Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 30.11.2009, Az.: 9 K 73/07
Wirksamkeit eines aus zwei einzelnen Seiten bestehenden, zusammengehefteten und nur auf der zweiten Seite unterschriebenen Computerausdrucks als Abtretungsanzeige; Schutz- und Bearbeitungszweck der Abtretungsanzeige als Wirksamkeitskriterium der Auslegung von § 46 Abs. 3 Abgabenordnung (AO)
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 30.11.2009
- Aktenzeichen
- 9 K 73/07
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2009, 30244
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2009:1130.9K73.07.0A
Rechtsgrundlage
- § 46 Abs. 3 AO
Fundstellen
- AO-StB 2010, 110
- BB 2010, 214
- BB 2010, 278
- DStR 2010, 11
- DStRE 2010, 1017-1018
- EFG 2010, 540-541
- GStB 2010, 81
- UBB 2010, 5
- V&S 2010, 8
Abrechnungsbescheid
Ein aus zwei einzelnen Seiten bestehender und zusammengehefteter Computerausdruck des Vordrucks einer Abtretungsanzeige genügt den gesetzlichen Anforderungen des § 46 Abs. 3 AO und ist damit formwirksam.
Tatbestand
Streitig ist die Wirksamkeit einer aus zwei getrennten Seiten bestehenden Abtretungsanzeige.
Die Klägerin ist eine ...bank. Am 5. Januar 2007 legte sie dem beklagten Finanzamt eine Anzeige über die Abtretung von Steuererstattungsansprüchen von Kunden betreffend Eigenheimzulage und Baukindergeld für das Jahr 2007 vor. Für Zwecke dieser Abtretung hatte die Klägerin einen Computerausdruck eines Vordrucks einer Abtretungsanzeige verwendet, der aus zwei einzelnen bedruckten Blättern bestand, von ihr zusammengeheftet, ausgefüllt und vom Kunden auf der zweiten Seite unterschrieben war.
Der Beklagte lehnte als Drittschuldner mit Abrechnungsbescheid gemäß § 218 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) vom 25. Januar 2007 die Berücksichtigung dieser Abtretungsanzeige ab. Der Beklagte erachtete die angezeigte Abtretung, die als Vollabtretung über einen Betrag von 3.650 EUR ging, in Form und Aufbau als nicht wirksam, weil die Abtretungsanzeige nicht auf einem beidseitig bedruckten Vordruck erstellt worden war. Der hiergegen gerichtete Einspruch hatte keinen Erfolg.
Mit der vorliegenden Klage verfolgt die Klägerin ihr bisheriges Begehren aus dem Verwaltungs- und Einspruchsverfahren weiter. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen Folgendes vor: Eine Abtretungsanzeige auf zwei getrennten, zusammengehefteten Seiten sei vollständig formwirksam. Ein amtlich vorgeschriebener Vordruck brauche nicht amtlich hergestellt zu sein; er müsse lediglich nach Inhalt und äußerer Form der amtlichen Vorschrift entsprechen. Folglich genügten auch privat hergestellte Vordrucke und Ablichtungen. Die Vorschrift des § 46 Abs. 3 AO enthalte eine Schutzwirkung für den Steuerpflichtigen. Abweichungen vom amtlich vorgeschriebenen Vordruck seien somit zulässig, soweit dadurch nicht der Schutzzweck gefährdet sei. Vorliegend bestehe der Schutzzweck darin, Steuerpflichtige davor zu schützen, ihre Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nicht unüberlegt, zu unangemessenen Bedingungen oder an unseriöse Zessionare abzutreten. Die Abgabe von zwei inhaltlich aufeinander abgestimmten Seiten, die zusammengeheftet seien, könne weder der Schutzwirkung des§ 46 AO noch den Formerfordernissen des § 46 Abs. 3 AO entgegen stehen. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) seien Abtretungsanzeigen, die nicht in allen Einzelheiten der amtlich vorgeschriebenen Form entsprechen oder bei denen der amtliche Vordruck unvollständig oder fehlerhaft ausgefüllt worden sei, nicht von vornherein unwirksam. Die formelle Wirksamkeit der Abtretungsanzeige bestimme sich nach den Schutz- und Bearbeitungszwecken der Anzeige. Es könne im Übrigen dahinstehen, dass in Niedersachsen die Internetseite der Oberfinanzdirektion (OFD) einen wichtigen Hinweis dergestalt enthalte, dass das Formular beidseitig auszudrucken sei. Der vorliegende Kunde habe jedoch seinen Sitz in Schleswig-Holstein. Auf der Internetseite der Finanzbehörde des Landes Schleswig-Holsteins seien derartige Warnhinweise, wie auch auf der Internetseite der Bundesfinanzbehörde, nicht vorhanden.
Die Klägerin beantragt,
die streitbefangene Abtretungsanzeige vom 5. Januar 2007 als wirksam anzuerkennen und den angefochtenen Abrechnungsbescheid vom 25. Januar 2007 in Gestalt des Einspruchsbescheides vom 14. Februar 2007 entsprechend zu ändern.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte verbleibt bei seiner Auffassung zur Unwirksamkeit der Abtretungsanzeige. Gerade die Unterschriftsleistung am Ende der Abtretungsanzeige auf der zweiten Seite des beidseitig bedruckten Vordrucks diene dem Schutz des Steuerpflichtigen und stelle sicher, dass der Abtretende von beiden Seiten der Abtretung Kenntnis habe nehmen können. Hierauf habe die OFD auf der Internetseite gesondert in Form eines Warnhinweises hingewiesen. Im vorliegenden Streitfall sei durch die Zerlegung von Vorder- und Rückseite der Anzeige auf zwei Blätter nicht gewährleistet, dass der Abtretende von der gesamten Anzeige Kenntnis nehmen könne. Somit sei auch der Schutzzweck nicht erfüllt.
Entscheidungsgründe
1.
Die Klage ist begründet.
Der angefochtene Abrechnungsbescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung - FGO -). Entgegen der Auffassung des Beklagten ist die von der Klägerin vorgelegte Abtretungsanzeige formwirksam auf einem amtlich vorgeschriebenen Vordruck im Sinne des § 46 Abs. 3 Abgabenordnung (AO) erfolgt.
Nach § 46 Abs. 1 AO können Ansprüche auf Erstattung von Steuern nach ihrer Entstehung abgetreten werden, wobei es unerheblich ist, ob sie noch nicht festgesetzt waren. Nach § 46 Abs. 3 AO ist die Abtretung der zuständigen Finanzbehörde unter Angabe des Zessionars sowie der Art und Höhe des abgetretenen Anspruchs und des Abtretungsgrundes auf einem amtlich vorgeschriebenen Vordruck anzuzeigen und vom Zedenten und Zessionar zu unterschreiben. Die Abtretung wird erst wirksam, wenn der Gläubiger sie in der in § 46 Abs. 3 AO vorgeschriebenen Form der Finanzbehörde anzeigt (§ 46 Abs. 2 AO); die Abtretungsanzeige ist materielle Wirksamkeitsvoraussetzung der Abtretung (BFH in ständiger Rechtsprechung, siehe etwa Urteil vom 6. Februar 1996 - VII R 116/94, BStBl II 1996, 557).
Die in § 46 Abs. 3 AO vorgeschriebene formalisierte Abtretungsanzeige soll die Abtretenden davor schützen, ihre Erstattungsansprüche unüberlegt, zu unangemessenen Bedingungen oder an unseriöse Zessionare abzutreten. Darüber hinaus soll die einheitliche Gestaltung des amtlichen Vordrucks dem Finanzamt die Bearbeitung der Erstattungsanträge erleichtern (Begründung der Bundesregierung, BTDrucks 7/2852, Seite 47, und Urteil des BFH vom 25. Juni 1985 - VII R 195/82, BStBl II 1985, 572 m.w.N.). Abtretungsanzeigen, die nicht in allen Einzelheiten der amtlich vorgeschriebenen Form entsprechen oder bei denen der amtliche Vordruck unvollständig oder fehlerhaft ausgefüllt worden ist, machen die Abtretung nicht von vornherein unwirksam. Sie sind vielmehr als einseitige empfangsbedürftige Willenserklärungen der Auslegung zugänglich, die sich an den vorstehend dargestellten Schutz- und Bearbeitungszwecken der Anzeige auszurichten hat, deren Erfüllung auch die formelle Wirksamkeit der Abtretungsanzeige bestimmt (vgl. BFH-Urteil vom 16. November 1993 - VII R 23/93, BFH/NV 1994, 598 m.w.N.).
a.
Was unter dem gesetzlichen Tatbestandsmerkmal "... auf einem amtlich vorgeschriebenen Vordruck..." zu verstehen ist, ist im Einzelnen umstritten.
aa.
Von der soweit ersichtlich herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum wird vertreten, dass ein amtlicher Vordruck ein Vordruck ist, der nach Inhalt und Form einer amtlichen Vorschrift entspricht. Einen amtlichen Vordruck in dem Sinne, dass der Vordruck als solcher von einer Behörde abgeben sein muss, verlangt danach das Gesetz nicht. Ein amtlich vorgeschriebener Vordruck brauche nicht amtlich hergestellt worden sein, er müsse lediglich der amtlichen Vorschrift entsprechen. Es genügten daher auch privat hergestellte Nachdrucke, Ablichtungen und Computerausdrucke, sofern sie dem amtlichen Vordruck entsprächen (vgl. FG Berlin, Urteil vom 25. März 1981 - II 191/80 EFG 1982, 110; FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 30. Juli 1982 - 6 K 196/82, EFG 1983, 158; Hessisches FG, Urteil vom 29. November 1985 - 2 K 118/85, EFG 1986, 210; Tipke/Kruse, Kommentar zur AO/FGO, § 46 AO Rz. 22; Pahlke/Koenig, AO-Kommentar, 2. Aufl. 2009, § 46 Rz. 23; Klein/Ratschow, AO-Kommentar, 10. Aufl. 2009, § 46 Rz. 19). So sieht z.B. das FG Berlin-Brandenburg im Urteil vom 1. Juli 2009 (14 K 2532/04 B, EFG 2009, 1614, Rev. eingelegt, Az. des BFH: VII R 39/09) die Übermittlung einer Kopie der Abtretungsanzeige per Fax als wirksam ausreichen. Es seien jedoch allenfalls geringe Abweichungen unschädlich und nur, wenn die mit dem Vordruck verfolgten Zwecke dadurch nicht beeinträchtigt würden (BFH-Urteil vom 26. September 1995 - VII R 29/95, BFH/NV 1996, 385). Die Verwendung nicht mehr aktueller Vordrucke sei in diesem Sinne unschädlich (Tipke/Kruse, Kommentar zur AO/FGO, § 46 AO Rz. 22; Klein/Ratschow, AO-Kommentar, 10. Aufl. 2009, § 46 Rz. 19; Pahlke/Koenig, AO-Kommentar, 2. Aufl. 2009, § 46 Rz. 23, jeweils unter Hinweis auf BFH-Urteil vom 26. September 1995, a.a.O.).
bb.
Schwarz (AO-Kommentar; Loseblatt, Stand 135 Lfg. 8/2009; § 46 Rz. 25) vertritt dagegen die Auffassung, das Gesetz verlange ausdrücklich die Verwendung eines amtlichen Vordrucks, nicht eine Anzeige nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck (so z.B. bei Steuererklärungsvordrucken unter Hinweis auf BFH-Urteil vom 22. Mai 2005 - VI R 15/02, BStBl. II 2007, 2). Ablichtungen, Privatdrucke usw. seien daher selbst dann nicht zugelassen, wenn sie dem amtlichen Vordruck entsprächen. Die strenge Formvorschrift des § 46 Abs. 3 AO dulde keine Ausnahmen. Alles andere führe zu einer Rechtsunsicherheit, die der Gesetzgeber habe vermeiden wollen.
cc.
Auch die den Streitfall konkret betreffende Rechtsfrage, ob ein aus zwei Seiten bestehender und zusammengehefteter Computerausdruck, den gesetzlichen Anforderungen entspricht, wird danach unterschiedlich beurteilt. So vertreten Tipke/Kruse (Kommentar zur AO/FGO, § 46 AO Rz. 22; ähnlich Klein/Ratschow, AO-Kommentar, 10. Aufl. 2009, § 46 Rz. 19) die Auffassung, dass der eigene Vordruck auch einseitig bedruckt oder kopiert sein kann. Diese Auffassung beruft sich auf das BFH-Urteil vom 22. Mai 2006 (VI R 15/02, BStBl. II 2007, 2). Hier hatte der BFH entschieden, dass eine Einkommensteuererklärung auch dann "nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck" abgegeben ist, wenn ein - auch einseitig - privat gedruckter oder fotokopierter Vordruck verwendet wird. Es liege in diesem Fall eine formal wirksame Einkommensteuererklärung vor.
Nach der oben dargestellten Auffassung von Schwarz (AO-Kommentar; Loseblatt, Stand 135 Lfg. 8/2009; § 46 Rz. 25) wäre eine solche Anzeige mangels Verwendung des amtlichen Vordrucks von vornherein nicht wirksam.
b.
Unter Berücksichtigung der vorgenannten Rechtsgrundsätze ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass auch ein aus zwei einzelnen Seiten bestehender und zusammengehefteter Computerausdruck den gesetzlichen Anforderungen entspricht und damit formwirksam ist. Der Senat folgt damit im Ergebnis der Auffassung von Tipke/Kruse (Kommentar zur AO/FGO, § 46 AO Rz. 22) und überträgt die vom BFH (Urteil vom 22. Mai 2006 - VI R 15/02, BStBl. II 2007, 2) für die Wirksamkeit der Einkommensteuererklärung entwickelten Formanforderungen auf die Abtretungsanzeige im Sinne des § 46 Abs. 3 AO.
Die hiergegen vom Beklagten unter Hinweis auf die Auffassung des Bundesministeriums der Finanzen - BMF - (vgl. Schreiben des BMF vom 5. März 2008 an die Klägerin) vorgebrachten Bedenken greifen nicht durch.
Die mit den Formanforderungen des § 46 Abs. 3 AO verfolgten Zwecke bleiben auch dann gewahrt, wenn es sich um einen selbst gefertigten, aus zwei getrennten, einseitig bedruckten Blättern bestehenden Computerausdruck einer Abtretungsanzeige handelt.
Zunächst entspricht der selbst erstellte Vordruck inhaltlich vollständig dem amtlichen Vordruck. Die schnelle Abwicklung der Erstattungsanträge durch EDV-gerechte Aufbereitung der Buchungsanweisungen (vgl. BT-Drucks/2852 S. 57) wird allein durch einen Vordruck, der aus zwei Seiten besteht, in keiner Weise erschwert.
Der Senat vermag auch nicht zu erkennen, aus welchen Gründen bei der Verwendung eines aus zwei getrennten Seiten bestehenden Vordrucks Beeinträchtigungen der Warn- und Schutzfunktionen des amtlichen Vordrucks beeinträchtigt sind. Die Unterschriftsleistung des Abtretenden erfolgt auf der zweiten Seite des Vordrucks. Diese Seite enthält alle auf dem Vordruck aufgeführten Warnhinweise, und zwar platziert direkt oberhalb der für die Unterschriftsleistung vorgesehenen Felder. Der Abtretende nimmt diese Hinweise also in gleicher Weise wie bei einem doppelseitig bedruckten Vordruck wahr. In ausreichender Weise kann der Abtretende auch erkennen, dass der Vordruck auch noch eine Seite 1 enthält (siehe Vermerk auch Seite 2 unten). Das allein ein einseitig bedruckter Vordruck dem Abtretenden seine Handlung bewusst machen kann, erschließt sich dem Senat nicht. Die Kenntnisnahme des Inhalts der Seite 1 des Vordrucks ist in beiden Fällen allein vom Verhalten des Abtretenden abhängig.
Sind aber die Schutzzwecke gewahrt, ergibt sich auch aus dem Wortlaut (...auf amtlich vorgeschriebenem Vordruck... ) nicht, dass alleine die Verwendung des Originals eines amtlichen Vordrucks zulässig ist. Ein solches Erfordernis wäre nach Auffassung des Senats eine Überspannung der Formanforderungen, die sich weder exakt aus dem Wortlaut ableiten lässt noch der gängigen Verwaltungspraxis entspricht.
Nach Überzeugung des Senats besteht auch kein erhöhtes Manipulationsrisiko bei der Verwendung eines zweiseitig bedruckten Vordrucks.
Nach alledem ist die streitbefangene Abtretungsanzeige formwirksam. Sonstige gegen die Wirksamkeit sprechenden Umstände hat weder der Beklagte gerügt, noch sind solche nach Aktenlage erkennbar.
Die Klage hat somit Erfolg.
2.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).
3.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.
4.
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung und zur Fortbildung des Rechts zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 FGO). Der Senat hält insbesondere für klärungsbedürftig, ob die Rechtsprechung des VI. Senats des BFH zur Wirksamkeit eines Antrags auf Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG (Urteil vom 22. Mai 2006 - VI R 15/02, BStBl. II 2007, 2) entsprechend auf § 46 Abs. 3 AO anzuwenden ist.