Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 22.12.2014, Az.: 10 B 11507/14
Ausschluss systemischer Mängel im italienischen Asylverfahren bei einer individuellen Garantieerklärung Italiens
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 22.12.2014
- Aktenzeichen
- 10 B 11507/14
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2014, 31582
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGHANNO:2014:1222.10B11507.14.0A
Verfahrensgang
Rechtsgrundlagen
- Art. 3 EMRK
- Art. 17 EURL 33/2013
- Art. 18 Abs. 2 EURL 33/2013
- Art. 3 Abs. 2 EUV 604/2013
Fundstellen
- InfAuslR 2015, 126-129
- NdsVBl 2015, 5
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Nach der Rechtsprechung des EGMR bestehen im Asylsystem Italiens gegenwärtig - Stand 12/2014 - systemische Mängel, aufgrund derer bei unbeeinflusstem Geschehensablauf eine Verletzung der Rechte des Betroffenen aus Art. 3 EMRK droht.
Eine Verletzung der Rechte aus Art. 3 EMRK kann aber dadurch ausgeschlossen werden, dass die italienischen Behörden eine individuelle Garantieerklärung abgeben, dass der Betroffene eine Unterkunft erhält und seine elementaren Bedürfnisse gedeckt sind.
- 3.
Dies gilt für alleinstehende, männliche, junge, gesunde Asylsuchende nicht weniger als für besonders schutzbedürftige Asylsuchende.
Tenor:
Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 28. August 2014 gegen die in dem Bescheid der Antragsgegnerin vom 18. August 2014 ausgesprochene Abschiebungsanordnung wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Dem Antragsteller wird unter Beiordnung von Rechtsanwalt Q. in Hannover Prozesskostenhilfe bewilligt.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Anordnung seiner Abschiebung nach Italien im Rahmen eines sog. Dublin-III-Verfahrens.
Der 1989 geborene Antragsteller ist nach eigenen Angaben malischer Staatsangehöriger. Er reiste ebenfalls nach eigenen Angaben am 4. Juni 2014 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 10. Juni 2014 einen Asylantrag. In der Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge der Antragsgegnerin gab der Antragsteller an, Mali im Jahr 2011 verlassen zu haben und über Libyen, Italien und Österreich in die Bundesrepublik gereist zu sein.
Die Überprüfung der Fingerabdrücke des Antragstellers im EURODAC-System ergab, dass der Antragsteller am 29. März 2013 in Italien erkennungsdienstlich behandelt worden war und dort am 9. April 2013 Asyl beantragt hatte. Das Bundesamt richtete daher unter dem 24. Juli 2014 ein Übernahmeersuchen an Italien. Die italienischen Behörden haben auf dieses Ersuchen nicht reagiert.
Mit Bescheid vom 18. August 2014 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ab und ordnete seine Abschiebung nach Italien an. Dieser Bescheid wurde dem Antragsteller am 21. August 2014 durch Niederlegung in der Postfiliale Barsinghausen zugestellt.
Am 28. August 2014 hat der Antragsteller Klage erhoben - 10 A 11506/14 - und um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Zur Begründung seiner Klage und des Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz macht er geltend, dass ihm bei einer Zurückschiebung nach Italien aufgrund systemischer Mängel des dortigen Asylverfahrens eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 4 der Europäischen Grundrechtecharta bzw. Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention drohe.
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung seiner zum Aktenzeichen 10 A 11506/14 erhobenen Klage gegen die im Bescheid der Antragsgegnerin vom 18. August 2014 ausgesprochene Abschiebungsanordnung anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen. Der Inhalt sämtlicher Akten war Gegenstand der Entscheidungsfindung.
II.
Der Beschluss ergeht durch die Kammer, der der Einzelrichter mit Beschluss vom 20. Dezember 2014 den Rechtsstreit wegen grundsätzlicher Bedeutung übertragen hat.
I. Der Antrag ist zulässig. Er ist gemäß § 34 a Abs. 2 AsylVfG i. V. m. § 80 Abs. 5 VwGO statthaft, soweit sich die Klage gegen die unter Ziffer 2 des angefochtenen Bescheides angeordnete Abschiebung nach Italien richtet.
II. Der Antrag ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht kann die aufschiebende Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO anordnen, wenn das Interesse des betroffenen Ausländers, von einem Vollzug der Abschiebungsanordnung vorläufig verschont zu bleiben, gegenüber dem öffentlichen Interesse an dem gesetzlich angeordneten Vollzug der Abschiebungsandrohung überwiegt. Hier überwiegt das Aussetzungsinteresse des Antragstellers, denn nach der im vorliegenden Verfahren lediglich gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angeordneten Abschiebung des Antragstellers nach Italien.
Die Antragsgegnerin stützt ihre Entscheidungen auf § 27 a und § 34 a AsylVfG. Gemäß § 27 a AsylVfG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat aufgrund von EU-Recht oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Nach § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ordnet das Bundesamt, wenn der Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat abgeschoben werden soll, die Abschiebung an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
Die erste dieser Voraussetzungen liegt vor. Da der Antragsteller seinen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes nach dem 1. Januar 2014 gestellt hat, sind nach Art. 49 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (vom 29.6.2013, Abl. L 180) - Dublin III-VO - die Vorschriften dieser Verordnung anzuwenden. Damit ist Italien nach Art. 25 Abs. 2 bzw. Art. 18 Abs. 1 Buchstabe c Dublin III- VO für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.
Es steht jedoch nicht fest, dass die Abschiebung im Sinne von § 34 a Abs. 1 AsylVfG durchgeführt werden kann. Denn nach Auffassung des Gerichts ist eine Überstellung nach Italien gegenwärtig unzulässig, weil es im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller dort systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU- Grundrechtecharta mit sich brächten, und die Antragsgegnerin die angefochtene Abschiebungsanordnung getroffen hat, ohne vorher eine - substantiierte - Erklärung der italienischen Behörden einzuholen, eine solche Behandlung des Antragstellers wirksam auszuschließen.
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 21.12.2011 - Rs. C-411/10 u. a. -, Rn. 81 ff., ) obliegt es den Mitgliedstaaten einschließlich ihrer nationalen Gerichte, einen Asylbewerber nicht an den zuständigen Mitgliedstaat im Sinne der Dublin-II-Verordnung zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GR-Charta ausgesetzt zu werden (EuGH - a. a. O -, Rn. 106 und LS 2; ebenso Urteil der Großen Kammer vom 14.11.2013 - Rs. C-4/11, Puid -, NVwZ 2014, 129 Rn. 30 [EuGH 14.11.2013 - Rs. C-4/11]). Diese Rechtsprechung des Gerichtshofs liegt auch der Neufassung von Art. 3 Abs. 2 der Dublin-III-Verordnung zugrunde (vgl. zum Ganzen BVerwG, Beschluss vom 6.6.2014 - BVerwG 10 B 35.14 -, ).
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat derartige systemische Mängel für das Asylverfahren wie für die Aufnahmebedingungen der Asylbewerber in Fällen der Überstellung von Asylbewerbern im Rahmen des Dublin-Systems nach Griechenland der Sache nach bejaht (vgl. EGMR - Große Kammer, Urteil vom 21.1.2011 - Nr. 30696/09, M.S.S. - NVwZ 2011, 413) und in Folgeentscheidungen insoweit ausdrücklich auf das Kriterium des systemischen Versagens ('systemic failure') abgestellt (EGMR, Entscheidungen vom 2.4.2013 - Nr. 27725/10, Mohammed Hussein u. a. - ZAR 2013, 336 Rn. 78; vom 4.6.2013 - Nr. 6198/12, Daytbegova u. a. - Rn. 66; vom 18.6.2013 - Nr. 53852/11, Halimi - ZAR 2013, 338 Rn. 68; vom 27.8.2013 - Nr. 40524/10, Mohammed Hassan - Rn. 176 und vom 10.9.2013 - Nr. 2314/10, Hussein Diirshi - Rn. 138).
Ein "systemisches Versagen" im Sinne dieser Rechtsprechung setzt allerdings nicht voraus, dass ein Systemfehler eine Vielzahl von Asylsuchenden betreffen muss. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (Große Kammer) hat in seinem Urteil vom 4.11.2014 - Nr. 29217/12, Tarakhel - vielmehr die dem Betroffenen drohende Verletzung seiner Rechte aus Art. 3 EMRK durch eine drohende unmenschliche oder erniedrigende Behandlung in den Mittelpunkt der Betrachtung gestellt und dazu ausgeführt, dass sich die Ursache der drohenden Gefahr weder auf das Schutzniveau auswirkt, das durch die Konvention garantiert wird, noch auf die sich aus der Konvention ergebenden Pflichten des Staates, der die Abschiebung der Person anordnet. Das dem gemeinsamen europäischen Asylsystem zugrunde liegende Prinzip gegenseitigen Vertrauens befreit diesen Staat danach gerade nicht davon, eine gründliche und individuelle Prüfung der Situation der betroffenen Person vorzunehmen und die Durchsetzung der Abschiebungsanordnung auszusetzen, falls die Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung festgestellt werden sollte (EGMR, Urteil vom 4.11.2014 - a. a. O. -, Rn. 104). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte weist auch darauf hin, dass dieser Ansatz auch vom Supreme Court des Vereinigten Königreichs in dessen Urteil vom 19. Februar 2014 - (2014) UKSC 12 - (Rn. 56 ff.) verfolgt wurde.
Im Sinne dieser Rechtsprechung beschreibt der Begriff der "systemischen Mängel" die Vorhersehbarkeit und Reproduzierbarkeit einer drohenden Rechtsverletzung. Ein systemischer Mangel ist danach eine Systemstruktur oder eine fehlende Struktur, die als notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung dazu führt, dass Fälle, die diese Systemstelle durchlaufen, Rechtsverletzungen verursachen (vgl. eingehend Lübbe, ZAR 3/2014, S. 107).
In tatsächlicher Hinsicht geht das Gericht übereinstimmend mit dem Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte davon aus, dass aufgrund von Berichten international anerkannter Flüchtlingsschutzorganisationen und des Auswärtigen Amtes belastbare Anhaltspunkte für das Bestehen von erheblichen Kapazitätsengpässen bei der Unterbringung rückgeführter Ausländer in Italien bestehen und nicht auszuschließen ist, dass eine erhebliche Zahl Asylsuchender ohne Unterkunft bleibt oder in überfüllten Einrichtungen ohne jede Privatsphäre oder sogar in einer gesundheitsgefährdenden oder gewalttätigen Umgebung untergebracht werden könnte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.9.2014 - 2 BvR 939/14 -, ; EGMR, Urteil vom 4.11.2014 - a. a. O. -, Rn. 106 ff.; ausführlich zum derzeitigen Erkenntnisstand VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 13.11.2014 - 7a L 1718/14.A -, Rn. 18 ff.).
Nachdem nicht einmal die italienische Regierung in dem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte - Nr. 29217/12, Tarakhel - geltend gemacht hat, dass die Kapazitäten des SPRAR-Systems und der CARAs zusammengenommen in der Lage wären, den Großteil, geschweige denn die komplette Nachfrage nach Unterbringung zu absorbieren, zugleich aber auch keine durchgreifenden Ansätze zeigt, die offenkundigen Defizite wenigstens mittelfristig abzustellen, liegen zur Überzeugung des Gerichts systemische Mängel im Sinne fehlender oder defizitärer Strukturen in der Ausgestaltung des Asylverfahrens in Italien vor, die bei ungehindertem Geschehensablauf auch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass nach Italien überstellte Flüchtlinge in überfüllten Einrichtungen ohne jede Privatsphäre oder in einer gesundheitsgefährdenden oder gewalttätigen Umgebung untergebracht werden oder sogar gar keine Unterkunft finden.
Die Feststellung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in dessen Urteil vom 4. November 2014 - a. a. O. -, dass die Ausgestaltung der Aufnahmebedingungen in Italien "für sich genommen kein Hindernis für sämtliche Abschiebungen von Asylsuchenden in dieses Land darstelle", ist angesichts der zugleich getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht dahingehend zu verstehen, dass dort keine systemischen Mängel im Sinne defizitärer Strukturen vorlägen, sondern dass im Gegenteil dem Grunde nach systemische Mängel bestehen, die auch geeignet sind, bei unbeeinflussten Geschehensablauf zu einer Verletzung der Rechte aus Art. 3 EMRK zu führen. Denn der EGMR erachtet eine Überstellung (nur dann) als möglich, wenn eine Rechtsverletzung aufgrund dieser systemischen Mängel durch individuelle Garantieerklärung der italienischen Behörden ausgeschlossen ist. Die Garantieerklärung ist gerade die Einzelfallreaktion auf das systemische Defizit, das zwar ein Indikator, aber - wie vorstehend ausgeführt - keine hinreichende Bedingung für eine drohende Rechtsverletzung ist.
Deshalb kann aus Sicht des Gerichts aus den Ausführungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in der Rechtssache Tarakhel nicht der Schluss gezogen werden, dass eine Verletzung der Rechte aus Art. 3 EMRK ausgeschlossen ist, wenn Personen nach Italien rücküberstellt werden, die nicht zu den Gruppen besonders schutzbedürftiger Personen gehören. Denn die Verhältnisse, in die solche Personen überstellt werden, sind nicht besser als bei schutzbedürftigen Personen. Im Gegenteil ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Antragsteller gar keine Unterkunft in Italien findet, sogar höher als bei Familien mit Kindern. Denn Familien mit Kindern werden nach Angaben der italienischen Regierung im Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als besonders schutzbedürftige Personen behandelt und normalerweise in das SPRAR-Netzwerk übernommen, das ihnen anscheinend Unterkunft, Nahrung, Gesundheitsversorgung, Italienischkurse, die Vermittlung an soziale Dienste, Rechtsberatung, Berufsbildung, Lehrstellen und Unterstützung bei der Suche einer eigenen Unterkunft garantiert (vgl. EGMR, Urteil vom 4.11.2014 - a. a. O. -, Rn. 121). Derartige Garantien werden männlichen alleinstehenden Asylsuchenden wie dem Antragsteller nicht gegeben. Angesichts der offensichtlichen Kapazitätsengpässe sind seine Chancen auf Unterbringung deshalb sogar geringer, je mehr der ohnehin knappen Unterkünfte vorrangig an Familien mit Kindern vergeben werden.
Es ist auch nicht anzunehmen, dass die Rechte aus Art. 3 EMRK Personen wie dem Antragsteller - anders als schutzbedürftigen Personen - nur ein derartig geringes Schutzniveau garantieren, dass es in seinem Fall keine Verletzung dieser Rechte darstellen würde, wenn er unter den beschriebenen Umständen nach Italien überstellt würde, ohne dass die italienischen Behörden eine Garantieerklärung abgeben, dass ihm eine angemessene Unterkunft bereitgestellt wird.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte muss zwar eine Misshandlung ein notwendiges Minimum an Intensität erreichen, um in den Anwendungsbereich von Artikel 3 EMRK zu fallen, wobei dieses Minimum von den Umständen des Einzelfalls abhängt, beispielsweise der Dauer der Behandlung, ihren physischen und psychischen Auswirkungen sowie, in einigen Fällen, Geschlecht, Alter und dem Gesundheitszustand des Betroffenen (vgl. EGMR, Urteile vom 26.10.1996 (Große Kammer) - Nr. 30210/96, Kudła -, Rn. 91, ECHR 2000-XI, und vom 21.1.2011 - Nr. 30696/09, M. S. S. - Rn. 249). Weiterhin hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wiederholt entschieden, dass Artikel 3 EMRK die Vertragsparteien nicht allgemein dazu verpflichtet, jedem in ihrem Hoheitsgebiet ein Zuhause zur Verfügung zu stellen oder Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu gewähren, um ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen (vgl. EGMR, Urteile vom 18.1.2001 (Große Kammer) - Nr. 27238/95, Chapman -, ECHR 2001-1 Rn. 99; vom 26.4.2005 - Nr. 53566/99, Müslim -, Rn. 85; und vom 21.1.2011 - M. S. S., a. a. O. -, Rn. 249). Zugleich hat der Gerichtshof aber betont, dass Asylsuchende als Angehörige einer besonders unterprivilegierten und verletzlichen Bevölkerungsgruppe besonderen Schutzes bedürfen. Auch das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass von einer Rückführung in sichere Drittstaaten betroffene Ausländer - anders als bei einer Rückführung in ihr Heimatland - regelmäßig weder auf verwandtschaftliche Hilfe noch auf ein soziales Netzwerk bei der Suche nach einer Unterkunft für die Zeit unmittelbar nach ihrer Rückkehr zurückgreifen können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.9.2014 - a. a. O. -). Das betrifft den Antragsteller nicht weniger als eine junge Frau oder eine Familie mit Kindern.
In dieser Konstellation sieht auch der Europäische Gerichtshof Art. 3 EMRK verletzt, wenn in einer Situation extremer materieller Armut und vollkommener Abhängigkeit von staatlicher Unterstützung der Betroffene in einer Lage schwerwiegender Entbehrungen oder Not, die nicht mit der Menschenwürde vereinbar ist, mit behördlicher Gleichgültigkeit konfrontiert wird (vgl. EGMR, Entscheidung vom 18.6.2009 - Nr. 45603/05, Budina -). Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die Verpflichtung, Asylsuchenden Unterkunft und anständige materielle Bedingungen zu gewähren, Bestandteil des positiven Rechts geworden und die Behörden gehalten sind, ihre eigene Gesetzgebung zu befolgen, und ein dahingehendes Unterlassen es dem Betroffenen unmöglich macht, diese Rechte in Anspruch zu nehmen und für seine grundlegenden Bedürfnisse zu sorgen.
In diesem Zusammenhang sind die in der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen - Aufnahmerichtlinie - (ABl. L 180 S. 96) genannten Mindeststandards für die Aufnahme von Asylsuchenden in den Mitgliedsstaaten zu berücksichtigen. Nach Art. 17 und 18 der Aufnahmerichtlinie tragen die Mitgliedsstaaten dafür Sorge, dass Antragsteller ab Stellung des Antrags auf internationalen Schutz im Rahmen der Aufnahme materielle Leistungen in Anspruch nehmen können, die einem angemessenen Lebensstandard entsprechen, der den Lebensunterhalt sowie den Schutz der physischen und psychischen Gesundheit von Antragstellern gewährleistet. Bei vorübergehenden Unterbringungsengpässen erlaubt Art. 18 der Aufnahmerichtlinie für einen angemessenen Zeitraum, der so kurz wie möglich sein sollte, niedrigere Standards der Unterbringung, wobei allerdings unter allen Umständen die Grundbedürfnisse gedeckt werden müssen. Zu diesen Grundbedürfnissen rechnet das Gericht auch die Unterkunft an sich, die Versorgung mit Nahrung, elementare Hygienebedürfnisse und den Schutz vor Übergriffen und geschlechtsbezogener Gewalt einschließlich sexueller Übergriffe und Belästigung in Unterbringungszentren.
Es steht für das Gericht außer Zweifel, dass auch der Antragsteller diese Grundbedürfnisse tatsächlich hat. Dagegen ist nicht erkennbar, dass der von Art. 3 EMRK gewährte Schutz diese elementaren Grundbedürfnisse nicht auch für die Gruppe der alleinstehenden, jungen und gesunden männlichen Asylsuchenden, der der Antragsteller angehört, garantiert. Dass Art. 3 EMRK bei schutzbedürftigen Personen im Sinne von Art. 21 der Aufnahmerichtlinie die Berücksichtigung weiterer individueller Bedürfnisse gebietet - etwa hinsichtlich der gemeinsamen Unterbringung von Familien und des Schutzes der Kinder oder des Bedarfs besonderer medizinischer Versorgung -, steht dem nicht entgegen.
Auch der - insoweit tautologische - Wortlaut des Art. 17 Abs. 2 der Aufnahmerichtlinie:
"Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die im Rahmen der Aufnahme gewährten materiellen Leistungen einem angemessenen Lebensstandard entsprechen, der den Lebensunterhalt sowie den Schutz der physischen und psychischen Gesundheit von Antragstellern gewährleistet.
Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass dieser Lebensstandard gewährleistet ist, wenn es sich um schutzbedürftige Personen im Sinne von Artikel 21 und um in Haft befindliche Personen handelt."
erlaubt keine derartige Differenzierung am untersten Rand der Existenzsicherung. Vielmehr sind eine dauerhafte Obdachlosigkeit und Unterernährung ebenso wie Gewalt und gesundheitsgefährdende Zustände in Unterkünften geeignet, auch einen jungen, alleinstehenden und (bisher) gesunden Asylbewerber an Grenzen der körperlichen und seelischen Belastbarkeit zu bringen, vor deren Überschreitung ihn Art. 3 EMRK schützen soll.
Eine solche Verletzung seiner Rechte aus Art. 3 EMRK droht dem Antragsteller aufgrund der systemischen Mängel des italienischen Asylverfahrens jedenfalls solange, wie die italienischen Behörden keine individuelle Garantieerklärung dafür abgeben, dass der Antragsteller einen Platz in einer Unterkunft erhält und seine grundlegenden Bedürfnisse an Nahrung, Hygiene und medizinischer Versorgung gedeckt sind. Das gilt insbesondere in den Fällen, in denen - wie hier - die italienischen Behörden schon das Übernahmeersuchen der Antragsgegnerin unbeantwortet gelassen haben und nicht ersichtlich ist, dass der Antragsteller überhaupt Zugang zu elementarer Versorgung haben wird.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83 b AsylVfG.
IV.
Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beruht auf § 166 VwGO i. V. m. § 114 ZPO. Die wirtschaftlichen Voraussetzungen und - wie sich aus vorstehenden Ausführungen ergibt - hinreichende Erfolgsaussichten sind gegeben.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 80 AsylVfG).