Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 02.03.2010, Az.: L 14 U 83/08
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 02.03.2010
- Aktenzeichen
- L 14 U 83/08
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2010, 47910
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG - 07.03.2008 - AZ: S 7 U 237/06
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Oldenburg vom 7. März 2008 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Erhebung eines Beitragszuschlags wegen entstandener Aufwendungen für Arbeitsunfälle im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung streitig.
Die Klägerin betreibt in G. ein Bauunternehmen und ist Mitglied bei der Beklagten. Mit Beitragsbescheid vom 18. April 2005 erhob die Bau-Berufsgenossenschaft (Bau-BG) Hannover als Rechtsvorgängerin der Beklagten für das Jahr 2004 neben dem vorliegend unstreitigen Beitrag (148.996,60 €) einen Beitragszuschlag in Höhe von 33.032,55 €.
Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein und führte, nachdem sie von der Beklagten eine Auflistung der dem Zuschlag zugrunde liegenden (28) Arbeitsunfälle der Jahre 2003 und 2004 und der dazu im Jahr 2004 entstandenen Aufwendungen erhalten hatte, zu dessen Begründung aus, dass die dem Beitragszuschlag zugrunde liegende Regelung des § 28 der Satzung der Bau-BG Hannover vom 25. Juni 1997 in der Fassung vom 25. Juni 1998 und des achten Nachtrags vom 3. Dezember 2003, wonach unter Berücksichtigung der Aufwendungen für anzuzeigende Versicherungsfälle Beitragszuschläge auferlegt werden können, rechts- und verfassungswidrig sei. Der Zweck der Regelung, nämlich die betriebliche Unfallverhütung, werde verfehlt, wenn Zuschläge erhoben würden, obgleich ein Betrieb vorschriftsmäßig handele, sich um Unfallverhütung bemühe und Arbeitsunfälle allein auf das Verschulden der Arbeitnehmer oder Dritter zurückzuführen seien. So sei es bei dem nach der o. g. Auflistung mit einer Unfallbelastung von 36.106,91 € kostenträchtigsten Arbeitsunfall vom 22. Oktober 2003 gewesen, bei dem ihr Arbeitnehmer Dirk H. allein aus eigener Unachtsamkeit von einer Leiter gefallen sei. Werde ein Beitragszuschlag ohne Nachweis eines Verschuldens des beitragspflichtigen Unternehmers erhoben, so stelle dies eine verfassungswidrige Einschränkung der Berufsausübungsfreiheit nach Art. 12 des Grundgesetzes (GG) dar. Durch das Zuschlagsverfahren würden Betriebe, die bereits solidarisch Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung zahlten, in ungerechtfertigter Weise doppelt belastet. Die Zuschläge für Unternehmen mit einer hohen Gefahrklasse fielen zudem unter Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 GG unverhältnismäßig hoch aus. Unverhältnismäßig sei auch, dass ein Zuschlag nach § 30 Abs. 3 der Satzung mit bis zu 30% des Beitrags erhoben werden könne. Schließlich seien in der Auflistung der seitens der Beklagten zugrunde gelegten Arbeitsunfälle auch solche, die gar nicht meldepflichtig gewesen seien.
Nach entsprechendem Nachweis nicht meldepflichtiger Arbeitsunfälle verminderte die Beklagte mit Abhilfebescheid vom 23. Mai 2006 den Beitragszuschlag um 420,20 €. Soweit der Widerspruch seitens der Klägerin aufrecht erhalten wurde, wies die Beklagte diesen mit Widerspruchsbescheid vom 28. September 2006 als unbegründet zurück. Zur Begründung bezog sie sich auf die einschlägige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), laut dem Beitragszuschläge, wie sie auch die Beklagte aufgrund ihrer Satzung erhebe, grundsätzlich nicht gegen höherrangiges Recht verstießen und nicht an tatsächliche Entschädigungsleistungen der Berufsgenossenschaften für Arbeitsunfälle gebunden seien.
Die Klägerin hat am 10. November 2006 beim Sozialgericht (SG) Oldenburg Klage erhoben und zur Begründung ihren Vortrag aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt.
Die Beklagte hat die angefochtenen Bescheide verteidigt.
Mit Gerichtsbescheid vom 7. März 2008 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass bei der Frage der Beitragszuschläge, die zur Einhaltung der Unfallverhütungsvorschriften und einem nachweisbaren Rückgang von Arbeitsunfällen geführt hätten, ein Verschulden für zugrundeliegende Arbeitsunfälle nicht zu prüfen sei. Lediglich durch Betriebsfremde verursachte Unfälle seien nicht zu berücksichtigen.
Die Klägerin hat gegen den ihr am 14. März 2008 zugestellten Gerichtsbescheid am 11. April 2008 beim Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen Berufung eingelegt. Sie macht (erstmals mit Schriftsatz vom 21. Januar 2010) unter Angabe von Einzelfällen geltend, dass auch der Teilabhilfebescheid vom 23. Mai 2006 noch Arbeitsunfälle berücksichtige, die geringfügig bzw. nicht meldepflichtig gewesen seien oder sich nicht im Jahr 2004 ereignet hätten. In anderen Fällen sei eine Kostenzuordnung für das Jahr 2004 nicht nachvollziehbar. Zu berücksichtigen sei, dass die Beklagte in einigen Fällen von Dritten Regressbeträge erhalten und diese nicht von ihren Aufwendungen in Abzug gebracht habe. Zu beanstanden sei schließlich, dass die Satzung nur Beitragszuschläge und keine Nachlässe für Jahre ohne Versicherungsunfälle vorsehe.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Oldenburg vom 7. März 2008 sowie die Bescheide der Beklagten vom 18. April 2005 und 23. Mai 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. September 2006 und den Bescheid vom 15. Februar 2010 insoweit aufzuheben als mit ihnen ein Beitragszuschlag für 2004 in Höhe von 31.836,13 € erhoben wurde.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hat eine Stellungnahme ihrer Leistungsabteilung vom 11. Februar 2010 mit Aufstellungen der Buchungen für 2004 und den Auszügen aus Unfallakten vorgelegt und nach erfolgter Nachprüfung der einzelnen von der Klägerin mit Schriftsatz vom 12. Januar 2010 beanstandeten Arbeitsunfälle den Beitragszuschlag für das Jahr 2004 mit Änderungsbescheid vom 15. Februar 2010 um weitere 69,02 € vermindert. Weitere fünf auf ihrer Liste der Unfallbelastung des Jahres 2004 vom 25. August 2005 aufgeführte Arbeitsunfälle (Nr. 10, 13, 17, 18 und 22) seien entgegen der Ansicht der Beklagten meldepflichtig im Sinne von § 193 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) i. V. m. § 22 Abs. 1 der Satzung der Beklagen (Tod von Versicherten oder zu Arbeitsunfähigkeit von mehr als drei Tage führende Verletzung) und daher gem. § 28 der Satzung zu berücksichtigen. Soweit die Klägerin die Berücksichtigung von im Jahr 2003 eingetretenen Unfällen (Nr. 5, 20, 23, 27 und 28 der o. g. Liste) rüge, sei § 28 Abs. 6 der Satzung zu berücksichtigen, wonach Aufwendungen die im Umlagejahr (vorliegend 2004) gezahlten Sach- und Geldleistungen für Versicherungsfälle seien, die erstmals im Umlagejahr und im davorliegenden Jahr gemeldet worden seien. Maßgeblich sei somit, wann die Kosten gezahlt worden seien. Den der Stellungnahme der Leistungsabteilung beigefügten Aufstellungen sei zu entnehmen, dass entsprechende Zahlungen durch die Beklagte im Jahr 2004 aufgrund der eingetretenen Arbeitsunfälle geleistet worden seien. Soweit die Klägerin rüge, dass die Beklagte in einigen Fällen von Dritten erhaltene Regressbeträge nicht in Abzug gebracht habe, sei dieser Vortrag nicht substanziiert.
Der Senat hat die Entscheidung über die Berufung mit Beschluss vom 18. Juni 2008 gem. § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf den Berichterstatter übertragen.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten erwiesen, die dem Gericht vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegte Berufung ist statthaft (§ 143 SGG). Sie ist jedoch nicht begründet.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die von der Klägerin angefochtenen Bescheide der Beklagten über die Auferlegung eines Beitragszuschlags in Höhe von letztlich noch 31.836,13 € für das Jahr 2004 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Die Beklagte hat in ihrem Widerspruchsbescheid vom 28. September 2006 rechtlich in jeder Hinsicht zutreffend und unter ausführlicher Darlegung der einschlägigen Rechtsprechung des BSG, insbesondere dessen Urteil vom 16. November 2005 (B 2 U 15/04 R) dargelegt, warum die von ihr dem streitgegenständlichen Beitragszuschlag zugrunde gelegte Satzung weder gesetzes- noch verfassungswidrig ist. Der Senat folgt dem und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen gem. § 136 Abs. 3 SGG hierauf.
Mit Blick auf den Vortrag des Klägers im Berufungsverfahren ist ergänzend lediglich auf Folgendes hinzuweisen: Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass die Bau-BG Hannover in ihrer Satzung für das Jahr 2004 ein reines Beitragszuschlagsverfahren festgelegt hat. Abgesehen davon, dass ein der Klägerin zu gewährender Beitragsnachlass vorliegend überhaupt nicht in Betracht kommt, ermöglicht § 162 SGB VII nach seinem Wortlaut durch das Wort "oder" sowohl ein reines Beitragsnachlass- als auch ein reines Beitragszuschlagsverfahren wie auch eine Kombination von beidem (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 22. August 2005, - L 2 U 39/04 -; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 9. Januar 2006, - L 3 U 58/04; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 19. Dezember 2007 - L 17 U 128/07 -; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15. Oktober 2009 - L 6 U 1859/08 - m. w. N., Juris; Ricke in: Kasseler Kommentar, SGB VII, § 162 Rn. 8). Eine solche Auslegung entspricht auch dem Zweck des § 162 SGB VII, wie er dem gesetzgeberischen Willen zu entnehmen ist. Der Gesetzgeber hatte zur Begründung der im Wesentlichen inhaltsgleichen Vorgängervorschrift des § 725 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) ausgeführt, dass die Selbstverwaltung bisher von der Möglichkeit, Beitragzuschläge zu erheben und Nachlässe zu geben, zu wenig Gebrauch gemacht habe und das Gesetz diesbezüglich daher künftig eine die gesetzlichen Berufsgenossenschaften als Satzungsgeber verpflichtende Regelung enthalte (Bundestagsdrucksache IV/938 S. 23 ff.). In der Ausgestaltung des Verfahrens sei der Satzungsgeber jedoch völlig frei. Der gesetzgeberische Wille hatte hiernach ersichtlich die Förderung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes durch wie auch immer geartete Beitragsanreize zum Ziel. Dieses Ziel wird durch Beitragszuschläge, die durch Verminderung des Umlagesolls einen sinkenden "Beitragsfuß" und letztlich geringere Normalbeiträge für alle Mitgliedsunternehmen zur Folge haben, erreicht. Dass eventuell die Gewährung von Beitragsnachlässen die Mitgliedsunternehmen zu noch größeren Anstrengungen bei Präventionsmaßnahmen zur Verhütung von Arbeitsunfällen anhalten können, als dies bei einem reinen Beitragszuschlagsverfahren der Fall ist, ist eine Frage der Zweckmäßigkeit, die nach § 162 SGB VII ausdrücklich der weiten Gestaltungsfreiheit des Satzungsgebers unterfällt und einer gerichtlichen Prüfung nicht zugänglich ist.
Die Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Beitragszuschlags wird auch durch der Beklagten hinsichtlich der Aufwendungen für die Arbeitsunfälle im Betrieb der Klägerin eventuell zustehende Regressansprüche gegen Dritte nicht berührt. Zum Einen ist nicht vorgetragen und auch nicht anderweitig ersichtlich, dass der Beklagten derartige Ansprüche überhaupt zustehen und zu welchem Zeitpunkt ihr diesbezüglich ggf. Zahlungen zufließen könnten. Zum Anderen ist davon auszugehen, dass derartige etwaige Rückflüsse den Mitgliedsunternehmen durch Beitragssenkungen wieder zugute kämen, sodass eine doppelte Liquidation von Aufwendungen für Arbeitsunfälle durch die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung nicht in Betracht kommt.
Soweit die Klägerin im Rahmen ihrer Berufungsbegründung die Meldepflichtigkeit einzelner für den streitgegenständlichen Beitragszuschlag herangezogener Versicherungsfälle bezweifelt und darüber hinaus bestritten hat, dass der Beklagten im Kalenderjahr 2004 die von ihr dem Beitragszuschlag zugrunde gelegten Unfallbelastungen tatsächlich entstanden seien, hat sie diesen Vortrag nach entsprechender Darlegung der Aufwendungen im Einzelnen durch Stellungnahmen/Auflistungen der Leistungsabteilung der Beklagten mit Kopien über Durchgangsarztberichte und Buchungsaufstellungen über im Einzelnen geleistete Zahlungen nicht aufrechterhalten. Der Senat hat hiernach keinen Anlass, an der Korrektheit der dem Beitragszuschlag für das Jahr 2004 letztlich zugrunde gelegten Arbeitsunfälle und der hierfür angefallenen Belastungen zu zweifeln.
Nach allem war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183 Satz 2, 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung.
Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, und der Senat weicht nicht von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts ab.