Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 18.07.2011, Az.: 3 K 360/09
"Laufender Anmeldungszeitraum" als letzter Anmeldungszeitraum der Außenprüfung
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 18.07.2011
- Aktenzeichen
- 3 K 360/09
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2011, 28299
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2011:0718.3K360.09.0A
Rechtsgrundlage
- § 10 Abs. 4 VersStG
Fundstellen
- DStRE 2012, 699-700
- UVR 2012, 9
Redaktioneller Leitsatz
Ein Versicherungsteuerbescheid, der ausschließlich das Mehrergebnis einer Außenprüfung bezüglich eines Jahre zurückliegenden Besteuerungszeitraums festsetzt, verstößt gegen § 10 Abs. 4 VersStG, weil danach die Steuerbeträge, die auf Grund einer Außenprüfung nachzuentrichten oder zu erstatten sind, zusammen mit der Steuer für den laufenden Anmeldungszeitraum festzusetzen sind.
"laufender Anmeldungszeitraum" im Sinne von § 10 Abs. 4 VersStG ist entgegen der Rechtsauffassung der Finanzverwaltung nicht der letzte Anmeldungszeitraum der Außenprüfung.
Tatbestand
Streitig ist die Frage, ob ein Versicherungsteuerbescheid geändert werden konnte.
Die ...versicherungs-AG, deren Gesamtsrechtsnachfolgerin die Klägerin ist, betrieb eine Kraftfahrzeug-Versicherung.
In der Zeit vom 4. April 2005 bis zum 28. April 2006 fand durch das damals zuständige Finanzamt H. bei der Klägerin eine Versicherungssteuer-Außenprüfung statt. Der Prüfungsbereicht enthält drei verschiedene Feststellungen: Die ...versicherungs-AG habe nach Änderung der Steuersätze zum 1.1.2002 diese zunächst nicht richtig angewandt. Es sei nicht auf die für schuldrechtliche Fälligkeit der Prämien, sondern auf die technische Fälligkeit abgestellt worden. Daraus ergebe sich ein Versicherungsteuer-Nacherhebungsbetrag von 23.660,27 EUR. Weiterhin seien im Rahmen eines Vertrages Selbstbeteiligungen unrichtig behandelt worden. Schließlich sei eine Courtage-Vereinbarung nicht anzuerkennen.
Mit Datum vom 27. April 2006 erließ das Finanzamt H. einen Haftungsbescheid, nach dem die Klägerin für einen Betrag in Höhe von 148.609,62 EUR haftet. Der Haftungsbetrag wurde durch den Einspruchsbescheid vom 20. Dezember 2006 auf 118.341,14 EUR herabgesetzt, weil das Finanzamt den Prüfungspunkt der Courtage-Vereinbarung fallen ließ. Im Rahmen des anschließenden Klageverfahrens 11 K 51/07 hob der 11. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts den Haftungsbescheid mit Urteil vom 8. Januar 2009 auf, weil das Finanzamt nicht erkannt habe, dass es sich um eine Ermessensentscheidung gehandelt habe.
Im Anschluss daran erließ das Finanzamt H. mit Datum vom 17. Februar 2009 gegenüber der Klägerin einen Versicherungsteuer-Nachforderungsbescheid für den Monat Dezember 2003, in dem es die Versicherungsteuer für den Monat Dezember 2003 um 118.341,14 EUR heraufsetzte. Der dagegen gerichtete Einspruch hatte keinen Erfolg.
Im Verlaufe des sich anschließenden Klageverfahrens ging die Zuständigkeit auf der Passivseite auf den jetzigen Beklagten, das Bundeszentralamt für Steuern, über. Dieser half der Klage mit Änderungsbescheid vom 14. April 2011 teilweise ab und minderte den Nachforderungsbetrag auf nunmehr lediglich 23.660,27 EUR. Streitgegenstand ist damit nur noch die unzutreffende Anwendung der Steuersätze nach dem 1.1.2002.
Die Klägerin räumt ein, dass materiell-rechtlich die Rechtsauffassung des Beklagten, die Rechtsvorgängerin der Klägerin habe nach der Änderung der Steuersätze zum 1.1.2002 teilweise die unrichtigen Steuersätze angewandt, zutreffend sei. Sie hält den Nachforderungsbescheid jedoch aus formellen Gründen für rechtswidrig.
Der Beklagte habe nicht beachtet, dass die Inanspruchnahme eines Versicherers nicht durch einen Nachforderungsbescheid, sondern allein durch Haftungsbescheid möglich sei. Steuerschuldner sei der Versicherungsnehmer, der Versicherer habe die Steuer für Rechnung des Versicherungsnehmers zu entrichten. Ein Auswahlermessen habe das Finanzamt auch weiterhin nicht ausgeübt.
Hinzu komme, dass das Finanzamt sein Ermessen rechtlich bindend dahingehend ausgeübt habe, die Klägerin als Haftungsschuldnerin in Anspruch zu nehmen. Insofern könne es das Wahlrecht nunmehr nicht anderweitig ausüben.
Schließlich seien die Versicherungsteuerbeträge für die Jahre 2000 - 2002 bestandskräftig festgesetzt worden. Für 2003 hätten sich keine abweichenden Feststellungen ergeben. Es fehle auch an einer Änderungsmöglichkeit, weil das Finanzamt den Vorbehalt der Nachprüfung im Haftungsbescheid vom 27. April 2006 aufgehoben habe.
Die Klägerin beantragt,
den Versicherungsteuerbescheid Dezember 2003 vom 17. Februar 2009 in der Gestalt vom 14. April 2011 und die Einspruchsentscheidung vom 22. Oktober 2009 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte verweist auf eine Entscheidung des BFH, wonach der Versicherer die Steuerschuld für Rechnung des Versicherungsnehmers zu entrichten habe. Werde der Versicherer als Entrichtungsschuldner in Anspruch genommen, brauche kein Ermessen ausgeübt werden.
Der Beklagte ist der Auffassung, dass eine Änderungsvorschrift gegeben sei. Da der Haftungsbescheid aufgehoben worden sei, sei auch die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung aufgehoben worden. Im Übrigen würden die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO vorliegen. Die unrichtige Benennung der Änderungsvorschrift sei unerheblich.
Die Annahme, dass der Beklagte an die einmal getroffene Entscheidung, einen Haftungsbescheid zu erlassen, gebunden sei, sei unrichtig.
Der Beklagte meint, die Nacherhebung der Versicherungssteuer sei im zutreffenden Bescheid erfolgt. Er verweist auf § 10 VersStG, der der Steuervereinfachung diene. Die Nacherhebung der Versicherungsteuer im Anschluss an eine Außenprüfung solle nur in einem Bescheid erfolgen. Der Beklagte weist darauf hin, dass die Praxis der früher zuständigen Finanzämter hinsichtlich des Anmeldungszeitraums, in dem die Feststellungen der Außenprüfung auszuwerten seien, uneinheitlich gewesen wäre. Manche Ämter hätten den Bescheid für den letzten Anmeldungszeitraum der Außenprüfung geändert, andere des Anmeldungszeitraums, in dem der Bericht über die Außenprüfung vorliege.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Der Versicherungsteuer-Nachforderungsbescheid Dezember 2003 vom 17. Februar 2009 in der Gestalt vom 14. April 2011 ist rechtswidrig.
Dabei kann dahinstehen, ob sich der Beklagte für die Änderung der Steuerfestsetzung zu Recht auf § 164 Abs. 2 AO bzw. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO als verfahrensrechtliche Änderungsnorm berufen hat.
Der Bescheid ist allein schon deshalb verfahrensfehlerhaft, weil der Beklagte die Besteuerungsgrundlagen in einem unzutreffenden Besteuerungszeitraum in Ansatz gebracht hat.
Nach § 8 Abs. 1 VersStG hat der Versicherer innerhalb von fünfzehn Tagen nach Ablauf eines jeden Anmeldungszeitraums eine eigenhändig unterschriebene Steuererklärung abzugeben, in der er die im Anmeldungszeitraum entstandene Steuer selbst zu berechnen hat (Steueranmeldung). Gem. § 8 Abs. 2 VersStG ist Anmeldungszeitraum für die Versicherungsteuer der Kalendermonat. Die Steueranmeldung steht nach § 168 AO einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich.
Nach dem Grundsatz der Abschnittsbesteuerung sind die Besteuerungsgrundlagen einer Steuer in dem Besteuerungszeitraum zu berücksichtigen, in dem sich der Lebenssachverhalt, der die Besteuerung auslöst, realisiert hat. Im Falle der unzutreffenden Umstellung auf die mit Wirkung auf den 1.1.2002 heraufgesetzten Steuersätze der Versicherungsteuer wären dies die Anmeldungszeiträume zu Jahresbeginn 2002 gewesen. Im Dezember 2003 hat die Rechtsvorgängerin der Klägerin keine unzutreffenden Steuersätze angewendet.
Der Beklagte kann sich insoweit auch nicht auf § 10 Abs. 4 VersStG berufen. Danach sind Steuerbeträge, die auf Grund einer Außenprüfung nachzuentrichten oder zu erstatten sind, zusammen mit der Steuer für den laufenden Anmeldungszeitraum festzusetzen. § 10 Abs. 4 VersStG dient der Verfahrensvereinfachung. Es soll vermieden werden, dass im Anschluss an eine Außenprüfung, die sich auf einen längeren Besteuerungszeitraum erstreckt, eine Vielzahl von einzelnen Steuerfestsetzungen geändert werden müssen.
Die Auswertung der Feststellungen der Außenprüfung bei der Rechtsvorgängerin der Klägerin im Versicherungsteuerbescheid Dezember 2003 ist deshalb rechtswidrig, weil es sich bei diesem Bescheid nicht um den laufenden Anmeldungszeitraum im Sinne des § 10 Abs. 4 VersStG handelt. Mit dem "laufenden" Anmeldungszeitraum ist der aktuelle Anmeldungszeitraum bei Abschluss der Außenprüfung gemeint. Dies ergibt sich eindeutig aus dem Wortlaut des § 10 Abs. 4 VersStG, der vorsieht, dass der Nachzahlungsbetrag "zusammen" mit der laufenden Steuer festgesetzt wird, d.h. es sollen in einem Bescheid gleichzeitig erstmals die aktuellen Steuern sowie die Mehrergebnisse aufgrund der Außenprüfung festgesetzt. Wird wie hier der Bescheid für den letzten Anmeldungszeitraum der Außenprüfung geändert, so wird in diesem Bescheid ausschließlich das Mehrergebnis der Außenprüfung zusätzlich festgesetzt, weil der Bescheid ansonsten lediglich die Steuerfestsetzung aus der früheren Anmeldung in sich aufnimmt. Im Übrigen widerspricht es dem natürlichen Sprachgebrauch, unter dem "laufenden" Anmeldungszeitraum einen Jahre zurückliegenden Besteuerungszeitraum zu verstehen. Soweit sich der Beklagte demgegenüber auf den "Vereinfachungseffekt" beruft, verkennt er die Bindung der Verwaltung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG), wenn er offensichtlich meint, den Wortlaut der Rechtsnorm ignorieren und nach seinem Gutdünken die Besteuerungsgrundlagen in jedem beliebigen Besteuerungszeitraum berücksichtigen zu können, der für ihn zu einer "Vereinfachung" führt. Wie rechtstaatlich bedenklich das Vorgehen des Beklagten ist, wird insbesondere daran deutlich, dass er - je nachdem, ob die früher zuständigen Finanzämter die steuerlichen Mehrergebnisse im letzten Prüfungsmonat oder im ersten Anmeldungszeitraum nach Abschluss der Außenprüfung in Ansatz gebracht haben - nach Opportunität im Einzelfall sich im Ergebnis widersprechende Rechtsauffassungen dazu vertritt, welches der nach § 10 Abs. 4 VersStG maßgebende Besteuerungszeitraum ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 151 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711ZPO.