Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 23.05.2012, Az.: 2 K 250/11

Möglichkeit eines Antrags auf Günstigerprüfung i.S.d. § 32d Abs. 6 EStG nach Bestandskraft des Einkommensteuerbescheides

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
23.05.2012
Aktenzeichen
2 K 250/11
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2012, 36095
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2012:0523.2K250.11.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BFH - 12.05.2015 - AZ: VIII R 14/13

Fundstellen

  • DStR 2013, 6
  • DStRE 2013, 857-858
  • NWB 2013, 979
  • NWB direkt 2013, 300
  • StBW 2013, 438
  • StX 2013, 230-231

Tatbestand

1

Streitig ist, ob nach Bestandskraft des Einkommensteuerbescheides für das Jahr 2010 ein Antrag auf Günstigerprüfung im Sinne des § 32 Abs. 6 Einkommensteuergesetz (EStG) gestellt werden kann und somit nachträglich die einbehaltene Abgeltungssteuer zuzüglich Solidaritätszuschlag steuermindernd zu berücksichtigen ist.

2

Die Klägerin erzielte im Streitjahr 2010 als Mini-Jobberin Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 16.765 EUR. Daneben erhielt sie nach ihrem verstorbenen Ehemann eine Leibrente in Höhe von 2.432 EUR. In der am 27. Januar 2011 beim Finanzamt eingegangenen Einkommensteuererklärung gab die Klägerin Einkünfte aus Kapitalvermögen nicht an. Die Einkommensteuererklärung wurde gefertigt von der Vereinigten X. Aufgrund der Einkommensteuererklärung ermittelte das Finanzamt ein zu versteuerndes Einkommen in Höhe von 7.849 EUR und daraus resultierend eine Einkommensteuer von 0,00 EUR. Der Einkommensteuerbescheid vom 3. März 2011 wurde bestandskräftig.

3

Mit Schreiben vom 12. Mai 2011, Eingang beim Finanzamt am 25. Mai 2011, beantragte die Klägerin unter Vorlage einer Steuerbescheinigung der K über die Kapitalerträge sowie anrechenbare Abzugsbeträge die Verrechnung der Abzugsbeträge mit der persönlichen Einkommensteuer. Die Bescheinigung der K (Bl. 17 der Einkommensteuerheftung) trägt das Datum vom 20. August 2010. Die Bescheinigung ist ausdrücklich als Steuerbescheinigung bezeichnet. Bestätigt wurde darin, dass Kapitalerträge im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 2 EStG in Höhe von 1.523,72 EUR im Jahr 2010 ausgezahlt wurden. Die Kapitalertragssteuer wurde in Höhe von 380,93 EUR ausgewiesen, der Solidaritätszuschlag mit 20,95 EUR. In der Steuerbescheinigung findet sich weiter der Hinweis, dass die Höhe des in Anspruch genommenen Sparerpauschbetrages 0,00 EUR beträgt.

4

Der Beklagte lehnte die Änderung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheides ab. Bei den Wahlrechten nach § 32d Abs. 4 und Abs. 6 EStG seien die allgemeinen Grundsätze über steuerliche Wahlrechte zu beachten. Eine Anrechnung von Abgeltungssteuern sei somit nach Rechtskraft nicht möglich, wenn zuvor kein Antrag auf Günstigerprüfung bzw. auf Überprüfung des Steuereinbehalts für bestimmte Kapitalerträge gestellt worden sei.

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Hiergegen richtet sich nach erfolglosem Einspruchsverfahren die Klage.

6

Die Klägerin ist weiterhin der Rechtsansicht, dass der Einkommensteuerbescheid 2010 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) dergestalt zu ändern sei, dass bisher nicht erklärte Kapitalerträge im Rahmen einer Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG in die Veranlagung einbezogen werden müssen, mit der Folge, dass sich die festzusetzenden Steuern erhöhen und die von den Kapitalerträgen einbehaltenen Abzugssteuern (Abgeltungssteuer) anzurechnen seien. Die alleinstehende Klägerin sei in steuerlichen Dingen unerfahren. Sie erziele Versorgungsbezüge, eine kleine Rente sowie Einnahmen aus einem Minijob. Kapitalerträge aus den üblichen Spar- oder Wertpapiereinlagen habe sie im Jahr 2010 nicht erzielt. Allerdings habe sie per 1. September 2010 eine vor 2005 abgeschlossene Lebensversicherung innerhalb der Sperrfrist von 12 Jahren gekündigt. Es seien deshalb nach § 43 Abs. 1 EStG Kapitalertragssteuern auf die Auszahlung rechnungsmäßiger und außerrechnungsmäßiger Zinsen aus Sparanteilen einzubehalten gewesen. Die Klägerin habe nicht erkannt, dass die von der Versicherungsleistung einbehaltenen Abzugssteuern im Rahmen einer Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 Satz 1 EStG zu deren teilweisen Erstattung hätte führen können. Daher habe sie die Steuerbescheinigung der K ihrem Berater zunächst auch nicht vorgelegt. Mangels irgendeines Hinweises auf einbehaltene Kapitalertragssteuern habe die für die Klägerin zuständige Beratungsstellenleiterin der Einkommensteuererklärung 2010 keine Anlage KAP beigefügt. Erst nachdem die Klägerin im Mai 2011 ihrem Berater die Steuerbescheinigung der K für 2010 doch noch zur Kenntnis gegeben habe, habe die Beratungsstellenleiterin sodann eine nachträgliche Günstigerprüfung beim Beklagten beantragt.

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Die Finanzrechtsprechung habe sich bis heute noch nicht mit der Frage beschäftigt, ob ein Antrag nach § 32d Abs. 6 Satz 1 EStG fristgebunden sei oder nicht. Im Gegensatz zu § 32d Abs. 4 EStG enthalte der Text des § 32d Abs. 6 EStG jedenfalls keine Verpflichtung, eine Günstigerprüfung schon mit der Erklärung zu beantragen. Die unterschiedlichen Formulierungen in den Absätzen 4 und 6 sprächen für ein nicht fristgebundenes Wahlrecht für eine Günstigerprüfung.

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Zwar sei im ersten Gesetzesentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD (Bundestagsdrucksache 16/4841) zu § 32d Abs. 6 EStG ausgeführt worden, dass der Steuerpflichtige die Wahlmöglichkeiten im Rahmen seiner Veranlagung geltend machen könne; diese Formulierung sei später allerdings nicht mehr wiederholt und auch, anders als im Rahmen des § 32d Abs. 4 EStG, nicht ansatzweise in den Gesetzestext des Absatzes 6 übernommen worden. Da der Gesetzentwurf vom BMF stamme, gebe er nur die Auffassung der Finanzverwaltung wieder, die aber im weiteren Verfahren nicht ausdrücklich übernommen worden sei und demgemäß nicht als Willen des Gesetzgebers anzusehen sei. In der Literatur werde indes davon ausgegangen, dass dem Gesetz insoweit eine eindeutige Regelung nicht zu entnehmen sei und nicht auszuschließen sei, dass der Gesetzgeber eine Frist bewusst nicht aufgenommen habe.

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Die Bundesregierung habe auf eine entsprechende Nachfrage in der Gesetzesberatung mitgeteilt, die Antragswahlrechte nach § 32d Abs. 4 und 6 EStG seien nicht fristgebunden, nach Eintritt der Bestandskraft könnten sie allerdings nur noch im Rahmen der Änderungsvorschriften ausgeübt werden, einschlägig könne insbesondere § 173 Abgabenordnung sein.

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Auch im Streitfall sei aufgrund eines nicht fristgebundenen Wahlrechtes eine Änderung des Steuerbescheides nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO eröffnet, weil die für die Ausübung des Wahlrechtes relevanten Tatsachen (Kapitaleinkünfte) und Beweismittel (Steuerbescheinigung) dem Finanzamt erst nachträglich bekannt geworden seien und die nachträgliche Einbeziehung der Kapitaleinkünfte zum tariflichen Steuersatz zu einer höheren festzusetzenden Einkommensteuer führt. Dem stehe auch nicht entgegen, dass der Klägerin durch die Anrechnung der Kapitalertragssteuer und der Solidaritätsbeitrage letztlich ein Vorteil entstehe, weil die Mehrbeträge an festzusetzenden Steuern niedriger seien als die zu erstattenden Steuereinbehalte. Es komme bei der Anwendung des § 173 Abs. 1 AO allein auf das Ergebnis der Steuerfestsetzung an, die Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen sei nicht dem Festsetzungs-, sondern dem Erhebungsverfahren zuzuordnen.

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Die Klägerin beantragt,

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unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 20. Juli 2007 und des Einspruchsbescheides vom 30. August 2011 den Beklagten zu verpflichten, den Einkommensteuerbescheid 2010 vom 7. April 2010 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO dergestalt zu ändern, dass die bisher nicht erklärten Kapitalerträge noch in die Veranlagung einbezogen werden.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

15

Er hält an seiner bisherigen Rechtsauffassung fest.

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Der BMF habe Einzelfragen zur Abgeltungssteuer mit bindender Wirkung für die Finanzbehörden im Anwendungsschreiben vom 22. Dezember 2009 (BStBl. I 2010, 94) geregelt. Dabei sei unter Randziffer 149 zur Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG ausgeführt, dass der Steuerpflichtige diese Wahlmöglichkeit im Rahmen seiner Veranlagung geltend zu machen habe.

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Die nachträgliche Ausübung eines Wahlrechtes oder die nachträgliche Antragstellung sei auch keine neue Tatsache im Sinne des § 173 AO, sondern lediglich eine Verfahrenshandlung. Tatsachen im Sinne des § 173 AO seien die zugrunde liegende Einkünfte aus § 20 EStG. Bei Antragsstellung nach Bestandskraft eines Steuerbescheides werden dem Finanzamt diese Tatsachen nachträglich bekannt.

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Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

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In der mündlichen Verhandlung sind wurden die Parteien darauf hingewiesen worden, dass im Streitfall der Anwendungsbereich des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO eröffnet sein könnte.

Entscheidungsgründe

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I. Die Klage ist unter Berücksichtigung von anrechenbaren Steuerabzugsbeträgen trotz höherer Steuerfestsetzung zulässig, vgl. BFH VI R 46/07, BStBl. II 2010, 72.

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II. Die Klage ist allerdings nicht begründet, da der Beklagte zu Recht eine Änderung des bestandskräftigen Bescheides abgelehnt hat.

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1. In Betracht kommt vorliegend im Hinblick auf die bei der erstmaligen Veranlagung nicht bekannten Kapitaleinkünfte des Klägers allein eine Änderung gem. § 173 AO. Die Eröffnung des Anwendungsbereiches ist allerdings nur gegeben, wenn der Antrag auf Günstigerprüfung gem. § 32d Abs. 6 EStG nicht fristgebunden wäre, andernfalls wären die neuen Tatsachen nicht rechtserheblich.

23

a) Nach der Rechtsprechung des BFH ist für die Frage der Rechtserheblichkeit im Fall unterbliebener Anträge oder im Zusammenhang mit Wahrechten maßgeblich, ob der entsprechende Antrag fristgebunden oder nicht fristgebunden ist. Dementsprechend hat der BFH im Urteil vom 30. September 1991, II R 105/81 BStBl II 1982, 80 die Rechtserheblichkeit im Fall eines grunderwerbsteuerlichen Befreiungstatbestandes verneint unter Hinweis darauf, dass der entsprechende Antrag nach dem im entschiedenen Fall einschlägigen § 26 Abs. 2 GrEStG Berlin nicht in der dort ausdrücklich geregelten Frist gestellt worden war. Nach dieser Vorschrift konnte der Steuerpflichtige Anträge auf Steuervergünstigen ausdrücklich nur "bis zum Eintritt der Rechtskraft der Steuerfestsetzung oder im Anfechtungsverfahren bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht stellen." Die für die begehrte Steuerbefreiung relevanten Tatsachen waren deshalb zwar nachträglich bekannt geworden, aber nicht rechtserheblich, weil die Antragstellung ihrerseits nicht rechtzeitig bis zum Eintritt der Unanfechtbarkeit, sondern erst nach Bestandskraft erfolgt ist.

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Demgegenüber hat der BFH im Urteil vom 28. September 1984, VI R 48/82 BStBl II 1985, 117 die Rechtserheblichkeit neuer Tatsachen bejaht bei der Ausübung nicht fristgebundener Wahlrechte und dabei zwischen Antrag und Wahlrecht nicht differenziert. Im entschiedenen Fall ging es um das Wahlrecht nach § 34 Abs. 3 EStG in der für das Streitjahr 1976 geltenden Fassung, für das sich im Gesetz kein Hinweis auf eine Befristung ergibt.

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Entsprechend dieser Rechtsprechung geht der Senat davon aus, dass eine Befristung im Sinne dieser Differenzierung nicht in den generell bestehenden Einschränkungen durch die Bestandskraft zu sehen ist. Wäre Bestandskraft nicht eingetreten, würde sich die Frage nach einer Änderungsvorschrift indes nicht stellen.

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b) Es spricht zunächst einiges dafür, ohne dass dies allerdings abschließend entschieden werden müsste, dass der Antrag auf Günstigerprüfung gem. § 32d Abs. 6 EStG nicht fristgebunden ist.

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Aus dem Gesetzeswortlaut ergibt sich keine Befristung. Sofern sich aus den Erläuterungen zum Gesetzesentwurf ergibt, dass der Steuerpflichtige die Wahlmöglichkeit im Rahmen der Veranlagung geltend machen könne, so ist dies ebenfalls keine eindeutige Begrenzung auf die Bestandskraft, die sich zudem im Gesetzestext nicht niedergeschlagen hat. Wäre eine entsprechende Befristung gewollt gewesen, ist im Hinblick auf die ausdrücklichen Regelungen in § 32d Abs. 4 sowie Abs. 2 Nr. 3 EStG davon auszugehen, dass dies auch ausdrücklich geregelt worden wäre.

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Diese Auslegung entspricht auch der ausdrücklichen Aussage des aus dem Geschäftsbereich des BMF vom 15. April 2011 (Drucksache 17/5568, Frage Nr. 19), nach der der Antrag entsprechend den allgemeinen Grundsätzen für steuerliche Wahlrechte nicht fristgebunden sei und die Bestandskraft die Wahlrechtsausübung lediglich insoweit einschränke, als die nachträgliche Antragstellung nur unter den Voraussetzung der §§ 172ff AO möglich ist.

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Gleiches folgt aus Tz. 8 AEAO vor §§ 172 bis 177 AO: Danach können Wahlrechte grundsätzlich bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist ausgeübt werden, wobei allerdings die Bestandskraft die Wahlrechtsausübung einschränke und die nachträgliche Ausübung eines Wahlrechtes keine neue Tatsache i.S.d. § 173 AO sei.

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c) Seitens der Verwaltung wird allerdings eine andere Auffassung vertreten (vgl. z.B. Finanzministerium des Landes Nordrhein-Westfalen vom 24. Januar 2011, S 0351, [...]). Für eine Befristung könnte möglicherweise die in § 32d Abs. 6 EStG enthaltene Verweisung auf die Absätze 1, 3 und 4 der Norm sprechen, anstelle derer die Besteuerung mit der tariflichen Einkommensteuer beantragt werden kann. Jedenfalls sofern der Antrag auf Günstigerprüfung in einem Fall des § 32d Abs. 4 EStG gestellt wird, könnte ebenfalls eine Antragstellung bereits mit der Einkommensteuererklärung zu fordern sein.

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2. Die Frage braucht indes letztlich nicht abschließend entschieden zu werden, weil eine Änderung im vorliegenden Fall auch bei Annahme eines fristungebundenen Antragsrechts nicht in Betracht kommt, weil die Klägerin am nachträglichen Bekanntwerden der neuen Tatsachen ein grobes Verschulden i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO trifft.

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a) Auch wenn die Klägerin die Festsetzung einer höheren Steuer beantragt und sich der Vorteil für ihn erst aus der Anrechnung der eingehaltenen Steuerbeträge ergibt, ist vorliegend der Anwendungsbereich des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO eröffnet.

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aa) Grundsätzlich ist bei der Frage, ob sich die Änderung eines Steuerbescheids zugunsten oder zuungunsten eines Steuerpflichtigen auswirkt, allein auf den zu ändernden Bescheid abzustellen. Ebenso kann im Rahmen des § 173 Abs. 1 AO nur aus einem Vergleich der ursprünglichen mit der beabsichtigten Steuerfestsetzung abgeleitet werden, ob die beabsichtigte Änderung zu einer höheren oder niedrigeren Steuer führt (vgl. BFH-Urteil vom 16. März 1990, VI R 90/86 BStBl. II 1990, 610). Allerdings hat der BFH in dem zitierten Fall ausnahmsweise nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG anzurechnende Steuerbeträge in die Betrachtung einbezogen, weil im konkreten Fall der Nettolohnvereinbarung mit einer Einbeziehung des Differenzbetrages in die Einkommensteuerveranlagung zugleich die Entscheidung der Streitfrage verknüpft sei, ob zwischen dem Kläger und dem Gaststätteninhaber eine Nettolohnvereinbarung getroffen worden ist und diese Entscheidung zugleich die Grundlage dafür biete, dass sämtliche im Rahmen der Nettolohnvereinbarung als einbehalten behaupteten Abzugsbeträge zugunsten des Klägers angerechnet werden können.

34

bb) In der vorliegenden Fallgestaltung ist die Einbeziehung der anrechenbaren Steuerabzugsbeträge ebenfalls in den Vergleich mit einzubeziehen. Dies folgt aus der Überlegung, dass die mit dem Antrag verfolgte Günstigerprüfung zwingend nur unter Berücksichtigung der anzurechnenden Steuerabzugsbeträge erfolgen kann und der Antrag in dem Fall, dass die Versteuerung der Einkünfte mit dem individuellen Steuersatz insgesamt gesehen (also unter Berücksichtigung der anrechenbaren Abzugsbeträge) für den Steuerpflichtigen nicht günstiger ist, als nicht gestellt gilt.

35

Vorliegend ergäbe sich bei Berücksichtigung der Kapitalerträge sowie der anzurechnenden Steuerbeträge mit über 400,00 EUR eine im Vergleich zur ursprünglichen Festsetzung (0,00 EUR) um 78,00 EUR höhere Steuerfestsetzung, allerdings nach Abzug der Kapitalertragsteuer von 380,93 EUR eine um ca. 300,00 EUR verminderte Steuerlast. Die Günstigerprüfung würde dementsprechend vorliegend dazu führen, dass entsprechend dem Antrag die Kapitalerträge der tariflichen Einkommensteuer der Klägerin zu unterwerfen wären.

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Die Entscheidung über die Änderung der Steuerfestsetzung kann danach nicht ohne Berücksichtigung der gem. § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG anrechenbaren Steuerabzugsbeträge getroffen werden, dementsprechend sind auch im vorliegenden Fall die anzurechnenden Steuerbeträge in die Betrachtung mit einzubeziehen und führen die nachträglich bekanntgewordenen Tatsachen zu einer niedrigeren Steuer.

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b) Die Klägerin trifft ein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden der neuen Tatsachen (Einkünfte aus Kapitalvermögen).

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aa) Grobes Verschulden i.S.d § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 AO setzt nach der ständigen Rechtsprechung des BFH Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit voraus. Letztere ist dann gegeben, wenn der Steuerpflichtige die ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt hat (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 2. August 1994, VIII R 65/93, BFHE 175, 500, BStBl. II 1995, 264; vom 23. Januar 2001, XI R 42/00, BFHE 194, 9, BStBl. II 2001, 379, und vom 16. September 2004, IV R 62/02, BFHE 207, 369, BStBl. II 2005, 75, jeweils m.w.N. aus der BFH-Rechtsprechung).

39 Grob fahrlässiges Handeln liegt insbesondere vor, wenn ein Steuerpflichtiger seiner Erklärungspflicht nur unzureichend nachkommt, indem er unvollständige Steuererklärungen abgibt (BFH-Urteile vom 30. Oktober 1986, III R 163/82, BFHE 148, 208, BStBl. II 1987, 161; vom 1. Oktober 1993, III R 58/92, BFHE 172, 397, BStBl. II 1994, 346; vom 16. September 2004, IV R 62/02, BFHE 207, 269, BStBl. II 2005, 75; in BFH/NV 2007, 866). Beruht die unvollständige Steuererklärung auf einem Rechtsirrtum wegen mangelnder Kenntnis steuerrechtlicher Vorschriften, ist dies dem Steuerpflichtigen in der Regel nicht als grobes Verschulden anzulasten (BFH-Urteile vom 10. August 1988, IX R 219/84, BFHE 154, 481, BStBl. II 1989, 131; vom 23. Februar 2000, VIII R 80/98, BFH/NV 2000, 978; BFH-Beschluss vom 31. Januar 2005, VIII B 18/02, BFH/NV 2005, 1212).

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Allerdings muss auch ein Steuerpflichtiger, dem einschlägige steuerrechtliche Kenntnisse fehlen, im Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte Fragen beantworten und dem Steuererklärungsformular beigefügte Erläuterungen mit der von ihm zu erwartenden Sorgfalt lesen und beachten. Dies gilt jedenfalls dann, wenn solche Fragen und Hinweise ausreichend verständlich sowie klar und eindeutig sind (BFH-Urteile in BFHE 175, 500, [BFH 02.08.1994 - VIII R 65/93] BStBl. II 1995, 264, und in BFHE 194, 9, [BFH 23.01.2001 - XI R 42/00] BStBl. II 2001, 379). Auf einen die grobe Fahrlässigkeit ausschließenden, entschuldbaren Rechtsirrtum kann sich der Steuerpflichtige auch dann nicht berufen, wenn er eine im Erklärungsformular ausdrücklich gestellte Frage nur deshalb nicht oder nur unvollständig beantwortet, weil er infolge eines Rechtsirrtums der Ansicht ist, die unterlassenen Angaben hätten in seinem Einzelfall keine Auswirkung (BFH-Urteile in BFH/NV 2003, 441, sowie in BFH/NV 2007, 866).

41

bb) Nach diesen Rechtsgrundsätzen hätte die Klägerin ihre Kapitaleinkünfte sowie anrechenbaren Steuerabzugsbeträge dem Beklagten spätestens im Rahmen eines Einspruchsverfahrens mitteilen müssen. Es bestehen zunächst keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin selbst keine Kenntnis von den Erträgen hatte. Die Steuerbescheinigung über Kapitalerträge von 1.523,72 EUR sowie anzurechnende Steuerabzugsbeträge von 380,93 EUR (KapESt) sowie 20,95 EUR (Solidaritätszuschlag) ist der Klägerin von der K bereits am 20. August 2010, also weit vor Erstellung der Steuererklärung, übermittelt worden.

42

Soweit sich die Klägerin auf einen Rechtsirrtum wegen mangelnder Kenntnis steuerrechtlicher Vorschriften beruft, ist dies wenig plausibel. Sie hat eine als solche ausdrücklich bezeichnete Steuerbescheinigung erhalten, in der aufgeführt war, in welche Zeilen der Anlage "KAP" die Beträge einzutragen sind, ein Hinweis auf eine Abgeltungswirkung war indes nicht enthalten. Bei der dargelegten Unsicherheit wäre die Klägerin zumindest gehalten gewesen, ihren Steuerberater über die (außerordentlichen) Erträge und einbehaltenen Steuerabzugsbeträge zu informieren und über die Rechtslage zu befragen. Im Übrigen wäre es auch Aufgabe des Steuerberaters gewesen, die Klägerin zu befragen, welche Anlagen zur Einkommensteuererklärung zu erstellen sind und welche Änderungen sich ggf. gegenüber dem Vorjahr bei den einzelnen Einkunftsarten ergeben haben.

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III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.