Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 05.12.2023, Az.: 7 U 317/22

Anspruch auf Schadensersatz wegen des Erwerbs eines PKW mit einer illegalen automatischen Abgasabschalteinrichtung

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
05.12.2023
Aktenzeichen
7 U 317/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 52563
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Stade - 12.05.2022 - AZ: 5 O 167/20

Redaktioneller Leitsatz

Der Vorwurf sittenwidrigen Verhaltens wäre vor diesem Hintergrund nur dann gerechtfertigt, wenn zu dem - unterstellten - Verstoß gegen die Verordnung 715/2007/EG weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Dafür müssten sich die betreffenden Personen bei der Entwicklung bzw. Verwendung der Abschalteinrichtungen zumindest darüber bewusst gewesen sein, unzulässige Abschalteinrichtungen zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen haben. Dies kann bei einer Abschalteinrichtung, die - wie hier das Thermofenster - im Grundsatz auf dem Prüfstand in gleicher Weise arbeitet wie im realen Fahrbetrieb und bei der die Frage der Zulässigkeit nicht eindeutig und unzweifelhaft beantwortet werden kann, bei Fehlen sonstiger Anhaltspunkte nicht ohne weiteres unterstellt werden.

Tenor:

  1. 1.

    Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf bis zu 13.000 € festgesetzt.

  2. 2.

    Der Senat weist vor der Anordnung weiterer prozessualer Maßnahmen darauf hin, dass die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Einzelrichters der 5. Zivilkammer des Landgerichts Stade vom 12. Mai 2022 ohne Erfolg verbleiben dürfte.

  3. 3.

    Der Kläger erhält Gelegenheit zur Stellungnahme und zur evtl. Rücknahme der Berufung aus Kostengründen innerhalb einer Frist von drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.

Gründe

Das Landgericht ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass dem Kläger keine Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Erwerb des streitgegenständlichen Fahrzeugs gegen die Beklagte zustehen.

1. Insbesondere scheidet ein Anspruch des Klägers aus §§ 826, 31 BGB aus, aus dem sich allein der von ihm vorrangig verfolgte Anspruch auf Rückabwicklung sowie auf Feststellung von Annahmeverzug und Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten begründen könnte.

a) Zwar kommt, wenn unter Täuschung im EG-Typengenehmigungsverfahren bewusst eine unzulässige Motorsteuerungssoftware verbaut wird, eine deliktische Haftung des Herstellers nach §§ 826, 31 BGB grundsätzlich in Betracht (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19; vgl. ferner: Senatsurteile vom 20. November 2019 - 7 U 244/18, juris Rn. 26 ff. und vom 22. Januar 2020 - 7 U 445/18).

b) Indes fehlt es im Streitfall an hinreichenden Anhaltspunkten dafür, dass das Inverkehrbringen des Fahrzeugs mit einem (insoweit unterstellt) unzulässigen Thermofenster in dem Bewusstsein der Unrechtmäßigkeit geschah und damit objektiv sittenwidrig war. Für die Existenz weiterer Abschalteinrichtungen, auf die sich der Vorwurf eines schuldhaften Handelns der Beklagten stützen ließe, ist vor dem Hintergrund der KBA-Auskünfte vom 14. Februar 2022 (Bl. 163 ff. d. A.) und 25. Juli 2023 (Bl. 371 ff. d. A.) ohnehin nichts Belastbares ersichtlich.

aa) Wie vom Senat bereits mit Beschluss vom 26. Juli 2023 ausgeführt, kann eine temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung in Form eines Thermofensters - in Abhängigkeit ihrer konkreten Bedatung - zwar als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10, 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zu qualifizieren sein.

Gleichwohl lässt sich unter Berücksichtigung der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (zB BGH, Urteile vom 19. Januar 2021 - VI ZR 433/19, NJW 2021, 921; vom 9. März 2021 - VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814; vom 16. September 2021 - VII ZR 190/20, NJW 2021, 3721 und vom 13. Januar 2022 - III ZR 205/20, WM 2022, 539) der Vorwurf sittenwidrigen Handelns der Beklagten auf dieses Thermofenster nicht stützen, weil das KBA von der Beklagten nicht getäuscht wurde. Denn die Steuerung der Abgasrückführung arbeitet bei dem Thermofenster - auch nach dem Vortrag des Klägers - zwar an der Umgebungstemperatur orientiert, im Grundsatz aber - bei Vorliegen der entsprechenden Bedingungen - auf dem Prüfstand und im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise.

Der Vorwurf sittenwidrigen Verhaltens wäre vor diesem Hintergrund nur dann gerechtfertigt, wenn zu dem - unterstellten - Verstoß gegen die Verordnung 715/2007/EG weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Dafür müssten sich die betreffenden Personen bei der Entwicklung bzw. Verwendung der Abschalteinrichtungen zumindest darüber bewusst gewesen sein, unzulässige Abschalteinrichtungen zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen haben. Dies kann bei einer Abschalteinrichtung, die - wie hier das Thermofenster - im Grundsatz auf dem Prüfstand in gleicher Weise arbeitet wie im realen Fahrbetrieb und bei der die Frage der Zulässigkeit nicht eindeutig und unzweifelhaft beantwortet werden kann, bei Fehlen sonstiger Anhaltspunkte nicht ohne weiteres unterstellt werden (BGH, Beschluss v. 15. September 2021 - VII ZR 2/21, Rn. 21 m.w.N.).

Greifbare Anhaltspunkte, die auf ein solches Vorstellungsbild hindeuten könnten, sind jedoch vom Kläger - auch unter Berücksichtigung seiner bereits aus anderen Verfahren bekannten Ausführungen mit Schriftsatz vom 9. Oktober 2023 (Bl. 394 ff. d. A.) - weder hinreichend substantiiert vorgetragen worden noch sonst ersichtlich.

(1) Insbesondere hat der Kläger nicht aufgezeigt, dass im Typgenehmigungsverfahren erforderliche Angaben verschwiegen, insbesondere verschleiert worden wäre, dass die Abgasrückführungsrate in dem streitgegenständlichen Fahrzeugtyp durch die Außentemperatur mitbestimmt wird. Denn die vom Kläger selbst in Bezug genommene, gegenüber dem OLG Stuttgart erteilte Auskunft des Kraftfahrtbundesamts vom 11. September 2020 (Anlage B 14, Bl. 134 ff. d. A.), die vom KBA als allgemeinverbindlich für sämtliche Fahrzeuge mit dem seitens der Beklagten hergestellten 3-Liter-V6-Euro5-Motor betrachtet wird, belegt, dass dem KBA "die Problematik von umgebungstemperaturgeführten Regelungen" durchaus bekannt war. Gleiches ergibt sich aus dem öffentlich abrufbaren Bericht der Untersuchungskommission Volkswagen vom April 2016 (vgl. insb. auch: BGH, Beschluss v. 25. November 2021 - III ZR 202/20, juris Rn. 15 m.w.N.).

Gegenteiliges kann der Kläger auch nicht aus den Angaben des Abteilungsleiters "Fahrzeugtechnik" des KBA W. vor dem Untersuchungsausschuss herleiten, wonach dieser angegeben hat, dass der Temperaturbereich des Thermofensters nicht bekannt gewesen sei. Denn detaillierte Angaben zu den Emissionsstrategien und der Wirkungsweise des Thermofensters musste die Beklagte seinerzeit nicht machen. Eine Verpflichtung hierzu bestand erst ab Mitte des Jahres 2016 aufgrund der Verordnung (EU) 2016/646 und damit erst deutlich nach Erteilung der Typengenehmigung für das streitgegenständliche Fahrzeug.

Im Übrigen wäre das KBA als Typengenehmigungsbehörde - wenn ihm die Angaben der Beklagten als unzureichend erschienen wären - gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwVfG gehalten gewesen, Nachfrage zu halten, um sich in die Lage zu versetzen, die Zulässigkeit etwaiger Abschalteinrichtungen im streitgegenständlichen Fahrzeug zu prüfen (vgl. BGH, Beschluss v. 15. September 2021 - VII ZR 2/21, Rn. 17; Beschluss v. 29. September 2021 - VII ZR 223/20, Rn. 14). Wenn die Behörde von dieser Möglichkeit jedoch keinen Gebrauch gemacht hat und die Angaben der Beklagten als Motorherstellerin für ausreichend erachtet hat, lässt sich hieraus kein arglistiges Verhalten herleiten. Denn die Beklagte musste in Bezug auf die Auslegung und Befolgung des Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 gegenüber sich selbst nicht strenger sein, als es die zuständigen Behörden ihr gegenüber waren.

Darüber hinaus hat der Kläger selbst vorgetragen (Schriftsatz v. 9. Oktober 2023, dort Seite 32), dass es dem KBA "vollkommen egal" gewesen sei, "ob eine Abschalteinrichtung verbaut ist oder ob diese zulässig ist". Dies als zutreffend unterstellt, käme es auf ein Verschweigen von Informationen durch die Beklagte überhaupt nicht an, weil ein solches Verhalten für die Entscheidung des KBA dann jedenfalls nicht ursächlich gewesen wäre und infolgedessen den Vorwurf einer Täuschung nicht begründen könnte.

(2) Gleichermaßen lässt sich ein Handeln der Beklagten im Bewusstsein der Unrechtmäßigkeit auch nicht damit begründen, diese habe bewusst gegen die maßgeblichen EU-Bestimmungen verstoßen.

Da der Einsatz von Thermofenstern in Dieselmotoren seinerzeit als üblich und von den Herstellern allgemein als Stand der Technik angesehen wurde, weswegen auch das KBA als zuständige Behörde den Einsatz von Thermofenstern nicht als Verstoß gegen Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 betrachtete, lässt sich eine Unvertretbarkeit der Entscheidung für den Einsatz einer solchen Maßnahme unter Berücksichtigung des damaligen Vorstellungsbildes der Beklagten nicht allein mit einem Verstoß einer solchen Maßnahme gegen die Bestimmung von Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 rechtfertigen. Denn vor dem Hintergrund seinerzeit fehlender verbindlicher gerichtlicher oder behördlicher Vorgaben zur Auslegung der Bestimmung von Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 in Bezug auf Thermofenster - erst mit Urteil vom 17. Dezember 2020 hat sich der EuGH mit der Auslegung der genannten Vorschrift befassen müssen (vgl. EuGH, Urteil vom 17. Dezember 2020 - C-693/18, NJW 2021, 1216) - bestand eine unklare Rechtslage. Eine solche vermag indes lediglich allenfalls den Vorwurf fahrlässigen Handelns der Beklagten rechtfertigen; denn es lässt sich nicht feststellen, dass sich den für die Beklagte tätigen Personen unter diesen Voraussetzungen die Gefahr einer Schädigung des Klägers hätte aufdrängen müssen (BGH, Beschluss v. 15. September 2021 - VII ZR 2/21, juris Rn. 23). Ein etwaiges fahrlässiges Handeln genügt jedoch für eine Haftung aus § 826 BGB nicht.

Dabei ergibt sich Gegenteiliges auch nicht aus dem Vorbringen des Klägers zur Entwicklung des Thermofensters durch Mitarbeiter der Beklagten. Denn auch diese Ausführungen kumulieren allein in der Aussage, den beteiligten Ingenieuren und informierten Führungskräften sei bekannt gewesen, dass der europäische Gesetzgeber ein Verbot des Einsatzes von Abschalteinrichtungen definiert habe. Das bloße Wissen um die grundsätzliche Unzulässigkeit von Manipulationshandlungen zum Zweck der Gewährleistung der Einhaltung der gesetzlichen Abgaswerte auf dem Prüfstand begründet jedoch - gerade angesichts der Üblichkeit der Verwendung einer solchen Steuerungsmaßnahme und ihrer Akzeptanz durch das KBA - mitnichten zugleich auch ein Wissen in Bezug auf die rechtliche Einordnung eines Thermofensters als unzulässige Abschalteinrichtung, das jedoch für den Vorwurf eines verwerflichen Handels erforderlich wäre.

2. Auch das mit dem Hilfsantrag verfolgte Begehren des Klägers auf Ersatz des sog. Differenzschadens dürfte im Ergebnis ohne Erfolg verbleiben.

a) Zwar stünde dem Kläger grundsätzlich gem. § 823 Abs. 2 BGB i.V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz des Betrags zu, um den er das streitgegenständliche Fahrzeug mit Rücksicht auf die Risiken durch die darin implementierten Abschalteinrichtungen - hier also des Thermofensters - zu teuer erworben hat (Differenzschaden). Denn vor dem Hintergrund, dass das Thermofenster - jedenfalls zum Zeitpunkt des Fahrzeugerwerbs durch den Kläger - bereits bei Temperaturen über 12 °C die Abgasrückführungsrate reduzierte und damit während des überwiegenden Teils eines Jahres unter den im Unionsgebiet herrschenden tatsächlichen Fahrbedingungen zum Einsatz gelangte, handelte es sich hierbei um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne im Sinne von Art. 3 Nr. 10, 5 Abs. 2 der VO (EG) Nr. 715/2007, die unter keinem Gesichtspunkt, auch nicht unter Motorschutzgesichtspunkten nach Art. 5 Abs. 2 Satz 2 Buchstabe a VO (EG) 715/2007, zu rechtfertigen ist.

Vor diesem Hintergrund könnte eine Haftung der Beklagten wegen des Vorwurfs zumindest fahrlässigen Verhaltens daher nur dann ausscheiden, wenn sich diese zu Recht auf das Vorliegen eines Verbotsirrtums berufen könnte.

b) Ob dies der Fall ist, kann jedoch offenbleiben. Denn hierauf kommt es im Streitfall nicht an, weil ein möglicher Differenzschaden des Klägers jedenfalls im Wege der Vorteilsausgleichung vollständig aufgezehrt sein dürfte.

aa) Nach Maßgabe der Entscheidung des BGH vom 26. Juni 2023 (AZ. VIa ZR 335/21, Rn. 71 ff.) beschränkt sich der im Rahmen des sog. Differenzschadens ersatzfähige Betrag auf eine Bandbreite zwischen 5% und 15 % des gezahlten Kaufpreises. Allerdings finden die von der Rechtsprechung (vgl. BGH, Urteil v. 6. Juli 2021 - VI ZR 40/20, derss., Urteil v. 24. Januar 2022 - VIa ZR 100/21) entwickelten Maßstäbe zum "kleinen" Schadensersatz Anwendung. Dies hat zur Folge, dass die Nutzungsvorteile und der Restwert des Fahrzeugs anspruchsmindernd im Wege der Vorteilsausgleichung anzurechnen sind, soweit sie den tatsächlichen Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrags übersteigen. Dies kann im Ergebnis dazu führen, dass der Schaden vollständig kompensiert ist.

Dabei kommt es entgegen der Rechtsauffassung des OLG Hamburg vom 6. Oktober 2023 (Az. 3 U 183/21, BeckRS22023, 26911) für die Anrechnung des Restwerts nicht darauf an, ob das Fahrzeug bereits verkauft oder beim Kläger noch vorhanden ist, da die Vermögenslage eines Fahrzeugerwerbers, der mangels Weiterveräußerung des Fahrzeugs noch über den darin verkörperten Vermögenswert verfügt, keine andere ist als desjenigen, der den Wagen verkauft hat und nunmehr stattdessen den Veräußerungserlös in Händen hält.

bb) Die Voraussetzungen für eine Aufzehrung liegen im Streitfall vor.

(1) Der Differenzschaden des Klägers kann sich gemessen an den vorstehend dargestellten Grundsätzen auf maximal 2.025 € belaufen (Kaufpreis v. 13.500 € x 15%).

(2) Der tatsächliche Fahrzeugwert beträgt vor dem Hintergrund der dargestellten Rechtsprechung des BGH nicht weniger als 11.475 € (Kaufpreis von 13.500 € abzüglich 15%).

(3) Der nach § 287 ZPO zu schätzende Nutzungsersatz beträgt bereits bezogen auf April 2022, also den Zeitpunkt, für den zuletzt eine Mitteilung der Laufleistung für das streitgegenständliche Fahrzeug vorliegt, 6.898,73 €.

Für die Bemessung der Ersatzforderung des Klägers geht der Senat von einer Gesamtlaufleistung für das Fahrzeug von 300.000 km aus, die der gewöhnlichen Lebensdauer eines Fahrzeugs entspricht, das wie das Klägerfahrzeug (mindestens) über einen 3-Liter-Motor verfügt. Dabei kommt es nicht auf die maximale, bei entsprechend gesteigertem Erhaltungsaufwand technisch möglichen Leistungsgrenze an, sondern auf die durchschnittlich zu erwartende Laufleistung. Insoweit macht der Senat von der Möglichkeit der Anspruchsschätzung nach § 287 ZPO Gebrauch. Auf die bisherige Senatsrechtsprechung wird Bezug genommen, die im Einklang mit der aktuellen höchstrichterlichen Rechtsprechung steht (vgl. Senatsurteile vom 20. November 2019 - 7 U 244/18 - und vom 22. Januar 2020 - 7 U 445/18 -, juris; BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 - und Urteile jew. vom 30. Juli 2020 - VI ZR 354/19 -, - ZR 367/19 -, - VI ZR 397/19 -, juris).

Danach ergibt sich auf der Grundlage einer Laufleistung des klägerischen Fahrzeugs von 232.558 km im April 2022 und unter Berücksichtigung einer Laufleistung des Wagens bei Erwerb durch den Kläger von 162.077 km unter Anwendung der allgemein anerkannten Berechnungsformel (vgl. Reinking/Eggert, Der Autokauf, 14. Aufl. 2020, Rn. 3563) eine zu berücksichtigende Entschädigung für gezogene Nutzungen von 6.898,73 €.

Bezogen auf Stand Dezember 2023 dürfte - unter Berücksichtigung der zutreffenden Berechnungsweise der Beklagten auf Seite 25 des Schriftsatzes vom 11. September 2023 (Bl. 465 ff. d. A.) die aktuelle Laufleistung des Fahrzeugs bei mittlerweile nicht weniger als 260.000 km liegen, was zu einer Nutzungsentschädigung von sogar 9.584,77 € führte.

(4) Der Restwert des Fahrzeugs ist nach der Schätzung des Senats unter Berücksichtigung der gebotenen Vorsicht mit nicht weniger als 8.500 € zu bemessen.

(a) Bei dem Restwert, den sich der Geschädigte im Wege der Vorteilsausgleichung anspruchsmindernd anrechnen lassen muss, handelt es sich um den auf dem Gebrauchtwagenmarkt für das Fahrzeug erzielbaren Verkaufswert. Dieser bestimmt sich nach den tatsächlichen Gegebenheiten am Markt unter Berücksichtigung der aktuellen Nachfrage nach einem entsprechenden Fahrzeug und nicht nach abstrakten Berechnungsformeln. Denn für den Fall des Verkaufs erhält der Kläger als Fahrzeugeigentümer den Betrag, den der Erwerber zu zahlen bereit ist, auch wenn dieser Betrag höher ist als dasjenige, das sich nach der von ihm für maßgeblich erachteten Formel: Kaufpreis abzüglich des maximalen Differenzschadens und der Nutzungsentschädigung ergibt. Legte man in einem solchen Fall gleichwohl für die Bemessung des anzurechnenden Restwerts nicht den tatsächlich erzielten bzw. nach Marktlage erzielbaren Verkaufspreis, sondern stattdessen den sich aus einer abstrakten Berechnungsformel ergebenden Wert zugrunde, bestünde die Gefahr eines Verstoßes gegen das schadensersatzrechtliche Bereicherungsverbot, aufgrund dessen der Geschädigte nicht bessergestellt werden darf als er ohne das schädigende Ereignis stünde. Dies entspricht im Übrigen auch der Betrachtungsweise des EuGH (vgl. EuGH, Urteil v. 21. März 2023, C-100/21, juris Rn. 94).

Die Bemessung der Höhe des Restwerts ist in erster Linie Sache des nach § 287 ZPO besonders freigestellten Tatrichters (BGH, Urteil vom 24. Juli 2023, VIa ZR 752/22, juris Rn. 12), die lediglich nicht bloß abstrakt erfolgen und damit "völlig aus der Luft gegriffen" sein darf (vgl. Greger, in Zöller ZPO, 34. Aufl., § 287, Rn 4 mwN).

Als Schätzgrundlage sind dabei Angebote von Verkaufsportalen wie mobile.de oder autoscout.24 grundsätzlich geeignet (st. Rspr. d. Senats, z.B. Beschluss v. 16. Oktober 2023 - 7 U 346/22, z.V.b.; ebenso: OLG Schleswig, Urteil v. 10. Oktober 2023 - 7 U 100/22, LS 8; OLG Frankfurt, Urteil v. 20. September 2023 - 3 U 8/23, juris Rn. 33), wobei vor dem Hintergrund, dass die dort ausgewiesenen Preise die Erwartungshaltung auf Verkäuferseite widerspiegeln und der Verkauf der Fahrzeuge voraussichtlich unter Vornahme von Abzügen erfolgt, ein angemessener Abschlag vorzunehmen ist. Auch kann auf eine Bewertung durch Gebrauchtwagenwert-Rechnerprogramme zurückgegriffen werden, wobei dabei allerdings darauf zu achten ist, dass diese nicht den - für die Bestimmung des Restwerts nicht maßgeblichen - Händlereinkaufspreis ermitteln.

bb) Gemessen daran erscheint es dem Senat gerechtfertigt, den Restwert des Fahrzeugs mit nicht unter 8.500 € zu bemessen.

Wie die eigenen Recherchen des Senats auf mobile.de ergeben haben, spiegelt die seitens der Beklagten vorgelegte Fahrzeugbewertung (Anlage B19, Bl. 498 d. A.), die im Übrigen auch dem nach dem vom ADAC zur Verfügung gestellten Berechnungsprogramm ermittelten Wert entspricht, das Preisniveau für vergleichbare Fahrzeug angemessen wider, wobei sich nach den Feststellungen des Senats Verkaufsangebote - selbst von Privatpersonen - zu deutlich höheren Preisen für Fahrzeuge mit einer erheblich höheren Laufleistung als das Klägerfahrzeug (voraussichtlich) aufweist, finden lassen, wie die nachstehend eingefügten Angebote belegen:

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(5) Ausgehend hiervon ist ein dem Kläger entstandener Differenzschaden vollständig aufgezehrt. Denn Nutzungsvorteil (mindestens 6.898,73 €) und Fahrzeugrestwert (mindestens 8.500 €) übersteigen den tatsächlichen Fahrzeugwert bei Kaufvertragsschluss (minimal 11.475 €) um mehr als 3.900 €, was zur Folge hat, dass der Maximal-Differenzschaden von 2.025 € komplett kompensiert ist. Entsprechendes gilt erst Recht, wen man die vorstehende Berechnung mit der sich bezogen auf die aktuelle Laufleistung des Klägerfahrzeugs ergebenden Nutzungsentschädigung durchführte.

Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen sollte der Kläger erwägen, ob eine Rücknahme der Berufung in Betracht kommt.