Verwaltungsgericht Stade
Beschl. v. 20.10.2015, Az.: 3 B 1709/15

Dublin III VO; Homosexualität; Polen; systemische Mängel

Bibliographie

Gericht
VG Stade
Datum
20.10.2015
Aktenzeichen
3 B 1709/15
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2015, 27935
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGSTADE:2015:1020.3B1709.15.0A

Fundstelle

  • NdsVBl 2016, 7

[Gründe]

Der Antrag, mit dem sich die nach eigenen Angaben aus Georgien stammende Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 17. September 2015 wendet, mit dem u.a. unter Feststellung der Unzulässigkeit des Asylantrages die Abschiebung nach Polen angeordnet wird, hat keinen Erfolg.

Es kann dahinstehen, ob sich der vorliegende Antrag bereits als unzulässig erweist, weil sowohl die Klagefrist als auch die Frist zur Stellung des Antrages auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes verstrichen ist oder vorliegend wegen Fehlerhaftigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung des angefochtenen Bescheides die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO zur Anwendung gelangt.

Denn der Antrag ist jedenfalls unbegründet.

Für eine nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zu treffende Entscheidung ist maßgebend, ob das private Interesse des Antragstellers, von der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes vorerst verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse am Vollzug des Verwaltungsaktes überwiegt. Bei dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs vorrangig zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14.04.2005 - 4 VR 1005.04 - zitiert nach , mit Veröffentlichungshinweis u.a. auf BVerwGE 123, 241). Hat der Rechtsbehelf voraussichtlich Erfolg, weil der angegriffene Verwaltungsakt offenbar fehlerhaft ist, überwiegt das Aussetzungsinteresse des Betroffenen das öffentliche Vollzugsinteresse. Der Antrag ist dagegen in aller Regel unbegründet, wenn der Antragsteller im Verfahren zur Hauptsache keinen Erfolg haben wird, insbesondere, wenn die angegriffene Verfügung offensichtlich rechtmäßig ist. Denn an der sofortigen Vollziehung eines offenbar rechtmäßigen Verwaltungsaktes besteht regelmäßig ein besonderes öffentliches Interesse (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 30.10.1990 - 3 M 22/90 - NVwZ 1991, 496). Bei offenem Ausgang des Klageverfahrens ist im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber in den Fällen, die - wie hier - nicht von § 75 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG erfasst werden, einen grundsätzlichen Vorrang des Vollziehungsinteresses angeordnet hat (s. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO) und es deshalb besonderer Umstände bedarf, um eine hiervon abweichende Entscheidung zu rechtfertigen.

Ausgehend von diesem Maßstab überwiegt das Suspensivinteresse der Antragstellerin nicht das öffentliche Vollzugsinteresse. Die in dem angegriffenen Bescheid enthaltene Abschiebungsanordnung ist aller Voraussicht nach rechtmäßig. Dabei ist auf die zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bestehenden tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse abzustellen (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG).

§ 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG bestimmt ausdrücklich, dass das Bundesamt die Abschiebung anordnet "sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann". Die Abschiebungsanordnung darf als Festsetzung eines Zwangsmittels erst dann ergehen, wenn alle Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Abschiebung nach § 26 a oder § 27 a AsylVfG i.V. m. § 34 a AsylVfG erfüllt sind. Vor Erlass der Abschiebungsanordnung ist zu prüfen, ob die Abschiebung in den Dritt- bzw. Mitgliedstaat - wenn auch nur vorübergehend - rechtlich unzulässig oder tatsächlich unmöglich ist (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 02.08.2012 - 4 MC 133/12 - zitiert nach ).

Die Abschiebung der Antragstellerin ist vorliegend weder rechtlich unzulässig noch tatsächlich unmöglich. Eine Abschiebungsanordnung nach § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist dann zulässig, wenn ein Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26 a AsylVfG) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27 a AsylVfG) abgeschoben werden soll. Letzteres ist vorliegend der Fall. Denn Polen ist gem. Art. 3 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. Art. 7 ff. Verordnung (EG) Nr. 604/2013 (Dublin-III-VO) für die Prüfung der Asylanträge zuständig. Die Antragstellerin hat belegt durch den in den Verwaltungsvorgängen der Antragsgegnerin befindlichen EURODAC-Treffer der Kategorie 1, der eine erkennungsdienstlichen Behandlung der Antragstellerin als Asylbewerberin in Polen indiziert, vor ihrer am 20. April 2015 erfolgten Einreise in die Bundesrepublik Deutschland, in Polen bereits einen Asylantrag gestellt. Dementsprechend hat das Bundesamt am 4. September 2015 ein Übernahmeersuchen gem. Art. 23 Verordnung (EG) Nr. 604/2013 (Dublin-III-VO) an Polen gerichtet. Ausweislich der in der Bundesamtsakte vorhandenen Schreiben der polnischen Behörden vom 11. September 2015 hat Polen der Rückübernahme der Antragstellerin ausdrücklich gem. Art. 18 Abs. 1 d) Verordnung (EG) Nr. 604/2013 (Dublin-III-VO) zugestimmt.

Es besteht auch keine Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland, das Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO auszuüben, weil in Polen die ordnungsgemäße Durchführung des Asylverfahrens nicht gewährleistet wäre.

Insoweit geht das Gericht als Prüfungsmaßstab vom Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. hierzu grundlegend BVerfG, Beschluss vom 15.05.1996 - 2 BvR 1938/38 - zitiert nach ) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (Europäischer Gerichtshof - EuGH -, Beschluss vom 21.12.2011 - C - 411/10 - NVwZ 2012, 417) aus, wonach die Vermutung gilt, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedsstaat den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention der Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte i.S.v. Art. 6 Abs. 1 EuV entspricht. Hierzu hat der Europäische Gerichtshof zur Dublin II-Verordnung entschieden, dass dem Unionsrecht keine unwiderlegliche Vermutung innewohnt, der gemäß Art. 3 Abs. 1 Dublin II-Verordnung zuständige Mitgliedsstaat werde die Unionsgrundrechte beachten. Vielmehr obliege den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedsstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gebe, welche zu einer Gefahr für die Antragsteller führen könne, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedsstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtscharta) ausgesetzt zu werden (EUGH v. 21.12.2011 a.a.O.). Diese Maßgaben sind auch im Rahmen der Prüfung der Dublin III-VO zu beachten.

Im Rahmen dieser Prüfung ist vorliegend nicht anzunehmen, dass gegenwärtig im Falle von Polen systemische Mängel vorliegen, die eine solche Gefahr für die Antragsteller begründen könnten. Wie das Bundesverwaltungsgericht entschieden hat, setzt das Vorliegen systemischer Mängel in einem Mitgliedstaat voraus, dass dort die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber auch im konkret zu entscheidenden Einzelfall dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (BVerwG, Beschluss vom 19.03.2014 - 10 B 6.14 - zitiert nach ). Gemeint sind dabei Defizite, die im Rechtssystem des zuständigen Mitgliedstaates angelegt sind oder dessen Vollzugspraxis strukturell prägen (BVerwG, Beschluss vom 19.03.2014, a.a.O. Rn 9). Hierfür gibt es im Falle Polens keinerlei Hinweise.

Die gesetzlichen Bestimmungen zum Asylverfahren in Polen, insbesondere in Gestalt des neuen, am 1. Mai 2014 in Kraft getretenen Ausländergesetzes entsprechen den europarechtlichen Vorgaben; dies gilt auch für die Regelungen des Aufnahmesystems; beide werden in die Praxis umgesetzt und eingehalten (vgl. die umfassende Darstellung der Gesetzeslage und Praxis durch Asylum Information Database (AIDA): National Country Report Poland vom Juni 2014; sowie (Hrsg.) Association for Legal Intervention und Helsinki Foundation for Human Rights (Abteilungen in Warschau): Migration is not a crime - Report on the Monitoring of Guarded Centres for Foreigners von 2013; Jesuit Refugee Services Europe: National Report Poland - Protection Interrupted - The Dublin Regulation's Impact On Asylum Seeker's Protection (The DIASP-projekt) vom Juni 2013; Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage: Asylrelevante Lage in Tschetschenien vom 25. September 2013, BT-Drs. 17/14795). Dies wird auch von der ganz überwiegenden Rechtsprechung vertreten (vgl. jüngst VG Ansbach, Beschluss vom 19.06.2015 - AN 14 S 15.50134 -; VG Magdeburg, Beschluss vom 14.04.2015 - 9 B 147/15 -; VG Düsseldorf, Beschluss vom 02.03.2015 - 17 L 2510/14.A -; VG Aachen, Beschluss vom 30.01.2015 - 6 L 895/14.A -; VG München, Beschluss vom 29.12.2014 - M 16 S 14.50532 -; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 26.08.2014 - 6a L 1234/14.A - jeweils zitiert nach m.w.N.; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 04.07.2014 - 6a K 265/14.A -; VG Potsdam, Urteil vom 04.06.2014 - 6 K 2414/13.A -; VG Göttingen, Beschluss vom 08.05.2014 - 2 B 145/14 -; VG Augsburg, Beschluss vom 06.05.2014 - Au 2 S 14.50052 -; VG München, Beschluss vom 14.04.2014 - M 16 S 14.30395 -; VG Karlsruhe, Urteil vom 29.10.2013 - A 1 K 1565/13 -; Nds. OVG, Beschluss vom 01.04.2014 - 13 LA 22/14 -; VG Köln, Gerichtsbescheid vom 27.03.2014 - 1 K 8004/13.A -; VG Bremen, Beschluss vom 04.03.2014 - 1 V 220/14 -; VG B-Stadt, Beschluss vom 20.02.2014 - 10 AE 423/14 - unter Bezugnahme auf VG B-Stadt, Beschluss vom 12.11.2013 - 17 AE 4415/13 -; VG Wiesbaden, Urteil vom 19.02.2014 - 5 K 651/13.Wi.A -; VG Oldenburg, Urteil vom 30.01.2014 - 3 A 7125/13 -; VG Oldenburg, Beschluss vom 06.06.2014 - 3 B 1692/14 -; VG Osnabrück, Beschluss vom 07.07.2014 - 5 B 186/14 -; VG Schleswig, Beschluss vom 27.08.2013 - 1 B 43/13 -; a.A., d.h. die Frage, ob systemische Mängel vorliegen, offen-lassend: VG Meiningen, Beschluss vom 26.04.2013 - 8 E 20075/13 Me -; VG Karlsruhe, Beschluss vom 09.07.2013 - 1 K 1566/13 -; VG Wiesbaden, Beschluss vom 10.09.2013 - 5 L 652/13.Wi.A -, alle ). Die zuletzt genannte Rechtsprechung, die die Frage, ob systemische Mängel vorliegen, generell offen lässt, überzeugt das Gericht nicht, weil sie sich nicht hinreichend mit den genannten Erkenntnismitteln auseinandersetzt.

Kritisiert wird in verschiedenen Berichten, dass der Zugang zu psychologischer Hilfe insbesondere in den Gewahrsamszentren mangels einer ausreichenden Anzahl qualifizierter Fachkräfte nicht effektiv und vor allen Dingen nicht umfassend sei (es würden keine Therapien angeboten), so dass insbesondere Gewalt- und Folteropfer und Personen, die an PTBS leiden, nicht ausreichend medizinisch versorgt seien (vgl. Witold/Rusikowicz, Migration is not a Crime, 1. Auflage 2013, Hrsg. Helsinki Foundation for Human Rights Warschau; AIDA, National Country Report, Poland, Stand: 15. April 2013 Poland, 2013). Ein weiteres zum Teil hiermit korrespondierendes Problem sei der Umstand, dass zumindest in der Praxis keine effektiven Verfahren zur Erkennung sogenannter verletzlicher Personen (z.B. unbegleitete Minderjährige, (psychisch) kranke Personen, Personen mit Behinderungen, Gewalt- und Folteropfer etc.) durchgeführt würden; die Betroffenen müssten auf ihren Zustand selbst hinweisen, um die entsprechende Hilfe zu erhalten (vgl. Migration is not a Crime, a.a.O.; AIDA: National Country Report, a.a.O.). Schließlich komme es immer wieder vor, dass auch Kinder sowohl zusammen mit ihren Familien, als auch unbegleitete Minderjährige, in den Gewahrsamszentren untergebracht, also inhaftiert würden, mit der Gefahr schwerwiegender Isolationsfolgen (vgl. Migration is not a Crime, a.a.O. AIDA: National Country Report, a.a.O.). In der von der Association for Legal Intervention und von der Helsinki Foundation for Human Rights im Jahre 2013 publizierten Studie "Migration Is Not a Crime - Report on the Monitoring of Guarded Centres for Foreigners" wird ausgeführt, dass in den polnischen Aufnahmeeinrichtungen die regelmäßige Anwesenheit eines Arztes sichergestellt ist und dass bei gesundheitlichen Problemen, die eine fachärztliche Versorgung notwendig machen, auch das Aufsuchen eines Facharztes außerhalb der Einrichtung gewährleistet wird (Seite 23 ff. der Studie). Auch dem "National Country Report: Poland" von 2013 der vom Europäischen Flüchtlingsrat getragenen "aida"-Datenbank ist zu entnehmen, dass eine kostenlose medizinische Versorgung Asylsuchender grundsätzlich gewährleistet ist (dort Seite 38 f.).

Ferner hat die Bundesregierung zur gesundheitlichen Versorgung von Asylbewerbern in Polen am 25. September 2013 (Drucksache 17/14795, S. 5) ausgeführt:

"Nach aktueller Auskunft der Liaisonbeamtin des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in Polen ist die medizinische Versorgung dort für Asylbewerber wie folgt sichergestellt:

Die Behandlung von Asylbewerbern, die eine medizinische Versorgung und eine psychologische Betreuung in Anspruch nehmen müssen, ist in Polen kostenlos und erfolgt grundsätzlich durch qualifiziertes Personal. Die medizinische Versorgung während des Flüchtlingsverfahrens umfasst alle Ausländer (gemäß Artikel 73 des polnischen Flüchtlingsgesetzes), die einen Antrag auf Flüchtlingsschutz gestellt haben und sich bei der Sozialhilfe-Abteilung des Amtes für Ausländer registriert haben, unabhängig von ihrer Unterbringung in Aufnahmeeinrichtungen oder außerhalb. Personen im Flüchtlingsverfahren haben den gleichen Anspruch auf den Umfang der medizinischen Versorgung wie polnische Staatsangehörige (ausgeschlossen sind lediglich Kurfahrten). Die medizinische Versorgung von Personen im Flüchtlingsverfahren in Polen koordiniert das Zentrale Krankenhaus des Innenministeriums in Warschau. Die medizinische Versorgung umfasst:

- Durchführung sog. epidemiologische Untersuchungen - alle Ausländer, die zum ersten Mal einen Antrag auf Flüchtlingsschutz stellen, werden in der Aufnahmeeinrichtung in Biala Podlaska oder in Podkowa Lesna-Debak epidemiologisch untersucht. Die Untersuchung beinhaltet die Feststellung, ob der Ausländer an Infektionskrankheiten leidet (darunter Tuberkulose, Hepatitis B und C Typ, HIV, Geschlechtskrankheiten).

- In jeder Aufnahmeeinrichtung in Polen gibt es medizinische Behandlungsräume, dort stehen Krankenschwestern, ein Arzt und ein Kinderarzt zur Verfügung.

- Kranke Personen, die spezielle Untersuchungen benötigen, werden ans Krankenhaus oder zu speziellen Untersuchungen überwiesen. Die Untersuchungen finden entweder im Zentralen Krankenhaus des Innen- und Verwaltungsministeriums statt oder auch in anderen Krankenhäusern, mit dem das Zentrale Krankenhaus eine Vereinbarung unterschrieben hat.

- Zahnbehandlungen.

- Psychologische Hilfe.

- Rehabilitation.

Nach dem Bericht der Helsinki Foundation for Human Rights (Helsinki-Stiftung) "Migration is not a crime" aus dem Jahr 2013 erhalten Ausländer schriftlich und mündlich alle erforderlichen Informationen über die Möglichkeit, medizinische und psychologische Betreuung zu erhalten. In allen Zentren können die Ausländer medizinische Hilfe erhalten, wobei es - wie auch in deutschen Unterkünften - Sprachschwierigkeiten mit dem medizinischen Personal geben kann. Zudem können sich z. B. Opfer von Übergriffen innerhalb der Unterkünfte an die Polizei wenden."

Dass die medizinische Versorgung nicht in allen Aufnahmeeinrichtungen von gleicher Qualität ist und es im Einzelfall Schwierigkeiten bei der zeitnahen fachärztlichen Versorgung geben kann, führt nicht dazu, dass "systemische Bedenken" im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung anzunehmen wären.

Weiterhin wird in den genannten Erkenntnismitteln insbesondere für die Bedingungen in den Gewahrsamszentren über eine Reihe von Mängeln berichtet, die von ihrer Art her dem Bereich des Wohlbefindens zuzuordnen sind oder ihnen dort, wo sie einen ernsthafteren Charakter aufweisen, umfangreiche und wirksame Maßnahmen seitens der Behörden und der NGOs entgegengesetzt werden, um die bemängelten Zustände zu beheben. Für die Betreibung der Gewahrsamszenten wird von einem "gefängnisartigen, militärischen Regime" berichtet. Es fänden insbesondere Morgenappelle mit zu lauten Pfeifen statt, es gebe unangekündigte Sicherheitskontrollen (Sichtkontrollen in den Räumen), zum Teil auch nachts, die Essenzeiten seien strikt und ungünstig (zu früh am Abend), es gebe zu viel Kartoffeln und zu wenig Reis, es gebe zu wenig Ablenkungs- bzw. Aktivitätsmöglichkeiten, zu wenig Zugang zu ausgelagerten persönlichen Kommunikationsmitteln (Handy, Laptop) und zu kurze Fernsehzeiten - Langeweile sei ein großes Problem -; die bereitgestellte Kleidung sei nicht immer zufriedenstellend (vgl. Migration is not a Crime, a.a.O.). Die als Defizite bezeichneten Umstände betreffen erkennbar nicht den von Art. 3 EMRK bzw. Art. 3 GR-Charta geschützten Bereich.

Als ernsthafterer Mangel wird der Umstand berichtet, dass es keinen flächendeckenden kostenlosen Rechtsbeistand staatlicherseits gebe, lediglich von NGOs bezahlte und engagierte Rechtsanwälte besuchten die Gewahrsamszentren (vgl. Migration is not a Crime, a.a.O.). In Polen ist jedoch die Beantragung von kostenloser Rechtshilfe bei Bedürftigkeit möglich, das Problem ist generell die mangelnde Kenntnis der Betroffenen hiervon. Dies gilt auch für die Verständnisschwierigkeiten bezüglich umfangreicher verfahrensrechtlicher Informationen, die für Asylsuchende allgemein zugänglich sind und um deren Erläuterung sich behördliche Mitarbeiter und Mitarbeiter der NGOs bemühen (vgl. Migration is not a Crime, a.a.O.; AIDA: National Country Report, a.a.O.). Das Bemühen und die erreichten Verbesserungen in diesen Bereichen, insbesondere durch die Zusammenarbeit von behördlichen und Mitarbeitern der NGOs (vgl. Migration is not a crime, a.a.O.; AIDA: National Country Report, a.a.O.; Jesuit Refugee Service Europe: National Report, a.a.O.) stehen einer Qualifizierung dieser Mängel als systemisch entgegen.

Schließlich wird von einigen Mängeln berichtet, die zwar schwerwiegender sind, aber - wenn auch mehrfach vorkommend - Einzelfälle darstellen. So habe es an der Grenze zwischen Polen und Weißrussland in den Jahren 2012 und 2013 gesetzeswidrige Zurückweisungen oder Inhaftierungen bei einer ersten Antragstellung gegeben (vgl. AIDA, National Country Report, a.a.O.). In einigen Fällen sei es in Gewahrsamszentren zu Einschüchterungen und ehrverletzenden Behandlungen gekommen, so in Gestalt der Drohung mit vorzeitiger Abschiebung, um "Gehorsam" zu erreichen oder der Anrede von Inhaftierten lediglich mit ihrer Identifikationsnummer (vgl. Migration is not a Crime, a.a.O.). Ob diese inakzeptablen Verhaltensweisen als eine Verletzung von Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GR-Charta zu qualifizieren sind, kann vorliegend ebenfalls offenbleiben, da sie Einzelfälle darstellen und daher nicht als systemische Mängel zu qualifizieren sind.

Von Mängeln, die besonders Dublin-Rückkehrer betreffen, wird nicht berichtet. Ihr Verfahren wird entweder wiedereröffnet oder sie haben die Möglichkeit, einen neuen Asylantrag zu stellen. Das Verfahren dauert durchschnittlich zwei Monate. In Absprache mit dem überstellenden Staat werden insbesondere verletzliche Personen in Empfang genommen und entsprechend ihren Bedürfnissen untergebracht. Dublin-Rückkehrer werden spätestens seit Inkrafttreten des neuen Ausländergesetzes zum 1. Mai 2014 nur noch in Ausnahmefällen inhaftiert (vgl. die umfängliche Darstellung bei Jesuit Refugee Service Europe: National Report, a.a.O.).

Anhaltspunkte dafür, dass der Antragstellerin unabhängig davon aufgrund weiterer besonderer Umstände im Einzelfall eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, d.h. ein Verstoß gegen Art. 4 GR-Charta bei der Überstellung nach Polen droht, liegen ebenfalls nicht vor. Insbesondere liegen dem Gericht keine Erkenntnisse darüber vor, dass Homosexuelle in Polen im Falle einer Überstellung eine besondere - erniedrigende - Behandlung erfahren. Der Abteilung Flüchtlingsverfahren des polnischen Amtes für Ausländer sind keine Fälle von einer Diskriminierung homosexueller Antragsteller in Polen bekannt (vgl. VG Ansbach, Beschluss vom 19.06.2015 - AN 14 S 15.50134 - zitiert nach ). Soweit vereinzelte Internetartikel existieren, wonach es für homosexuelle Asylbewerber in Polen eine Traumatisierung drohe (z.B. "Nicht ohne meine Freundin" - Abschiebung nach Polen verhindern!" vom 30.05.2014, abrufbar unter http://www.quarteera.de/blog/abschiebungnachpolenverhindern), so sind diese zum Teil nicht aktuell und betreffen daneben Einzelfälle, die nicht das Gewicht haben von einem systemischen Mangel auszugehen. Selbst wenn es zu einem Übergriff der Antragstellerin in Polen wegen ihrer Homosexualität kommen sollte, sieht das Gericht vorliegend keine Anhaltspunkte, dass sich der Antragstellerin nicht jederzeit mithilfe der polnischen Sicherheitsbehörden oder Gerichte zur Wehr setzen könnte (so VG Ansbach, Beschluss vom 19.06.2015 - AN 14 S 15.50134 - zitiert nach unter Bezugnahme auf VG Oldenburg, Beschluss vom 07.08.2013 - 3 A 5172/12 -; VG Kassel, Beschluss vom 26.08.2013 - 4 L 984/13.KS.A - zitiert nach ; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 26.02.2014 - A 3 S 698/13 -).

Nach alldem sind systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen nicht erkennbar.

Durchgreifende rechtliche Bedenken gegen die Abschiebungsanordnung bestehen auch nicht aus anderen Gründen.

Bei Fällen - wie dem vorliegenden -, in denen der Asylbewerber in einen sicheren Drittstaat (§ 26 a AsylVfG) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27 a AsylVfG) abgeschoben werden soll, hat das Bundesamt vor Erlass einer Abschiebungsanordnung nach § 34 a AsylVfG auch zu prüfen, ob Abschiebungsverbote oder Duldungsgründe (§ 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG) vorliegen. Anders als bei der Entscheidung über Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3, 5 und 7 AufenthG im Zusammenhang mit dem Erlass einer Abschiebungsandrohung (vgl. dazu BVerwG, Urteile vom 25.11.1997 - 9 C 58.96 - sowie vom 11.11.1997 - 9 C 13.96 - jeweils zitiert nach ) hat das Bundesamt vor Erlass der Abschiebungsanordnung gegebenenfalls auch der Abschiebung entgegenstehende inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse zu berücksichtigen (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 02.05.2012 - 13 MC 22/12 - zitiert nach ; OVG NRW, Beschluss vom 30.08.2011 - 18 B 1060/11- zitiert nach ).

Ein Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung ist vorliegend nicht glaubhaft gemacht.

Nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist. Grundsätzlich kann eine bevorstehende Eheschließung bzw. die Eintragung einer Lebenspartnerschaft mit einer oder einem Deutschen oder Bleibeberechtigten ein rechtliches Abschiebungshindernis bis zum Vollzug der Eheschließung begründen.

Die beabsichtigte Eheschließung bzw. Eintragung einer Lebenspartnerschaft begründet aber nur dann im Hinblick auf die durch Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 12 EMRK geschützte Eheschließungsfreiheit ein rechtliches Abschiebungshindernis, wenn die Eheschließung unmittelbar bevorsteht (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25.03.2014 - OVG 2 S 18.14 mit Verweis auf Bauer in: Renner/Bergmann/Dienelt, AuslR, 10. Aufl. 2013, § 60a AufenthG Rn. 23; Hailbronner, AuslR, Stand: Februar 2014, § 60a AufenthG Rn. 30). Dies ist nach der Rechtsprechung durch einen zeitnahen Heiratstermin zu belegen (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30.03.2010 - OVG 2 S 15.10/OVG 2 M 7.10 -). Daran fehlt es hier. Die Antragstellerin trägt lediglich pauschal vor, dass die Pläne der Verpartnerung zwischen ihr und ihrer Lebensgefährtin "von beiden nicht fallengelassen worden" seien. Einen konkreten Termin für die Eintragung der Lebenspartnerschaft bei einem deutschen Standesamt legt sie nicht dar. Auch sind keine weiteren Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Eintragung der Lebenspartnerschaft unmittelbar bevorsteht, zumal auch das Bleiberecht in der Bundesrepublik der Lebensgefährtin der Antragstellerin - einer algerischen Staatsangehörigen - bislang nicht abschließend geklärt sein dürfte.

Im Übrigen erscheint der Bescheid der Antragsgegnerin nach summarischer Prüfung ebenfalls rechtmäßig.

Die in Ziffer 3 des angefochtenen Bescheids vom 17. September 2015 ausgesprochene Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 0 Monate ab dem Tag der Abschiebung ist nicht zu beanstanden. Nach §§ 75 Nr. 12 i. V. m. 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG hat das Bundesamt das Einreise- und Aufenthaltsverbot von Amts wegen zu befristen. Hinsichtlich der Länge der Frist ist dem Bundesamt nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG Ermessen eingeräumt. Die Ermessensentscheidungen der Antragsgegnerin kann das Gericht nach § 114 S. 1 VwGO nur eingeschränkt überprüfen. Ermessensfehler sind nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO; 83 b AsylVfG.

Die Anträge auf Gewährung der Prozesskostenhilfe und Beiordnung der Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin für das vorliegende Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes sind abzulehnen, weil die betriebene Rechtsverfolgung aus den dargelegten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne der §§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO, 114 Zivilprozessordnung (ZPO) bietet.

Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben.