Sozialgericht Braunschweig
Urt. v. 09.10.2013, Az.: S 9 AL 215/11

Bibliographie

Gericht
SG Braunschweig
Datum
09.10.2013
Aktenzeichen
S 9 AL 215/11
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2013, 64279
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Der Bescheid vom 21.06.2011 in Gestalt in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.07.2011 wird aufgehoben und die Beklagte verurteilt, über den Antrag auf Förderung der Weiterbildungsmaßnahme Technische Sterilisationsassistenz Lehrgang Fachkunde I an dem Universitätsklinikum Ulm, Akademie für Gesundheitsberufe, vom 20.6.2011 bis 24.06.2011 und vom 27.06. bis 01.07.2011 unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte hat 2/3 der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Übernahme der Kosten für eine Weiterbildung des Klägers zum technischen Sterilisationsassistenten im Universitätsklinikum Ulm.

Der Kläger, geboren 1970, arbeitete von Oktober 2003 bis Dezember 2006 als kaufmännischer Angestellter. Danach bezog er Arbeitslosengeld. Er übte gleichzeitig eine selbständige Tätigkeit unter 15 Wochenstunden in der Land- und Fortwirtschaft aus. Zudem war er als Selbständiger im Bereich Erbringung von Dienstleistungen im Bereich Transportvermittlung und sonstiger Dienstleistungen sowie Internethandel (als Nebenerwerb) tätig.

Zum 01.03.2007 machte sich der Kläger hauptberuflich selbständig, die Arbeitslosengeldgewährung wurde eingestellt. Für die Aufnahme der selbständigen Tätigkeit erhielt der Kläger einen Gründungszuschuss (März 2007 bis November 2007).

Von August 2008 bis April 2010 war der Kläger als Monteur in Neu-Ulm beschäftigt, vom 28.02.11 bis 01.05.20011 selbständig und im März 2011 zudem noch als Disponent in Ulm tätig. Sein Gewerbe „Servicetechnik für Dosiergeräte/Desinfektionszumischgeräte, Vertrieb von Dosiergeräten und Ersatzteilen meldet er zum 01.03.2011 ab.

Am 12.04.2011 meldet sich der Kläger wieder arbeitslos und beantragte die Gewährung von Arbeitslosengeld, dass er daraufhin bezog.

Der Kläger hatte am 14.06.2011 ein Gespräch mit seiner Arbeitsvermittlerin bei der Beklagten. Er legte einen Info-Flyer des Universitätsklinikums Ulm vor über den dort durchgeführten Lehrgang zum Sterilisationsassistenten. Die Arbeitsvermittlerin konnte eine Zertifizierung der Maßnahme nicht feststellen. Es wurde vereinbart, dass der Kläger selbst klären sollte, ob eine Maßnahmenummer vorhanden sei.

Die Arbeitsvermittlerin händigte dem Kläger einen Bildungsgutschein bzgl. einer Weiterbildung im Bereich Dekontamination, Grundlagen der Desinfektion und Sterilisation an einem Weitebildungsort auch außerhalb des Tagespendelbereichs aus.

Am 16.06.2011 reichte der Kläger die Unterlagen bei einem Vertreter seiner Arbeitsvermittlerin ein. Danach stellte dieser fest, dass keine Maßnahmenummer im Bildungsgutschein angegeben war und versuchte vergeblich den Kläger telefonisch zu erreichen.

Das Klinikum beantragte für den Kläger am 17.06.2011 die Übernahme der Kosten in Höhe von 720 €.

Am 19.06.2011 reiste der Kläger nach Ulm bzw. Neu-Ulm zu seinen Eltern und nahm vom 20.06.201 bis 24.06 2011 und 27.06.20011 bis 01.07.2011 an dem Kurs „Technische Sterilisationsassistenz Lehrgang Fachkunde I“ im Universitätsklinikum Ulm teil.

Mit Bescheid vom 21.06.2011 lehnte die Beklagte den Antrag ab mit der Begründung, die Maßnahme sei für die Weiterbildungsförderung nicht zertifiziert.

Am 23.06.2011 erfuhr der Kläger von dem Universitätsklinikum Ulm, dass der Bildungsgutschein nicht eingelöst werden konnte. Die Kosten für den Lehrgang wurden dem Kläger in Rechnung gestellt.

Der Kläger legte am 01.07.2011 Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20.07.2011 zurückwies.

Am 16.08.2011 hat der Kläger Klage erhoben.

Zur Begründung trägt er vor, im Klinikum habe man ihm gesagt, dass auch ein Bildungsgutschein akzeptiert werde. Der Vertreter seiner Arbeitsvermittlerin habe ihm am 16.06.2011 auf Nachfrage, ob alles in Ordnung sei und er am Lehrgang teilnehmen könne mitgeteilt, dass alles in Ordnung sei. Darauf habe er vertraut. Ihm sei nicht vor Abreise bekannt gewesen, dass für die Maßnahme eine Zertifizierung nicht gegeben sei. Kein Mitarbeiter der Beklagten habe ihm dieses mitgeteilt. Erst nach Lehrgansantritt bzw. nach erfolgreichem Lehrgangsende und Rückkehr von Ulm habe ihn der Ablehnungsbescheid erreicht. Es sei am 16.06.2011 kein Anruf auf seinem Festnetz oder seinem Hand eingegangen, die Anrufe auf das Festnetz seinen auf das Handy umgeleitet worden. Die Lehrgangskosten beliefen sich auf 720,00 €. Ihm seien für die Fahrt von Schladen nach Ulm und zurück Kosten entstanden, er verlange den Höchstsatz von 130,00 €. Bei dem Bildungsgutschein handele es sich um einen Verwaltungsakt. Daraus habe er einen Anspruch auf Übernahme der Kosten.

Der Kläger beantragt:

Der Bescheid vom 21.06.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.07.2011 wird aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die Weiterbildungskosten für den Technische Sterilisationsassistenz Lehrgang Fachkunde I an dem Universitätsklinikum Ulm Akademie für Gesundheitsberufe, vom 20.06.2011 bis 24.06.211 und vom 27.06.2011 bis 01.07.2011 als Maßnahme der beruflichen Weiterbildung entsprechend dem erteilten Bildungsgutschein zu übernehmen,

hilfsweise

über den Antrag auf Förderung der Weiterbildungsmaßnahme Technische Sterilisationsassistenz Lehrgang Fachkunde I an dem Universitätsklinikum Ulm Akademie für Gesundheitsberufe, vom 20.06.2011 bis 24.06.211 und vom 27.06.2006 bis 01.07.2011 unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie führt aus, bereits am 14.06.2011 sei die Frage der Zertifizierung problematisiert worden. Nach Abgabe der Antragsunterlagen wurde festgestellt, dass keine Maßnahmenummer angegeben worden sei. Ein Anruf bei Bildungsträger habe ergeben, dass dieser nicht zertifiziert sei. Der Träger habe mitgeteilt, dass der Kläger schon informiert sei. Es sei ihm auch eine Nachricht auf die Mobil-Box gesprochen worden. Mit der Ausstellung einer Bildungsgutscheines werde ausschließlich festgestellt, dass die Weiterbildung dem Grunde nach notwendig sei, es werden dem Arbeitnehmer ein Entscheidungs- und Wahlrecht unter den zugelassenen Maßnahmen eingeräumt. Mit dem Bildungsgutschein seien dem Kläger weitere Hinweise ausgehändigt worden, aus denen sich ergebe, dass nur zugelassene Maßnahmen gefördert würden. Die Prüfung, ob die Maßnahme zuzulassen sei, erfolge durch private fachkundige Stellen, die von der Bundesagentur für Arbeit anerkannt seien.

Wegen des übrigen Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen ergänzend Bezug genommen auf die Prozessakte des Klageverfahrens sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und im tenorierten Umfang begründet, im Übrigen unbegründet.

Der Kläger hat einen Anspruch auf Aufhebung der angefochtenen Bescheide und Neuentscheidung der Beklagten über seinen Antrag unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts. Insoweit verfolgt der Kläger den hilfsweise geltend gemachten Anspruch im Wege einer Verpflichtungsklage (Bescheidungsklage).

Soweit der Kläger die Zahlung der Lehrgangs- und Fahrtkosten im Klageverfahren im Hauptantrag begehrt, liegt eine kombiniert Anfechtungs- und Leistungsklage vor.

Das Universitätsklinikum Ulm war nicht gemäß § 75 Absatz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) notwendig beizuladen. Einer Beiladung bedarf es nicht, wenn die Maßnahme bereits beendet ist (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 18.05.2010, B 7 AL 22/09 R, zit. nach juris). So liegt der Fall hier.

Die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage ist unbegründet, der Kläger kann in diesem Klageverfahren nicht mit einem Anspruch auf Übernahme der Kosten durchdringen.

Den Anspruch auf Übernahme der Kosten kann der Kläger nicht aus dem ihm erteilten Bildungsgutschein geltend machen. Bei einem Bildungsgutschein handelt es sich um einen Verwaltungsakt im Sinne von § 31 des Sozialgesetzbuches – Zehntes Buch (SGB X) (Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 04.12.2008, L 9 AS 529/08 ER m.w.N., zit. nach juris).

Der Leistungsträger ist aus diesem bindend gewordenen Verwaltungsakt heraus verpflichtet, die Leistungen zu erbringen, wenn er im Bildungsgutschein das Vorliegen der persönlichen Voraussetzungen für die Förderung einer Weiterbildungsmaßnahme bescheinigt. Damit hat er bereits sein Ermessen, dass ihm gemäß § 77 des Sozialgesetzbuches – Drittes Buch (SGB III) in der bis zum 31.03.2012 geltenden Fassung bzgl. der Förderung der Weiterbildung zusteht, ausgeübt. Der Anspruch aufgrund des Bildungsgutscheines kann nur entfallen, wenn der Leistungsträger den Verwaltungsakt nach den Vorschriften der §§ 45, 48 SGB X aufhebt (LSG Niedersachsen-Bremen, a.a.O.).

Die Beklagte hat durch Erteilung des Bildungsgutscheines bescheinigt, dass für den Kläger eine Maßnahme im Bereich Dekontamination, Grundlagen der Desinfektion und Sterilisation als Weiterbildungsmaßnahme notwendig war. Insoweit kann sich der Kläger darauf berufen. Jedoch kann der Kläger aus dem Bildungsgutschein keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten für den Lehrgang am Universitätsklinikum Ulm herleiten. Die Beklagte hat darin nicht zugesichert, dass die Kosten für diesen Lehrgang übernommen werden. Auch aus den weiteren Umständen konnte der Kläger nicht davon ausgehen. Im Gespräch mit seiner Arbeitsvermittlerin erfuhr er, dass nur zugelassene Maßnahmen gefördert werden. Sie konnte im Gespräch mit dem Kläger keine Zertifizierung der Maßnahme feststellen, der Kläger sollte selbst klären, ob eine Maßnahmenummer vorhanden war. Offensichtlich hatte er dieses nicht getan und gab die Unterlagen später bei dem Vertreter seiner Arbeitsvermittlerin ab. Dabei konnte er nicht davon ausgehen, dass dieser die Problematik der Förderungsfähigkeit im Fall des Klägers kannte. Der Kläger trägt auch nicht vor, dass er den Mitarbeiter der Beklagten darauf angesprochen hat. Schließlich hätte es dem Kläger auch aus dem Merkblatt bekannt sein können, dass nur bestimmte Maßnahmen bei bestimmten Maßnahmeträgern im Rahmen der beruflichen Weiterbildung gefördert werden.

Der Kläger hat jedoch einen Anspruch auf Neuentscheidung durch die Beklagte unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts. Die Verpflichtungsklage ist begründet.

Gemäß § 77 Absatz 1 Satz 1 SGB III in der bis zum 31.03.2012 geltenden Fassung können Arbeitnehmer bei beruflicher Weiterbildung durch Übernahme der Weiterbildungskosten gefördert werden, wenn

1. die Weiterbildung notwendig ist, um sie bei Arbeitslosigkeit beruflich einzugliedern, eine ihnen drohende Arbeitslosigkeit abzuwenden oder weil bei ihnen wegen fehlenden Berufsabschlusses die Notwendigkeit der Weiterbildung anerkannt ist,

2. vor Beginn der Teilnahme eine Beratung durch die Agentur für Arbeit erfolgt ist und

3. die Maßnahme und der Träger der Maßnahme für die Förderung zugelassen sind.

Die Voraussetzungen nach § 77 Absatz 1 Satz 1 Nrn. 1 und 2. SGB III liegen vor. Insbesondere hat die Beklagte durch Erteilung des Bildungsgutscheines die Weiterbildungsnotwendigkeit anerkannt.

Die Voraussetzung des § 77 Absatz 1 Nr. 3 SGB III hat die Beklagte noch nicht abschließend geprüft. Sie kann sich nicht darauf berufen, dass die Maßnahme nicht zugelassen war.

Gemäß § 85 Absatz 1 SGB III in der bis zum 31.03.2012 geltenden Fassung sind zugelassen für die Förderung Maßnahmen, bei denen eine fachkundige Stelle festgestellt hat, dass die Maßnahme

1. nach Gestaltung der Inhalte der Maßnahme sowie der Methoden und Materialien ihrer Vermittlung eine erfolgreiche berufliche Bildung erwarten lässt und nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes zweckmäßig ist,

2. angemessene Teilnahmebedingungen bietet,

3. mit einem Zeugnis abschließt, das Auskunft über den Inhalt des vermittelten Lehrstoffs gibt,

4. nach den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit geplant und durchgeführt wird, insbesondere die Kosten und die Dauer angemessen sind.

Die Beklagte hätte prüfen müssen, ob die Maßnahme zuzulassen gewesen wäre. Ihr steht dabei ein Beurteilungsspielraum zu, der gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar. ist. Der Beurteilungsspielraum steht prüfenden Stelle (Bundesagentur für Arbeit oder fachkundige Stelle) bei der Einschätzung der arbeitsmarktlichen Zweckmäßigkeit zu (BSG, a.a.O. m. w. N.). Hier hat die Beklagte keinerlei Prüfung vorgenommen, was sie nunmehr nachzuholen hat. Der Begriff „zugelassen“ in § 77 Absatz 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III heißt dabei nicht, dass die Maßnahme bereits anfänglich zugelassen sein muss. Ein vorgeschaltetes Verfahren zur Zulassung war hier nicht erforderlich. Es ist ausreichend, dass mit einer positiven Entscheidung über die Förderung gleichzeitig über die Zulassung der Maßnahme und des Maßnahmeträgers für die individuelle Förderung des Bildungswilligen entschieden wird (BSG, a.a.O.). Der gegenteiligen Auffassung (Bayerisches LSG, Urteil vom 24.05.2012, L 9 AL 40/09 und Sächsisches LSG, Urteil 27.09.2012, L 3 AS 329/09, jeweils zit. nach juris) ist nicht zuzustimmen. Auch in § 77 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III wird der Begriff „anerkannt“ gewählt, obwohl es vor Gewährung einer Weiterbildung kein isoliertes Verfahren über die Anerkennung der Weiterbildungsnotwendigkeit gibt, diese Prüfung vielmehr gleichzeitig erfolge (BSG, a.a.O.).

Die Entscheidung über die Zulassung oblag hier der Beklagten. Für Maßnahmen bis zum 31.12.2005 galt dieses uneingeschränkt (BSG, a.a.O.). Gleiches gilt auch auf Maßnahmen bis 31.03.2012, da die §§ 2 bis 6 Anerkennungs- und Zulassungsverordnung (AZWV) rechtswidrig sind. Es fehlt insoweit an einer ausreichenden Ermächtigungsnorm im SGB III für den Erlass der Rechtsverordnung (Sozialgericht (SG) Mannheim, Urteil vom 09.02.2010, S 8 AL 3179/09, zit. nach juris). Dieser Auffassung schließt sich auch das erkennende Gericht an. Zudem führte die Entscheidung des SG Mannheim dazu, dass ab dem 01.04.2012 eine Gesetzesänderung im SGB III erfolgt ist mit Aufnahme wesentlicher Bereiche des Zulassungsverfahrens in das SGB III und der Möglichkeit, das Weitere in einer Rechtsverordnung zu regeln (s. Akkreditierungs– und Zulassungsverordnung, gültig ab dem 06.04.2012). Diese Neuregelung findet hier jedoch gemäß § 422 Absatz 1 Nr. 3 SGB III keine Anwendung, da der Kläger bei Gesetzesänderung die Maßnahme bereits begonnen (und auch beendet) sowie den Förderungsantrag zum Beginn der Maßnahme gestellt hatte.

Anzumerken ist zudem, dass § 12 AZWV eine Zertifizierung im Einzelfall durch die Bundesagentur für Arbeit zulässt. Auch diese Prüfung hat die Beklagte unterlassen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass der Kläger mit seinem Begehren teilweise erfolgreich war.