Finanzgericht Niedersachsen
Beschl. v. 30.11.2009, Az.: 7 V 143/09

Verfassungsrechtliche Gebotenheit des Eintrags eines höheren als vom Gesetz vorgesehenen Grundfreibetrags auf einer Lohnsteuerkarte; Anwendbarkeit der individuellen Berechnung eines Mindestbedarfs nach dem Sozialhilferecht auf die Berechung des Grundfreibetrags im Steuerrecht

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
30.11.2009
Aktenzeichen
7 V 143/09
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2009, 33876
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2009:1130.7V143.09.0A

Tenor:

Der Antrag wird auf Kosten der Antragsteller abgelehnt.

Gründe

1

I.

Im Hauptsacheverfahren (7 K 142/09) ist streitig, ob es verfassungsrechtlich geboten ist, einen höheren Grundfreibetrag, als ihn das Gesetz vorsieht, auf der Lohnsteuerkarte 2009 einzutragen.

2

Die Antragsteller sind verheiratet und haben zwei minderjährige Kinder. Der Antragsteller erzielt Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit gemäß § 19 Einkommensteuergesetz (EStG). Die Antragstellerin ist nicht berufstätig. Für das Jahr 2009 stellten die Antragsteller einen Antrag auf Lohnsteuerermäßigung. Dabei gaben sie an, dass der Antragsteller voraussichtlich 40.419 EUR Bruttoarbeitslohn beziehen wird. Mit dem Antrag begehrten Sie die Eintragung eines Freibetrags auf der Lohnsteuerkarte 2009 in Höhe von 6.456 EUR. Der Freibetrag sei in beantragter Höhe einzutragen, weil der gesetzlich vorgesehene Grundfreibetrag und der Kinderfreibetrag zu niedrig bemessen seien. Unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten sei der Grundfreibetrag pro Person um 1.932 EUR und der Kinderfreibetrag je Kind um 1.296 EUR zu erhöhen. Der Antragsgegner hat den Antrag mit Bescheid vom 3. März 2009 zurückgewiesen. Den dagegen erhobenen Einspruch wies der Antragsgegner mit Einspruchsentscheidung vom 22. April 2009 als unbegründet zurück. Auch der beim Antragsgegner gestellte Antrag auf Aussetzung der Vollziehung wurde mit Bescheid vom 22. April 2009 zurückgewiesen.

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Die Antragsteller haben gegen die Einspruchsentscheidung Klage erhoben und bei Gericht einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt.

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Die Antragsteller sind nunmehr nur noch der Auffassung, dass ein um 1.800 EUR erhöhter Grundfreibetrag als Freibetrag auf der Lohnsteuerkarte einzutragen sei. Nur für das Aussetzungsverfahren werde auf die Eintragung erhöhter Kinderfreibeträge verzichtet. Die verfassungswidrig zu niedrige Bemessung des Grundfreibetrags ergebe sich schon aus dem Umstand, dass das Hessische Landessozialgericht die Regelleistung nach Hartz IV für zu niedrig halte und dementsprechend die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Regelleistungen nach Hartz IV dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zur Entscheidung vorgelegt habe. Die Höhe des steuerlichen Existenzminimums, welches der Gesetzgeber nach der Rechtsprechung des BVerfG unbesteuert lassen müsse, richte sich nach den sozialrechtlichen Beträgen. Seien diese zu niedrig, sei auch der Grundfreibetrag zu erhöhen. Aus den im Verfahren vor dem Landessozialgericht vorgelegten Gutachten ergebe sich, dass bei einem Ein-Personen-Haushalt ein Betrag von 775 EUR je Monat einschließlich Wohnkosten als sachgerechter Maßstab für die Bemessung des Existenzminimums geeignet sei. Dies sei auf das Steuerrecht zu übertragen. Unter Berücksichtigung dieser Werte sei der Grundfreibetrag monatlich je Erwachsenem um 75 EUR zu niedrig bemessen, so dass insgesamt ein Freibetrag von 1.800 EUR auf der Lohnsteuerkarte 2009 einzutragen sei.

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Der Antragsgegner vertritt dagegen die Auffassung, dass ein solcher Freibetrag nach § 39a EStG nicht auf der Lohnsteuerkarte eingetragen werden könne. Die eintragungsfähigen Beträge seien im Gesetz abschließend aufgezählt. Die Eintragung eines Grundfreibetrags sehe das Gesetz nicht vor.

6

II.

Der Antrag ist unbegründet.

7

1.

Die Aussetzung der Vollziehung soll gemäß § 69 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 zweiter Halbsatz FGO erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

8

a)

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bestehen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatsachen bewirken (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. Februar 1984 III B 40/83, BStBl II 1984, 454 und vom 30. Dezember 1996 I B 61/96, BStBl II 1997, 466). Solche Umstände sind im vorliegenden Fall nicht gegeben.

9

Bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtsmäßigkeit des angefochtenen Bescheides. Die im Aussetzungsverfahren vorgelegten Unterlagen und beigezogenen Gutachten reichen nicht aus, ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Grundfreibetrags nach § 32a Abs. 1 Nr. 1 EStG zu wecken. Nach der Rechtsprechung des BVerfG bildet der existenznotwendige Bedarf des Steuerpflichtigen von Verfassungs wegen die Untergrenze für den Zugriff durch die Einkommensteuer. Die Höhe des steuerlich zu verschonenden Existenzminimums hängt von den allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnissen und dem in der Rechtsgemeinschaft anerkannten Mindestbedarf ab. Diesen einzuschätzen ist Aufgabe des Gesetzgebers. Soweit der Gesetzgeber jedoch im Sozialhilferecht den Mindestbedarf bestimmt hat, den der Staat bei einem mittellosen Bürger im Rahmen sozialstaatlicher Fürsorge durch Staatsleistungen zu decken hat, darf das von der Einkommensteuer zu verschonende Existenzminimum diesen Betrag jedenfalls nicht unterschreiten. Der Steuergesetzgeber muss dem Einkommensbezieher von seinen Erwerbsbezügen zumindest das belassen, was er dem Bedürftigen zur Befriedigung seines existenznotwendigen Bedarfs aus öffentlichen Mitteln zur Verfügung stellt.

10

Die Maßgröße für das einkommensteuerliche Existenzminimum ist demnach der im Sozialhilferecht jeweils anerkannte Mindestbedarf, der allgemein durch Hilfen zum notwendigen Lebensunterhalt an jeden Bedürftigen befriedigt wird. Die Hilfe zum Lebensunterhalt, die den notwendigen Grundbedarf des täglichen Lebens gewährleisten soll, umfasst neben dem von der zuständigen Landesbehörde oder von einem örtlichen Sozialhilfeträger festgesetzten RegelSatz 1eistungen für die Unterkunft und die Heizung sowie einmalige Hilfen, die einen zusätzlichen Grundbedarf berücksichtigen, der durch die laufenden Leistungen nicht gedeckt ist. Das Sozialrecht anerkennt den individuellen Bedarf des einzelnen Bedürftigen nach den Verhältnissen des Einzelfalls. Für das Einkommensteuergesetz hingegen regelt der Gesetzgeber den existenzsichernden Aufwand in einem für alle Einkommensteuerpflichtigen einheitlichen Betrag. Die vergröbernde, die Abwicklung von Massenverfahren erleichternde Typisierung ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Im Rahmen einer solchen Typisierung ist das Existenzminimum allerdings grundsätzlich so zu bemessen, dass es in möglichst allen Fällen den existenznotwendigen Bedarf abdeckt, kein Steuerpflichtiger also infolge einer Besteuerung seines Einkommens darauf verwiesen wird, seinen existenznotwendigen Bedarf durch Inanspruchnahme von Staatsleistungen zu decken. Das Existenzminimum kann - wenn auch nur annäherungsweise - am Maßstab der Sozialhilfeleistungen bestimmt werden. (BVerfG-Beschluss vom 25. September 1992 2 BvL 5, 8, 14/91, BStBl. II 1993, 413). Somit hat das BVerfG im Bereich des sächlichen Existenzminimums vorgeschrieben, dass der Steuergesetzgeber die relevanten Leistungsbestandteile des sozialhilferechtlich anerkannten Mindestbedarfs in einem statistisch ermittelten einheitlichen Betrag quantifizieren darf. Dabei sind einer Orientierung an einem bundeseinheitlichen Mittelwert, der in einer größeren Anzahl von Fällen nicht ausreichen würde, Grenzen gesetzt (BVerfG-Beschluss vom 13. Februar 2008 2 BvL 1/06, BVerfGE 120, 125, BFH/NV 2008, 604).

11

Der Senat hat auf der Grundlage der vorliegenden Unterlagen keine ernstlichen Zweifel daran, dass der Grundfreibetrag nach § 32a Abs. 1 Nr. 1 EStG in Höhe von 7.834 EUR den vom BVerfG zur Verschonung des Existenzminimums aufgestellten Anforderungen entspricht. Der Steuergesetzgeber hat sich bei der Festlegung der Höhe des Grundfreibetrags nach § 32a Abs.1 Nr. 1 EStG an den geltenden Sozialleistungen, die zur Sicherung des Lebensunterhalts gewährt werden, orientiert. Die Regelleistungen nach den sozialrechtlichen Bestimmungen beruhen auf entsprechenden statistischen Erhebungen des Statistischen Bundesamtes (Einkommens- und Verbrauchsstichprobe -EVS-). Die Antragsteller haben kein belastbares Zahlenmaterial vorgelegt, aus dem erkennbar ist, dass der Grundfreibetrag in verfassungsrechtlich unzulässiger Weise zu niedrig bemessen ist. Die beigezogenen Gutachten führen zwar aus, dass die Ermittlungsmethode, die der Gesetzgeber zur Bemessung der Regelleistungen nach dem SGB II angewendet hat, aus systematischer Sicht nicht überzeugt. Eine konkrete Höhe des Existenzminimums ist den Gutachten nicht zu entnehmen. Auch die vom Antragsteller als Maßgröße eingeführte Höhe des Existenzminimums von monatlich 775 EUR aus dem Gutachten des Dr. X basiert auf der EVS, die der Gesetzgeber der Ermittlung der Regelleistungen zu Grunde gelegt hat. Insoweit ist nicht schlüssig vorgetragen, inwieweit dasselbe statistische Zahlenmaterial von Verfassungs wegen zu einer Erhöhung des Grundfreibetrags zu führen habe.

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Allein der Umstand, dass das Hessische Landessozialgericht dem BVerfG nach Art. 100 GG die Frage, ob die Höhe der Regelleistungen nach § 20 Abs. 1 bis 3 und § 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 SGB II mit dem Grundgesetz vereinbar ist, vorgelegt hat, rechtfertigt nicht die Gewährung einer Vollziehungsaussetzung. Zwar hat das BVerfG eine Verknüpfung zwischen der Höhe des Grundfreibetrags im Sinne des § 32a Abs. 1 Nr. 1 EStG und der Höhe von Sozialleistungen zur Sicherung des Existenzminimums vorgesehen (BVerfG-Beschluss vom 25. September 1992 2 BvL 5, 8, 14/91, BStBl. II 1993, 413). Jedoch ist auch dem Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts eine konkrete Höhe des zu sichernden Existenzminimums nicht zu entnehmen. Das Gericht stützt seine verfassungsrechtlichen Bedenken vor allem darauf, dass der Gesetzgeber bei der Bemessung der sozialrechtlichen Regelleistungen fehlerhafte Ermittlungsmethoden zu Grunde gelegt habe. Eine konkrete Höhe der zu gewährenden Regelleistungen leitet das Gericht daraus allerdings nicht ab. Zwar mögen diese Umstände Zweifel an der zutreffenden Bemessung des Grundfreibetrags nach § 32a Abs. 1 Nr. 1 EStG begründen. Sie sind im Ergebnis aber zu unbestimmt, um ernstliche Zweifel des Senats an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids zu begründen. Im Aussetzungsverfahren kann das Gericht nur präsente Beweismittel berücksichtigen und hat keine eigenen Ermittlungen anzustellen. Es bleibt ausschließlich dem Hauptsacheverfahren vorbehalten, aufzuklären, ob das steuerlich zu verschonende Existenzminimum vom Gesetzgeber nach§ 32a Abs. 1 Nr. 1 EStG in ausreichender Höhe bemessen ist.

13

b)

Ebensowenig ist die Aussetzung geboten, weil die Vollziehung des angefochtenen Bescheides für die Antragsteller eine unbillige Härte zur Folge hätte. Die Vollziehung eines - noch nicht bestandskräftigen - Steuerbescheides ist für den Steuerpflichtigen unbillig hart, wenn ihm dadurch wirtschaftliche Nachteile drohen, die über die eigentliche Zahlung hinausgehen und die nicht oder nur sehr schwer wiedergutzumachen wären, oder wenn sogar die wirtschaftliche Existenz gefährdet wäre (vgl. Beschluss des BFH vom 24. März 1994 IV S 1/94, BStBl II 1994, 398). Solche Gründe sind weder aus den Akten ersichtlich, noch haben sie die Antragsteller substantiiert vorgetragen.

14

2.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.