Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 25.10.2005, Az.: 1 B 50/05

Büroorganisation; dienstliche Gründe; dienstliches Bedürfnis; ernstliche Zweifel; Flexibilisierungsinteresse; Gerichtsvollzieher; Geschäftsprüfung; Interessenabwägung; mittlerer Justizdienst; statusverändernde Versetzung; Versetzung

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
25.10.2005
Aktenzeichen
1 B 50/05
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 50837
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Entscheidungsmaßstab in den Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 1-3 VwGO ist § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO (analog), so dass es im Eilverfahren auf ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes ankommt.

2. Ernstliche Zweifel liegen schon bei Unklarheiten und bei einer unsicheren Sach- und Rechtslage vor.

3. Ob dienstliche Gründe für eine Versetzung letztlich vorliegen, hängt von einer sämtliche Umstände ausleuchtenden richterlichen Wertung und Bewertung ab.

Gründe

1

I. Der Antragsteller wendet sich mit seiner Klage gegen eine Versetzungsverfügung der Antragsgegnerin vom 28. September 2005 und begehrt im vorliegenden Verfahren die Anordnung der aufschiebenden Wirkung dieser Klage.

2

Der 1957 geborene Antragsteller ist seit 1974 im Nds. Justizdienst tätig, wurde - nach seiner Laufbahnprüfung vom 20. September 1977 für den mittleren Justizdienst - 1985 zur Gerichtsvollzieherlaufbahn zugelassen, 1990 zum Gerichtsvollzieher ernannt und 1997 zum Obergerichtsvollzieher befördert.

3

Nach vorangehenden Beschwerden wurde - auf dem Hintergrund der zum 1. Juni 2005 „erforderlichen neuen Bezirkseinteilung“ (Vermerk v. 2.3.05) - am 1. März 2005 mit ihm unter Beteiligung des Direktors des Amtsgerichts C. ein Personalgespräch geführt, in dem der Antragsteller als Ursache seiner „verzögerlichen Arbeitsweise“ auf eine persönliche Lebenskrise nach dem Tod seines Vaters verwies, auf Überforderung in einem speziellen Zwangsvollstreckungsverfahren gegen eine Firma und auf seine unzureichende Büroorganisation. Das Gespräch endete mit einer sog. „Zielvereinbarung“, in der u.a. festgelegt wurde, die Arbeitsrückstände bis zum 15. April 2005 „aufzuarbeiten“ (Nr. 1), ihn ab 1. Juni 2005 ebenso zu belasten wie die anderen beim Amtsgericht D. beschäftigten Gerichtsvollzieher (Nr. 2), die Erledigung der Aufträge nicht zu verzögern (Nr. 3) und zum 1. April 2005 eine Vollzeitkraft anstelle mehrerer Angestellter einzustellen (Nr. 4). Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 18. April 2005 erbat er eine Verlängerung der Aufarbeitungsfrist um 2 Wochen, die ihm vom Antragsgegner am 20. April 2005 bis zum 30. April 2005 gewährt wurde.

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Am 18. April 2005 suchte der Direktor des Amtsgerichts D. den Antragsteller nach kurzfristiger Voranmeldung in seinem Büro auf und verschaffte sich einen Eindruck über den Stand der Erledigungen. Danach machte das Büro einen „weitgehend aufgeräumten Eindruck“, waren „Übersichtlichkeit und Ordnung nicht wie bei anderen Besuchen zu beanstanden“, gab der Antragsteller, der mit seinem PC-Programm „zufriedenstellend vertraut“ war, „bereitwillig Auskunft“. Es wurde „unschwer“ eine Reihe unerledigter Verfahren ermittelt, die aufgelistet und dem Berichtsschreiben vom 20. April 2005 als Anlage beigefügt wurden. Der Direktor stellte schließlich zum einen fest, dass seit dem 1. April 2005 eine „sehr erfahrene“ Vollzeitkraft eingestellt worden war, zum andern aber auch, dass die auf den Stichtag 15. April 2005 festgelegten Leistungen „nicht erbracht“ worden seien.

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In der Zeit Mai/Juni 2005 reichte der Antragsteller - beginnend mit dem 2. Mai - mehrfach Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ein, so dass der Direktor des Amtsgerichts D. am 24. Mai 2005 die amtsärztliche Untersuchung des Antragstellers mit dem Ziel der Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit (§§ 54, 56 NBG) verfügte. Die Stellungnahme des Amtsarztes vom 28. Juli 2005 wurde im August 2005 zu den Personalakten des Antragstellers genommen.

6

Im Juni 2005 suchte der Direktor des Amtsgerichts D. abermals das Büro des Antragstellers auf, in dem er die Mitarbeiterin des Antragstellers antraf. Gemäß Vermerk vom 14. Juni 2005 vermittelte das Büro „insgesamt einen übersichtlicheren, aufgeräumten Eindruck“. Es wurde Zahlenmaterial zusammengestellt, welches dem Bericht vom 15. Juni 2005 als Anlage beigefügt wurde. Daraus ergibt sich u.a., dass aus dem Geschäftsjahr 2005 87 Verfahren erledigt worden sind, davon 57 Verfahren auch nach dem 2. Mai 2005, also während der Erkrankung des Antragstellers. Zugleich wurde festgehalten, dass die überwiegende Zahl der Rückstände aus den Jahren 2001 bis 2003 lediglich wegen Ratenzahlungen oder nicht beglichener Gerichtsvollziehergebühren „unerledigt“ waren, letztlich nur noch 29 Sachen als „noch nicht erledigt“ gelten konnten (Bl. 186 bzw. 49 VerwV.). Der Direktor des Amtsgerichts gelangte wiederum zu der Feststellung, dass der Antrag-steller die mit der „Zielvereinbarung“ vom 1. März 2005 „festgelegten Leistungen nicht erbracht“ habe, da u.a. die Arbeitsrückstände - auch unter Berücksichtigung der Nachfrist - nicht „abgearbeitet“ worden seien.

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Mit Schreiben vom 7. Juli 2005 berichtete die Präsidentin des Landgerichts E., dass in mehreren Fällen Amtshaftungsansprüche wegen Verletzung von Dienstpflichten des Antragstellers gerichtlich angemeldet worden seien, die jedoch sämtlich „bislang abschlägig beschieden“ worden seien.

8

Mit Verfügung vom 15. Juli 2005 kündigte der Antragsgegner hierauf unter Bezug auf den zuvor genannten Bericht dem Antragsteller an, ihn mit Wirkung vom 1. Oktober 2005 in den mittleren Justizdienst zu versetzen und ihm das Amt eines Justizamtsinspektors bei einem Gericht im Landgerichtsbezirk E. zu übertragen, da es „nicht mehr vertretbar“ sei, ihn weiterhin im Gerichtsvollzieherdienst einzusetzen.

9

Der Antragsteller trat dem mit seinem Schreiben vom 3. August 2005 entgegen und legte mit weiterem Schreiben vom 8. August 2005 eine tabellarische Aufstellung (Bl. 211 bzw. 74 ff.) vor, derzufolge er alle in Rede stehenden Vorgänge nach Abschluss der „Zielvereinbarung“ sachgerecht in Bearbeitung genommen und gefördert habe. Er gab dabei zu jedem Verfahren eine Erläuterung ab. Der Antragsgegner übermittelte diese Schreiben dem Direktor des Amtsgerichts D. mit dem Bemerken, „mit der in der Zielvereinbarung enthaltenen Formulierung ´Aufarbeiten´ (sei) die Förderung der Vollstreckungsverfahren im rechtlich zulässigen und gebotenen Rahmen gemeint“ gewesen. Mit seinem Bericht vom 30. August 2005 teilte der Direktor des Amtsgerichts zusammenfassend mit, es verbleibe bei der „hiesigen Einschätzung vom 15.06.05 zur Nichterfüllung der Zielvereinbarung“ - u.a. wegen verspäteter Auszahlung vereinnahmter Gelder an die Gläubiger.

10

Nach einer Ankündigung vom 12. September 2005 und Zustimmung des Bezirkspersonalrates vom 27. September 2005 versetzte der Antragsgegner den Antragsteller mit der angefochtenen Verfügung vom 28. September 2005 mit Wirkung vom 1. Oktober 2005 in den mittleren Justizdienst und übertrug ihm zu diesem Zeitpunkt das Amt eines Justizamtsinspektors bei dem Amtsgericht E.. Als Grund wurden die „unzureichenden Leistungen im Gerichtsvollzieherdienst“ benannt und dabei das Nichteinhalten der Ziff. 1 und 3 der „Zielvereinbarung“ hervorgehoben.

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Gegen diese am 29. September 2005 zugestellte Versetzungsverfügung hat der Antragsteller am 30. September 2005 Klage (1 A 313/05) erhoben und gleichzeitig einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung mit der Begründung gestellt, die Verfügung sei rechtswidrig, da sie keine ausreichende Begründung enthalte. Es sei unklar, auf welche Dienstpflichtverletzung und welche Verstöße die Verfügung gestützt werde. Er habe sich seit Abschluss der „Zielvereinbarung“ nach Kräften bemüht, die Vorgaben einzuhalten und sie umzusetzen. Der Kritik an seiner Amtsführung liege eine unzureichende Überprüfung seiner Dienstgeschäfte zugrunde, weshalb dann seine Gründe für eine gelegentlich langsamere Bearbeitung der Aktenvorgänge überhaupt nicht berücksichtigt worden seien, vielmehr nur die Zahl unerledigter Sachen unreflektiert in den Vordergrund gestellt worden sei. Aus der Bearbeitung laufender Sachen seien dann auch falsche Schlüsse gezogen worden. Die angefochtene Verfügung stelle ihn auch wirtschaftlich vor erhebliche Probleme, da er ein Büro angemietet habe und eine Angestellte beschäftige. Er beantragt,

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die aufschiebende Wirkung der seitens des Antragstellers im Verfahren sachgleichen Rubrums erhobenen Klage vom heutigen Tage gegen den Versetzungsbescheid des Antragsgegners vom 28.09.2005 gem. § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.

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Der Antragsgegner beantragt,

14

den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der gegen die Versetzung des Antragstellers gerichteten Anfechtungsklage kostenpflichtig abzuweisen.

15

Zur Begründung verweist er auf den Hergang der Angelegenheit sowie darauf, dass die Voraussetzungen des § 32 NBG erfüllt seien. Einer Würdigung einzelner Vorgänge bedürfe es nicht. Der Antragsteller habe weder die am 1. März 2005 vorhandenen Arbeitsrückstände aufgearbeitet noch seine Aufträge ohne Verzögerung erledigt. Auch seien nach einer Mitteilung des Landgerichts E. vom 7. Juli 2005 in mehreren Fällen Amtshaftungsansprüche wegen Verletzung von Dienstpflichten durch den Antragsteller (Verzögerung der Zwangsvollstreckung) angemeldet worden. Bei der Interessenabwägung sei neben der mangelnden Erfolgsaussicht der Klage zu berücksichtigen, dass eine lückenlose Kontrolle im Gerichtsvollzieherbereich nicht möglich sei, so dass es auf Vertrauen ankomme, das dem Antragsteller wegen seines Verhaltens nicht mehr entgegengebracht werden könne.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die überlassenen Verwaltungsvorgänge (Sonderheft) sowie die Gerichtsakten Bezug genommen.

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II. Der gem. § 80 Abs. 5 VwGO zulässige Antrag hat Erfolg.

18

1. § 80 Abs. 5 VwGO normiert keinerlei materielle Kriterien für eine gerichtliche Sachentscheidung, so dass die Rechtsprechung diese in der Regel im Wege einer Interessenabwägung sucht (Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO-Kommentar, Band I, Loseblattsammlung / Stand: Januar 2000, § 80 Rdn. 252 m.w.N.; Kopp/Schenke, VwGO-Kom-mentar, 13. Aufl., § 80 Rdn. 158 u. 116). Die bei dieser Interessenabwägung relevanten Gesichtspunkte bilden ein „bewegliches System“ (Schenke, JZ 1996, 1162; Kopp/ Schenke, aaO.).

19

In den Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 1-3 VwGO jedoch, zu denen gemäß §§ 192 Abs. 3 Nr. 3 NBG, 126 Abs. 3 Nr. 3 BRRG auch die Klage gegen eine Versetzung zählt, zieht die überwiegende Meinung in Literatur und Rechtsprechung (vgl. Finkelnburg/Jank, NJW-Schriften 12, 4. Aufl. 1998, Rdn. 849 / 851 m.w.N.; Schoch/ Schmidt-Aßmann-Pietzner, aaO., Rdn. 125, 204, 262 / 264 m.w.N.; Nomos-Kommentar zur VwGO / Puttler, Losebl., § 80 Anm. 109; OVG Lüneburg NJW 1978, 672; VGH Mannheim NVwZ-RR 1991, 287; Renck, NVwZ 1992, 339; differenzierend Kopp/ Schenke, VwGO-Kommentar, 11. Aufl. 1998, § 80 Rdn. 116, a.A. in der 13. Aufl. 2003) als Entscheidungsmaßstab § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO (analog) heran. Das bedeutet, dass ein öffentliches Vollzugsinteresse jedenfalls dann fehlt, wenn bei summarischer Prüfung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Hierbei gilt, dass der gesetzliche Ausschluss der aufschiebenden Wirkung (§ 80 Abs. 1 VwGO) „nicht etwa eine gesteigerte Rechtmäßigkeitsvermutung zugunsten des Verwaltungsakts“ begründet (Schoch u.a., aaO., Rdn. 261), sondern nur ein überschießendes Beschleunigungs- und Flexibilisierungsinteresse. Dieses ist im Interesse der Einzelfallgerechtigkeit und der Rechtsschutzgarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) - orientiert am materiellen Recht (u.a. am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, VGH München, NVwZ 1991, 1002 [VGH Bayern 14.01.1991 - 14 CS 90/3166]) - durch das Gericht ggf. wieder zurückzuführen (Schoch u.a., aaO, Rdn. 197).

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2. Solche ernstlichen Zweifel bzw. „Unklarheiten, Unsicherheiten und vor allem Unentschiedenheit bei der Einschätzung der Sach- und Rechtslage“ (Schoch u.a., aaO., Rdn. 194.; vgl. für das Zulassungsverfahren iSv § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO Nds. OVG Beschl. v. 11.12.2001 - 2 MA 3519/01 - ; Kopp/ Schenke, VwGO-Kommentar, 11. Aufl. 1998, § 80 Rdn. 116), sind hier gegeben. Auch hinreichend gewichtige Mängel der Versetzungsverfügung, die zu der Einschätzung führen, die Erfolgsaussichten des Klageverfahrens seien derzeit - im Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung - als offen zu beurteilen, liegen vor.

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3. Nach § 32 NBG (§§ 26 BBG, 18 BRRG) kann ein Beamter aus dienstlichen Gründen ohne seine Zustimmung in ein Amt mit demselben Endgrundgehalt versetzt werden, wobei zwischen statusverändernder und organisationsrechtlicher Versetzung unterschieden wird (Kümmel, Kommentar zum Beamtenrecht, Loseblattsammlung, § 32 Rdn. 6, 8/9 m.w.N.). Die Versetzungsverfügung muss inhaltlich hinreichend bestimmt sein (§ 37 VwVfG), bedarf nicht unbedingt der Schriftform, jedoch in der Regel einer vorherigen Anhörung (§ 28 VwVfG) und ist im Falle einer Versetzung ohne Zustimmung des Beamten - zu dessen Schutz - davon abhängig, dass dienstliche Gründe vorliegen bzw. ein dienstliches Bedürfnis (§§ 26 BBG, 18 BRRG) gegeben ist. Bei diesen zuletzt genannten tatbestandlichen Voraussetzungen handelt es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe, die in vollem Umfange der gerichtlichen Nachprüfung unterliegen (Kümmel, aaO, Rdn. 22; Battis, BBG-Kommentar, § 26 m.w.N.).

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4. Das „dienstliche Bedürfnis“ (iSd rahmenrechtlichen Vorgaben, § 18 BRRG) kann im Einzelfall auch in der Person des Beamten begründet sein (vgl. u.a. BVerwG, Urt. v. 13.5. 1965, DÖD 1965, S. 177/178). Ob es letztlich gegeben ist, hängt von einer alle Aspekte und Begleitumstände ausleuchtenden richterlichen Wertung und Bewertung ab, die hier bei einer summarischen Prüfung - auf der Grundlage eines „Sonderheftes“, ohne Personalakten des Antragstellers - noch nicht dazu führt, dass die Versetzungsverfügung als offenbar rechtmäßig anzusehen ist. Dabei fällt auch ins Gewicht, dass aus den wohl schon länger bekannten Rückständen des Antragstellers keine oder keine zureichenden Konsequenzen gezogen worden sind, so dass es erst zu den aufgelaufenen Rückständen überhaupt kommen konnte. Inwieweit hier Organisations- und Aufsichtsmängel vorliegen, mit dem vorliegenden Vorgehen u.U. Verantwortlichkeiten für - hinreichend bekannte - Probleme und Mängel verlagert werden sollen, ist der Prüfung im Verfahren der Hauptsache vorzubehalten. Jedenfalls haben im Jahre 2005 dann zwei sehr kurzfristig angekündigte Prüfungen durch den Direktor des Amtsgerichtes D. stattgefunden, die im wesentlichen eine offenbar nachhaltige Besserung der Zustände im Büro des Antragstellers zutage gefördert haben. Aus den Verwaltungsvorgängen geht hervor, dass die Rückstände wie auch der Zustand des Büros offenbar dem Direktor des Amtsgerichtes D. mehr oder weniger bekannt waren, da er bei seiner Prüfung vom April 2005 vermerkte, dass „die Übersichtlichkeit und Ordnung nicht wie bei anderen Besuchen zu beanstanden“ waren.

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Zudem kann nicht allein die Zahl der unerledigten Verfahren in den Vordergrund gerückt werden, sondern es muss für eine abwägende, die Gegebenheiten im Gerichtsvollzieherdienst hinreichend einbeziehende Beurteilung der Amtsführung des Antragstellers auch auf die Sachgründe eingegangen werden, die dazu geführt haben, dass Verfahren noch nicht endgültig abgeschlossen und „erledigt“ sind. Insoweit hätte die tabellarische Aufstellung des Antragstellers vom 8. August 2005 (Bl. 209 bzw. 72 ff.) sowie der Hinweis des Antragsgegners vom 10. August 2005, mit der Formulierung „Aufarbeiten“ in der „Zielvereinbarung“ vom 1. März 2005 sei lediglich die bloße „Förderung der Vollstreckungsverfahren im rechtlich zulässigen“ und vor allem nur im sachlich „gebotenen Rahmen gemeint“ gewesen, zum Anlass genommen werden können, den Sachgründen des Antragstellers mit Verständnis für seine Aufgabenstellung als Gerichtsvollzieher und seine Amtsführung insgesamt - unter Berücksichtigung der allgemeinen Belastung von Gerichtsvollziehern und der Justiz im Allgemeinen - nachzugehen. Es wäre dann einzugehen gewesen auf die zahlreich vereinbarten Teil- und Ratenzahlungen, auf Vereinbarung von Zahlungsterminen, die Nichtzahlung von Gerichtsvollziehergebühren durch Rechtsanwälte, auf einvernehmliche Aussetzungen der Vollstreckung, auf angesetzte Versteigerungstermine, auf Zahlungszusagen, auf Einstellungen wegen Eröffnung des Insolvenzverfahrens usw.. Das alles jedoch ist mit dem kurz gefassten, wenig aussagekräftigen Bericht vom 30. August 2005 nicht geschehen.

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Weiterhin wird es darauf ankommen, ob die getroffene „Zielvereinbarung“ vom 1. März 2005 tatsächlich - wie vor allem der Direktor des Amtsgerichts D. wohl meint - vom Antragsteller bis zum 30. April 2005 (Fristverlängerung) nicht eingehalten worden ist oder ob die mit der Vereinbarung nach ihrem Sinn und Zweck lediglich gewollte „Förderung“ der Verfahren (so Schreiben der Antragsgegnerin vom 10. August 2005, Bl. 89 VerwV) insgesamt erfolgt ist, so dass bei einer verständigen Auslegung von einer Erfüllung der Vereinbarung ausgegangen werden kann.

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Schließlich wäre auch der Geschäftsbericht des Justizoberinspektors F. einzubeziehen (vgl. S. 3 des Schreibens vom 3.8.05), der ohne Feststellung erheblicher Mängel abgeschlossen worden sein soll und der den Verwaltungsvorgängen nicht beigefügt war.

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Angesichts dieser Sachlage sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens derzeit als offen einzuschätzen.

27

5. Unter diesen Umständen kommt es auf eine Abwägung des Suspensivinteresses mit dem Vollzugsinteresse an, welches darin gesehen werden kann, eine funktionsfähige Verwaltung zu erhalten bzw. deren Funktionsfähigkeit noch zu steigern.

28

In diesem Rahmen ist zunächst festzustellen, dass der Antragsteller für den Entscheidungszeitpunkt der Kammer (Oktober 2005) vorgetragen hat, er habe während seines Herbsturlaubs am Amtsgericht E. noch Akten (nach-)bearbeitet, was ihm von seinem unmittelbaren Vorgesetzten am Amtsgericht D. gestattet worden sei. Ein Rückstand bei der Aktenbearbeitung liege „nicht mehr oder jedenfalls nicht im nennenswerten Umfange“ vor. Damit fehle es an der Tatsachengrundlage für die Versetzung. - Sollte das so sein, dann könnte möglicherweise auch nicht mehr von „unzureichenden Leistungen im Gerichtsvollzieherdienst“ für den Zeitpunkt der Zustellung der Versetzungsverfügung gesprochen werden, was die Erfolgsaussichten der erhobenen Klage weiter erhöhte.

29

Weiterhin ist bei der Abwägung der beiderseitigen Interessen auf Seiten des Antragstellers zu berücksichtigen, dass dieser im Falle der Abweisung seines Antrages sein Büro aufzulösen und seine erst im April 2005 eingestellte Fachkraft zu entlassen hätte. Damit würden vor Abschluss des noch offenen Hauptsacheverfahrens mehr oder weniger vollendete Tatsachen geschaffen, die dem Antragsteller nur schwer zugemutet werden können - von dem Ortswechsel des Antragstellers nach E. einmal abgesehen. Zudem hätte er sich zunächst einmal in die neue Stelle beim Amtsgericht E. einzuarbeiten, während er seine Arbeitskraft und sein Wissen als Gerichtsvollzieher - wie geschehen - auf seiner bisherigen Stelle voll verwerten kann, was letztlich auch im dienstlichen Interesse liegt. Das gilt nun insbesondere auch im Hinblick darauf, dass wegen personeller Engpässe im Geschäftsbereich der Gerichtsvollzieher am Amtsgericht D. (längerfristige Erkrankung, bevorstehender Ruhestand, Zuweisung nur einer Aushilfskraft) für den 20. Juni 2005 bereits eine außerordentliche Dienstbesprechung angesetzt worden war (Bericht v. 15.6.2005, Bl. 183 bzw. 46 VerwV), mithin der Personalbedarf in D. hoch zu sein scheint.

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In Anbetracht der Tatsache, dass es sich beim Antragsteller um einen sehr erfahrenen, langjährig tätigen Gerichtsvollzieher handeln dürfte, der 1997 noch zum Obergerichtsvollzieher befördert worden ist, überwiegt bei einer Folgenbetrachtung und -abwägung derzeit sein Suspensivinteresse das Vollzugsinteresse des Antragsgegners.

31

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf  §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 1 und 2 GKG.