Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 29.01.2015, Az.: 3 B 13203/14
Abschiebung; Abschiebungsanordnung; Dublin III VO; Garantieerklärung; Italien; Tarakhel; Überstellung
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 29.01.2015
- Aktenzeichen
- 3 B 13203/14
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2015, 45216
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 27a AsylVfG
- § 34a AsylVfG
- Art 3 Abs 2 EUV 604/2013
- Art 3 MRK
- Art 4 EUGrdRCh
- § 80 Abs 5 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Es liegen belastbare Hinweise für das Bestehen erheblicher Kapazitätsengpässe bei der Unterbringung (rückgeführter) asylsuchender Ausländer in Italien vor (Anschluss an EGMR vom 04.11.2014 - Nr. 29217/12 Tarakhel - und an BVerfG vom 17.09.2014 - 2 BvR 732/14 -).
2. Die dahingehenden tatsächlichen Feststellungen des EGMR und des BVerfG betreffen die Situation des Asylsystems/der Aufnahmebedingungen in Italien insgesamt und nicht nur die Situation von Familien/Elternteilen mit (kleinen) Kindern.
3. Die aktuellen Aufnahmebedingungen in Italien stellen einen systemischen Mangel im Sinne der Rechtsprechung des EGMR dar, die eine Abschiebung dorthin grundsätzlich bezogen auf alle Personengruppen unzulässig macht.
4. Die grundsätzliche Unzulässigkeit einer Abschiebung nach Italien kann entfallen, wenn eine individuelle Garantieerklärung der zuständigen italienischen Behörde dazu abgegeben wird, dass die betroffene(n) Person(en) nach ihrer Rücküberstellung eine den Anforderungen der EMRK bzw. der EU Grundrechtecharta entsprechende Unterbringung, Versorgung und Behandlung erfahren (Anschluss an EGMR vom 04.11.2014 Nr. 29217/12 - Tarakhel -).
Tenor:
Die aufschiebende Wirkung der am 24.11.2014 erhobenen Klage (3 A 13202/14) gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 12.11.2014, zugestellt am 17.11.2014, wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens; Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen seine Abschiebung nach Italien im Rahmen eines sog. Dublin-III-Verfahrens.
Der Antragsteller, nach eigenen Angaben alleinstehend und algerischer Staatsangehörigkeit, reiste nach den Feststellungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 02.08.2014 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 08.08.2014 einen Asylantrag. Eine auf den Fingerabdrücken basierende Anfrage bei der Eurodac - Datenbank ergab, dass der Antragsteller - entgegen seinen Angaben im Rahmen der Erstanhörung - bereits im März 2011, Dezember 2011 und März 2013 in der Schweiz sowie im Dezember 2011 und im Januar 2012 in Italien Asylanträge gestellt hatte. Am 12.08.2014 wandte sich daraufhin das Bundesamt an die zuständige Kontaktstelle in Italien und bat um Wiederaufnahme des Antragstellers auf der Basis von Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) Dublin III-VO. Dieses Gesuch beantworteten die italienischen Behörden nicht.
Mit Bescheid vom 12.11.2014 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ab und ordnete dessen Abschiebung nach Italien an. Zur Begründung ist ausgeführt, dass Italien gemäß Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO wegen des Ablaufs der Zwei-Wochen-Frist des Art. 25 Abs. 1 Dublin III-VO für die Bearbeitung des Asylantrages zuständig sei. Außergewöhnliche Gründe, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, das Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO auszuüben, seien nicht ersichtlich. Namentlich leide das Asylsystem in Italien nicht an systemischen Mängeln. Es könne nach Auskünften des Auswärtigen Amtes aus dem Jahr 2013 davon ausgegangen werden, dass für Schutz suchende Flüchtlinge in Italien landesweit ausreichende staatliche bzw. öffentliche karitative Unterkunftsmöglichkeiten - bei teilweiser lokaler Überbelegung - zur Verfügung stünden. Weiterhin seien für diese Personengruppe auch eine hinreichende Verpflegung sowie der Zugang zu medizinischer Behandlung in ausreichendem Maße gesichert. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf den Bescheid verwiesen.
Der Antragsteller hat gegen den am 17.11.2014 zugestellten Bescheid am 24.11.2014 unter dem Az. 3 A 13202/14 Klage erhoben und zugleich um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Er macht geltend, dass die Frage, ob das Asylsystem in Italien sog. systemische Mängel aufweise, nicht hinreichend geklärt sei. Die Rechtsprechung dazu sei nach den eigenen Angaben der Antragsgegnerin uneinheitlich. In dieser Situation überwiege sein Aufschubinteresse das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin.
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung seiner am 24.11.2014 erhobenen Klage (3 A 13202/14) gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 12.11.2014 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie verteidigt den angefochtenen Bescheid und trägt vor: In der deutschen Rechtsprechung sei überwiegend geklärt, dass in Italien keine systemischen Mängel im Asylverfahren gegeben seien. Die Tarakhel-Entscheidung des EGMR vom 04.11.2014 betreffe den Antragssteller als alleinstehenden Mann nicht.
Der nach § 76 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG als Einzelrichter zur Entscheidung berufene Berichterstatter hat das Verfahren mit Beschluss vom 28.01.2015 gemäß § 76 Abs. 4 Satz 2 AsylVfG wegen grundsätzlicher Bedeutung auf die Kammer übertragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie den Inhalt des vorgelegten Vorgangs des Bundesamtes verwiesen.
II.
1.
Der Antrag ist zulässig.
Er ist gemäß § 34a Abs. 2 AsylVfG i. V. m. § 80 Abs. 5 VwGO statthaft, soweit sich die Klage gegen die unter Ziffer 2 des angefochtenen Bescheides angeordnete Abschiebung nach Italien richtet, und auch fristgerecht gestellt worden.
2.
Der Antrag ist auch begründet.
Das Verwaltungsgericht kann die aufschiebende Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO anordnen, wenn das Interesse des betroffenen Ausländers, von einem Vollzug der Abschiebungsanordnung vorläufig verschont zu bleiben, gegenüber dem öffentlichen Interesse an dem gesetzlich angeordneten Vollzug der Abschiebungsanordnung überwiegt. Im vorliegenden Fall überwiegt das Aussetzungsinteresse des Antragstellers, denn nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes lediglich gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage bestehen - derzeit - ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Vollzuges der angeordneten Abschiebung des Antragstellers nach Italien.
a)
Die Antragsgegnerin stützt ihre Abschiebungsanordnung auf § 34a AsylVfG. Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ordnet das Bundesamt, wenn der Ausländer in einen gemäß § 27a AsylVfG für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat abgeschoben werden soll, die Abschiebung dorthin an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind auf der Grundlage des nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG maßgeblichen aktuellen Sachstandes nicht vollständig erfüllt.
aa)
Allerdings ist Italien im Sinne von §§ 27a, 34a AsylVfG für die sachliche Prüfung des Asylantrags des Antragstellers zuständig. Da der Antragsteller seinen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes in Deutschland nach dem 1. Januar 2014 gestellt hat, sind nach Art. 49 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (vom 29.6.2013, Abl. L 180) – Dublin III-VO – die (Zuständigkeits-)Vorschriften dieser Verordnung anzuwenden.
(1)
Eine Zuständigkeit Italiens für die sachliche Prüfung des Asylbegehrens ergibt sich jedoch nicht bereits aus Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) Dublin III–VO. Diese Vorschrift begründet keine Prüfungszuständigkeit eines Mitgliedstaates, sondern setzt diese, wie sich dem Wortlaut ihrer Eingangsformulierung unmittelbar entnehmen lässt, als bereits nach anderen Vorschriften der Verordnung gegeben voraus.
(2)
Es ist aus dem bekannten Sachverhalt auch nicht eindeutig ableitbar, dass Italien nach dem insoweit vorrangig einschlägigen Art. 3 Abs. 1 Dublin III-VO in Verbindung mit den Regelungen in Kapitel III der Verordnung für die Prüfung des Asylgesuchs zuständig ist. Namentlich liegen derzeit keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass sich eine solche Zuständigkeit (noch) aus Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO ergibt. Vielmehr käme nach Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO auch eine Zuständigkeit der Schweiz in Betracht, da der Antragsteller nach dem Inhalt des Verwaltungsvorgangs nach der illegalen Einreise in das Gebiet der von der Dublin III-VO erfassten Staaten offenbar dort seinen ersten Asylantrag gestellt hatte.
(3)
Es kann im Ergebnis jedoch offen bleiben, ob Italien schon nach den Kriterien des Art. 3 Dublin III-VO in Verbindung mit dem Kapitel III der Dublin III-VO für die Prüfung des vom Antragsteller gestellten Asylantrages zuständig ist. Denn in dem hier interessierenden rechtlichen Zusammenhang ist insoweit maßgeblich, dass Italien dem am 12.08.2014 gestellten Wiederaufnahmegesuch des Bundesamtes nicht innerhalb der Frist des Art. 25 Abs. 1 Dublin III-VO widersprochen hat. Jedenfalls damit ist Italien gemäß Art. 17 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Dublin III-VO zu dem für die sachliche Prüfung des Asylantrages zuständigen Mitgliedstaat geworden. Gemäß § 25 Abs. 2 Dublin III-VO ist die Nichtbeantwortung des Übernahmegesuchs als Zustimmung zur Wiederaufnahme anzusehen. Dieses Verhalten ist aber darüber hinaus - konkludent - auch als Erklärung, sich für die Bearbeitung des Asylbegehrens des Antragstellers als zuständig anzusehen, zu werten. Denn es liegt fern anzunehmen, dass der ersuchte Mitgliedstaat die Frist des Art. 25 Abs. 1 Dublin III-VO verstreichen lässt und damit seine Pflicht zur Wiederaufnahme der betreffenden Person begründet, obwohl er sich für eine sachliche Befassung mit deren Asylantrag nicht für zuständig erachtet. Darauf, dass eine solche Willensbekundung des anderen Mitgliedstaates - hier Italiens - zur Wiederaufnahme objektiv mit dem Zuständigkeitssystem der Dublin III-VO in Einklang steht, hat der Antragsteller unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH (Urt. vom 10.12.2013 - C-394/12 -, juris) keinen subjektiv-rechtlichen Anspruch (vgl. ausführlich VG Ansbach, Urt. vom 19.08.2014, AN 1 K 14.50026, juris Rn. 32 ff, m. w. N.).
bb)
Es steht jedoch nicht im Sinne von § 34a Abs. 1 AsylVfG fest, dass derzeit eine Abschiebung nach Italien durchgeführt werden kann. Nach Auffassung der Kammer ist eine Überstellung des Antragstellers nach Italien auf der Grundlage der angegriffenen Abschiebungsanordnung gegenwärtig unzulässig, weil es im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH sowie des EGMR und auch des BVerfG wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylantragsteller in Italien systemische Schwachstellen aufweisen, die (auch) für den Antragsteller auf der Basis des derzeitigen Verfahrensstandes bei einer Überstellung die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU–Grundrechtecharta mit sich brächten.
(1)
Der EGMR hat bereits früher derartige systemische Mängel für das Asylverfahren wie für die Aufnahmebedingungen in Fällen der Überstellung von Asylbewerbern im Rahmen des Dublin-Systems nach Griechenland bejaht (vgl. EGMR – Große Kammer, Urteil vom 21.01.2011 – Nr. 30696/09, M.S.S. – NVwZ 2011, 413) und in Folgeentscheidungen insoweit ausdrücklich auf das Kriterium des systemischen Versagens (‚systemic failure‘) abgestellt (EGMR, Entscheidungen vom 02.04.2013 – Nr. 27725/10, Mohammed Hussein u. a. – ZAR 2013, 336 Rn. 78; vom 04.06.2013 – Nr. 6198/12, Daytbegova u. a. – Rn. 66; vom 18.06.2013 – Nr. 53852/11, Halimi – ZAR 2013, 338 Rn. 68; vom 27.08.2013 – Nr. 40524/10, Mohammed Hassan – Rn. 176 und vom 10.09.2013 – Nr. 2314/10, Hussein Diirshi – Rn. 138).
In seinem jüngsten Urteil vom 04.11.2014 (- Nr. 29217/12 -, Tarakhel; veröff. unter http://hudoc.echr.coe.int/sites/eng/pages/search.aspx?i=001-148070#D.) hat der EGMR diese Rechtsprechung weiterentwickelt. Er hat dort die dem Betroffenen drohende Verletzung seiner Rechte aus Art. 3 EMRK durch eine drohende unmenschliche oder erniedrigende Behandlung in den Mittelpunkt der Betrachtung gestellt und dazu ausgeführt, dass sich die Ursache der drohenden Gefahr weder auf das Schutzniveau auswirke, das durch die Konvention garantiert wird, noch auf die sich aus der Konvention ergebenden Pflichten des Staates, der die Abschiebung der Person anordnet. Das dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem zugrunde liegende Prinzip gegenseitigen Vertrauens befreit diesen Staat danach gerade nicht davon, eine gründliche und individuelle Prüfung der Situation der betroffenen Person vorzunehmen und die Durchsetzung der Abschiebungsanordnung auszusetzen, falls die Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung festgestellt werden sollte (EGMR, Urteil vom 04.11.2014 – a. a. O. –, Rn. 104).
Ein „systemisches Versagen“ im Sinne dieser Rechtsprechung setzt nach Ansicht der Kammer deshalb nicht voraus, dass ein Systemfehler zwangsläufig eine Vielzahl von Asylsuchenden betreffen muss. Der Begriff der „systemischen Mängel“ beschreibt danach vielmehr die Vorhersehbarkeit und Reproduzierbarkeit einer drohenden Rechtsverletzung. Ein systemischer Mangel liegt demgemäß vor, wenn die Struktur des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen eine Stelle aufweist, die so defizitär ausgestaltet ist, dass dort, Rechtsverletzungen regelhaft eintreten können (ähnlich VG Hannover, Kammer-Beschl. vom 22.12.2014, 10 B 11507/14, juris Rn. 20; vgl. eingehend Lübbe, ZAR 3/2014, S. 107).
(2)
Ausgehend davon besteht auf der Grundlage der aktuellen Erkenntnislage bei summarischer Prüfung zumindest hinsichtlich der Aufnahmebedingungen Italiens für (rückkehrende) Asylbewerber ein abschiebungsrelevanter systemischer Mangel.
Die Kammer geht in tatsächlicher Hinsicht übereinstimmend mit dem BVerfG und dem EGMR davon aus, dass auf Grund von aktuellen Berichten international anerkannter Flüchtlingsschutzorganisationen und auch des Auswärtigen Amtes belastbare Hinweise für das Bestehen von erheblichen Kapazitätsengpässen bei der Unterbringung rückgeführter bzw. asylsuchender Ausländer in Italien vorliegen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.09.2014 – 2 BvR 732/14 –, juris Rn. 15; EGMR, Urteil vom 04.11.2014 – a. a. O. –, Rn. 106 ff.; ausführlich zum neueren Erkenntnisstand VG Gelsenkirchen, Beschl. vom 13.11.2014 – 7a L 1718/14.A –, juris Rn. 18 ff.; vgl. zuletzt auch VG Gießen, Beschl. v. 03.01.2015, 1 L 3772/14.GI.A, juris Rn. 11). Bezeichnenderweise hat auch die italienische Regierung selbst in dem Tarakhel-Verfahren vor dem EGMR nicht geltend gemacht, dass die Kapazitäten des SPRAR-Systems und der CARAs zusammengenommen derzeit in der Lage wären, den Großteil, geschweige denn die komplette Nachfrage nach Unterbringung zu decken. Danach ist auf der Grundlage der verfügbaren aktuellen Erkenntnisse nicht auszuschließen, dass eine erhebliche Zahl Asylsuchender ohne Unterkunft bleibt oder in überfüllten Einrichtungen ohne jede Privatsphäre oder sogar in einer „gesundheitsgefährdenden oder gewalttätigen Umgebung“ untergebracht werden könnte (so ausdrücklich: EGMR, Urt. vom 04.11.2014, a. a. O., Rn. 115) , was mit Art. 4 der EU-Grundrechtecharta nicht vereinbar wäre. Darin liegt im Sinne der Rechtsprechung des EGMR ein systemischer Mangel. Denn wenn auch nicht in jedem Einzelfall eine derartige menschenrechtswidrige bzw. entwürdigende Unterbringung droht, so kann dieses doch auf Grund der insgesamt unzureichenden angemessenen Unterbringungsmöglichkeiten regelhaft wiederkehrend in einer Vielzahl von Fällen eintreten.
Dem kann die Antragsgegnerin nicht mit Erfolg entgegenhalten, in der (deutschen) Rechtsprechung werde das Vorliegen systemischer Mängel im Asylsystem und hinsichtlich der Aufnahmebedingungen in Italien überwiegend verneint. Der weitaus größte Teil der von der Antragsgegnerin dafür angeführten Rechtsprechung ist vor den o. a. Entscheidungen des EGMR und des BVerfG ergangen und schon deshalb für die Beurteilung der aktuellen Lage von nur geringer Bedeutung. Die danach ergangene Rechtsprechung setzt sich, soweit sie veröffentlicht bzw. der Kammer zugänglich ist, mit dieser Frage nicht unter ausreichender Berücksichtigung der Einschätzungen des BVerfG und des EGMR auseinander. Soweit darin insbesondere behauptet wird, die Aussagen zu der Unterbringungssituation von Asylbewerbern in Italien in der Tarakhel-Entscheidung des EGMR und in der Entscheidung des BVerfG vom 17.09.2014 seien ausschließlich auf die Situation von Familien/Eltern mit kleinen Kindern bezogen und deshalb insbesondere auf alleinstehende (junge) Männer von vornherein nicht übertragbar (vgl. z. B. VG Aachen, Beschl. vom 17.12.2014, 2 L 622/14.A, juris Rn. 29 f.; VG Oldenburg, Beschl. vom 15.12.2014, 12 B 2771/14, juris Rn. 35; VG Arnsberg, Beschl. vom 09.12.2014, 5 L 1237/14.A, juris Rn. 6; VG Ansbach, Beschl. vom 09.12.2014, AN 14 K 14.50187b, juris Rn. 30; VG Hannover, Beschl. v. 05.12.2014, 6 B 13305/14, n. v.; VG Stade, Beschl. vom 02.12.2014, 6 B 2025/14, n. v.) stimmt die Kammer dem nicht zu. Die Feststellungen des EGMR in der Tarakhel-Entscheidung zu den tatsächlichen Verhältnissen in Italien (Rn. 37 ff, 106 ff) und seine Schlussfolgerung daraus (a.a.O., Rn. 115) sind seinen weiteren Ausführungen zu der Situation der Beschwerdeführer in dem von ihm konkret entschiedenen Fall einer Familie mit mehreren Kindern (Rn. 120 ff) vorgelagert. Sie beziehen sich - erkennbar - auf die Situation des dortigen Asylsystems insgesamt und betreffen damit alle Asylbewerber in Italien. Auch das BVerfG hat seine Aussage zu den Kapazitätsengpässen im asylrechtlichen Unterbringungssystem in Italien in tatsächlicher Hinsicht gerade nicht auf die Situation von Familien mit kleinen Kindern beschränkt (BVerfG, Beschl. vom 17.09.2014, 2 BvR 732/14, juris Rn. 15).
(3)
Daraus folgt zugleich, dass der vorliegende systemische Mangel hinsichtlich der Aufnahmebedingungen in Italien in Form unzureichender angemessener Unterbringungsmöglichkeiten auch für den Antragsteller als alleinstehenden jungen Mann derzeit die Gefahr begründet, im Falle einer Rücküberstellung einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung ausgesetzt zu sein, was seiner Abschiebung im gegenwärtigen Verfahrensstand entgegensteht.
Dagegen lässt sich auch nicht anführen, der EGMR selbst habe in der Tarakhel-Entscheidung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Verhältnisse in Italien nicht mit jenen in Griechenland zu vergleichen seien, die den Gerichtshof dazu veranlasst hätten, Abschiebungen dorthin als mit der EMRK unvereinbar anzusehen (Rn. 114). Nach dem Verständnis der Kammer hat der EGMR vielmehr in der Tarakhel-Entscheidung seine Rechtsprechung zu einem möglichen Verbot von Abschiebungen innerhalb des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems auf der Rechtsfolgenseite fortentwickelt und ihr darin eine neue Kategorie im Sinne eines „auflösend bedingten“ Abschiebungsverbotes bei drohenden Menschenrechtsverletzungen hinzugefügt. Nach dem bisherigen Rechtsverständnis waren Abschiebungen auf der Grundlage der Dublin III-VO nur entweder zulässig, oder - ausnahmsweise - wegen zu befürchtender Menschenrechtsverletzungen in Folge eines systemischen Versagens des Asylsystems im Zielland unzulässig. Nunmehr sieht der EGMR zusätzlich die Möglichkeit als gegeben an, in den Fällen, in denen zwar systemische Schwachstellen im Asylsystem eines Mitgliedstaates bestehen, dieses System aber jedenfalls noch als so hinreichend leistungsfähig angesehen werden kann, dass im Einzelfall die Gefahr einer menschenrechtswidrigen Behandlung bei einer Überstellung abwendbar erscheint, Abschiebungen weiterhin durchzuführen. Erforderlich ist dafür aber nach Auffassung des EGMR, dass der aufnehmende Staat, dessen Asylsystem systemische Schwachstellen aufweist, vor der Rücküberstellung eine auf den jeweiligen Einzelfall bezogene, hinreichend konkrete „Garantieerklärung“ zu einer menschenrechtskonformen Behandlung der zu überstellenden Person abgibt. In einem solchen Fall ist dann eine Überstellung in den ersuchten Mitgliedstaat trotz dort vorhandener systemischer Schwachstellen nicht (mehr) „unmöglich“ im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO, sondern wird zulässig.
b)
Da eine derartige Erklärung der italienischen Behörden in Bezug auf den Antragsteller bislang nicht vorliegt, ist die Gefahr, im Falle einer Rückführung nach Italien mangels einer den Mindesterfordernissen entsprechenden Unterbringung einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 EU-Grundrechtecharta ausgesetzt zu sein, für den Antragsteller nicht hinreichend ausgeräumt. Das steht einem Vollzug der Abschiebungsanordnung derzeit entgegen.
3.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylVfG.