Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 07.04.2003, Az.: 11 B 720/03
Aufenthaltserlaubnis; EG-Recht; EuGH; öffentliches Interesse
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 07.04.2003
- Aktenzeichen
- 11 B 720/03
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 48367
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 80 Abs 5 VwGO
- § 28 Abs 3 S 2 AuslG
- § 1 IT-AV
- Art 7 S 1 EWGAssRBes 1/80
- Art 7 S 2 EWGAssRBes 1/80
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Es fehlt an einem besonderen öffentlichen Interesse des Ausländers am Verbleib im Bundesgebiet, wenn er eine Aufenthaltsbewilligung zum Zwecke des Studiums mit Schwerpunkt der Informations- und Kommunikationstechnoligie erhalten hat, wenn das zuständige Arbeitsamt die Arbeitsgenehmigung nicht zusichert oder erteilt. Aus Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 läßt sich kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ableiten, wenn der Vater des zu Studienzwecken eingereisten türkischen Staatsangehörigen zum Zeitpunkt der Einreise des Kindes das Bundesgebiet bereits verlassen hat.
Gründe
I. Der 1978 in Oran/Algerien geborene Antragsteller ist türkischer Staatsangehöriger. Er reiste im Januar 1997 in die Bundesrepublik Deutschland zur Aufnahme des Studiums der Nachrichtentechnik an der FH Hannover ein, das er am 28.02.2002 mit der Diplomprüfung abschloss. Die ihm zur Durchführung seines Studiums erstmals am 20.03.1997 erteilte Aufenthaltsbewilligung wurde zuletzt bis zum 15.02.2002 verlängert.
Zur Begründung seines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom 14.02.2002 berief sich der Antragsteller insbesondere auf Art. 7 Satz 2 des Beschlusses 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei und auf die dazu ergangene Rechtsprechung des EuGH und machte unter Vorlage des mit der D. geschlossenen Arbeitsvertrages vom 15.03.2001 und des Versicherungsnachweises der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte vom 08.12.1999 geltend, sein Vater, der ebenfalls türkischer Staatsangehöriger sei, habe von 1962 bis 1984 und von 1991 bis 1993 in einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis in der Bundesrepublik gestanden. Er - der Antragsteller - beabsichtige, zum 01.04.2002 die Tätigkeit bei der D. aufzunehmen. Das öffentliche Interesse liege darin begründet, dass durch seine beabsichtigte Mitarbeit in dem Unternehmen Aufträge und Arbeitsplätze seines künftigen Arbeitgebers gesichert würden.
Mit Bescheid vom 27.01.2003 lehnte die Antragsgegnerin den am 14.02.2002 gestellten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab und drohte dem Antragsteller die Abschiebung in die Türkei oder einen anderen zur Aufnahme verpflichteten Staat an. Zur Begründung führte sie aus, ein öffentliches Interesse für die angestrebte Erwerbstätigkeit des Antragstellers sei nach Auskunft des zuständigen Arbeitsamtes nicht ersichtlich. Er könne auch keinen gesetzlichen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 und dem Urteil des EuGH vom 19.11.1998 herleiten. Der diesem Urteil zugrunde liegende Sachverhalt unterscheide sich in einem entscheidungserheblichen Merkmal von dem Fall des Antragstellers. Sein Vater habe im Zeitpunkt der erstmaligen Einreise des Antragstellers in die Bundesrepublik im Januar 1997 diese seit mehreren Jahren verlassen, während der Vater des Klägers in dem Urteil des EuGH bei dessen Einreise noch im Bundesgebiet aufhältig gewesen sei und mit seinem Sohn zunächst zusammengelebt habe.
Über den dagegen eingelegten Widerspruch vom 17.02.2003 ist - soweit ersichtlich - noch nicht entscheiden.
Der Antragsteller hat am 19.02.2003 um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht und beruft sich ergänzend auf das Urteil des VG Neustadt a.d.W. vom 12.07.2002.
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 17.02.2003 gegen die Verfügung der Antragsgegnerin vom 27.01.2003 wieder herzustellen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und des von der Antragsgegnerin vorgelegten Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.
II. Der nach § 80 Abs. 5 VwGO statthafte Antrag ist unbegründet.
Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Verfügung der Antragsgegnerin vom 27.01.2003 überwiegt das besondere Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines hiergegen gerichteten Widerspruchs vom 17.02.2003. Bei summarischer Prüfung erweist sich die angegriffene Verfügung als offensichtlich rechtmäßig.
Die Entscheidung der Antragsgegnerin, den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis abzulehnen und dem Antragsteller im Hinblick darauf die Abschiebung anzudrohen, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die Antragsgegnerin hat zutreffend festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 3 Satz 2 AuslG nach dem Wechsel des Aufenthaltszwecks nicht vorliegen, weil kein gesetzlicher Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis und auch kein öffentliches Interesse daran besteht.
Ein besonderes öffentliches Interesse des Antragstellers am Verbleib im Bundesgebiet kann die Kammer nicht erkennen.
Will der Ausländer im Anschluss an sein Studium im Bundesgebiet eine Erwerbstätigkeit aufnehmen, ist angesichts des Wechsels des Aufenthaltszwecks grundsätzlich die Ausreise vor der Erteilung einer neuen Aufenthaltsbewilligung erforderlich. Ein besonderes öffentliches Interesse am Verbleib im Bundesgebiet kann daraus abgeleitet werden, dass die Tätigkeit eines Ausländers im Anschluss an seine Berufsausbildung nicht nur im Interesse des Arbeitgebers, sondern auch im Interesse der Wirtschaft liegt (Vgl. OVG NRW Urt. v. 21.10. 1992, InfAuslR 1993 S. 122 [BVerwG 16.11.1992 - BVerwG 1 B 197.92]; Hailbronner, AuslR, § 28 AuslG, Rdnr. 66). Hat der Ausländer - wie im Falle des Antragstellers - eine Aufenthaltsbewilligung zum Zwecke des Studiums mit Schwerpunkt der Informations- und Kommunikationstechnologie erhalten, regelt nunmehr die Verordnung über Aufenthaltserlaubnisse für hoch qualifizierte ausländische Fachkräfte der Informations- und Kommunikationstechnologie (IT-AV) die Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis. Nach § 1 IT-AV soll einem Ausländer, der eine Fachhochschulausbildung mit Schwerpunkt auf dem Gebiet der Informations- und Kommunikationstechnologie abgeschlossen hat oder dessen Qualifikation auf diesem Gebiet durch eine Vereinbarung mit dem Arbeitgeber über ein Jahreseinkommen von mindestens 51000 EUR nachgewiesen wurde, eine Aufenthaltsgenehmigung für eine unselbständige Arbeit in den entsprechenden Berufen erteilt werden, wenn eine erforderliche Genehmigung nach der Verordnung über die Arbeitsgenehmigung für hoch qualifizierte ausländische Fachkräfte der Informations- und Kommunikationstechnologie (IT-ArGV) vom 11.07.2000 (BGBl. S. 1146) zugesichert oder erteilt ist. Daran fehlt es vorliegend, weil das Arbeitsamt Hameln mit Schreiben vom 27.05.2002 und 19.09.2002 die Erteilung einer Arbeitserlaubnis für die vom Antragsteller begehrte Tätigkeit wegen des fehlenden öffentlichen Interesses für nicht möglich gehalten hat. Weitere Gründe sind vom Antragsteller nicht in substantiierter Form vorgetragen worden. Der allgemeine Hinweis auf die Sicherung von Arbeitsplätzen seines künftigen Arbeitgebers genügt den Anforderungen jedenfalls nicht.
Nach Auffassung der Kammer kann der Antragsteller auch keinen gesetzlichen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus Art. 7 Satz 2 des Beschlusses 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) herleiten. Nach dieser in allen Mitgliedstaaten unmittelbare Wirkung entfaltenden Vorschrift können sich die Kinder türkischer Arbeitnehmer, die im Aufnahmeland eine Berufsausbildung abgeschlossen haben, unabhängig von der Dauer ihres Aufenthalts in dem betreffenden Mitgliedsstaat dort auf jedes Stellenangebot bewerben, sofern ein Elternteil in dem betreffenden Mitgliedsstaat seit mindestens drei Jahren ordnungsgemäß beschäftigt war.
Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Nach Auffassung der Kammer steht der Anwendung des Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 entgegen, dass der Vater des Antragstellers im Zeitpunkt der Einreise des Antragstellers in die Bundesrepublik Deutschland zu Studienzwecken im Januar 1997 das Bundesgebiet seit mehreren Jahren dauerhaft verlassen hatte.
Wie bereits das VG Neustadt a.d.W. in seinem Urteil vom 12.07.2002 zutreffend festgestellt hat, lässt sich bereits der Formulierung in Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 „seit mindestens drei Jahren“ entnehmen, dass allein eine Beschäftigung eines Elternteils in der Vergangenheit nicht den Anforderungen genügt, sondern eine ordnungsgemäße Beschäftigung des Elternteils zumindest teilweise in der Zeit bestanden haben muss, in der das Kind seine Berufsausbildung absolviert hat. Durch das Wort „seit“ wird eine Beziehung zwischen der Beschäftigung des Elternteils und der Berufsausbildung des Kindes hergestellt.
Darüber hinaus fordern die Systematik und der Zweck der Vorschriften den vom Wortlaut des Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 implizierten inneren Bezug. Der mit Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 in engem Zusammenhang stehende Satz 1 der Vorschrift regelt den Arbeitsmarktzugang von Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedsstaates angehörigen türkischen Arbeitnehmers, „die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen“. Diese Voraussetzung erfüllen nur diejenigen Angehörigen, denen nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts die Aufenthaltsgenehmigung zum Zwecke der Familienzusammenführung erteilt worden ist. Die Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft mit dem türkischen Arbeitnehmer im Bundesgebiet ist nicht möglich, wenn - wie im vorliegenden Fall - der türkische Wanderarbeiter im Zeitpunkt der erstmaligen Einreise des Kindes zu Studienzwecken in die Bundesrepublik das Bundesgebiet bereits seit mehreren Jahren endgültig verlassen hat. Dann können auch die aus der familiären Lebensgemeinschaft mit dem türkischen Arbeitnehmer abgeleiteten Rechte zum Schutz der Familienangehörigen nicht dem Kind eines türkischen Wanderarbeiters zugute kommen. Es ist nicht nachvollziehbar, wie das Kind bei seiner Einreise in die Bundesrepublik von einem zuvor endgültig ausgereisten Elternteil Aufenthaltsrechte ableiten soll, die nach der endgültigen Ausreise des Elternteils aus der Bundesrepublik erloschen sind. Würde in einem solchen Falle jeder innere Zusammenhang zwischen dem Aufenthaltsrecht der ehemaligen türkischen Wanderarbeiter und ihrer später eingereisten Kinder gelöst, würden die Kinder eine dem EG-Recht vergleichbare Rechtsposition erlangen. Eine innere Rechtfertigung dafür vermag die Kammer nach den obigen Ausführungen nicht zu erkennen. Eine solche Rechtsposition widerspräche zudem nach dem heutigen Stand der Integration dem Gemeinschaftsrecht der EG und dem in den ARB 1/80 zum Ausdruck kommenden Gedanken einer schrittweisen Assoziierung der Türkei. Wäre die Stufung zum EG-Recht bereits aufgehoben, hätte es eines entsprechenden Verweises auf EG-Recht und einer entsprechenden Formulierung des Art. 7 ARB 1/80 bedurft.
Es bedarf in diesem Zusammenhang keiner Entscheidung, welche Anforderungen im einzelnen an den inneren Zusammenhang zwischen dem Aufenthaltsrecht der türkischen Wanderarbeiter und ihrer zu Studienzwecken eingereisten Kinder zu stellen sind. Es ist nicht ersichtlich und nicht vom Antragsteller dargetan, dass er als Minderjähriger irgendwann einmal im Rahmen der Familienzusammenführung in die Bundesrepublik gekommen ist.
Der Antragsteller kann sich auch nicht auf das Urteil des EuGH vom 19.11.1998 - C -210/97- (Akman) berufen.
Der EuGH hatte in dem Urteil „Akman“ allein die Frage zu klären, ob der sich aus Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 ergebende Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis voraussetzt, dass der Vater des zu Studienzwecken eingereisten türkische Staatsangehörigen zum Zeitpunkt der Bewerbung um ein Stellenangebot nach Beendigung der Fachhochschulausbildung des Sohnes noch im Bundesgebiet arbeitet oder wohnt. Ein solches Erfordernis verneint EuGH. Die dazu im o.g. Urteil angestellten zutreffenden Erwägungen zu Wortlaut, Sinn und Zweck betreffen nur den zu entscheidenden Fall, in dem der türkische Staatsangehörige Akman zur Durchführung seiner 1993 erfolgreich abgeschlossenen Ingenieurausbildung 1979 in die Bundesrepublik eingereist war und zunächst bei seinem Vater wohnte, der von 1971 bis 1985 ordnungsgemäß in Deutschland beschäftigt war.
Der innere Zusammenhang zwischen dem Aufenthaltsrecht des zu Studienzwecken eingereisten Kindes und des türkischen Elternteils ist in dieser Konstellation gewahrt. Folglich ist es rechtlich unerheblich, welches Alter das Kind bei der Einreise hat und ob sich der Elternteil beim Abschluss des Studiums noch im Bundesgebiet aufhält.
Die hier zu entscheidende Fallgruppe, bei der der Vater im Zeitpunkt Einreise des Kindes zu Studienzwecken in die Bundesrepublik diese bereits seit mehreren Jahren verlassen hat, wird im Urteil des EuGH nicht behandelt. Die Argumentation des Urteils lässt sich mithin nicht auf die in einem entscheidungserheblichen Merkmal abweihende Fallkonstellation übertragen. Das wird von dem vom Antragsteller für seine Auffassung herangezogenen Urteil des VG Neustadt a.d.W. vom 12.07.2002 verkannt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung erfolgt gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.