Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 06.10.2005, Az.: 1 B 44/05

Abordnung; Aufschiebende Wirkung; Betriebsfrieden; dienstlicher Grund; dienstliches Bedürfnis; ernstlicher Zweifel; Spannung; Spannungsverhältnis; Suspensiveffekt

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
06.10.2005
Aktenzeichen
1 B 44/05
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 50897
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Gründe

1

Der Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen die Verlängerung der Abordnung mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 5. September 2005 gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO anzuordnen, hat keinen Erfolg.

2

Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Verwaltungsgericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung u. a. in den Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 3 i. V. m. § 126 Abs. 3 Nr. 3 BRRG, § 192 Abs. 3 Nr. 3 NBG anordnen.

3

Der Antrag ist zwar zulässig, auch wenn der von der Antragstellerin eingelegte Widerspruch gegen die Abordnungsverfügung bzw. ihre Verlängerung nach § 192 Abs. 4 Satz 1 NBG unstatthaft ist, da die Abordnungsverfügung nach dem 1. Januar 2005 erlassen worden ist. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist nämlich nach § 80 Abs. 5 Satz 2 VwGO schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Diese kann die Antragstellerin hier noch fristgemäß erheben, da die Verlängerung der Abordnungsverfügung nicht mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen worden ist (§ 58 Abs. 2 VwGO).

4

Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 ist jedoch nicht begründet. Die hiernach zu treffende Entscheidung des Verwaltungsgerichts orientiert sich daran, ob das öffentliche Vollzugsinteresse oder das Interesse des betroffenen Beamten überwiegt. Dies wiederum hängt in entsprechender Anwendung des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO davon ab, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder ob die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Beides ist nach der im vorliegenden Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung hingegen nicht der Fall.

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Die Entscheidung über die Verlängerung der Abordnung richtet sich nach § 31 Abs. 1 Satz 1 NBG. Hiernach kann ein Beamter vorübergehend zu einer seinem Amt entsprechenden Tätigkeit an eine andere Dienststelle aus dienstlichen Gründen abgeordnet werden.

6

Dienstliche Gründe für die Verlängerung der Abordnung der Antragstellerin liegen vor. Der Begriff der „dienstlichen Gründe“ stimmt mit dem Tatbestandsmerkmal des “dienstlichen Bedürfnisses“ etwa des § 27 BBG (Abordnung eines Bundesbeamten) und des § 26 BBG (Versetzung eines Bundesbeamten) überein. Bei der Auslegung des Begriffs der dienstlichen Gründe ist zu berücksichtigen, dass der Zweck der Ermächtigung zur Abordnung eines Beamten aus dienstlichen Gründen darin besteht, die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung zu erhalten und zu verbessern. Wie bei der Versetzung können die dienstlichen Gründe dementsprechend aus der Personallage in einzelnen Verwaltungszweigen oder Dienststellen, aus organisatorischen Gründen, aus der Leistung eines Beamten, seiner Eignung oder seinem Verhalten erwachsen. Insbesondere können für eine Abordnung auch dann dienstliche Gründe sprechen, wenn jene der Wahrung des Betriebsfriedens in einer Dienststelle dient (Kümmel, Beamtenrecht, Kommentar, Stand: Januar 2005, § 31 Rdnr. 17; Plog/Wiedow/Lemhöfer/Bayer, BBG, Kommentar, Stand: August 2004, § 26 Rdnr. 23).

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Nach dem bisherigen Sachstand bestehen im Fall der Antragstellerin zwei dienstliche Gründe für ihre Abordnung bzw. deren Verlängerung: Zum einen dient nach dem Vortrag der Antragsgegnerin ein zeitweiser Einsatz der Antragstellerin im Stab der PD B. ihrer Fortbildung und Personalentwicklung. Ausweislich der Stellungnahme des für Personalmanagement im höheren Polizeivollzugsdienst zuständigen Referatsleiters im Landespolizeipräsidium, Polizeidirektor C., vom 29. September 2005 ist die Antragstellerin vor ihrer Verwendung in der Polizeiinspektion D. darauf hingewiesen worden, dass sie als Direkteinsteigerin ohne hinreichende Behördenerfahrung mit einer personalentwicklerischen Verwendung in der PD B. zurechnen habe. Sinn dieser Verwendung im Stab ist nach den Angaben des Dezernatsleiters, Polizeidirektor E., in seiner Stellungnahme vom 30. September 2005, Aufbau und Abläufe der Stabsarbeit, insbesondere innere Strukturen, Arbeitsabläufe sowie die Stellung und Aufgaben der Behörden zueinander kennen zu lernen. Die Auftragserfüllung in diesem Bereich lässt Rückschlüsse über Kenntnisse, Fähigkeiten sowie persönliche und fachliche Entwicklung der Antragstellerin zu. Dieser dienstliche Grund ist durch den ersten Abordnungszeitraum von drei Monaten (13. Juni bis 12. September 2005) noch nicht entfallen, da die Antragstellerin in diesem Zeitraum bis auf einen Arbeitsversuch am 8. August 2005 dienstunfähig krank gewesen ist. Zum anderen ist als dienstlicher Grund anzuerkennen, dass - unstreitig - das Betriebsverhältnis in ihrer bisherigen Dienststelle, insbesondere zu ihrem dortigen Vorgesetzten, Kriminaldirektor F., erheblich gestört ist. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass es für die Frage der Rechtmäßigkeit der Abordnung aus diesem Grunde nicht darauf ankommt, ob der Beamte, der abgeordnet wird, für die Entstehung des betrieblichen Spannungsverhältnisses die Verantwortung trägt und ihm schuldhaftes Verhalten zur Last gelegt werden kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.1.1967 - BVerwG VI C 58.65 - BVerwGE 26, 65; Nds. OVG, Besch.. v. 16.3.1973 - V B 17/73 - DVBl. 1973, 278). Denn es handelt sich bei der Abordnung nicht um eine Straf- oder Disziplinarmaßnahme (vgl. auch VG Oldenburg, Beschl. v. 25.3.2004 - 6 B 2113/04 -).

8

Die Abordnung erfolgt auch zu einer dem Amt der Antragstellerin entsprechenden Tätigkeit an einer anderen Dienststelle. Die Antragstellerin kann nicht mit Erfolg einwenden, die in der PD B. für sie vorgesehenen Aufgaben der Überprüfung von Verfügungen auf Aktualität und Änderungsbedarf sowie die Gewährung von Rechtsberatung bei juristischen Problemen neben einem funktionsfähigen Justitiariat entsprächen nicht den Anforderungen einer Polizeirätin, sondern seien Aufgaben, die von Beamten des gehobenen Dienstes zu erledigen seien. Denn sie ist in der ihr zugewiesenen Funktion zur besonderen Verwendung direkt dem Dienststellenleiter nachgeordnet und hat nicht nur lediglich die Aktualität von Verfügungen und Dienstanweisungen zu überprüfen und zu aktualisieren. Sie soll vielmehr die Verantwortung für die Endfassung der zum Teil von Mitarbeitern im Entwurf bereits angefertigten Dienstanweisungen und Verfügungen tragen und hat hierbei dezernatsübergreifend die Arbeit zu koordinieren. Darüber hinaus ist ihrem Aufgabenbereich die Tätigkeit des Dezernent 12 (Sachbearbeitung von Vorgängen mit besonderem Schwierigkeitsgrad) zugeordnet, bei der neben polizeitaktischen auch rechtliche Kenntnisse wie etwa bei dem bevorstehenden CASTOR-Einsatz notwendig sind (vgl. die Stellungnahme des Dezernatsleiters, Polizeidirektor E., vom 30. September 2005).

9

Entgegen der Ansicht der Antragstellerin hat die Antragsgegnerin auch von ihrem in § 31 Abs. 1 Satz 1 NBG eingeräumten Ermessen in einer den Anforderungen des § 114 Satz 1 VwGO genügenden Weise rechtsfehlerfrei Gebrauch gemacht. Der Dienstherr kann bei seiner Ermessensentscheidung davon ausgehen, dass der Beamte mit der Möglichkeit einer Abordnung und daraus resultierenden Unannehmlichkeiten rechnen muss. Dies gilt insbesondere dann, wenn es sich um einen Beamten handelt, der sich in seiner erstmaligen Verwendung im Beamtenverhältnis auf Lebenszeit befindet und mit weiteren Folgeverwendungen zu rechnen hat. Der Dienstherr kann auch in die Ermessensentscheidung einbeziehen, dass eine Abordnung nur zeitlich befristet ist und deshalb die Belange des Beamten nicht dauerhaft beeinträchtigt (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.1.1967 - BVerwG VI C 58.65 - BVerwGE 26, 65). Er hat aber auch die entgegenstehenden persönlichen Belange des Beamten in seine Ermessensentscheidung einzustellen. Dem hat die Antragsgegnerin Rechnung getragen. Sie hat die Belange der Antragstellerin als allein erziehende Mutter eines achtjährigen Kindes hinreichend berücksichtigt. Die Antragsgegnerin hat bei ihrer Entscheidung einbeziehen dürfen, dass die Antragstellerin in der Nähe des Hauptbahnhofes in G. wohnt und die Bahnfahrt von G. nach B. eine Stunde beträgt. Auch konnte sie berücksichtigen, dass die Antragstellerin - wie sie selbst angibt - bereits bisher in gehörigem Umfang für die Betreuung ihres Kindes Sorge getragen hat. Darüber hinaus besteht nach der von der Antragsgegnerin vorgelegten Stellungnahme des für Personalmanagement im höheren Polizeivollzugsdienst zuständigen Referatsleiters im Landespolizeipräsidium, Polizeidirektor C., vom 29. September 2005 die Möglichkeit einer Teilzeitbeschäftigung der Antragstellerin. Auch besteht in der Polizeidirektion B. die Bereitschaft für eine Suche nach Lösungsmöglichkeiten wegen der Betreuung ihres Kindes (vgl. die Stellungnahme des Dezernatsleiters, Polizeidirektor E., vom 30. September 2005).

10

Diese Umstände sind jedenfalls durch die im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nachgeholte Begründung der Ermessensentscheidung hinreichend erkennbar in die Abwägung einbezogen worden.

11

Eine Entscheidung über den von der Antragstellerin geltend gemachten Hilfsantrag kommt nicht in Betracht, da die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Neubescheidung Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO und im dazugehörigen Hauptsacheverfahren nicht dem Rechtsschutzziel der Aufhebung der Abordnungsverfügung entspricht und damit gegenstandslos ist.

12

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 1 und 2 GKG.