Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 13.11.1996, Az.: 2 U 152/96

Beurteilung der groben Fahrlässigkeit eines Versicherungsnehmers beim Abstellen seines Fahrzeugs auf einem unbewachten Parkplatz; Unterschreitung des Standards an Sicherheit gegenüber der Gefahr eines Diebstahls des Fahrzeugs

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
13.11.1996
Aktenzeichen
2 U 152/96
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1996, 21437
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1996:1113.2U152.96.0A

Fundstelle

  • NJW-RR 1997, 923-924 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz

Beweisanforderungen für den Versicherer in der Fahrzeugversicherung bei einem behaupteten Diebstahl. Keine grobfahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls bei Belassen des Fahrzeugscheins im Fahrzeug.

Tatbestand

1

Die Klägerin hat gegen die Beklagte aus der bei dieser unterhaltenen Fahrzeugversicherung gem. § 12 Nr. 1 I b AKB einen Anspruch auf Zahlung von 68.608,70 DM.

2

I.

Die Klägerin hat die bedingungsgemäße Entwendung des Fahrzeugs bewiesen.

3

An die Beweisführung des Versicherungsnehmers sind im Diebstahlsfall keine allzu strengen Anforderungen zu stellen, da sonst der Wert der Diebstahlsversicherung in den häufigen Fällen fehlender Tataufklärung von vornherein in Frage gestellt wäre. Deshalb erbringt der Versicherungsnehmer den ihm obliegenden Beweis in aller Regel schon dann, wenn er Tatsachen vorträgt und im Bestreitensfall beweist, aus denen sich das äußere Bild einer bedingungsgemäßen Entwendung ergibt (ständige Rechtsprechung, z.B. BGH NJW·1995, 2169; Senat VersR·1996, 840). Das äußere Bild eines Diebstahls ist im allgemeinen schon dann gegeben, wenn der Versicherungsnehmer das Fahrzeug zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort abgestellt hat, an dem er es später gegen seinen Willen nicht mehr vorfindet (BGH a.a.O.; Römer, NJW·1996, 2329·ff).

4

Die für das äußere Bild eines Diebstahls notwendigen Tatsachen stehen vorliegend fest. Dies hat das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung zutreffend ausgeführt. Der Geschäftsführer der Klägerin hat das Fahrzeug am 8.7.1993 gegen 16.00·Uhr auf einem Parkplatz vor dem Flughafengebäude des Flughafens Münster/Osnabrück in Greven verschlossen abgestellt und es bei seiner Rückkehr am 11.7.1993 gegen 20.00·Uhr dort nicht mehr vorgefunden. Dass das Fahrzeug "gegen den Willen" des Versicherungsnehmers nicht wieder aufgefunden wurde, ist eine innere Tatsache, auf deren Vorhandensein aus den vorgenannten äußeren Tatsachen geschlossen werden kann (vgl. Römer a.a.O., 2331).

5

Es sind keine unstreitigen oder von der Beklagten unter Beweis gestellten Umstände vorhanden, die geeignet sind, die Glaubwürdigkeit des Geschäftsführers der Klägerin in erheblicher Weise in Zweifel zu ziehen und das Vorliegen des äußeren Bildes einer Entwendung zu verneinen; ebensowenig liegen ausreichende Verdachtsmomente vor oder sind solche unter Beweis gestellt, um annehmen zu können, der Geschäftsführer der Klägerin habe den Diebstahl mit erheblicher Wahrscheinlichkeit nur vorgetäuscht.

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Unstreitig ist allerdings, Dass das Fahrzeug mittels eines passenden Schlüssels vom behaupteten Diebstahlsort weggefahren worden ist. Ferner steht aufgrund des im Auftrag der Beklagten eingeholten Schlüsselgutachtens fest, Dass von dem vom Geschäftsführer der Klägerin jedenfalls vornehmlich genutzten Hauptschlüssel ein Nachschlüssel gefertigt worden ist, dessen Verbleib unklar ist; zudem behauptet die Klägerin, Dass ihr Geschäftsführer über die Tatsache der Nachschlüsselanfertigung keine Kenntnis gehabt hat. Derartige Umstände rechtfertigen es jedoch grundsätzlich nicht, das Vorliegen des äußeren Bildes einer Entwendung zu verneinen (BGH r·+·s 1996, 92; BGH r·+·s·1996, 341; Römer a.a.O., 2331). In der vertraglich vereinbarten materiell-rechtlichen Herabsetzung des Beweismaßes und der damit von den Vertragsparteien vorgenommenen Risikoverteilung ist nicht enthalten, Dass der Versicherungsnehmer erklären muss, wieso irgendwann, von wem und mit wessen Billigung ein Nachschlüssel angefertigt worden ist.

7

Ebensowenig rechtfertigen die genannten Tatsachen für sich allein den Schluss, der Diebstahl sei mit erheblicher Wahrscheinlichkeit nur vorgetäuscht; es müssen vielmehr weitere Umstände, die den Versicherungsnehmer belasten, hinzukommen (BGH a.a.O.). Allzu leicht nämlich kann ein Nachschlüssel ohne Wissen des Berechtigten angefertigt worden sein; eine erhebliche Wahrscheinlichkeit für die Vortäuschung des Versicherungsfalls kann allerdings unter Umständen angenommen werden, wenn feststeht, Dass der Nachschlüssel nicht ohne Wissen des berechtigten Besitzers angefertigt worden ist (OLG Hamm r·+·s·1994, 449; Römer a.a.O., 2332). Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Im Schlüsselgutachten ist festgestellt, Dass die Abtastspuren von ausgeprägten Gebrauchsspuren überlagert sind. Daraus folgt, Dass der Nachschlüssel geraume Zeit vor dem behaupteten Diebstahlszeitpunkt gefertigt worden ist. Dies lässt die Möglichkeit wahrscheinlich erscheinen, Dass der Nachschlüssel ohne Wissen des Geschäftsführers der Klägerin angefertigt worden ist. Ein längerer Zeitraum erhöht nämlich die Wahrscheinlichkeit der unberechtigten Inbesitznahme und Nachschlüsselanfertigung durch einen unbekannten Dritten. Dies gilt hier um so mehr, als es sich um ein betrieblich genutztes Fahrzeug handelt.

8

In derartigen Fällen haben erfahrungsgemäß relativ viele Personen Gelegenheit, berechtigt oder unberechtigt kurzfristig in den Besitz des Originalfahrzeugschlüssels zu gelangen. Die Klägerin hat zudem dazu eine Liste -·deren Inhalt unstreitig ist·- mit 16·Personen bzw. Firmen vorgelegt, die vor dem behaupteten Diebstahlszeitpunkt das Fahrzeug benutzt oder gewartet haben.

9

Eine selbstständige Indizwirkung kann sich allerdings aus dem Umstand ergeben, Dass ein Versicherungsnehmer das Fahrzeug an einem Ort abgestellt hat, der einem Dritten, der den Nachschlüssel zur Vorbereitung auf den Diebstahl angefertigt haben mag, nicht ohne weiteres bekannt gewesen ist. Hier ist der behauptete Diebstahl des Fahrzeugs zwar nicht auf dem Parkplatz am Büro der Klägerin oder in der Umgebung der Wohnung ihres Geschäftsführers erfolgt.

10

Die Klägerin hat jedoch plausibel dargelegt, Dass ein Dieb die üblichen Abstellorte -·ein eingefriedeter Parkplatz am Büro der Klägerin oder eine kameraüberwachte Tiefgarage·- jedenfalls subjektiv wegen zu großer Entdeckungsgefahr als ungeeignet zur Entwendung des Fahrzeugs bewertet haben könnte. Es ist durchaus möglich, Dass aus diesem Grund der Dieb dem Geschäftsführer der Klägerin auf dessen Fahrt zum Flughafen gefolgt ist oder/und vor der Geschäftsreise diese in Erfahrung gebracht hat. Sollte letzteres der Fall gewesen sein, wäre auch ohne eine Verfolgung des Geschäftsführers der Klägerin das Auffinden des Fahrzeugs für einen Täter am Flughafen nicht schwierig gewesen. Der Flughafen Münster/Osnabrück in Greven ist zumindest im Diebstahlszeitpunkt relativ klein und übersichtlich gewesen. Daraus folgt auch eine relativ leichte Überschaubarkeit der dort abgestellten Fahrzeuge.

11

Als Indiz für eine Vortäuschung des Versicherungsfalls könnte ferner die Tatsache bewertet werden, Dass der oder die Täter schon am Abend des 8.7.1993 nicht nur in Besitz des Fahrzeugs, sondern auch des Fahrzeugscheins gelangt sind. Das Gewicht dieses Umstandes wird jedoch wiederum dadurch verringert, Dass die Klägerin in der Lage ist, nachvollziehbare und nicht unwahrscheinliche Möglichkeiten aufzuzeigen, wie dies auch ohne Einverständnis ihres Geschäftsführers geschehen sein könnte. Neben der Möglichkeit einer unbemerkten vorherigen Entwendung des Fahrzeugscheins ist insbesondere in Betracht zu ziehen, Dass der Schein unmittelbar aus den Händen des Gesellschafters B auf unbekannte Weise abhanden gekommen ist, da dieser das Fahrzeug nebst Fahrzeugschein über Ostern 1993 in Besitz gehabt hat. Nicht auszuschließen ist ferner, Dass der Gesellschafter B oder der Geschäftsführer der Klägerin den Fahrzeugschein versehentlich im Handschuhfach hat liegen lassen.

12

In die Erwägungen mit einzubeziehen ist auch die Tatsache, Dass der angebliche Diebstahl kurz vor Ablauf der Zweijahresfrist zur Erstattung des Neuwerts gem. §·13 Nr.·2 AKB stattgefunden haben soll. Daraus könnte ein Motiv für die Vortäuschung des Versicherungsfalls abzuleiten sein, obwohl die Klägerin trotz Hinweises der Beklagten tatsächlich nicht den Neuwert, sondern den Wiederbeschaffungswert geltend macht. Gleichwohl vermag auch unter Berücksichtigung dieses Umstandes der Senat auf Grund der im Übrigen nur wenig ergiebigen Indizien nicht die erhebliche Wahrscheinlichkeit der Vortäuschung der Entwendung zu bejahen.

13

Die in den Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Bielefeld gegen die dort beschuldigten X und Y erfolgten Angaben der Beschuldigten, wonach es sich um einen vorgetäuschten Versicherungsfall handeln soll, sind ungeeignet, um die Versagung der Versicherungsleistung zu rechtfertigen. Dies folgt bereits aus der Tatsache, Dass die Klägerin die Richtigkeit der Angaben der Beschuldigten bestritten hat. Die insoweit beweispflichtige Beklagte hat sich trotz eines entsprechenden Hinweises in der angefochtenen Entscheidung nicht auf das Zeugnis dieser Personen berufen. Im Übrigen haben die genannten Beschuldigten bekundet, Dass sie selbst niemals Kontakt zum Geschäftsführer der Klägerin gehabt hätten.

14

Woher sie ihre angebliche Kenntnis von der Vortäuschung des Versicherungsfalls erlangt haben, ist nicht nachvollziehbar.

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...

Entscheidungsgründe

16

II.

Die Beklagte ist auch nicht wegen grob fahrlässiger Verursachung des Versicherungsfalls gem. §§·61 VVG leistungsfrei.

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Grob fahrlässig handelt nur, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwer wiegendem Maß außer Acht lässt. Dabei muss den Handelnden auch in subjektiver Hinsicht ein schweres Verschulden treffen (BGH VersR·1976, 649, 650; Senat VersR·1996, 184). Zwar hat vorliegend der Geschäftsführer der Klägerin das Fahrzeug auf einem unbeaufsichtigten Parkplatz abgestellt. Dieses Verhalten könnte jedoch nur dann als grob fahrlässig angesehen werden, wenn er dadurch eine dringende Diebstahlsgefahr herbeigeführt hätte. Er müsste insbesondere den als vertragsgemäß vorausgesetzten Standard an Sicherheit gegenüber der Gefahr eines Diebstahls des Fahrzeugs deutlich unterschritten haben; dies ist bei einem Abstellen auf einem öffentlichen Parkplatz grundsätzlich zu verneinen (BGH VersR·1996, 576; BGH NJW-RR·1996, 734; Senat a.a.O.; zusammenfassend Römer a.a.O., 2335). Besondere Umstände, die eine abweichende Beurteilung rechtfertigen könnten, sind nicht dargelegt.

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Die Beklagte ist auch nicht gem. §·61 VVG leistungsfrei, weil der Geschäftsführer der Klägerin im Fahrzeug möglicherweise den Fahrzeugschein hat liegen lassen. Dass dies geschehen ist, steht nämlich nicht fest. Selbst wenn dies jedoch der Fall wäre, wäre ein solches Verhalten nicht kausal (BGH r·+·s·1995, 288). Für einen die Ursächlichkeit begründenden Sachverhalt ist nichts vorgetragen.