Verwaltungsgericht Stade
Beschl. v. 15.10.2015, Az.: 1 B 1605/15

Dublin; Dublin III Verordnung; Mazedonien; Non Refoulement; Serbien; systemische Mängel; Ungarn; Keine systemischen Mängel im ungarischen Asyl und Aufnahmesystem

Bibliographie

Gericht
VG Stade
Datum
15.10.2015
Aktenzeichen
1 B 1605/15
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2015, 30645
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGSTADE:2015:1015.1B1605.15.0A

Fundstelle

  • NdsVBl 2016, 7

[Gründe]

Der Antragsteller, der nach eigenen Angaben aus der Elfenbeinküste stammt, begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Anordnung seiner Abschiebung nach Ungarn durch die Antragsgegnerin.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Prozessbevollmächtigten ist abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg i. S. der §§ 166 VwGO, 114 ZPO hat. Zur näheren Begründung wird auf die nachfolgenden Ausführungen verwiesen. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 166 VwGO, 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO, 83b AsylVfG.

Der Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seiner Klage (1 A 1604/15) gegen die in Ziffer 2 des angefochtenen Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 4. September 2015 ausgesprochene Abschiebungsanordnung nach Ungarn anzuordnen, hat keinen Erfolg. Denn das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung der Abschiebungsanordnung überwiegt das Interesse des Antragstellers, bis zu einer Entscheidung über seine Klage vorerst im Bundesgebiet verbleiben zu dürfen. Die durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge getroffene Anordnung einer Abschiebung des Antragstellers nach Ungarn ist rechtmäßig.

Rechtsgrundlage für die Abschiebungsanordnung ist § 34a Abs. 1 Satz 1 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG). Danach ordnet die Antragsgegnerin die Abschiebung an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Die Abschiebungsanordnung darf als Festsetzung eines Zwangsmittels erst dann ergehen, wenn alle Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Abschiebung nach § 26a oder § 27a AsylVfG i.V. mit § 34a AsylVfG erfüllt sind. Das bedeutet, dass die Antragsgegnerin vor Erlass der Abschiebungsanordnung zu prüfen hat, ob zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse oder der Abschiebung entgegenstehende inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse bestehen, insbesondere ob die Abschiebung in den Dritt- bzw. Mitgliedstaat aus subjektiven, in der Person des Ausländers liegenden und damit vom System der normativen Vergewisserung nicht erfassten Gründen - wenn auch nur vorübergehend - rechtlich oder tatsächlich unmöglich ist (Nds. OVG, Beschluss vom 2. Mai 2012 - 13 MC 22/12 -, ).

Die Abschiebung des Antragstellers ist weder rechtlich unzulässig noch tatsächlich unmöglich. Die Abschiebungsanordnung folgt vorliegend aus § 34a Abs. 1 AsylVfG in Verbindung mit § 27a AsylVfG. Nach § 27a AsylVfG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.

Hier ist aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union Ungarn für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Die Zuständigkeit bestimmt sich vorliegend nach der VO (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (ABl. L 180, 31 - Dublin III-VO). Der Anwendungsbereich dieser Verordnung ist eröffnet. Der Antragsteller hat seinen Antrag auf internationalen Schutz in der Bundesrepublik Deutschland nach dem in Art. 49 Satz 2 VO (EU) Nr. 604/2013 genannten Stichtag gestellt, so dass der zuständige Mitgliedstaat nach dieser Verordnung zu prüfen ist. Nach Art. 3 Abs. 1 VO (EU) Nr. 604/2013 prüfen die Mitgliedstaaten jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates stellt. Art. 2 lit. b VO (EU) Nr. 604/2013 verweist für die Definition des Begriffs "Antrag auf internationalen Schutz" auf Art. 2 lit. h der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie). Danach handelt es sich bei einem "Antrag auf internationalen Schutz" um das Ersuchen eines Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen um Schutz durch einen Mitgliedstaat, wenn davon ausgegangen werden kann, dass der Antragsteller die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder die Gewährung des subsidiären Schutzstatus anstrebt, und wenn er nicht ausdrücklich um eine andere, gesondert zu beantragende Form des Schutzes außerhalb des Anwendungsbereichs dieser Richtlinie ersucht. Einen solchen Antrag stellt der Antrag des Antragstellers vom 10. Juli 2015 dar. Es dürfte sich immer noch um einen Erstantrag im Sinne der Dublin III-VO handeln, weil nach Aktenlage keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der bereits in Ungarn gemäß EURODAC-Treffer HU1C. gestellte Asylantrag des Antragstellers bislang materiell beschieden worden ist.

Art. 3 Abs. 1 Satz 2 VO (EU) Nr. 604/2013 legt fest, dass der Antrag eines Drittstaatsangehörigen von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft wird, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird. Der Antragsteller hat demnach keinen Anspruch auf Prüfung seines Antrags auf internationalen Schutz in einem Mitgliedstaat seiner Wahl.

Der Mitgliedstaat wendet für die Bestimmung der Zuständigkeit die in Kapitel III der VO (EU) Nr. 604/2013 (Art. 7 bis Art. 15) in der in diesem Kapitel aufgeführten Rangordnung an (EuGH, Urteil vom 21.12.2011 - C-411/10 und C-493/10 -, - noch zur Dublin II-VO). Auf die Einhaltung dieser Kriterien durch die Mitgliedstaaten kann sich der Antragsteller im Rahmen seines Rechtsbehelfs nach Art. 27 VO (EU) Nr. 604/2013 bzw. § 34a AsylVfG allerdings nur eingeschränkt berufen. Er kann einer Prüfung durch den zuständigen Mitgliedstaat nur damit entgegentreten, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgesetzt zu werden (EuGH, Urteil vom 10.12.2013 - C 394/12 - Abdullahi -, ).

Die Zuständigkeit Ungarns ist hier aufgrund der Fiktion des Art. 25 Abs. 2 VO (EU) Nr. 604/2013 anzunehmen. Danach ist, wenn innerhalb der Frist von einem Monat oder der Frist von zwei Wochen bei Wiederaufnahmegesuchen aufgrund von EURODAC-Treffern gemäß Absatz 1 keine Antwort erteilt wird, davon auszugehen, dass dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die betreffende Person wieder aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen. Hier hat Ungarn auf das Wiederaufnahmegesuch der Antragsgegnerin vom 17. Juli 2015, welches auf den EURODAC-Treffer HU2D. gestützt war, nicht geantwortet, so dass nach Ablauf der Zwei-Wochen-Frist die Zuständigkeit anzunehmen war. Das Wiederaufnahmegesuch ist auch rechtzeitig i.S. des Art. 23 Abs. 2 VO (EU) Nr. 604/2013 gestellt worden. Ob möglicherweise ein anderer Mitgliedstaat nach den Regelungen der Dublin III-VO vorrangig zuständig gewesen wäre, kann aufgrund der zuständigkeitsbegründenden Fiktion dahinstehen. Denn mit der (fiktiven) Stattgabe des Wiederaufnahmegesuchs ist der Zweck der Zuständigkeitsbestimmung nach der Dublin III-VO erfüllt. Dieser besteht darin, den für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaat zu ermitteln, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft der Antragsteller zu gewährleisten (vgl. BayVGH, Urteil vom 21.5.2015 - 14 B 12.30323 -, ).

Der Antragsteller kann seiner Überstellung nach Ungarn nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass ihm dort im Asylverfahren systematisch eine Verletzung der in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GR-Charta) und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) garantierten Rechte drohen würde. Die Antragsgegnerin ist nicht gehalten, von ihrem Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 VO (EU) Nr. 604/2013 Gebrauch zu machen. Nur wenn systemische Mängel im Zielstaat festgestellt werden können, ist die dem europäischen Asylsystem zugrunde liegende Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der GR-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und dem Protokoll von 1967 sowie der EMRK steht, widerlegt. Einer geplanten Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat mit Blick auf unzureichende Aufnahmebedingungen für Asylbewerber kann also nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen entgegentreten werden. Nicht hingegen kommt es darauf an, ob es unterhalb der Schwelle systemischer Mängel in Einzelfällen zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK kommen kann und ob ein Antragsteller dem in der Vergangenheit schon einmal ausgesetzt war (BVerwG, Beschluss vom 6.6.2014 - 10 B 35/14 -, ).

Derartige systemische Mängel in dem Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen für Asylbewerber können auch unter Berücksichtigung der neuesten verfügbaren Erkenntnismittel zur generellen Situation von Dublin-Rückkehren und unter Berücksichtigung der individuellen Situation des Antragstellers nicht festgestellt werden (keine systemischen Mängel in Ungarn nehmen z.B. an: EGMR, Urteil vom 6.6.2013 - 2283/12 - Mohammed ./. Österreich; Urteil vom 3.7.2014 -71932/12 - Mohammadi ./. Österreich; VG Augsburg, Urteil vom 3.8.2015 - Au 5 K 15.50347 -, ; VG Dresden, Beschluss vom 9.9.2015 - 2 L 719/15.A -, ; VG München, Beschluss vom 20.5.2015 - M 1 S 14.50568 u.a. -, ; VG Würzburg, Beschluss vom 18.5.2015 - W 6 S 15.50104 -, ; VG Düsseldorf, Beschluss vom 11.5.2015 - 22 L 1329/15.A -, ; VG Stade, Beschluss vom 14. Juli 2014 - 1 B 862/14 -, ).

Mit Blick auf die Situation des Antragstellers ist vor allem die Behandlung von Dublin-Rückkehrern durch die ungarischen Behörden zu würdigen. Die Einzelrichterin geht aufgrund der Stellungnahme des UNHCR gegenüber dem Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 (im Folgenden: Stellungnahme UNHCR), S. 2, und der Stellungnahme von Pro Asyl, Bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge e.V., gegenüber dem Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 (im Folgenden: Stellungnahme Pro Asyl), S. 2, davon aus, dass der Antragsteller als Dublin-Rückkehrer mit einiger Wahrscheinlichkeit bei seiner Rückkehr nach Ungarn in Haft kommen würde. Dieser Umstand begründet allerdings keinen systemischen Mangel des ungarischen Asylsystems im oben genannten Sinne. Der Antragsteller läuft nicht Gefahr, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung bzw. der Folter ausgesetzt zu werden.

Artikel 4 GR-Charta sowie Artikel 3 EMRK normieren das Verbot der Folter und unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung. Eine Behandlung ist "unmenschlich", wenn sie vorsätzlich und ohne Unterbrechung über Stunden zugefügt wurde und entweder körperliche Verletzungen oder intensives physisches oder psychisches Leid verursacht hat. "Erniedrigend" ist eine Behandlung, wenn sie eine Person demütigt oder erniedrigt, es an Achtung für ihre Menschenwürde fehlen lässt oder sie herabsetzt oder in ihr Gefühle der Angst, Beklemmung oder Unterlegenheit erweckt, geeignet, den moralischen oder körperlichen Widerstand zu brechen. Es kann ausreichen, dass ein Opfer in seinen Augen erniedrigt ist, auch wenn andere das nicht so sehen. Ob Zweck der Behandlung war, das Opfer zu erniedrigen oder zu demütigen, ist zu berücksichtigen, aber auch wenn das nicht gewollt war, schließt das die Feststellung einer Verletzung von Artikel 3 EMRK nicht zwingend aus (EGMR, Urteil vom 21.1.2011 - 30696/09 -, NVwZ 2011, 413, 414).

Die Inhaftierung von Dublin-Rückkehrern stellt eine solche Behandlung nicht dar. Gemäß Art. 28 Abs. 1, 4 VO (EU) Nr. 604/2013 i.V. mit Art. 8 der Richtlinie 2013/33/EU (Aufnahmerichtlinie) nehmen die Mitgliedstaaten eine Person nicht allein deshalb in Haft, weil sie durch diese Verordnung festgelegten Verfahren unterliegt. Art. 8 Richtlinie 2013/33/EU regelt jedoch, dass ein Antragsteller insbesondere dann ausnahmsweise in Haft genommen werden darf, um seine Identität und Staatsangehörigkeit zu überprüfen (Abs. 3a) und wenn Fluchtgefahr besteht (Abs. 3b). Diese Haftgründe kennt auch das ungarische nationale Recht in § 31/A des Asylgesetzes (Stellungnahme Pro Asyl, S. 3; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 19.11.2014, Az. 508-9-516.80/48135 - im Folgenden Auskunft AA - zu Frage 4). Daran gemessen überschreitet die Inhaftierung von Dublin-Rückkehrern nicht systematisch die Grenzen des europäischen Rechts. Denn es erscheint nicht willkürlich, sondern naheliegend, wenn die ungarischen Behörden für Dublin-Rückkehrer, die bereits einmal in einem laufenden Asylverfahren Ungarn verlassen haben, eine Fluchtgefahr annehmen.

Hinweise darauf, dass die nach Art. 8 Abs. 2 Richtlinie 2013/33/EU erforderliche Einzelfallprüfung der Haftanordnung grundsätzlich nicht erfolgt, liegen nicht vor. Vielmehr stellen die neueren Berichte ausdrücklich klar, dass besonders schutzbedürftige Dublin-Rückkehrer regelmäßig nicht inhaftiert werden (Stellungnahme Pro Asyl, S. 8, Stellungnahme UNHCR, S. 6). Daraus schließt die Einzelrichterin, dass eine Einzelfallprüfung der Haftanordnung auch in Ungarn erfolgt. Dem steht es nicht entgegen, wenn Haftanordnungen regelmäßig schematisch erfolgen und eine auf den konkreten Einzelfall bezogene Argumentation unter Abwägung der Rechts- bzw. Verhältnismäßigkeit in der Regel nicht stattfindet (vgl. Stellungnahme Pro Asyl, S. 8 f.). Vielmehr erscheint es nachvollziehbar, dass Haftanordnungen bei vergleichbarer Sachlage größtenteils inhaltlich identisch aussehen und von einer individuellen Begründung absehen (vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 11.5.2015 - 22 L 1329/15.A -, ).

Die Inhaftierung von Dublin-Rückkehrern stellt keine willkürliche Freiheitsberaubung ohne Rechtsschutzmöglichkeiten dar. Die ungarische Asylhaft steht nicht im Widerspruch zu den europäischen Vorgaben, namentlich zu Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 2013/33 EU. Hiernach wird ein Antragsteller für den kürzest möglichen Zeitraum und nur so lange in Haft genommen, wie ein Haftgrund vorliegt. Es erscheint nicht grundsätzlich unvertretbar, bei Dublin-Rückkehrern anzunehmen, dass der Haftgrund der Fluchtgefahr fortlaufend gegeben ist. Die ungarische Praxis, die Asylhaft regelmäßig und teilweise auch bis zur Höchstdauer von sechs Monaten um 60 Tage zu verlängern (vgl. Stellungnahme UNHCR, S. 2; Stellungnahme Pro Asyl, S. 2), ist vor diesem Hintergrund nicht zu beanstanden. Auch dafür, dass in Ungarn der in Art. 9 Abs. 3 Richtlinie 2013/33 EU ausgeformte europäische Mindeststandard eines effektiven Rechtsschutzes gegen die Haftanordnung unterschritten wird, bestehen keine belastbaren Anhaltspunkte. Nach Art. 9 Abs. 3 Satz 1 und 2 Richtlinie 2013/33 EU sorgen die Mitgliedstaaten von Amts wegen und/oder auf Antrag des Antragstellers für eine zügige gerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Inhaftnahme, wenn die Haft von einer Verwaltungsbehörde angeordnet wird. Findet eine derartige Überprüfung von Amts wegen statt, so wird so schnell wie möglich nach Beginn der Haft entschieden. Ungarn hat sich für eine Haftprüfung von Amts wegen entschieden, die erstmalig nach 72 Stunden, dann im 60-Tage-Intervall erfolgt (Stellungnahme Pro Asyl, S. 9). Es ist nicht erkennbar, dass dieses System grundsätzlich den europäischen Vorgaben zuwiderläuft. Zudem hält das ungarische Rechtssystem offenbar Mechanismen auf verfassungsrechtlicher Ebene bereit, um die Praxis der Asylhaftprüfung zu verbessern (zu den Leitlinien des ungarischen Verfassungsgerichts in dieser Sache s. die Stellungnahme UNHCR, S. 7; auch Hungarian Helsinki Committe, Information Note on Asylum Seekers in Detention and in Dublin-Procedures in Hungary, May 2014, S. 14). Auch gibt es Alternativen zur Asylhaft, regelmäßig in Form der Kaution in Verbindung mit Meldeauflagen (Stellungnahme UNHCR, S. 9; Auskunft AA zu Frage 10).

Die Haftbedingungen in Ungarn überschreiten nicht die Grenze zur systemisch angelegten willkürlichen und erniedrigenden Behandlung bzw. Folter im oben genannten Sinne. Art. 3 EMRK verpflichtet die Staaten, sich zu vergewissern, dass die Bedingungen der Haft mit der Achtung der Menschenwürde vereinbar sind und dass Art und Methode des Vollzugs der Maßnahme den Gefangenen nicht Leid oder Härten unterwirft, die das mit einer Haft unvermeidbar verbundene Maß an Leiden übersteigt, und dass seine Gesundheit und sein Wohlbefinden unter Berücksichtigung der praktischen Bedürfnisse der Haft angemessen sichergestellt sind (EGMR, Urteil vom 21.1.2011 - 30696/09 -, NVwZ 2011, 413, 414). Zwar ist den vorliegenden Stellungnahmen zu entnehmen, dass die Haftbedingungen insbesondere mit Blick auf die hygienischen Standards verbesserungswürdig sind (Stellungnahme UNHCR, S. 3; Stellungnahme Pro Asyl S. 3 f.). Allerdings sind die Aussagen hierzu eher allgemein oder betreffen nur punktuelle Missstände. Eine medizinische Grundversorgung ist in den Haftanstalten vorhanden (Stellungnahme UNHCR, S. 4; EASO, Description of the Hungarian asylum system, S. 13 - https://easo.europa.eu/wp-content/uploads/Description-of-the-Hungarian-asylum-system-18-May-final.pdf). Dass diese von so schlechter Qualität sei, dass ein systemischer Mangel angenommen werden müsste, ist den Berichten nicht zu entnehmen. Auch kann ein solcher Mangel nicht darin erkannt werden, dass Arztbesuche außerhalb der Haftanstalten gefesselt ("use of leashes and handcuffs") durchgeführt werden (Stellungnahme Pro Asyl, S. 5; Stellungnahme UNHCR, S. 3; vgl. auch ECRI Report on Hungary vom 9.6.2015, S. 32 - http://www.coe.int/t/dghl/monitoring/ ecri/Country-by-country/Hungary/HUN-CbC-V-2015-19-ENG.pdf). Dies dürfte dem Haftgrund der Fluchtgefahr geschuldet sein und belegt immerhin, dass eine medizinische Versorgung auch außerhalb der Haftanstalten durchgeführt wird. Innerhalb der Haftanstalten herrscht Bewegungsfreiheit zwischen 6:00 und 23:00 Uhr (Stellungnahme Pro Asyl, S. 4). In einigen Aufnahmeeinrichtungen wird psychologische Betreuung durch Spezialisten und Psychologen der Cordelia Stiftung (vgl. www.cordelia.hu; dazu bereits bordermonitoring.eu e.V., Ungarn: Flüchtlinge zwischen Haft und Obdachlosigkeit, Aktualisierung und Ergänzung des Berichts vom März 2012, Oktober 2013, S. 21) gewährt. Wenn der Mitgliedsstaat Ungarn vorab unterrichtet wird, dass der Zurückzuführende behandlungsbedürftig oder selbstmordgefährdet ist bzw. damit gedroht hat sich umzubringen, unterrichtet die Dublin-Koordinationseinheit die Behörden, die den Zurückzuführenden übernehmen, so dass entsprechende Vorkehrungen getroffen werden, dass der Zurückzuführende ärztlicherseits in Empfang genommen wird und auch in Folge die nötige Behandlung und Aufsicht erfährt (Auskunft AA zu Fragen 7 und 8). Die Inhaftierten haben Zugang zu Rechtsberatung; Nichtregierungsorganisationen haben nach Anmeldung Zugang zu den Haftanstalten (Stellungnahme Pro Asyl, S. 4 f.; Stellungnahme UNHCR, S. 4).

Auch die ansteigenden Flüchtlingszahlen (hierzu Hungarian Helsinki Committe, Media information note vom 4. März 2015) lassen nicht darauf schließen, dass die Haftbedingungen sich wegen Überfüllung in einer Art und Weise verschlechtert haben, dass ein systemischer Mangel anzunehmen wäre. Die Asylhaft betrifft ganz überwiegend Dublin-Rückkehrer (vgl. Hungarian Helsinki Committe, Information Note on Asylum Seekers in Detention and in Dublin-Procedures in Hungary, May 2015, S. 4). Aufgrund von Erkenntnissen in anderen Dublin-Verfahren geht die Einzelrichterin davon aus, dass Ungarn bei der Durchführung von Dublin-Überstellungen darauf achtet, dass auch Kapazitäten vorhanden sind. Eine konkrete Gefahr, dass Dublin-Rückkehrer von den ungarischen Behörden nach ihrer Überstellung tatsächlich nicht aufgenommen werden können, ist dadurch nicht gegeben. Gerichtsbekannt ist ein Vermerk des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF-Az.:5874532-438), wonach die ungarische Dublin Unit den Mitgliedstaaten mitgeteilt hat, dass bis einschließlich 9. Juni 2015 grundsätzlich keine Überstellungen durchgeführt werden können, da die Kapazitäten erschöpft seien. Nach einer gerichtsbekannten Mitteilung eines Mitarbeiters des Bundesamts ist diese Regelung im Grundsatz bis zum 6. Oktober 2015 verlängert worden. Über weitere Verlängerung ist nichts gerichtsbekannt. Jedenfalls können Überstellungen an Tagen mit freien Kapazitäten durchgeführt werden. Im Übrigen ist aus anderen Verfahren gerichtsbekannt, dass Überstellungen ausschließlich in Absprache mit den ungarischen Behörden durchgeführt werden.

Ein systemischer Mangel folgt nicht daraus, dass die Bundesrepublik Deutschland sich kürzlich dazu bereit erklärt hat, die Erstaufnahme von Flüchtlingen aus Ungarn teil- bzw. phasenweise durchzuführen. Dies stellt eine politische Entscheidung dar, die vor allem dem besonderen Flüchtlingsaufkommen in Ungarn und den dadurch entstehenden Engpässen geschuldet ist.

Soweit in Ungarn am 1. August 2015 ein Gesetz in Kraft getreten ist, welches die Rechte von Asylsuchenden (nochmals) einschränkt, führt dieser Umstand nicht zu einer systematisch drohenden Verletzung der Rechte des Antragstellers. Auch angesichts dieser Verschärfungen sind Empfehlungen des UNHCR, die einen Überstellungsstopp nach Ungarn fordern, nicht bekannt. Dem Fehlen einer solchen generellen Empfehlung des UNHCR kommt insoweit besondere Bedeutung zu. Denn die vom Amt des UNHCR herausgegebenen Dokumente sind im Rahmen der Beurteilung der Funktionsfähigkeit des Asylsystems in einem Mitgliedstaat angesichts der Rolle, die dem UNHCR durch die - bei der Auslegung des unionsrechtlichen Asylverfahrensrechts zu beachtende - Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden ist, besonders relevant (so auch VG Düsseldorf, Beschluss vom 11.5.2015 - 22 L 1329/15.A -, ). Derzeit beobachtet der UNHCR die Situation in Ungarn zwar kritisch, geht aber offenbar nicht davon aus, dass die neuen gesetzlichen Regelungen als solche einen Verstoß gegen internationales und europäisches Recht darstellen. Denn dort wird lediglich dazu aufgerufen, die Umsetzung des neuen Rechtsregimes und die Abschiebung nicht schutzbedürftiger Personen in Einklang mit den internationalen und europäischen Vorgaben sicherzustellen (s. Statement by Vincent Cochetel, UNHCR's Regional Refugee Coordinator for the Refugee Crisis in Europe vom 8.9.2015 - http://www.unhcr.org/55ef16616.html).

Die materielle Verschärfung des Asylrechts insbesondere dergestalt, dass Asylanträge abgelehnt werden dürfen, wenn Asylsuchende über sichere Transitstaaten (Serbien) eingereist sind, führt nicht per se zum Vorliegen systemischer Mängel. Auch das deutsche Asylrecht kennt derartige einschränkende Bestimmungen, vgl. § 26a AsylVfG (VG Augsburg, Urteil vom 3.8.2015 - Au 5 K 15.50347 -, ).

Selbst wenn für den Antragsteller bei einer Rücküberstellung nach Ungarn die Gefahr einer Abschiebung nach Serbien drohen sollte, begründet dieser Umstand keinen systemischen Mangel des ungarischen Asyl- und Aufnahmesystems, auch nicht unter dem Aspekt des sogenannten Non-Refoulement-Gebots (Art. 33 GFK). Einem neueren Bericht über Serbien lässt sich entnehmen, dass es dort in der jüngeren und jüngsten Vergangenheit zu deutlichen Verbesserungen im Asyl- und Aufnahmesystem gekommen ist. Es wird Bezug genommen auf den aktuellen Bericht von Amnesty International, Europe's Borderlands: Violations against refugees and migrants in Macedonia, Serbia and Hungary vom 6. Juli 2015, Index number: EUR 70/1579/2015 (https://www.amnesty.org/en/documents/eur70/1579/2015/en/). Problematisch ist immer noch, dass die Bearbeitung von Antragsverfahren viel Zeit in Anspruch nimmt. Allerdings ist die langsame Asylbürokratie maßgeblich darauf zurückzuführen, dass Serbien bislang fast ausschließlich ein Transitland für Flüchtlinge auf dem Weg nach Westeuropa ist (vgl. S. 37). Asylbewerber werden dort in Aufnahmezentren untergebracht; Asylanträge werden - wenn auch teilweise langsam - bearbeitet und inhaltlich geprüft. Auch mit Blick auf die serbische sichere Drittstaatsregelung lässt sich eine ernsthafte Gefahr für Rechte des Antragstellers nicht erkennen, zumal sich dem genannten Bericht entnehmen lässt, dass auch Flüchtlinge, die über Mazedonien eingereist sind, in Serbien offenbar einen Schutzstatus erhalten können (vgl. grauer Kasten auf S. 41).

Systemische Mängel des ungarischen Asylsystems ergeben sich auch nicht aus den aktuellen Presseberichten. Sofern dort über den Bau eines Grenzzaunes zu Serbien und die Schließung des Aufnahmelagers in Röszke berichtet wird, betrifft dies die Situation des Antragstellers als Dublin-Rückkehrer nicht. Insofern kommt auch der Kritik des UNHCR an dem Grenzzaun (dazu http://www.unhcr.org/559641846.html vom 3. Juli 2015) für den vorliegenden Fall keine maßgebliche Bedeutung zu. Das Gericht vermag auch angesichts der neuesten Entwicklungen nicht zu erkennen, dass dem Antragsteller bei seiner Abschiebung nach Ungarn im Asylverfahren systematisch eine Verletzung der in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GR-Charta) und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) garantierten Rechte drohen würde. Eine solche Drohung ergibt sich nicht alleine daraus, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eine einstweilige Anordnung betreffend einen syrischen Staatsangehörigen, der von Österreich nach Ungarn überstellt werden sollte, erlassen hat (dazu http://ungarn.bordermonitoring.eu/2015/09/16/egmr-setzt-abschiebung-von-oesterreich-nach-ungarn-aus/). Denn es ist nichts dazu bekannt, aus welchen Gründen diese einstweilige Anordnung ergangen ist. Davon, dass der EGMR generell von systemischen Mängeln des ungarischen Asylsystems ausgeht, kann allein aufgrund eines solchen Presseberichts nicht ausgegangen werden.

Daraus, dass der Österreichische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 8. September 2015 (Aktenzeichen Ra 2015/18/0113 bis 0120, abrufbar unter https://www.vwgh.gv.at/medien/ra_2015180113.pdf?529d19) die Überstellung einer alleinerziehenden Mutter mit mehreren minderjährigen Kindern vorläufig angehalten hat, ergibt sich ebenfalls keine Vermutung von systemischen Mängeln im ungarischen Asyl- und Aufnahmesystem. Der Begründung des Beschlusses des Österreichischen VwGH ist zu entnehmen, dass die Überstellung zum einen angesichts der besonders vulnerablen Lage der Betroffenen und zum anderen aufgrund von Begründungsmängeln der Vorinstanz angehalten wurde. Zur Frage des Vorliegens systemischer Mängel in Ungarn wurde hingegen keine Stellung genommen. Nur der Vollständigkeit halber wird darauf hingewiesen, dass der Antragsteller als allein reisender, gesunder Mann nicht zu einer besonders verwundbaren Personengruppe gehört.

Eine dauerhafte Unmöglichkeit der Überstellung i.S. des § 34a AsylVfG ist vorliegend nicht anzunehmen. Sie geht auch nicht aus den gerichtsbekannten Informationen zum grundsätzlichen Überstellungsstopp von Dublin-Rückkehrern (s.o.) hervor. Hierbei handelt es sich nach der Einschätzung der Einzelrichterin um Einzelheiten des Überstellungsverfahrens, die - wie vor jeder Überstellung üblich - konkret mit den Behörden vor Ort abzuklären sind. Ein absoluter und unabsehbarer Stillstand sämtlicher Überstellungsaktivitäten nach Ungarn ist nicht gegeben. Dies legen die gerichtsbekannten Informationen des Bundesamtes nahe, weil dort auch geschildert wird, dass eine beschleunigte Überstellung bei sonst drohendem Ablauf der Überstellungsfrist angestrebt wird. Gerichtsbekannt ist weiter, dass Überstellungen nach Ungarn - wenn auch in geringem Umfang - weiterhin tatsächlich stattfinden.

Die individuelle Situation des Antragstellers gibt keinen Anlass, von seiner Überstellung nach Ungarn abzusehen. Inlandsbezogene Abschiebungshindernisse, die die Antragsgegnerin im Verfahren nach § 34a AsylVfG selbst zu berücksichtigen hätte, sind nicht erkennbar.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO; 83 b AsylVfG.