Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 22.12.2005, Az.: 11 K 434/02
Abziehbarkeit von Aufwendungen für eine Kindertagesstätte; Steuerliche Berücksichtigung von Kinderbetreuungskosten
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 22.12.2005
- Aktenzeichen
- 11 K 434/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 32246
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2005:1222.11K434.02.0A
Rechtsgrundlagen
- § 9 Abs. 1 S. 1 EStG
- § 12 Nr. 1 S. 1 EStG
Fundstellen
- EFG 2006, 742-744 (Volltext mit amtl. LS)
- NWB direkt 2006, 4
Redaktioneller Leitsatz
Kinderbetreuungskosten stellen als Kosten der allgemeinen Lebensführung keine Werbungskosten dar. Aufwendungen für eine Kindertagesstätte können daher nicht als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit abgezogen werden.
Tatbestand
Streitig ist die steuerliche Berücksichtigung von Kinderbetreuungskosten.
Die Klägerin ist ledig und erzielt als Verwaltungsangestellte Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Sie hat eine Tochter (geb. am 24. Juni 1995), die in ihrem Haushalt lebt. Mit ihrer Einkommensteuererklärung für das Jahr 2000 und 2001 beantragt sie u.a. die Berücksichtigung von Kinderbetreuungskosten (Aufwendungen für eine Kindertagesstätte) in Höhe von 3.168 DM (2000) und 2.798 DM (2001) als außergewöhnliche Belastung i. S. v.§ 33 Einkommensteuergesetz - EStG -. In beiden Streitjahren hat die Klägerin Kindergeld in Höhe von jeweils 3.240 DM erhalten.
Bei Durchführung der Einkommensteuerveranlagung 2000 und 2001 wurde ein Haushaltsfreibetrag in Höhe von 5.616 DM angesetzt. Ein Kinderfreibetrag berücksichtigte das Finanzamt nicht. Die Günstigerprüfung nach § 31 EStG hat ergeben, dass die Auszahlung des Kindergeldes günstiger ist als der Ansatz eines Kinderfreibetrages. Die geltend gemachten Aufwendungen für Kinderbetreuungskosten wurden nicht berücksichtigt, weil diese durch das ausgezahlte Kindergeld abgegolten seien. Gegen die Einkommensteuerbescheide vom 9. April 2001 (2000) und vom 7. Mai 2002 (2001) legte die Klägerin Einsprüche ein, die jedoch mit Einspruchsbescheid vom 12. August 2002 als unbegründet zurückgewiesen wurden. Dagegen erhob sie Klage .
Die Klägerin trägt vor, die Kinderbetreuungskosten seien aufgrund der Erwerbstätigkeit der Klägerin angefallen. Diese erwerbsbedingten Betreuungskosten würden das Erwerbseinkommen ebenso wie andere Werbungskosten oder Betriebsausgaben mindern. Es sei Art. 3 GG verletzt, wenn bei Frauen diese Mehraufwendungen wegen Betreuungskosten entstünden, während andere Personen ohne Kinder diese Mehraufwendungen nicht hätten. Auch aus der Entscheidung des BVerfG vom 10. November 1998 (BVerfGE 99, 216) ergebe sich die Notwendigkeit eines Abzuges dieser Aufwendungen. Der seit dem Veranlagungszeitraum - VZ - 2000 geltende Betreuungsfreibetrag in § 32 Abs. 6 EStG greife erst bei sehr hohen Einkommen und könne daher keine Entlastung herbeiführen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Einkommensteuerbescheid 2000 vom 9. April 2001 und den Einkommensteuerbescheid 2001 vom 7. Mai 2002 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12. August 2002 dergestalt zu ändern, dass die Aufwendungen für Betreuungskosten in Höhe von 3.168 DM (2000) und 2.798 DM (2001) als weitere Werbungskosten berücksichtigt werden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte trägt unter Bezugnahme auf die Einspruchsentscheidung vor, dass die steuerliche Freistellung des Existenzminimums des Kindes durch das ausgezahlte Kindergeld bewirkt worden sei. Auch eine Berücksichtigung als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG komme nicht in Betracht, da der Mehraufwand bereits durch das ausgezahlte Kindergeld abgegolten sei.
Die Beteiligten stimmten einer Entscheidung durch den Berichterstatter zu. Ebenso waren sie mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
Gründe
I.
Die Klage ist unbegründet.
Der Einkommensteuerbescheid 2000 vom 9. April 2001 und der Einkommensteuerbescheid 2001 vom 7. Mai 2002 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12. August 2002 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die der Klägerin im Zusammenhang mit der Betreuung ihrer minderjährigen Tochter durch eine Kindertagesstätte entstandenen Aufwendungen sind weder als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtsselbständiger Arbeit (§ 9 Abs. 1 Satz 1 EStG) noch als außergewöhnliche Belastungen (§ 33 EStG) abziehbar.
1.
Die Aufwendungen für die Kindertagesstätte sind nicht als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen.
a)
Werbungskosten sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen. Werbungskosten liegen danach vor, wenn sie durch den Beruf bzw. durch die Erzielung steuerpflichtiger Einnahmen veranlasst sind. Eine berufliche Veranlassung ist gegeben, wenn ein objektiver Zusammenhang mit dem Beruf besteht und die Aufwendungen subjektiv zur Förderung des Berufs getätigt werden. Dabei ist ausreichend, wenn die Ausgaben den Beruf des Arbeitnehmers im weitesten Sinne fördern (BFH-Urt. v. 4. Dezember 2002 VI R 120/01, BFH/NV 2003, 255 m.w.N.).
b)
Hiervon abzugrenzen sind die Aufwendungen, die nach § 12 EStG nicht abzugsfähig sind, soweit u.a. in§ 9 EStG nichts anderes bestimmt ist. Nach § 12 Nr. 1 Satz 1 EStG gehören dazu, die für den Haushalt des Steuerpflichtigen und für den Unterhalt seiner Familienangehörigen aufgewendeten Beträge. Insbesondere sind dies nach § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG die Aufwendungen für die Lebensführung, die die wirtschaftliche oder gesellschaftliche Stellung des Steuerpflichtigen mit sich bringt, auch wenn sie zur Förderung des Berufs oder der Tätigkeit des Steuerpflichtigen erfolgen. Aus Gründen der Wahrung der steuerlichen Gerechtigkeit ist die Aufteilung und damit der Abzug von Aufwendungen, die sowohl der Lebensführung dienen als auch den Beruf fördern - von Ausnahmefällen abgesehen - ausgeschlossen. Eine Aufteilung gemischter Aufwendungen wird dann als möglich und geboten erachtet, wenn das Hineinspielen der Lebensführung unbedeutend ist und nicht ins Gewicht fällt oder der beruflich/betrieblich veranlasste Teil der Aufwendungen sich leicht und einwandfrei nach objektiven, nachprüfbaren Merkmalen von den nichtabzugsfähigen Kosten der Lebensführung trennen lässt und nicht lediglich von untergeordneter Bedeutung ist (vgl. die Nachweise bei Schmidt-Drenseck, EStG, 24. Aufl. 2005, § 12 Rn 12 f).
c)
Für den Streitfall bedeutet dies, dass die Kinderbetreuungskosten als Kosten der allgemeinen Lebensführung keine Werbungskosten darstellen. Die Kinderbetreuung gehört stets zumindest auch (wenn nicht sogar überwiegend) zum Bereich der Lebensführung, und zwar selbst dann, wenn die konkrete Form der Betreuung durch die Berufstätigkeit eines Elternteils oder beider Elternteile Voraussetzung für die Berufsausübung ist. Denn auch unter Berücksichtigung des Veranlassungszusammenhanges entsteht der Kinderbetreuungsbedarf, weil Kinder zu betreuen sind, nicht weil Eltern erwerben wollen; der Betreuungsbedarf fällt um des Kindes Willen an, das nicht zum Erwerb beiträgt und unterfällt damit der Privat-, nicht der Erwerbssphäre (so zutreffend Kirchhoff, "Ehe- und familiengerechte Gestaltung der Einkommensteuer", NJW 2000, 2792 2795 f). Der Berücksichtigung von Kinderbetreuungskosten steht vor diesem Hintergrund unter dem Aspekt von Unterhaltsaufwendungen stets das Aufteilungsverbot des § 12 Nr. 1 EStG entgegen (vgl. BFH-Beschl. v. 17. Juli 2000 XI B 127/99, BFH/NV 2000, 1471; BFH-Urt. v. 2. Dezember 1998 X R 9/96, BFH/NV 1999, 1213; BFH-Urt. v. 31. Juli 1997 III R 31/90, BFH/NV 1998, 439; Niedersächsisches FG Urt. v. 10. April 2003 10 K 338/01, EFG 2003, 1231; Thürmer in Blümich, Kommentar zum EStG, KStG, GewStG und Nebengesetzen (Loseblatt), § 9 EStG Tz. 600 "Kinderbetreuungskosten"; Frotscher in Ders., Kommentar zum EStG (Loseblatt), § 9 ABC der Werbungskosten "Kinderbetreuung"; Siebenhüter in Hermann/Heuer/Raupach, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer (Loseblatt),§ 9 EStG Tz. 750 ABC der Werbungskosten "Kinderbetreuungskosten"; a.A. Seer/Wendt, NJW 2000, 1904, 1907 f; Schön, DStR 1999, 1677, 1680; Lang in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl. 2005, § 9 Tz. 754; Tiedchen BB 1999, 1681, 1684; Paus FR 1999, 1354, 1356; Seer, Festschrift für H.W. Kruse, Köln 2001, 371f; kritisch auch Kanzler, FR 2001, 940 und DStJG 24 (2001), 453 und Birk, Festschrift für H.W. Kruse, Köln 2001, 353, die insoweit jedoch eine Höchstbetragsbegrenzung fordern).
d)
Nichts Anderes folgt aus den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 10. November 1998 (2 BvR 1057/91, 1226/91 sowie 980/91, BStBl II 1999, 182) sowie vom 4. Dezember 2002 (2 BvR 400/98 und 1735/00, BStBl II 2003, 534). Gegenstand der Entscheidungen des BVerfG vom 10. November 1998 war - soweit hier entscheidungserheblich - die Verfassungsmäßigkeit des § 33 c Abs. 1 und 4 des EStG i.d.F. des Steuerbereinigungsgesetzes 1985 vom 14. Dezember 1984. Diese Vorschrift sah unter bestimmten Bedingungen den Abzug von Kinderbetreuungskosten als außergewöhnliche Belastungen vor. Darunter fielen auch die berufsbedingten Kinderbetreuungskosten Alleinstehender. In der Bevorzugung Alleinstehender hat das BVerfG einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) gesehen. Die Einkünfteermittlung i.S. des § 2 Abs. 2 EStG wird aber von dieser Entscheidung nicht berührt (BFH Beschl. v. 17. Juli 2000 XI B 127/99, BFH/NV 2000, 1471; FG Hamburg Urt. v. 24. März 2003 III 556/01, juris; FG Berlin Urt. v. 25. März 2003 5 K 5300/02, juris; vgl. auch Niedersächsisches FG Urt. v. 10. April 2003 10 K 338/01, EFG 2003, 1231).
Auch die Entscheidungen des BVerfG vom 4. Dezember 2002 sind auf den vorliegenden Streitfall nicht anwendbar. Die Sach- und Rechtslage ist gegenüber diesen Entscheidungen des BVerfG abzugrenzen. Denn während dort die "Grundentscheidung des deutschen Einkommensteuerrechts", eine betrieblich/beruflich begründete doppelte Haushaltsführung als Betriebsausgaben/Werbungskosten zu berücksichtigen (s. § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG), den Ausgangspunkt für die nachfolgenden verfassungsrechtlichen Überlegungen bildete, existiert eine vergleichbare Abzugsmöglichkeit von (erwerbsbedingten) Kinderbetreuungskosten auf der Ebene der Einkünfteermittlung und damit im Bereich der Betriebsausgaben/Werbungskosten gerade nicht mit der Folge, dass sich die Grundsätze dieser Bundesverfassungsgerichtsbeschlüsse nicht auf den Streitfall übertragen lassen.
2.
Der Abzug von außergewöhnlichen Belastungen gem.§ 33 EStG kommt nicht in Betracht, da durch die Gewährung von Kindergeld oder dem alternativ nach § 32 VI EStG zu gewährenden Freibetrag ansonsten die Belastung nach § 33 Abs. 3 zumutbar ist (Schmidt-Glanegger, EStG 24. Aufl. 2005,§ 32 Tz. 72; im Ergebnis auch FG Rheinland-Pfalz Urt. v. 4. Mai 2005 1 K 2189/03, DStRE 2005, 952).
3.
Auch kommt kein Abzug eines Betreuungsfreibetrages nach § 32 Abs. 6 EStG im VZ 2000 und 2001 vom Einkommen nach§ 2 Abs. 5 EStG in Betracht. Zwar erfüllt die Tochter der Klägerin in den Streitjahren die Voraussetzung des § 32 Abs. 6 Satz 1 2. HS EStG; jedoch ist nach der durchzuführenden Vergleichsrechnung gem. § 31 Satz 4 EStG das Kindergeld im vorliegenden Streitfall höher als der Freibetrag.
Diese Regelung in § 32 Abs. 6 EStG unterliegt auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (s. Ausführungen in BVerfG Beschl. v. 6. Mai 2004 2 BvR 1375/03, HFR 2004, 692; BFH Urt. v. 11. März 2003 VIII R 76/02, BFH/NV 2003, 1303; FG München Urt. v. 28. Januar 2003 12 K 4680/02, EFG 2003, 1020; Hessisches FG Urt. v. 27. Januar 2004 13 K 1234/02, EFG 2004, 992; FG Rheinland-Pfalz Urt. v. 4. Mai 2005 1 K 2189/03, DStRE 2005, 952 m.w.N.).
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
III.
Die Zulassung der Revision beruht auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO. Es ist höchstrichterlich noch nicht entschieden, ob in den Streitjahren 2000 und 2001 neben einem Freibetrag für den allgemeinen Betreuungsbedarf gem. § 32 Abs. 6 EStG ein erwerbsbedingter Betreuungsbedarf (so teilweise das Schrifttum s. oben) als Werbungskosten oder als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen ist. Eine Berücksichtigung der individuellen Belastung war in den Streitjahren nach § 33 c EStG nF (gültig ab VZ 2002) nicht möglich.