Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 15.12.2005, Az.: 11 K 50/05

Rechtmäßigkeit eines Einkommenssteuerbescheides und einer Einspruchsentscheidung; Bestandskraft ändernder Verwaltungsakte; Feststellung der Verfassungswidrigkeit eines Steuergesetzes durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG); Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit neben Einkünften aus Gewerbebetrieb; Einnahmen aus Spekulationsgeschäften durch Verkäufe von Wertpapieren; Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
15.12.2005
Aktenzeichen
11 K 50/05
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2005, 32193
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2005:1215.11K50.05.0A

Fundstellen

  • EFG 2006, 544-546 (Volltext mit amtl. LS u. Anm.)
  • NWB direkt 2006, 2
  • ZKF 2006, 192

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Nach § 351 Abs. 1 AO können Verwaltungsakte, die unanfechtbare Verwaltungsakte ändern, nur insoweit angegriffen werden, als die Änderung reicht.

  2. 2.

    Die Feststellung der Verfassungswidrigkeit eines Steuergesetzes durch das BVerfG ist keine neue Tatsache i.S. von § 173 AO.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob ein bestandskräftiger Steuerbescheid aufgrund eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - geändert werden kann.

2

Der Kläger bezog als Geschäftsführer einer AG im Streitjahr 1998 Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit. Daneben erzielte er Einkünfte aus Gewerbebetrieb, aus Vermietung und Verpachtung und aus Kapitalvermögen. Weiterhin erzielten die Kläger aus Verkäufen von Wertpapieren Einnahmen aus Spekulationsgeschäften nach § 22 Nr. 2 in Verbindung mit § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b Einkommensteuergesetz - EStG -. Insgesamt erklärten sie insoweit sonstige Einkünfte in Höhe von ... DM.

3

Der Beklagte erließ am 14. Juni 2000 aufgrund der eingereichten Erklärung einen Einkommensteuerbescheid, der nicht angefochten wurde. Dieser Bescheid wurde vom Beklagten durch Bescheide vom 26. November 2001 und 13. März 2003 geändert. Der Bescheid vom 13. März 2003 war nach § 165 Abs. 1 Abgabenordnung - AO - hinsichtlich der beschränkten Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen und der Anwendung des § 32 c EStG vorläufig. Er wurde nicht angefochten.

4

Mit Schreiben vom 24. Juni 2004 erklärte der Prozessbevollmächtigte der Kläger nachträglich für die Klägerin Zinseinnahmen für den Zeitraum 1998 in Höhe von ... DM. Daraufhin wurde der Einkommensteuerbescheid 1998 wiederum geändert. Nunmehr erfolgte die Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO. Dieser Bescheid erging am 29. Juli 2004. Hinsichtlich der Anwendung des § 32 c EStG und der beschränkten Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen war der Bescheid weiterhin vorläufig.

5

Gegen diesen Bescheid legten die Kläger Einspruch ein. Mit dem Einspruch wendeten sie sich gegen die Besteuerung der privaten Veräußerungsgeschäfte von Aktien und anderer Wertpapiere. Aufgrund der Entscheidung des BVerfG zu der Verfassungswidrigkeit der Besteuerung von Spekulationsgewinnen in den Veranlagungszeiträumen 1997 und 1998 sei der Einspruch begründet.

6

Daraufhin änderte der Beklagte die Einkommensteuerfestsetzung mit Bescheid vom 30. August 2004. Die festgesetzte Einkommensteuer wurde auf den Betrag reduziert, wie er mit Bescheid vom 13. März 2003 bereits festgesetzt war. Hinsichtlich der Vorläufigkeit blieb es bei der Regelung des Bescheides vom 29. Juli 2004. Zusammenfassend wurden folgende Änderungen des Einkommensteuerbescheides 1998 seit dem 13. März 2003 durchgeführt:

Datum des Einkommensteuerbescheidesfestgesetzte Einkommensteuer in DMBemerkungin Bezug genommene Änderungsvorschriften
13. März 2003...nicht angefochten
29. Juli 2004...Nacherklärung Zinseinkünfte§ 173 Abs. 1 Nr. 1 AO
30. August 2004...Berücksichtigung der Verfassungswidrigkeit des § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG§§ 172, 351 AO
7

Soweit der Einspruch gegen den Bescheid vom 29. Juli 2004 weiter reichte, wurde im Bescheid vom 30. August 2004 eine weitergehende Änderung durch den Beklagten unter Hinweis auf § 351 Abs. 1 AO abgelehnt. Das Finanzamt teilte mit, der Einspruch habe sich erledigt.

8

Gegen den Einkommensteuerbescheid vom 30. August 2004 legten die Kläger wiederum Einspruch ein, der mit Einspruchsbescheid vom 20. Dezember 2004 als unbegründet zurückgewiesen wurde. Dagegen richtet sich die Klage.

9

Die Kläger tragen vor, das Urteil des BVerfG vom 9. März 2004 sei eine neue Tatsache im Sinne des § 173 AO, die zu einer niedrigeren Steuer gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO führe. Der Bundesfinanzhof - BFH - habe entschieden, dass die Ungewissheit darüber, wie der Gesetzgeber die durch Entscheidungen des BVerfG notwendig werdende Neuregelung gestaltet, eine ungewisse Tatsache sei. Zwar sei diese Entscheidung zu § 165 AO ergangen; aber wie das Niedersächsische Finanzgericht - FG - in einem Urteil vom 10. April 1992 entschieden habe, sei der Begriff Tatsache einheitlich in der AO auszulegen.

10

Die Entscheidung des BVerfG sei auch bei bestandskräftigen Steuerbescheiden zu berücksichtigen, da eine Steuer nur dann entstehen könne, wenn eine verfassungsgemäße steuerbegründende Gesetzesnorm bestehe.

11

Unabhängig davon sei das Urteil des BVerfG ein Beweismittel im Sinne von § 92 Satz 2 Nr. 3 AO, so dass nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO die Entscheidung des BVerfG auch als nachträglich bekannt gewordenes Beweismittel angesehen werden könne.

12

Aus dem Grundsatz von Treu und Glauben müsse im Streitfall das Prinzip der Rechtsrichtigkeit dem Prinzip der Rechtssicherheit vorgehen, da aufgrund der Entscheidung des BVerfG die Rechtswidrigkeit der Besteuerung der Spekulationsgewinne im Streitjahr feststehe. Auch aus dem Vertrauensschutz im Sinne des § 176 AO ergebe sich der Änderungsanspruch der Kläger.

13

Weiterhin sei es ermessensfehlerhaft, wenn der Beklagte gemäß § 165 AO nicht auch wegen des Verfahrens vor dem BVerfG den Bescheid für vorläufig erklärt habe. Eine Anfechtungsbeschränkung nach § 351 Abs. 1 AO komme für den vorläufigen Teil eines Bescheides nicht in Betracht.

14

Zudem entfalte der Bescheid vom 13. März 2003 keine Wirkung mehr. Daneben sei zu beachten, dass der Bescheid vom 29. Juli 2004 nichtig sei, da er zu einem Zeitpunkt ergangen sei, in dem die Entscheidung des BVerfG vom 9. März 2004 schon vorgelegen habe. Die Änderungssperre sei daher nach § 124 Abs. 3 AO unwirksam.

15

Die Kläger beantragen,

den Einkommensteuerbescheid 1998 vom 30. August 2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20. Dezember 2004 zu ändern und die Einkommensteuer auf ... DM herabzusetzen.

16

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

17

Der Beklagte trägt vor, dass eine weitergehende Änderung des Einkommensteuerbescheides 1998 nicht in Betracht komme. Einer solchen Änderung stehe die Vorschrift des § 351 AO im Wege. Änderungs- oder Aufhebungsvorschriften würden nicht eingreifen. Auch sei der Bescheid vom 29. Juli 2004 nicht nichtig. Fehle einem Verwaltungsakt die gesetzliche Grundlage, so sei er noch nicht nichtig.

Gründe

18

I.

Die Klage ist unbegründet.

19

Der Einkommensteuerbescheid 1998 vom 30. August 2004 und die Einspruchsentscheidung vom 20. Dezember 2004 sind rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung - FGO -). Eine weitergehende Änderung des streitigen Steuerbescheids vom 30. August 2004 wegen der Verfassungswidrigkeit der Besteuerung der Spekulationsgewinne war nicht möglich. Die Änderungsmöglichkeit war durch § 351 AO beschränkt. Innerhalb dieses Rahmens hat das Finanzamt die beantragte Änderung zugunsten der Kläger durchgeführt.

20

1.

Nach § 351 Abs. 1 AO können Verwaltungsakte, die unanfechtbare Verwaltungsakte ändern, nur insoweit angegriffen werden, als die Änderung reicht, es sei denn, dass sich aus den Vorschriften über die Aufhebung und Änderung von Verwaltungsakten etwas anderes ergibt.

21

a)

Der Einkommensteuerbescheid vom 13. März 2003 wurde nach Bestandskraft durch den Einkommensteuerbescheid vom 29. Juli 2004 zuungunsten der Kläger (Nacherklärte Zinseinnahmen) geändert. Dieser Bescheid wurde mit Einspruch und der vorliegenden Klage angefochten. Damit konnte der Einkommensteuerbescheid vom 29. Juli 2004 wegen der Bindungswirkung des Einkommensteuerbescheides vom 13. März 2003 nach § 351 Abs. 1 AO nur in der Höhe geändert werden, wie er zuungunsten der Kläger durch den Einkommensteuerbescheid vom 29. Juli 2004 geändert worden war. In Anwendung der Entscheidung des BVerfG wegen der Verfassungswidrigkeit der Vorschrift des § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b EStG (Entscheidung vom 9. März 2004 2 BvL 17/02, BStBl II 2005, 56) wurde daher vom Beklagten im Einspruchsverfahren mit Bescheid vom 30. August 2004 zu Recht die Einkommensteuer auf den Betrag reduziert, wie er sich aus dem Einkommensteuerbescheid vom 13. März 2003 - ohne nacherklärte Zinseinnahmen - ergab.

22

b)

Eine Ausnahmefall im Sinne von § 351 Abs. 1 2. Halbsatz AO liegt nicht vor. Weder greift eine Aufhebungs- noch eine Änderungsvorschrift.

23

aa) 

Eine Änderung des Einkommensteuerbescheides nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO kommt nicht in Betracht. Diese Vorschrift setzt u.a. voraus, dass eine Tatsache oder ein Beweismittel nachträglich bekannt geworden ist.

24

Tatsache im Sinne des § 173 AO ist jeder Lebensvorgang, der insgesamt oder teilweise den gesetzlichen Steuertatbestand oder ein einzelnes Merkmal dieses Tatbestands erfüllt; also Zustände und Vorgänge der Seinswelt, die Eigenschaften der Gegenstände dieser Seinswelt und die gegenseitigen Beziehungen zwischen diesen Gegenständen (Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung Finanzgerichtsordnung (Loseblatt), § 173 AO Tz. 2 m.w.N.). Tatsache ist daher alles, was Bestandteil eines Sachverhalts sein kann, der unter die Vorschrift des materiellen Steuerrechts fällt. Der Begriff umfasst Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften materieller und immaterieller Art.

25

Danach ist zwar die gesetzliche Regelung als solche eine Tatsache, die vom Bundesverfassungsgericht festgestellte Verfassungswidrigkeit dieser Regelung jedoch nur eine anhand der Verfassungsgrundsätze gewonnene rechtliche Beurteilung dieser Bestimmung (BFH-Urteil vom 6. September 1962 V 166/59 U, BStBl III 1962, 494; Hessisches FG Urteil vom 9. Juli 1993 4 K 5441/92, EFG 1994, 598; FG München Urteil vom 3. September 1992 15 K 645/92, EFG 1993, 124; FG Baden-Württemberg Urteil vom 7. Oktober 1992 5 K 105/92, EFG 1993, 122; a.A. Niedersächsisches FG-Urteil vom 10. April 1992 VIII 314/91, FR 1992, 692; offen gelassen BFH-Urteil vom 11. Februar 1994 III R 117/93, BStBl II 1994, 380; Urteil vom 11. Februar 1994 III R 50/92, BStBl II 1994, 389).

26

Die Literatur folgt im Ergebnis dieser Ansicht, wonach die Feststellung der Verfassungswidrigkeit eines Steuergesetzes durch das BVerfG keine neue Tatsache im Sinne von § 173 AO ist (Loose in Tipke/Kruse, a.a.O. § 173 AO Tz. 2; von Wedelstädt in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht AO, FGO, Nebengesetze (Loseblatt), § 173 AO Tz. 8; Frotscher in Schwarz, Abgabenordnung (Loseblatt), § 173 Tz. 12; Koenig in Pahlke/Koenig, Abgabenordnung, 2004, § 173 Tz. 12; Seipl/Wiese Stbg 2005, 389, 394). Die von den Klägern vertretene Ansicht, die Entscheidung des BVerfG vom 9. März 2004 sei eine neue Tatsache, ist daher nach Auffassung des Senats nicht zuzustimmen.

27

Daran ändert sich auch dadurch nichts, dass nach der Rechtsprechung des BFH (Urteile vom 9. August 1991 III R 48/90, BStBl II 1991, 868 und III R 41/88, BStBl II 1992, 219) eine notwendig werdende gesetzliche Neuregelung als "tatsächliche Ungewissheit" im Sinne des § 165 AO anzusehen ist und damit möglicherweise eine Tatsache im Sinne des § 173 AO darstellen kann. Durch die Entscheidung des BVerfG vom 9. März 2004 wurde die Verfassungswidrigkeit des § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b EStG festgestellt. Damit geht es im Streitfall nicht um eine Neuregelung durch den Gesetzgeber, die selbst möglicherweise als Tatsache im Sinne von § 173 AO anzusehen ist, sondern allein um die Feststellung der Verfassungswidrigkeit selbst durch das BVerfG.

28

Bei der Entscheidung des BVerfG vom 9. März 2004 handelt es sich nicht um ein nachträglich bekannt gewordenes Beweismittel. Beweismittel im Sinne des § 173 Abs. 1 AO ist jedes Erkenntnismittel, das geeignet ist, das Vorliegen oder Nichtvorliegen von Tatsachen zu beweisen (BFH-Urteil vom 20. Dezember 1988 VIII R 121/83, BStBl II 1989, 585, 587). Da es sich bei der Entscheidung des BVerfG vom 9. März 2004 um eine rechtliche Beurteilung handelt und nicht - wie dargelegt - um eine Tatsache, kann daher auch diese Entscheidung nicht als Beweismittel eine Änderungsbefugnis nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO begründen.

29

bb) 

Eine Änderung nach § 175 AO kommt nicht in Betracht. Nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO ist ein Steuerbescheid aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis). Dem Ereignisbegriff unterfallen jedoch nur "sachverhaltsändernde" Geschehnisse nicht jedoch Fälle rückwirkender Gesetze, Gesetzesänderungen oder rückwirkender Nichtigkeitserklärung von Normen durch das BVerfG (BTDrucks. 6/1982, 154f; BFH-Urteil vom 21. März 1996 XI R 36/95, BStBl II 1996, 399, 401; Urteil vom 9. August 1990 X R 5/88, BStBl II 1991, 55, 57; Loose in Tipke/Kruse a.a.O. § 175 AO Tz. 25 und 42; v. Wedelstädt in Beermann a.a.O. § 175 AO Tz. 49; Seipl/Wiese Stbg 2005, 389, 394).

30

cc) 

Auch können sich die Kläger nicht erfolgreich auf § 176 AO stützen. Diese Vorschrift, die dem Steuerpflichtigen unter bestimmten Umständen Vertrauensschutz gewährt, ermöglicht selbst jedoch keine Änderung eines Steuerbescheids. Eine eigenständige Befugnis zur Änderung eines bestandskräftigen Steuerbescheides lässt sich aus § 176 AO nicht herleiten (FG Niedersachsen Beschluss vom 13. Mai 1981 V 336/80 V, EFG 1982, 160; Koenig in Pahlke/Koenig, a.a.O., § 176 Tz. 12). Vertrauensschutz greift nach § 176 AO nur ein, wenn die Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheides aus anderen Gründen erfolgt. Erfasst werden alle Änderungen nach den §§ 172 ff, 164, 165 AO (Koenig in Pahlke/Koenig, a.a.O., § 176 Tz. 12).

31

dd) 

Soweit die Kläger einwenden, der Beklagte habe rechtswidrig den Vorläufigkeitsvermerk nach § 165 AO nicht aufgenommen, führt dies zu keiner Änderungsmöglichkeit. Die Kläger hätten im Wege des innerhalb der Rechtsbehelfsfrist einzulegenden Einspruchs und gegebenenfalls mit anschließender Verpflichtungsklage dieses Begehren verfolgen können (FG Düsseldorf Urteil vom 18. März 1991 6 K 153/86, EFG 1991, 484; FG Nürnberg Urteil vom 20. Juli 1992 V 103/92, EFG 1992, 676, 677; FG Hamburg Urteil vom 29. Oktober 1998 II 158/98, EFG 1999, 318; vgl. auch BFH-Urteil vom 11. Februar 1994 III R 117/93, BStBl II 1994, 380; Tipke in Tipke/Kruse a.a.O. § 165 AO Tz. 35; Seipl/Wiese Stbg 2005, 389, 395). Nach § 165 Abs. 1 Nr. 3 AO wäre dann seit Ende 1999 (Anhängigkeit der Revision gegen das Urteil des FG Schleswig-Holstein beim BFH) die Aufnahme eines Vorläufigkeitsvermerkes möglich gewesen.

32

ee) 

Ebenso ergibt sich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben kein Anspruch auf Änderung des Einkommensteuerbescheides. Die Aufhebungen und Änderungen von Steuerbescheiden sind in den §§ 172 ff. AO geregelt. Die Bestandskraft dient dem Interesse des Steuerpflichtigen, der sich auf Bescheide verlassen können muss wie auch dem Interesse des Staates an einem geordneten Staatshaushalt. Die §§ 172 - 177 AO suchen den Prinzipienwiderspruch zwischen dem Vertrauensschutz und der Rechtssicherheit einerseits und der materiellen Rechtsrichtigkeit aufzulösen. Die Prinzipien des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit verbieten Durchbrechungen der Bestandskraft, das Prinzip der materiellen Rechtsrichtigkeit erfordert hingegen eine Durchbrechung der Bestandskraft von Steuerbescheiden. Diese Prinzipien sind wesentliche Bestandteile des Rechtsstaatsprinzipes. Eine Durchbrechung der Bestandskraft von Steuerbescheiden ist nur in eng begrenzten Ausnahmefällen, wie sie in §§ 172 ff AO geregelt sind, nicht aber aus dem Grundsatz von Treu und Glauben heraus möglich (FG Nürnberg Beschluss vom 6. November 2002 V 375/1999, juris).

33

2.

Selbst wenn die Änderungssperre des § 351 Abs. 1 AO entfallen würde, weil der Einkommensteuerbescheid vom 29. Juli 2004 nichtig sei und somit die Vorschrift des § 351 AO nicht zur Anwendung käme (Fehlen eines wirksamen Änderungsbescheides), ändert dies im Ergebnis nichts. Der Senat kann dabei offen lassen, ob überhaupt ein Fall der Nichtigkeit im Streitfall gegeben ist, weil der Beklagte den Einkommensteuerbescheid vom 13. März 2003 zu einem Zeitpunkt geändert hat, als die Verfassungswidrigkeit der Spekulationsgewinnbesteuerung bereits vom BVerfG entschieden war und auch dem Beklagten bekannt war (Nichtigkeit nimmt z.B. an Tipke in Tipke/Kruse a.a.O. § 125 Tz. 10). Selbst wenn ein Fall der Nichtigkeit gegeben wäre, würde die Klage keinen Erfolg haben.

34

Würde man der Argumentation der Kläger hinsichtlich der Nichtigkeit folgen, so wäre neben dem Einkommensteuerbescheid vom 29. Juli 2004 auch der Einkommensteuerbescheid vom 30. August 2004 nichtig, so dass der bestandskräftige Einkommensteuerbescheid vom 13. März 2003 wieder wirksam werden würde mit der Folge, dass nach § 79 Abs. 2 Satz 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG - keine Änderung wegen der Verfassungswidrigkeit der Spekulationsgewinnbesteuerung erfolgen könnte. Denn dieser Bescheid ist unanfechtbar. Nach dieser Vorschrift bleiben nicht mehr anfechtbare Entscheidungen, die auf einer gemäß § 78 BVerfGG für nichtig erklärten Norm beruhen, unberührt, es sei denn sie kann insbesondere aufgrund einer besonderen gesetzlichen Regelung geändert werden. Weder ist eine von § 79 Abs. 2 BVerfGG abweichende Sonderregelung in diesem Sinne einschlägig, noch liegen die Voraussetzungen einer Änderungsvorschrift nach der AO vor (s.o.).

35

Der Vortrag des Klägers, der ursprüngliche Einkommensteuerbescheid vom 13. März 2003 würde nach Wegfall des zweiten Bescheides (und dritten Bescheides) nicht mehr wieder aufleben, ist unzutreffend. Die von den Klägern in Bezug genommene Entscheidung des BFH (BFH-Urteil vom 22. Mai 1979 VIII R 218/78, BStBl II 1979, 741) betrifft die Rücknahme eines Verwaltungsaktes durch Erlass eines zweiten Verwaltungsaktes. Im Streitfall geht es aber um Änderungsbescheide zu einer Steuerfestsetzung. Wird aber ein Änderungsbescheid suspendiert, so tritt der geänderte Bescheid wieder in Kraft (BFH-Urteil vom 24. Juli 1984 VII R 122/80, BStBl II 1984, 791, 794).

36

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.