Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 27.11.1996, Az.: 2 U 172/96

Zurechnung von grober Fahrlässigkeit des Begünstigten zulasten des Versicherten; Vorliegen von grober Fahrlässigkeit; Objektiv schwerer Verstoß gegen die konkret gebotene Sorgfalt bei Vorfahrtsverletzung durch Überfahren eiens Stoppschildes

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
27.11.1996
Aktenzeichen
2 U 172/96
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1996, 21411
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1996:1127.2U172.96.0A

Fundstelle

  • VersR 1997, 871 (amtl. Leitsatz)

Amtlicher Leitsatz

Grobe Fahrlässigkeit in der Fahrzeugversicherung beim Durchfahren eines Kreisverkehrs wegen überhöhter Geschwindigkeit oder mangelnder Aufmerksamkeit und Überfahren einer Verkehrsinsel mit Schadensfolgen.

Entscheidungsgründe

1

Der Klägerin steht kein Anspruch aus der bei dem Beklagten unterhaltenen Fahrzeugversicherung zu. Der Beklagte ist leistungsfrei, weil der Sohn der Klägerin - als Versicherter - den Unfall am 23.05.1995 auf der Autobahnabfahrt G/H grob fahrlässig herbeigeführt hat (§ 61 VVG).

2

Ausweislich des Leasingsvertrages vom 02.03.1995 war der Sohn der Klägerin Leasingnehmer des betreffenden Fahrzeugs; unstreitig nutzte er dieses allein; es war lediglich auf den Namen der Klägerin versichert worden, um einen entsprechenden Schadenfreiheitsrabatt in Anspruch nehmen zu können. Ob in diesem Fall eine Versicherung für den "wahren wirtschaftlichen Versicherten" oder eine Fremdversicherung zu Gunsten des Sohns der Klägerin vorliegt, kann dahinstehen; jedenfalls wirkt in derartigen Fällen grobe Fahrlässigkeit des Begünstigten wie die des Versicherungsnehmers (vgl. Prölss-Martin, VVG, 25. Aufl., § 75 Anm. 4).

3

Der Beklagte ist leistungsfrei, weil der Sohn der Klägerin den Unfall grob fahrlässig herbeigeführt hat (§ 61 VVG). - Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Der Tatrichter kann dabei im Rahmen seiner freien Beweiswürdigung nach § 286 ZPO vom äußeren Geschehensablauf oder vom Ausmaß des objektiven Pflichtverstoßes auf innere Vorgänge und deren gesteigerte Vorwerfbarkeit schließen (BGH r+s 1989, 209 m.w.N.).

4

Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 23.11.1994 (r+s 1995, 42/43) für eine Vorfahrtverletzung durch Überfahren eines Stoppschildes zum Ausdruck gebracht hat, stellt ein derartiges Verhalten einen objektiv schweren Verstoß gegen die im konkreten Fall gebotene Sorgfalt dar, der über einen normalen Verkehrsverstoß deutlich hinausgeht. Das Hineinfahren in einen Kreuzungsbereich birgt hohe Gefahren, besonders, wenn er für den Verkehrsteilnehmer durch ein Stoppschild gesperrt ist. Von jedem Verkehrsteilnehmer kann und muss erwartet werden, dass er sich einer solchen Kreuzung mit der Aufmerksamkeit nähert, die es ihm ermöglicht, das Stoppschild zu beachten und den dadurch geschützten vorfahrtberechtigten Verkehr nicht zu gefährden (OLG Hamm VersR 1988, 1260 für die vergleichbare Situation einer durch eine Ampelanlage gesicherten Kreuzung). Ein grober Verkehrsverstoß liegt deshalb nicht nur dann vor, wenn ein Verkehrsteilnehmer ein Stoppschild überhaupt nicht wahrnimmt und überfährt, sondern ebenso, wenn er das Stoppschild infolge mangelnder Aufmerksamkeit angeblich erst verspätet wahrnimmt, sodass er nicht mehr rechtzeitig anhalten kann.

5

Nichts anderes kann für ein Einfahren in einen Kreisverkehr gelten, der - wie hier - durch entsprechende Beschilderung als solcher ausgewiesen ist. Ein grober Verkehrsverstoß liegt deshalb nicht nur dann vor, wenn der Sohn der Klägerin den Kreisverkehr überhaupt nicht wahrgenommen und deshalb die Verkehrsinsel überfahren hat, sondern ebenso, wenn er den Kreisverkehr infolge mangelnder Aufmerksamkeit angeblich erst verspätet bemerkt hat, sodass er nicht mehr in den Kreis einfahren konnte.

6

Mangels entlastender persönlicher Umstände ist im vorliegenden Fall auf Grund des objektiv äußerst schwer wiegenden Verkehrsverstoßes der Schluss gerechtfertigt, dass der Sohn der Klägerin auch subjektiv unentschuldbar handelte, als es ihm nicht gelang, der Fahrtrichtung zu folgen, und er die Verkehrsinsel überfuhr.

7

Insbesondere entlastet ihn nicht, dass er angeblich den Kreisverkehr nicht kannte und dieser unbeleuchtet gewesen sein soll. Denn er hatte seine Geschwindigkeit den Sichtverhältnissen anzupassen, d. h. er durfte bei der herrschenden Dunkelheit nur so schnell fahren, dass er innerhalb der ausgeleuchteten Strecke anhalten konnte. Auch das hat er nicht beachtet.