundsätzlich nur zu einer besseren oder gleichen Bewertung führen kann (BVerwG, NVwZ 1993 S. 686). Insbesondere darf er nicht den ursprünglichen Bewertungsfehler ignorieren und als "Ersatz" für ihn in diesem Teil der Prüfungsarbeit bei der Neukorrektur einen anderen Fehler finden, den er als mindestens genauso schwer gewichtet wie den zuerst festgestellten (vgl. BVerwGE 105, 328 = NVwZ 1998 S. 636).

29

Die aus Sicht der Prüfer problematische ... war für die Vergabe der Note "mangelhaft (2 Punkte)" wesentlich. Sie ist im schriftlichen Prüfervotum des Erstprüfers ausdrücklich als ein Beispiel für das fast völlige Fehlen zutreffender Überlegungen zur Prozessstation genannt worden. Wenn insoweit berücksichtigt wird, dass der von den Prüfern eingeräumte Beurteilungsfehler (...) ebenso wie der beanstandete Aufbau nicht wesentlich für die Notenvergabe gewesen sein sollen, bleiben als fehlerfreie Kritikpunkte für die Prozessstation nur noch ... übrig. Eine derart deutliche Reduzierung der Zahl der aufgezeigten Fehler im prozessualen Teil der Klausur lässt darauf schließen, dass sich - auf der Grundlage des ursprünglichen Maßstabes der Prüfer - bei einer rechtsfehlerfreien neuen Beurteilung die notenentscheidenden Mängel der Prüfungsleistung als von einem deutlich geringeren Gewicht für die Gesamtnote erweisen werden, so dass ein Notensprung zur Bewertung mit "ausreichend (4 Punkte)" wahrscheinlicher ist als ein Beibehalten der Note "mangelhaft".

...

30

Die Antragstellerin hat einen für die vorläufige Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung erforderlichen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Es gibt insoweit keinen Zweifel an der Richtigkeit ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 7. April 2003

....